Der blinde Segler
Über Jördis, ein Mädchen aus meiner Jugendgruppe, lernte ich Peter und seine Frau Margrit kennen. Sie hatten ein wunderschönes, gepflegtes, hölzernes Kajütsegelboot in Gelting an der Flensburger Förde liegen. Hier verbrachten sie die Sommer und von hier aus starteten sie ihre Segeltouren.
Peter hatte mit zwanzig Jahren eine unheilbare Augenkrankheit bekommen. Mit fünfundzwanzig Jahren war er vollkommen blind. Zusammen mit seiner Frau waren sie aber ein wunderbar eingespieltes Team. Auch beim Segeln.
Wenn Peter den Motor gestartet hatte, übernahm Margrit das Ruder, Peter löste die Leinen. Er bewegte sich dabei auf dem Schiff so sicher, dass man ihm seine Blindheit nicht anmerkte. Nachdem sie den Hafen verlassen hatten, ging Peter zum Mast und setzte die Segel. Anschließend übernahm er das Ruder. Margrit musste nur ab und zu nach anderen Schiffen sehen, welche ihnen gefährlich werden könnten. So verbrachten sie hier viele Jahre mit schönen Segeltörns.
Nur im Herbst und Frühjahr brauchten sie Hilfe, wenn das Schiff ins Winterlager auf die Werft an der Oberalster in Hamburg überführt werden musste. Dann half Jördis, die von Kind auf das Segeln bei ihren Eltern auf dem Schiff gelernt hatte, denn es waren lange Passagen durch den Nord-Ostsee-Kanal und von der Elbe bis zu ihrem Winterliegeplatz zu bewältigen.
In einem Herbst war Jördis verhindert und ich nahm an der Überführung teil. Die erste Überraschung, als ich an Bord kam, war Peters Frage, ob ich mal in der Lengerckestrasse gewohnt hätte. Er erinnerte sich nämlich an den Namen Herzog
. Tatsächlich hatten wir als Kleinkinder dort während des Krieges auf der gleichen Etage gewohnt und im Treppenhaus zusammen gespielt.
Die erste Etappe der Überführung führte von Gelting nach Schleimünde in den kleinen Hafen an der Gift
-Bude. Größtenteils unter Segeln. Ich fühlte mich wie ein Badegast und bewunderte, wie genau Peter am Ruder den Kurs hielt (das verstehen nur Segler). Am nächsten Morgen blinzelte ich aus meinem Schlafsack auf der Bank gegenüber der Küchenzeile zu Peter, der hier bereits heißes Wasser in den Kaffeefilter goss. Er fragte mich dann, ob ich mein Ei weich- oder hartgekocht haben möchte. Wie er das wohl anstellen wollte, fragte ich mich. Nach dem Frühstück erklärte er es mir. Er hatte eine Armbanduhr, an der er die Zeit minutengenau erfühlen konnte. Zuerst kamen die Eier, welche hart werden sollten, ins kochende Wasser, dann markierte er die Eier, die weich gekocht werden sollten, mit einem Bleistift und setzte sie einige Minuten später ins Wasser. So hatten wir zum Frühstück weich gekochte Eier und für die langen Tage der Überfahrt immer einen Eier-Snack.
Von Schleimünde segelten wir nun nach Holtenau, zur Schleuse am Nord-Ostsee-Kanal. Ab hier mussten Margrit und ich uns während der neunstündigen Fahrt durch den Kanal am Ruder ablösen. Peter machte sich in der Kombüse nützlich, versorgte uns mit Häppchen und Getränken, wobei ich immer erstaunt war, dass er beim Umschütten der Getränke von der Flasche in die Gläser nie etwas verschüttete.
Kurz nach Verlassen des Kanals in Brunsbüttel auf die Elbe, knallte es an der Maschine. Der Keilriemen zur Lichtmaschine war gerissen. Ich machte mich schon bereit für die Reparatur, aber Peter sagte, lot man
, holte aus der Backkiste seinen wohlsortierten Werkstattkoffer und wechselte den Keilriemen. Ich konnte nur staunend zusehen.
In der Alsterschleuse angekommen, erkannte der Schleusenmeister das alljährlich wiederkommende Schiff. Er wusste auch, dass Peter es nicht gern sah, wenn er seine Hilfe anbot. Margrit legte das Schiff nämlich so geschickt an, dass er den nächsten Poller zum Festmachen ertasten konnte.
Im Winterlager angekommen, bestanden sie darauf, mich in ihrem VW-Bulli nach Hause zu fahren. Natürlich fuhr Margrit, aber Peter auf dem Beifahrersitz sagte ihr an, wo sie abbiegen musste, zum Beispiel, nächste rechts
, er musste ja wohl den Hamburger Stadtplan im Gedächtnis haben. Verstehen konnte ich das nicht.