Meine Kriegserlebnisse 1940 - 1945
Kapitel 16
Weinkeller als Bunker
Alles ist schon abmarschbereit, wir klettern auf unsere 1 t-Zugmaschine und fahren los. Ich bin so müde, dass ich unterwegs immer wieder einschlafe. Seltsamerweise falle ich jedoch nie ganz herunter.
Im Morgengrauen fahren wir durch das von deutschen Truppen als Vergeltung für Bandenüberfälle restlos zerstörte San Pancrazio, wo unsere neue HKL liegt. Unser Kompaniegefechtsstand wird in einem Haus am Hinterhang etwas weiter nördlich eingerichtet, während der 12 cm-Zug und der Do-Zug, der wieder nach vorn gekommen ist, am Fuße dieses Hanges in Stellung gehen. Ich selbst merke davon nichts, denn ich bin wie tot in das erstbeste Bett gefallen. Nach einigen Stunden erwache ich allerdings, denn es juckt mich gewaltig am ganzen Körper. Ich bin über und über von Wanzen zerbissen.
In dieser Stellung bleiben wir einige Tage, bauen den Weinkeller als Bunker
aus und graben Splittergräben, denn der Ort etwa 600 m nordwestlich von uns wird von amerikanischen P-40-Jagdbombern mehrere Male schwer angegriffen.
Bei unserer Kompanie taucht ein neues Gesicht auf. Oberfähnrich Bitterling, ehemals von der Flak, ist zur 13./4 versetzt worden und soll erst einmal den Betrieb kennen lernen. Auf Befehl des Kp.-Führers muss er täglich auf dem Gefechtsstand von mir Unterricht erhalten, was ihm überhaupt nicht schmeckt. Während einer Grande Festa
beim Do-Zug hat er einen Zusammenstoß mit Ewert, bei dem er, da er, voll des Weines kaum mehr sprechen kann, alles widerspruchslos über sich ergehen lassen muss. Wie sich später zeigt, hat er das nie vergessen. Um schließlich das Trinken zu lernen, pflegt er sich jetzt einen Landser zu rufen, der sich mit ihm an den Tisch setzen und um die Wette Wein vertilgen muss. Im Allgemeinen sind unsere Landser noch nüchtern, wenn der Oberfähnrich schon unter dem Tisch liegt.
Eine andere Quelle steter Heiterkeit ist unser gefräßiger Oberleutnant. Er vertilgt im Allgemeinen soviel, wie 5 bis 7 Mann zusammen, klagt aber dabei häufig über Appetitlosigkeit und erklärt, daß er gar nicht viel essen werde. Als einmal Ewert und Schwan über Mittag da sind, wird im Weinbunker
der Tisch für sie und den Chef gedeckt, während die restlichen sieben Mann des Kp.-Trupps oben im Hause essen. Es gibt Kartoffelsalat. Wir vertilgen zu siebt eine große Terrine, eine gleichgroße Portion ist für unsere drei Oberen in den Bunker gekommen. Nach einer Viertelstunde hören wir auf einmal den Chef schreien: Linkus, Linkus (unser Koch), wo bleibt det Essen für meine Jäste? Kriejen meine Jäste nischt zu fressen?
Er hatte, während die beiden Zugführer zusehen mussten, die ganze Riesenportion allein vertilgt.
