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Vertreibung aus Ostpreußen
Kapitel 1
Berghöfen, unser Dorf in Ostpreußen

Der Kreis Labiau und seine Ortschaften

Der Kreis Labiau war ein Landkreis in Ostpreußen und bestand in der Zeit von 1818 bis 1945. Er lag an der südöstlichen Küste des Kurischen Haffs und seine Kreisstadt war die Stadt Labiau. Labiau wurde 1946 in Polessk umbenannt. Seit Auflösung der Sowjetunion gehört Polessk zur Russischen Föderation.

Der größte Teil des Gebiets des Kreises Labiau gehörte seit der ostpreußischen Kreisreform von 1752 zum damaligen Kreis Tapiau, der die alten ostpreußischen Hauptämter Labiau, Tapiau und Taplacken umfasste. Zum Hauptamt Labiau gehörten 61 Orte.

Im Rahmen der preußischen Verwaltungsreformen ergab sich mit der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden vom 30. April 1815 die Notwendigkeit einer umfassenden Kreisreform in ganz Ostpreußen, da sich die 1752 eingerichteten Kreise als unzweckmäßig und zu groß erwiesen hatten. Zum 1. Februar 1818 wurde im Regierungsbezirk Königsberg der preußischen Provinz Ostpreußen aus dem nördlichen Teil des Kreises Tapiau der neue Kreis Labiau gebildet. Dieser umfasste die Kirchspiele Caymen, Deutsch Labiau, Gilge, Legitten, Litauisch Labiau, Laukischken und Popelken. Das Landratsamt war in Labiau.

Seit dem 3. Dezember 1829 gehörte der Kreis – nach dem Zusammenschluss der Provinzen Preußen und Westpreußen – zur neuen Provinz Preußen mit dem Sitz in Königsberg in Preußen.

Seit dem 1. Juli 1867 gehörte der Kreis zum Norddeutschen Bund und ab dem 1. Januar 1871 zum Deutschen Reich. Nach der Teilung der Provinz Preußen in die Provinzen Ostpreußen und Westpreußen wurde der Kreis Labiau am 1. April 1878 Bestandteil Ostpreußens.

Am 9. Januar 1884 wurde die Besitzung Michelau – eine Enklave im Kreis Wehlau – vom Kreis Labiau an den Kreis Wehlau abgetreten. Am 1. Juli 1891 wurden die Gutsbezirke Julienhöhe und Willmanns aus dem Landkreis Königsberg i. Pr. in den Kreis Labiau eingegliedert. Zum 30. September 1929 fand im Kreis Labiau entsprechend der Entwicklung im übrigen Preußen eine Gebietsreform statt, bei der die meisten Gutsbezirke aufgelöst und benachbarten Landgemeinden zugeteilt wurden. Um 1930 hatte der Kreis Labiau bei einer Gesamtfläche von 1066 Quadratkilometern rund 50.000 Einwohner.

Im Frühjahr 1945 wurde das Kreisgebiet durch die Rote Armee besetzt und kam danach unter sowjetische Verwaltung. Die ansässige deutsche Bevölkerung wurde, sofern sie nicht bereits geflüchtet war, in der Folge vertrieben. Heute gehört das ehemalige Kreisgebiet zur russischen Oblast Kaliningrad.

1938, vereinzelt auch schon in den Jahren davor, fanden im Kreis Labiau umfangreiche Änderungen von Ortsnamen statt. Das waren, da meist nicht deutsch genug, lautliche Angleichungen, Übersetzungen oder freie Erfindungen:

Jüdische Mitbürger gab es im Kreis Labiau erst nach den napoleonischen Freiheitskriegen. 1831 zählte man in der Stadt Labiau 27 Juden und im Kreis Labiau 73 Juden. Wesentlich später erst errichtete man eine Synagoge, die jedoch in der Reichspogromnacht 1938 zerstört wurde. Bei der Volkszählung 1925 ergaben sich für die Stadt Labiau eine Anzahl von 36 jüdischen Mitbürgern und in den Dörfern des Kreises 76 Juden, also insgesamt 112. Eines der Dörfer im Kreis erhielt erstaunlicherweise den Namen des jüdischen Mädchens Minchen, nämlich MinchenwaldeDer Ort wurde von Hillel Jankel Finkelstein, dem Besitzer der nach den Befreiungskriegen vom Fiskus verkauften Domäne Mehlauken im Jahr 1828 im Kreis Labiau gegründet. Er ließ das Land parzellieren und gab nach dem Namen seiner kleinen Tochter der Ansiedlung den Namen Minchenwalde., 1938 umbenannt in Lindenhorst.

