Sturmnacht auf der »STETTIN«
Tschüs, tschüs, kommt gut nach Hause. Mit diesen Worten verabschiedete ich die heute anwesenden ehrenamtlichen Mitarbeiter an der Gangway und hängte die Kette mit dem Schild Kein Zutritt
ein. Jetzt war ich allein auf dem zweiundfünfzig Meter langen und vierzehn Meter breiten Schiff.
Da das Schiff im Strom lag, auf der Position 53°32'36.366"N, 9°54'54.418"E
(53.543435 - 9.915116) Schauen Sie, wo sich die »Stettin« sich jetzt gerade befindet. musste ständig und 365 Tage im Jahr ein Besatzungsmitglied an Bord sein. Hier, auf dem Dampf-Eisbrecher »Stettin«, die im Museumshafen Hamburg lag, war es der sogenannte Verwalter
. Einige Vereinsmitglieder wechselten sich alle zwei bis drei Wochen in dieser Tätigkeit ab. Natürlich ehrenamtlich, so wie das ganze Schiff, vom Heizer bis zum Kapitän nur von ehrenamtlichen instand und in Fahrt gehalten wurde! Als Verwalter hatte man folgende Aufgaben zu erledigen:
- Verwalten des liegenden Schiffs:
- Ausübung des Hausrechts im Namen des Vorstands (Schlüsselgewalt).
- Verantwortlich für die Schiffssicherheit des liegenden Schiffs.
- Bewachung des liegenden Schiffs.
- Betreuung von Besuchern, Gästen und Aktiven und wenn sich kein Koch meldete, wurde auch mal das Kochen übernommen.
- Entgegennahme von Anmeldungen zum Arbeitseinsatz.
- Vergabe von Kammern und Kojen.
- Verkauf von Eintrittskarten und Kioskwaren.
- Und die Verwaltung der Bordkasse.
Nachdem die Kollegen verabschiedet waren, machte ich gleich meine Kontrollrunde. Als erstes ging es die drei Stockwerke in den Maschinenraum runter. Hier war die BilgeAls Bilge wird der unterste Raum auf einem Schiff bezeichnet, der direkt oberhalb der Schiffsplanken oder oberhalb des Kiels liegt. Dort sammelt sich das in den Schiffsrumpf eingedrungene Leckwasser sowie bei moderneren Schiffen auch Kondenswasser – insbesondere das der Klimaanlage. Siehe Wikipedia.org zu peilen. Das bedeutet, nachsehen ob die Flüssigkeit, das BilgenwasserDas Bilgenwasser, auch Kieljauche, kann mit eingebauten Lenz- oder Bilgepumpen entfernt werden. Zur guten Seemannschaft gehört bei der regelmäßigen Kontrolle der Bilge auch das Achten auf deren Sauberkeit. Mit Sägespänen, Schmutz oder Müll verunreinigtes Bilgenwasser kann zum Ausfall bzw. der Verstopfung der Bilgenpumpe führen, was oft gerade dann eintritt, wenn verstärkt Wasser in das Schiff eindringt., im tiefsten Teil des Schiffes gestiegen ist. Es kann nämlich sein, dass durch die Stoffbuchse der Schwanzwelle Wasser einsickert oder ein Seeventil nicht richtig schließt. Hier unten war aber alles in Ordnung, nur das leise Rauschen der Heizung war zu hören. Den elektrischen Strom bekamen wir von Land. Dann ging es weiter auf das Bootsdeck, im Vorbeigehen schaltete ich gleich mal die Seitenbeleuchtung ein, welche für jedes außen liegende Schiff vorgeschrieben ist. Auf dem Bootsdeck zurrte ich die Befestigung der Stühle noch einmal nach.
