Binnenschiff MS »Sülfmeister«
Endlich, endlich war es soweit! Ich durfte mit fünfzehn Jahren das erste Mal während der Ferien auf einem Schiff alleine mitfahren! Es war zwar nicht die erhoffte Reise in die große weite Welt, aber auf einem Schiff. Ein Binnenschiff mit Namen »Sülfmeister«Der Begriff Sülfmeister
bezeichnete die Besitzer von Siedepfannen zur Salzgewinnung in der Lüneburger Saline. In der alten Salzstadt Lüneburg waren die Sülfmeistertage einst das bedeutendste Fest der Stadt, welches 1472 das erste Mal urkundlich als Kopefahrt erwähnt wurde., achtzig Meter lang und sechs Meter breit. Es konnte mit einhundert Tonnen Fracht beladen werden. Das Schiff gehörte zu der Flotte der Reederei Ulmann, bei der mein Vater technischer Inspektor war.
An einem Sonntag brachten meine Eltern mich zum Lüneburger Hafen, wo das Schiff lag. Hier, an der Ilmenau, am Alten Kran, war die Verladestelle für das Salz, welches auf dem Schiff zum Hochofenwerk Herrenwyk an der Trave, gegenüber von Schlutup, transportiert wurde. Das Salz benötigte man als Zusatzstoff zur Stahlherstellung. An Bord begrüßten uns Herr und Frau Schulz. Herr Schulz war der Schiffsführer, seine Frau war Steuermann (heute sagt man bestimmt Steuerfrau) mit eigenem Patent.
Ich war sehr erstaunt, als Frau Schulz uns in ihre Wohnung einlud, welche direkt hinter dem Steuerhaus lag. Hinter dem Eingang befand sich eine Küche mit Essecke. Dahinter waren, an einer Seite des Schiffes, ein gemütliches Wohnzimmer, auf der anderen Seite ein Schlafzimmer. Beide Zimmer waren mit großen Fenstern ausgestattet. Beides habe ich aber nur einmal gesehen.
Eine große Begeisterung, dass ich nun mitfuhr, konnte ich bei den Schulzes nicht erkennen.
Nachdem meine Eltern von Bord waren, sagte Herr Schulz, nun nehm‘ man dien Plünn
, mein Vater hatte mir meinen ersten Seesack gekauft, „und geh nach vorne zu Kalle. Kalle hatte seine Unterkunft ganz vorne im Schiff, davor war nur noch die Ankerwinsch.
Zu Kalles Kajüte ging es wie zu einem überdachten Kellereingang, ein paar Stufen hinunter, dann stand man in der fensterlosen Unterkunft, nur eine Glühbirne brachte etwas Licht. Auf beiden Seiten gab es eine Koje, darunter waren Schubladen für persönliche Wäsche. Ganz vorne stand ein Kanonenofen, dahinter ein schmaler Tisch und zwei Stühle. Über den Kojen gab es noch kleine Hängeschränke, wo auch Geschirr untergebracht war. Denn wenn es Suppe oder Eintopf gab, bekam Kalle einen Topf in die Hand gedrückt und wir aßen vorn in unserer Kajüte.
Kalle freute sich wie Bolle
über mein Erscheinen, weil er nun nicht mehr so allein war. Er war achtzehn Jahre alt, Leichtmatrose und im zweiten Jahr seiner Ausbildung. Lange haben wir uns in dieser Nacht unterhalten.
Am nächsten Morgen wurde ich durch Rumpeln und Getrappel geweckt, Kalle war nicht mehr da. Er war längst an Deck, denn das Schiff hatte bei Sonnenaufgang abgelegt. Lange konnte es aber noch nicht her sein, denn als ich an Deck erschien, war Kalle noch mit dem Verstauen der Festmacherleinen beschäftigt. Dann drückte er mir einen Piassavabesen in die Hand und rollte einen Wasserschlauch aus. Wir reinigten nun die beiden Laufwege, rechts und links des Laderaums. Nachdem auch das Ruderhaus und Schulzens Kajüte vom Salz und Staub der Lüneburger Heide befreit war, gab es ein kräftiges Frühstück bei Frau Schulz in der Küche, während Herr Schulz das Schiff die Ilmenau hinunter steuerte. Bei Hoopte trafen wir dann auf die Elbe. Die Sperrwerke Ilmenau
und Geesthacht
gab es noch nicht. Wir hatten an dem Tag Glück und konnten das auflaufende Wasser noch nutzen. Das ist gut, sagte Kalle, dann sind wir früh in Lauenburg und können noch ins Kino gehen.
In Lauenburg legten wir unterhalb der Stadt, gegenüber der Hitzler Werft an, wo das Schiff 1929 gebaut worden war. Kalle und ich machten uns also, nach Erlaubnis von Herrn Schulz, auf in die Oberstadt. Das Kino
war in einem Hinterhof, die Sitze bestanden aus gestapelten Steinen, mit einem darüber gelegten Gerüstbrett. Was es für einen Film gab, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß noch, dass Kalle mir zeigen wollte, wie man Mädchen aufreißt
. Er ging nahe an sie ran und stellte ihnen einen Fuß. Wenn die Mädels dann fielen, fing er sie auf.
Hat aber in meinem Beisein nicht geklappt, bei der Ersten musste er sich ein Geschimpfe anhören, er wollte mir aber beweisen, dass er damit Erfolg hat. Handelte sich aber bei dem nächsten Mädel nur eine kräftige Ohrfeige ein.
Am nächsten Morgen ging es weiter in den 63 Kilometer langen Elbe-Lübeck-Kanal mit seinen sieben Schleusen. Bei der ersten Schleuse in Lauenburg und bei der Schleuse Witzeeze ging es mit dem Schiff nach oben. Bis auf 11,80 Meter über dem Wasserstand der Ostsee. Ab der Donnerschleuse wieder über drei Schleusen abwärts, um sich dem Wasserstand der Ostsee anzupassen. Nach der letzten Schleuse, in Büssau, ging es in die Trave.
Kalle und ich hatten damit zu tun, uns auf das Schleusen vorzubereiten. Denn da das Schiff ja in jeder Schleuse rauf oder runter ging, bedeutete das für uns, die Festmacherleinen entweder nachzulassen oder anzuziehen.
Am gleichen Abend legten wir noch am Hochofenwerk Herrenwink gegenüber von Schlutup an. Einem Industriehafen weitab von den nächsten Dörfern. Die nächsten zwei Tage passierte an Bord nichts, denn es regnete in Strömen und unsere hundert Tonnen Salz konnten nur bei trockenem Wetter be- oder entladen werden.
Aber irgendwann war es soweit und die Rückreise nach Lauenburg konnte beginnen.
Ein Geschehnis habe ich noch gut in Erinnerung: Wenn ein den Schulzens bekanntes Binnenschiff entgegen kam, drosselten beide Schiffer die Geschwindigkeit. Die Frauen der Schipper gingen mit einem Fischkescher voller Bücher und Zeitschriften ganz nach vorne. Während die Schiffe nun aneinander vorbeifuhren, gingen die Frauen nebeneinander her und konnten sich drei bis vier Minuten unterhalten, auch die Bücher oder Zeitschriften wurden in dieser Zeit mit Hilfe der Kescher getauscht.
Einmal machte ich die Tour noch mit, aber dann waren meine Ferien zu Ende. Kalle war traurig, aber meine Sehnsucht nach der Seefahrt war gestärkt.