Endlich Moped fahren
Endlich war Oktober! Endlich war ich sechzehn Jahre alt! Endlich bekam ich den Führerschein Klasse vier! Warum verging die Zeit denn nur so langsam? Nun endlich konnte ich mein gebrauchtes Moped, eine NSU Quickly, die ich schon vor drei Monaten von einem Lehrlingskollegen gekauft hatte, auch offiziell auf der Straße fahren. Jetzt brauchte ich nicht mehr morgens um fünf Uhr in die verqualmte und stinkende Bahn von Quickborn nach AltonaLesen Sie auch meinen Bericht:
Mein langer Weg zur Schlieker Werft
[Klick …] steigen. Es waren mit dem Moped nur noch dreißig Kilometer bis zu meiner damaligen Arbeitsstelle in der Schützenstraße in Altona, wo Kondensatoren für einen russischen Eisbrecher gebaut wurden. Nun konnte ich morgens noch eine Stunde länger schlafen.
Langsam wurde es nun aber Winter mit Eis und Schnee. Trotzdem fuhr ich weiter mit dem Moped zur Arbeit, bis eines Tages die Straße so vereist war, dass ich in der Kieler Straße auf der blanken Schiene der Straßenbahn gefahren bin. Im Rückspiegel konnte ich einen Lastwagen sehen, der schon dicht aufgefahren war. Aus der Schiene traute ich mich aber nicht raus, weil die Ränder stark vereist waren. Der Lastwagenfahrer bemerkte wohl mein Problem und ließ sich weit zurückfallen, hupte und wartete ab, bis ich wieder aus der Schiene heraus war. Den Rest des Winters bin ich denn doch lieber wieder mit der Bahn gefahren.
Es wurde Frühling, das Moped wurde wieder hervorgeholt und gründlich gereinigt und geputzt, bis ich mich im Tankdeckel spiegeln konnte, und ab ging die Post. Leider nur ein paar Kilometer, dann fing der Motor an zu stottern und blieb ganz stehen. War es der Vergaser? Nein, denn der Motor sprang wieder an. So ging es weiter, fahren, Motor aus, Pause, wieder fahren. Aber man hat ja Freunde. Du Drops hast das Loch für die Belüftung im Tankdeckel mit deiner Polierpaste zugeschmiert, sodass im Tank ein Vakuum entsteht und das Benzin nicht mehr nachfließen kann
, musste ich mir sagen lassen.
Aber es war Frühling und ich hatte beim Tanzen im Cap Polonia
in Pinneberg, benannt nach einem Hapag Schiff, ein nettes Mädchen kennengelernt. Heide
mit Namen.
Eines Tages rief Heide an. Sie erzählte, dass am nächsten Wochenende ihre große Schwester mit ihrem Mann zu einer Hochzeit eingeladen war und sie an diesen Tagen auf ihre kleine Nichte aufpassen sollte. Ob ich denn Lust hätte, sie dort zu besuchen. Wenn möglich, möchte ich auch noch einen Freund mitbringen, denn ihre Freundin Kati war auch eingeladen. Und ob wir Lust hatten! Also, mein Freund Jochen auf seiner Zündapp und ich auf meiner Quickly, ab in das kleine Dorf nördlich von Pinneberg. Die Mädels hatten kleine Häppchen und einen Käse-Igel zubereitet. Bier war auch genug da. Später verschwanden Jochen und Kati in dem Schlafzimmer der Wohnung. Plötzlich stürzte Jochen aus der Tür, Kati erstickt, Kati erstickt
, schrie er. Jetzt erst erfuhren wir von Heide, dass Kati einen schweren Herzfehler hatte und erst vor einigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Ich wollte loslaufen und ein Telefon suchen, um einen Krankenwagen zu rufen aber in dem Haus gab es keins.. Mitten in der Nacht anrufen? Eine Telefonzelle gab es in dem kleinen Dorf sicher auch nicht. Aber Kati hatte sich inzwischen etwas erholt und wimmerte: kein Krankenhaus, kein Krankenhaus
. Wir warteten ab, bis es ihr besser ging. Jochen hatte das Ganze sehr mitgenommen, jedenfalls fuhr er beim Verlassen des Hofs gegen einen Begrenzungsstein und riss sich den Auspuff ab. Laut knatternd fuhren wir weiter. Zwei Dörfer weiter fing meine Quickly an zu stottern. Siedend heiß fiel mir ein, dass ich auf dem Hinweg vergessen hatte zu tanken. Aber wie meine Oma schon sagte: Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
Oder auch viele, denn in dem Dorf war eine langgezogene Baustelle mit ganz vielen Petroleumlaternen. Das Petroleum jeder zweiten Laterne kippte ich nun in meinen Tank. Knatternd, qualmend und stinkend fuhren wir nach Hause.