Der Wetterbericht verhieß nichts Gutes, es war viel Wind zu erwarten. Die Persenninge, die Abdeckungen an den WindhutzenWindhutze ist im Schiffbau der Begriff für den drehbaren Kopfteil eines Drucklüfters. Dieser hat eine trichterförmige Öffnung, die Frischluft mittels Wind und Schiffsgeschwindigkeit (Fahrtwind) auffängt und in das Schiffsinnere leitet. und auf dem Schornstein waren gut befestigt. Als letztes holte ich noch die Flagge am Heck ein, denn es wurde langsam dunkel. Nun konnte ich mich zum Aufwärmen in das kleine Reich der Verwalter zurückziehen. Hinter der Kombüse war das Büro und der Aufenthaltsraum mit einem Schreibtisch, Aktenschränken und einem uralten Tresor, einem Tisch mit Eckbank und zwei Stühlen. Daneben befand sich eine Schlafkammer mit Schränken für persönliche Sachen. Anschließend gab es einen Waschraum mit Dusche, Waschmaschine und Trockner. Denn auch das gehörte zu den Aufgaben des Verwalters, Handtücher, Bettwäsche und das Arbeitszeug zu waschen.
Während ich die Tagesabrechnung machte, lief nebenbei der Hafenfunk. Hörte sich nicht gut an! An sich sollte jetzt Niedrigwasser sein, aber schon seit gestern lief das Wasser nicht richtig ab. Noch hatten wir Westwind, aber dichte Wolken und Regen. Gegen zwanzig Uhr wurde gemeldet, dass der Wind auf Nordwest dreht und es eine Springtide, eine besonders durch die Mondstellung beeinflusste hohe Flut gibt. Das Hochwasser sollte auf dreimeterzwanzig über den normalen Hochwasserstand steigen. Damit würde das Ufer in Neumühlen und am Fischmarkt wieder überflutet werden. Auch schwere Sturmböen, bis zwölf Beaufort, also in Orkanstärke, wurden angekündigt.
Schon jetzt, mit der einsetzenden Flut, war eine außergewöhnliche Geschwindigkeit der Strömung zu erkennen. Der Regen hatte auch zugenommen. An dem gegenüberliegenden Burchardkai hatten die Containerbrücken den Betrieb eingestellt, soweit ich sehen konnte, denn bei besonders heftigen Regenschauern peitschte der Wind den Regen fast waagerecht über das Wasser.
Ein Schlepper kämpfte sich gegen Wind und Strom in Richtung Stade, die Gischt von seinem Bug spritzte bis zum Steuerhaus empor. Wohin der wohl wollte, große Schiffe kamen ja jetzt nicht mehr die Elbe hoch, die mussten in der Deutschen Bucht vor Anker gehen. Denn bei einem großen Kreuzfahrtschiff beispielsweise drückten bei zehn Windstärken Seitenwind ungefähr sechshundert Tonnen auf das Schiff. Da eine unruhige Nacht zu erwarten war, wollte ich mich noch ein wenig in meine Koje legen. Mein Verwalter-Trakt lag ja in Lee, auf der Wind abgewandten Seite. Um Veränderungen draußen mitzubekommen, öffnete ich das Bullei. Aber mit der Ruhe wurde es nichts.
Die Übergänge an den Schwimmpontons, an denen wir lagen, kreischten, an Nuggis Wurstbude
klapperten die Fensterabdeckungen und der Wind nahm ständig zu. Also machte ich mich auf zu einer weiteren Kontrollrunde. Sorgen machte ich mir um die Festmacherleinen, die waren jetzt sehr stramm gespannt. In weiser Voraussicht hatte der Bootsmann schon am Nachmittag eine dritte Leine ausgebracht. Da unser Schiff an dem Neumühlener Schwimmponton befestigt war, brauchte ich auch keine Veränderungen an den armdicken Leinen durchzuführen. Das Stromkabel war in einer Schleife ausgelegt, konnte also auch bei steigendem Wasser nicht reißen. Nur das Telefonkabel war etwas stramm. Erstaunlicherweise standen auf dem niedrig gelegenen Neumühlener Parkplatz noch neun Autos. Zwei Stunden später, als das Wasser schon die Kante des Kais erreicht hatte, waren es nur noch zwei Autos – mit Hamburger Kennzeichen! Die Feuerwehr schleppte sie nun ab. Bestimmt ein teures Parken.
