Meine Kriegserlebnisse 1940 - 1945
Kapitel 10
Calvados mit Olivenöl
Die Fahrt ist nach den erlebten Strapazen sehr schön, die Verpflegung ausgezeichnet. Es geht in sechs Tagen von Rudnia bis in die Normandie. Dort angekommen, werden wir nach Monteux geschickt, einem netten kleinen Städtchen.
Dort werden wir erst einmal von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, dann kommen wir in unsere Quartiere. Ich wohne über einem Cafe und esse mich dick und fett, wobei mir Schoof nach bestem Können hilft. Die eitrige Mandelentzündung, mit der ich angekommen war, ist schnell auskuriert.
Wir leben sehr angenehm in dem Städtchen und erholen uns rasch von den Anstrengungen in Russland. Das Verhältnis zu der französischen Bevölkerung ist sehr gut, meine Hauswirtin, die dicke Cafebesitzerin, bäckt dauernd Kuchen für mich. Ein Bauer in der Umgebung, Kriegsinvalide aus dem Ersten Weltkrieg, wo er ein Bein verloren hat, ist mein besonderer Freund. Abgesehen von vielen Eiern, die ich bei ihm kaufe, bringt er mir bei, Calvados mit Olivenöl zu trinken.
Am 20. Mai, dem Jahrestag des Kreta-Einsatzes, bekommen wir auf einer kurzen Feier unsere Kreta-Bänder. Anschließend erfahren wir, dass die 1. FJDiv. nach Südfrankreich verlegt wird. Ich habe Glück und fahre noch im letzten Augenblick vor der Verlegung auf Heimaturlaub, dem ersten seit 18 Monaten. Mit mir fährt Schoof.
Wir fahren mit dem Bummelzug bis Caen, von dort mit dem Fronturlauber-Schnellzug
sehr bequem bis Maastricht. Dort steigen wir um in den Zug nach Berlin, wo Schoof mich verlässt. Ich fahre weiter nach Reichenberg. Hier treffe ich auf dem Marktplatz gleich fünf meiner alten Schulkameraden, die alle auf Urlaub sind. Am Abend mache ich mit Helmut Schäfer (Multa
genannt) einen Bummel, der bis zum Morgen dauert.
Nachdem der Urlaub abgelaufen ist, mache ich auf der Rückfahrt noch drei Tage in Bergen Station, wo Gertrud wieder dienstverpflichtet ist, dann geht es weiter bis Mülhausen, wo ich mich, wie verabredet, wieder mit Schoof treffe. Wir fahren bis Avignon, wo wir uns die alte Papststadt ansehen und ganz überraschend Hptm. Stiebitz treffen, der bei der 2. Division gelandet ist. Schließlich fahren wir weiter nach Carpentras. Im Autobus lerne ich Lily kennen, eine junge und sehr hübsche Französin aus St. Chamas.
Von Carpentras bis zu dem Städtchen, wo unsere 13./4 liegt, müssen wir laufen bzw. per Anhalter fahren.
Mein Zug ist in einem großen Gebäude einquartiert, im Garten stehen große Feigenbäume. Die Bevölkerung verhält sich hier uns gegenüber viel reservierter als in der Normandie.
Während ich in Urlaub war, hat die Kompanie zwei Übungssprünge aus He 111-Transportflugzeugen gemacht, bei denen es infolge des starken Windes eine Menge Sprungverletzte gab, die zum großen Teil noch im Krankenrevier liegen. Stark hatte sich beim Sprung mit den Füßen in den Fangleinen verheddert, kam nicht frei und landete mit dem Kopf nach unten, zum Glück nicht auf dem Kopf, sondern auf den Schultern. Er kam mit einer Stauchung davon.
Jeder unserer drei Züge soll noch an einer kriegsmäßigen Sprungübung eines verstärkten Bataillons teilnehmen. Da ich zur Zeit der einzige verfügbare R 1 der Kompanie bin, Wamsler liegt sprungverletzt im Revier und Erhard Müller ist auf Urlaub, springe ich bei allen drei Zügen mit. Bei der herrschenden Hitze sind die anschließenden stundenlangen Übungen kein reines Vergnügen. Einige kleine Zwischenfälle bei diesen Übungen sind vielleicht erwähnenswert: Beim Start ist die Besatzung einer unserer Ju's vollkommen blau und versucht, zu starten, ohne die Feststellklammern am Leitwerk abgenommen zu haben. Als die Maschine beim Start nicht abheben will, bemerken unsere Leute die roten Warnwimpel an den Klammern und können gerade noch rechtzeitig die Flieger alarmieren, die den Start abbrechen. Wäre das Flugzeug in die Luft gekommen, wäre dies wahrscheinlich das Ende für alle an Bord gewesen.
Bei der zweiten dieser Übungen lande ich zuerst in einem Stacheldrahtzaun und anschließend in einem Wassergraben, in dem ich samt MP, Pistole, Fernglas usw. völlig untertauche. Zum Glück war meine Feldflasche zwischen meinem Hinterteil und dem Stacheldraht, sodass ich ganz unbeschädigt bleibe. Obj. Winter, unser Sanitäter, hielt sich beim Sprung, bei dem er ausgerechnet seine Springerhandschuhe nicht dabei hatte, an seiner Aufziehleine fest, die ihm dann mit 200 km/h durch die Hand gezogen wurde, wobei natürlich die Haut an Hand und Fingern mitging. Er bot nachher einen furchtbar komischen Anblick.
Den Vogel schoss jedoch ein Mann einer Schützenkompanie ab, der nach dem Herausspringen an seiner Aufziehleine hängenblieb, die ihrerseits mit einem Ende in der Kabine eingehakt ist. Er hing also an der fünf Meter langen Perlonleine hinter dem Flugzeug und konnte nicht hoch und nicht herunter, bis ihn die Flugzeugbesatzung schließlich mit vereinten Kräften wieder in die Maschine zog. Augenzeuge dieses Vorfalles war auch unser recht gefürchteter Divisionskommandeur, General Heidrich. Entgegen allen finsteren Prophezeiungen — der Mann war ganz eindeutig selbst schuld gewesen — ließ er zwar den Helden dieser Geschichte bei sich antanzen, schenkte ihm jedoch zur Erholung von seinem Schreck eine Uhr und 14 Tage Urlaub! Während der Übung selbst wunderte sich Gen. Heidrich, dass er im ganzen Übungsgelände keinen Mann antraf. Bei dem Ruf Heidrich kommt!
flitzte nämlich jeder in die nächste Deckung und tarnte sich mit Laub, um ja nicht aufzufallen
.
Unser Ofw. Marzahn wollte, geistesabwesend, wie immer, springen, ohne seine Aufziehleine eingehängt zu haben, was sein nächster Mann aber rechtzeitig bemerkte und ihn vom verfrühten Heldentod bewahrte.
Lily kommt von St. Chamas, um mich zu besuchen.
Wir erhalten alle Tropenuniformen und packen wieder einmal unsere Schirme und Waffenbehälter für einen Einsatz. Ausgerechnet einen Tag vor Lilys nächstem Besuch fahren wir ab nach Marignane am Etang de Berre, einem riesigen Land- und Seeflughafen nahe Marseilles. Dort verbringen wir noch ein paar Tage in einem Zeltlager. Die Gegend ist schön, wir gehen täglich im Etang de Berre baden, es gibt eine Unmenge von Quallen. Im Wasserflughafen liegen drei sechsmotorige französische Flugboote.