Meine Quickly bekam immer mehr Macken, außerdem fuhr sie nur fünfundzwanzig Kilometer pro Stunde. Die Zündapp meines Freundes fuhr deutlich schneller. Also, so eine musste ich auch haben! Im Dorf gab es eine ziemlich ramponierte Maschine für wenig Geld. Ersatzteile fanden wir, mein Bruder Jens, mein Freund Jochen und ich, auf einem nahegelegenen Schrottplatz. So bastelten wir aus drei alten Mopeds eine schicke neue Zündapp. Durch ein paar Änderungen am Motor, heute würde man tunen
sagen, lief die Kiste sagenhafte fünfzig Kilometer pro Stunde. Nun war ich noch schneller zur Arbeit und zurück. Wenn ich an der Ampel Renzelstraße – Grindelallee, kurz bevor die Ampel auf Grün sprang, mit Vollgas losfuhr und mich flach auf die Maschine legte, konnte ich an der großen Kreuzung Grindelallee – Hallerstraße – Beim Schlump noch die Grünphase der Ampel erreichen. Meistens ging es gut, doch wenn es regnete oder stürmte, passierte es auch schon mal, dass die Ampel rot zeigte und ich eine Vollbremsung machen musste. Dabei flog ich dann auch schon mal mit meiner schönen Zündapp aufs Pflaster. Ernsthaft passiert ist uns beiden, dem Moped und mir, aber nie etwas.
Die Strecke fuhr ich jeden Tag zur gleichen Zeit und an der Straßenbahnhaltestelle standen wohl auch immer die gleichen Leute. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass einige von ihnen sich mit dem Zeigefinger an den Kopf tippten, wenn ich herangebraust kam. Ob die wohl alle zur gleichen Zeit Kopfschmerzen hatten?
Mein Moped lief wie Schmidts Katze
Der Name Schmidt entwickelte sich im Laufe der Zeit aus dem Wort Schmied. Da es in einer Schmiede auch Mäuse gab, hielt sich der Meister oft eine Katze. Und die machte sich wie der Blitz aus dem Staub, wenn der Schmied mal wieder so richtig mit dem Hammer auf den Amboss drosch …, bloß am Mittwoch, wenn ich Berufsschule hatte, fing sie regelmäßig an zu stottern. Dann muss ich wohl in der Pause mal den Vergaser überprüfen
, dachte ich. Doch in der Pause lief sie wieder einwandfrei. Auf dem Nachhauseweg aber wieder das Gleiche stottern. Die ganze Woche hatte ich keine Probleme, bis zum nächsten Mittwoch. Das gleiche Problem. Es hat etwas gedauert bis ich die Ursache herausgefunden habe. Was war am Mittwoch anders? Mittwochs hatte ich meine Schultasche auf dem Gepäckträger. Die Luftansaugung erfolgte durch den Rahmen, deren Öffnung unter dem Sattel war und die Schultasche verdeckte die Ansaugöffnung.
Ein halbes Jahr vor Ende meiner Lehrzeit kaufte ich mir dann noch eine Herkules 98. Nun hatte ich ein echtes Motorrad, aber leider keinen Führerschein Klasse 1, den man dafür brauchte. Irgendwo hatte ich gehört, dass die Kölner in so einem Fall sagten: Et het noch immer jutjegangen
. Es ging auch alles gut bis zum Ende meiner Lehrzeit, dann begann meine Seefahrtzeit. Trotzdem sollte mich die Maschine noch jahrelang beschäftigen. Ich hatte sie meinem Bruder geschenkt, natürlich ohne Kaufvertrag. Als der zur Bundeswehr musste, hat er sie dann an einen Freund weitergegeben. Auch ohne Kaufvertrag. Sieben Jahre später, ich war schon verheiratet und arbeitete bei der Lufthansa, kam plötzlich ein Brief von einer Versicherung. Es wären seit einem Jahr keine Versicherungsbeiträge mehr bezahlt worden, die sollte ich nun bezahlen, denn das Motorrad lief immer noch auf meinen Namen. Offensichtlich hatte der letzte Besitzer die Beiträge bis dahin immer überwiesen. Mithilfe der Versicherung erfuhr ich dann Namen und Meldeadresse des letzten Besitzers anhand der letzten Überweisung. Er wohnte im Gängeviertel von St. Pauli.
Mit einem Arbeitskollegen und Freund suchten wir nun die Adresse auf. Wir hatten beide einen Trenchcoat an, den es in der Kleiderkammer der Lufthansa günstig zu kaufen gab, Überschüsse aus Behördenbeständen. Es waren die gleichen Mäntel, die auch die Kripo zu der Zeit trug, was wir aber nicht wussten. Bei der Adresse angekommen und nach dem Namen gefragt, stürzte eine vollkommen hysterische Frau mit wirren Haaren pöbelnd auf uns zu. Die Adresse von dem Schurken hätte sie auch gerne, war alles was wir hier erfuhren. Also auf zum Meldeamt in Altona. Vor dem Schalter war eine lange Warteschlange, aber das kleine bebrillte Männchen hinter dem Tresen stand auf und winkte uns aufgeregt zu. Wir trugen unser Anliegen vor und bekamen sofort Namen und Adresse, er hatte sich tatsächlich umgemeldet. Wir wollten schon gehen, als er fragte: Auf welche Dienstelle soll ich das denn buchen?
Wieso Dienststelle
, fragten wir, das war eine private Anfrage
. Nun war der nette Beamte gar nicht mehr nett. Wir bezahlten die fällige Gebühr, hatten die Adresse und konnten sie der Versicherung mitteilen. Damit hatte sich die Angelegenheit erledigt.
Von da ab hatte ich nur noch Autos. Das erste war eine BMW-Isetta mit einer schönen Ablage, auf welche die Babytasche mit unserer Tochter passte.