Oblt. Marzahn ist auch sonst infolge seines Eigensinns und seiner Zerstreutheit ein schwieriger Vorgesetzter, obwohl ihm niemand seine Kenntnisse und Fähigkeiten, gerade auf unserem Spezialgebiet, absprechen kann. Folgende Episode ist typisch: Unser Kp.-Gef.-Stand lag einmal in einem Schlosse auf einer kleinen Höhe, unser 12 cm-Zug in einer Mulde unweit der Straße, die nach Norden führte. Am Abend kam, bei ziemlich heftigem feindlichem Artilleriefeuer der Absetzbefehl für diese Nacht. Ofw. Schwan kam mit seinem B-Stellentrupp und ging zu seinem Zuge zurück, die LKW's wurden nach vorn befohlen, sie wurden während dieses Rückzugskrieges stets in der Nähe behalten und Oblt. Marzahn befahl Schwan, seine Werfer und sein Gerät zu verladen und auf uns zu warten, da der Kp.-Trupp damals kein eigenes Fahrzeug hatte. Es wurde Nacht und wir legten die 2-300 m zur Feuerstellung infolge der häufigen Feuerüberfälle ziemlich viel horizontal zurück, was unseren Chef, der ein großes Furunkel an seinem verlängerten Rückgrat hatte und deshalb sowieso schlecht gehen konnte, zu ausgiebigem Fluchen veranlasste. Als wir glücklich in der Stellung anlangten, war außer leeren Granatkisten nichts zu sehen, ebenso wenig wie an der Straße. Nachdem wir die ganze Gegend vergeblich abgesucht hatten, schickte er den Rest des Kp.-Trupps auf der Straße los, um einen LKW des Zuges für ihn zurückzuschicken. Er hielt es einfach für unmöglich, dass man ihn hier vergessen haben könnte, sondern nahm an, dass der Zug lediglich, um den Artillerieüberfällen auszuweichen, ein Stück auf der Straße nach Norden gefahren sei. Nun war nur noch ich bei Marzahn. Wir gingen in ein Haus an der Straße, in dem ein Pionier-Zündtrupp von drei Mann lag, die über einen fabelhaften Wein verfügten.
Schließlich schlief der Chef ein und ich bewachte seinen Schlaf. Es wurde immer später, die letzte Vorpostenkompanie zog vorbei, aber kein Fahrzeug zeigte sich. Schließlich weckte ich unseren Oblt. und brachte ihm bei, dass uns nichts anderes übrigbleiben würde, als zu laufen. Er begann zu fluchen: Ick loofe keenen Schritt, soweit kommt det, meine Kompanie fährt und der Chef muß loofen! Ick sperre alle ein, die janze Bande sperre ick ein, det stinkt mir vielleicht!
In dieser Tonart ging es pausenlos weiter. Schließlich erhob er sich aber doch ächzend und stöhnend und wir marschierten los, Gandhi, wie der Chef seit seiner Oberjägerzeit allgemein genannt wurde, immer noch andauernd fluchend. Nach etwa drei Kilometern trafen wir den vorausgeschickten Kompanietrupp, der im Straßengraben auf uns wartete. Die Leute hatten auch keinen LKW angetroffen. Auf einmal fiel es Marzahn ein, dass die Fahrzeuge vielleicht doch noch in der Nähe der alten Feuerstellung stehen könnten. Ich musste nun mit einem Melder, Reinert den ganzen Weg zurücklaufen, um nachzusehen, ob wir vielleicht die Fahrzeuge doch übersehen hatten. Wir treffen unterwegs noch einige Pioniere, die uns erstaunt fragen, wohin wir um Himmelswillen wollen. Schließlich geht vor uns die ganze Häuserfront, in der wir vorher gewartet hatten, in die Luft. Da die Straße jetzt nicht mehr passierbar ist, kehren wir um und melden, dass wir nichts finden konnten. Nach einigen Kilometern Marsch erwischen wir einen LKW, der uns bis in die Nähe der nächsten Stellung bringt. Schwan ist mit seinem Zug schon seit Stunden da!
In der Stellung hinter San Pankrazio verlieren wir zwei Leute des 12 cm-Zuges, die von italienischen Partisanen mit MP überfallen werden. Einmal muss ich zum Regiment fahren, wo ich unseren ehemaligen Chef, den jetzigen Regimentsadjutanten Hptm. Gerken treffe, der mich gleich zu einem Schnaps einlädt.
Schließlich greift der Tommy wieder an und unser rechter Nachbar, Teile der Division Hermann Göring, geht türmen. Der Grund sind ein oder zwei Panzer, die auf die Stellung losgefahren sind, ohne dass jedoch irgendwelche Verluste eingetreten sind. Überhaupt hat die Div. HG bei uns einen sehr schlechten Ruf, da sie häufig trotz ihrer verschwenderischen Ausstattung mit Waffen, Fahrzeugen und Panzern nach hinten verschwindet und unsere rechte Flanke ungeschützt lässt. Seit Sizilien hat sie bei den Fallschirmjägern den Spitznamen Division Hermann Tengelmann
.