Es gab einen jüdischen Friedhof in Labiau. Er befand sich im Osten der Stadt in der Blankensteinstraße, nicht weit von der Brauerei entfernt.

Quellen: Wikipedia/Genealogie.net/Ahnen-spuren.de

Berghöfen (Packalwen, Hügelfelden) in Ostpreußen

Berghöfen war ein reines Kleinbauerndorf, nur ein Schmied und ein Windmüller hatten sich hier niedergelassen, dessen Mühle das Wahrzeichen des Dorfes war. Die Windmühle wurde von Samuel Weinreich gebaut, geboren am 10. März 1864 in Packalwen. Samuel Weinreich ist der Vater meines Vaters, also mein Großvater. Die Mühle stand am Mühlengraben, Schwirgsch genannt. Sie brannte 1945 ab. Die Kinder besuchten die Schule in Weißenbruch. Die Toten fanden ihre Ruhe auf den Friedhöfen in Berghöfen und Bielken. In Bielken gab es neben dem großen Bauernhof von Steinleitner nur noch drei kleine Höfe.

Im Ersten Weltkrieg wurde Julius Sternberg nach Sibirien verschleppt, kam aber nach vielen Jahren gesund zurück. Der letzte Bürgermeister war Otto Weinreich. Berghöfen hatte 1939 136 Einwohner. Opfer des Zweiten Weltkrieges wurden fünf Gefallene und sechs Vermisste. Opfer der Vertreibung, 15 Tote und 15 Vermisste.

Bericht über Berghöfen (Packalwen) Januar 1945

von Rudolf Weinreich und Erich Goebel

Beim Einmarsch der Russen im Zweiten Weltkrieg wurden der Bürgermeister Otto Weinreich und die Eheleute Gustav und Minna Goebel ermordet. Vermisst wurden Theo Weinreich, der Sohn von Otto Weinreich und Walter Grütz. An der Front fielen Hugo Goebel, Karl Sternberg, Richard Tuttlies und Papas Bruder Kurt Weinreich.

Schon am 18. Januar 1945 flüchtete die Bevölkerung unseres Dorfes über Liebenfelde, Labiau, Königsberg in Richtung Pillau. Doch erfolgte auch hier die Flucht zu spät. In der Nähe von Fischhausen wurden die Trecks von den Russen überholt. Sie gaben den Flüchtenden den Befehl, zur Heimat zurückzukehren. So kamen viele nach Überwindung mancherlei Strapazen wieder in Berghöfen an. Hier hatten die Russen eine Kolchose eingerichtet, auf der alle arbeiteten, um am Leben zu bleiben, denn nur sie allein erhielten Nahrungsmittel zugeteilt.

Als die Ehefrau von Rudolf Weinreich mit ihren beiden Kindern im Alter von drei und fünf Jahren zurückkam, war ihre Wirtschaft bis auf das Wohnhaus und die Windmühle abgebrannt. Auch die Gebäude vom Schmied Gustav Pomian, Fritz Nuckel und das Wohnhaus von Otto Weinreich waren abgebrannt. Im Straßengraben lagen tote Soldaten und Pferde, daneben ein russischer Panzer.

Nach einiger Zeit wurde die Kolchose in Berghöfen aufgelöst. Darum zogen viele zur Kolchose Liebenfelde, sodass Berghöfen menschenleer wurde. Am 1. Oktober 1948 wurden allen Deutschen aus Liebenfelde und Umgebung, das heißt, aus ganz Ostpreußen, aufgrund Verfügung der Sowjets, ausgewiesen.


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