Um zwei Uhr nachts war dann der höchste Wasserstand erreicht. Einen Meter unter der Kante der Pfähle, an denen die gesamte Anlage befestigt war. Was wäre, wenn das Wasser noch einen Meter steigen würde, ging es mir durch den Kopf. Dann würde der gesamte Anleger, mit allen daran befestigten Schiffen, von Altona nach Hamburg treiben.
Mit Moin, moin und einem frischen Kaffee begrüßte ich morgens die heutigen Helfer. Nur die Quiddjes fragten, wie die Nacht denn war. Für die Seeleute war es der Sturm von gestern.
Über den Eisbrecher »STETTIN«
Gebaut von den Stettiner Oderwerken wurde die STETTIN am 16. November 1933 als bis dahin größter Eisbrecher unter deutscher Flagge in Dienst gestellt.
Auftraggeber war die Industrie- und Handelskammer zu Stettin. Einsatzgebiet war die Oder und das Stettiner Haff. Gegen Kriegsende in den Westen geflüchtet, fortan dem Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg unterstellt, wurde der Tonnenhof in Wedel neuer Liegeplatz. Bis 1981 war der Dampfer in Dienst und führte zahlreiche Einsätze auf der Unterelbe, dem Nord-Ostsee-Kanal und der Kieler Förde durch.
Im Jahre 1982 als technisches Kulturdenkmal anerkannt, wurde er vom Förderverein Eisbrecher »STETTIN« übernommen. Seit dem wird der original erhaltene Eisbrecher im Sommer für Gästefahrten unter Dampf gehalten und dient in der übrigen Zeit als liegendes Museumsschiff, vornehmlich im Hamburger Museumshafen Oevelgönne.
- Bauwerft:
- Oderwerke, Stettin
- Stapellauft:
- 7. September 1933
- Länge:
- 51,75 m (Lüa)
- Breite:
- 13,43 m
- Tiefgang:
- max. 6,01 m
- Verdrängung:
- 1138 t
- Baustoff:
- S.M. Stahl
- Stärke des Kielganges:
- 12 mm
- Vorderschiffsplatten:
- 24 mm
- Achterschiffsplatten:
- 20 mm
- Spanten-Abstand im Vorschiff:
- 275 mm
- Spanten-Abstand im Achterschiff:
- 375 mm
- Dicke der Bodenstücke im Vor- u. Achterschiff:
- 10 mm
- Dicke der Bodenstücke im Kesselraum:
- 12,5 mm
- Dicke der Bodenstücke im Maschinenraum:
- 11 mm
- Maschine (Dampf):
- 3-Zyl.-VerbundmaschineSchema einer Dreifach-ExpansionsdampfmaschineQuelle: Wikipedia.org mit Stephenson-Exzentersteuerung
- Leistung:
- 2.200 PS (1.618 kW)
- Höchstgeschwindigkeit:
- 14,2 kn (26 km/h)
Geschichtliches
Von 1933 bis 1945 war die Stettin, bereedert von der Stettiner Dampfschiffs-Gesellschaft J.F. Braeunlich, auf der Oder zwischen Stettin und Swinemünde sowie auf der Ostsee im Einsatz.
Am 9. April 1940 begleitete die Stettin als Teil der sogenannten Kriegsschiffgruppe 8 das Minenschiff Hansestadt Danzig und die Boote der 13. Vorpostenflottille nach Kopenhagen, wo die Hansestadt Danzig im Rahmen des Unternehmens WeserübungUnternehmen Weserübung, auch Fall Weserübung, war der Deckname einer deutschen Militäroperation für den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Norwegen und Dänemark während des Zweiten Weltkrieges am 9. April 1940.Siehe Wikipedia [...Klick] deutsche Truppen, das II. Bataillon des Infanterieregiments 308 der 198. Infanterie-Division, zur Besetzung der dänischen Hauptstadt anlandete.
1945 war die Stettin noch am Transport von Flüchtlingen über die Ostsee beteiligt. Nach 1945 war sie für das Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg auf der Elbe tätig. Ihr Liegeplatz war der Bauhof in Wedel.