In der Nacht kommt überraschend der Absetzbefehl. Wie so oft, sind die Schützenkompanien schon abmarschiert, ehe unsere Kraftfahrzeuge da sind, die Werfer ausgebaut sind und die Munition verladen ist. So kommt es, dass noch ehe unsere LKW's, die erst den Nebelwerferzug samt Munition herausgeholt haben, wieder zum 12 cm-Zug vorfahren können, unsere einzige Rückzugsbrücke auf Befehl von Hptm. Schwaiger gesprengt wird und Schwan einige hundert Schuss 12 cm -Munition in die Luft jagen muss. Sein Zug hat Mühe genug, die schweren Werfer im Mannschaftszug zurückzubringen.
Schließlich wird das Regiment herausgezogen. Es geht nach Tomba di Pesaro, einem Städtchen an der Adria, wo wir einige Tage einquartiert werden. Oblt. Marzahn ist schwer malariakrank und kommt ins Lazarett. Wir bekommen einen neuen Kompanieführer, Lt. Hesse, einen jungen Offizier, der erst vor einigen Wochen zum Rgt. gekommen ist und von Granatwerfern noch herzlich wenig versteht. Ein großes Fest zur Verabschiedung des alten und zur Einführung des neuen Chefs wird veranstaltet. Anschließend geht es wieder einmal weiter.
Wir kommen in die Gegend westlich von Fano, um dort einen Teil einer starken Widerstandslinie auszubauen, die dann längere Zeit gehalten werden soll. Es ist die sogenannte Grünlinie
. Wir bauen die Vorfeldstellung aus, die vorderste Verteidigungsstellung, die Linien weiter rückwärts werden schon seit Monaten von Baubataillonen der OT ausgebaut. Es beginnt nun ein gemütliches Leben. Jeder Zug hat einen Stellungsabschnitt zu bauen, wir heben die italienischen Zivilisten aus dem Städtchen aus, die für je zwei Tage zur Arbeit verpflichtet werden. Unsere Landser bringen sogar den jungen und lautstark zeternden Pfarrer angeschleppt, den wir aber wieder laufen lassen. Ich fahre mit Kaschubowski öfters los, um B-Stellen zu erkunden, wobei wir meist unterwegs bei den Bauern ein paar Spiegeleier verzehren.
Schließlich ist auch hier unsere Aufgabe beendet, wir sollen in Ruhe kommen. Ich bleibe mit einem Mann in einem Schloss bei Fano, um unseren Nachfolgern die ganze Sache zu übergeben und soll anschließend von einem unserer LKW's, der noch Munition holt, mitgenommen werden. Wir warten und warten, vom LKW keine Spur. So fahren wir per Anhalter los und finden tatsächlich unsere Kompanie, die links der Via Adriatica auf einem Berge liegt. Doch auch von hier geht es bald weiter und wir landen in Reggio nell’Emilia, einer größeren Stadt, wo wir in einem Vorort einige Häuser belegen. Hier beginnt nun eine Zeit des Feierns und Faulenzens. Es gibt fröhliche Gelage am laufenden Band. Nana
, die Attraktion des Bataillonstrosses tritt bei uns auf, sie singt wirklich sehr nett neben ihren mehr ins Auge fallenden Vorzügen.
Bald ist auch diese Zeit vorbei, wir packen unsere Weinflaschen und Kuchenpakete, sowie das zwangsläufig mitzunehmende Gerät zusammen und fahren los, wieder Richtung Süden. Auf unserem KFZ 15 (schwerer Kübelwagen mit Vierradantrieb) ist unser Dr. Fleck vollkommen blau und erheitert uns alle. Während die Kompanie dann Rast macht, fahre ich mit Gustl Laukner, unserem Kradfahrer und einem Melder auf unserer Zündapp los, um einen Tagesrastplatz für die Kompanie zu erkunden. Wir finden schließlich etwas geeignetes, eine dicht mit Bäumen bestandene Bergkuppe links der Adriatica, in der Gegend von Cattolica. Auch hier kommt erst das obligate Spiegeleiessen, dann stehen wir endlos an der Straße Posten, um unsere Kolonne abzufangen.
Im Morgengrauen kommt sie endlich und wir schlafen den Tag über. In der folgenden Nacht kommen wir dann in unserer Stellung in dem von uns vorher ausgebauten Raume an und nisten uns da ein. Auf den beiden B-Stellen sind Fw. Schwan und Fw. Schröder.