Segeln in Karatschi
Bei der Deutschen Lufthansa, bei der ich einunddreißig Jahre gearbeitet habe, hatten wir einen großartigen, sehr gut geführten Betriebssportverein. Vom Angeln bis zum Volleyball standen 39 Sparten zur Auswahl. Als ehemaliger Seemann habe ich mich natürlich für die Sparte Segeln
entschieden. Wir hatten neun Jollen an der Alster, ein Kielboot an der Elbe und eine Yacht auf der Ostsee. Einige Mitglieder dieser Sparte waren weltweit im Einsatz für die Lufthansa. Man kannte die Kollegen und Kolleginnen vom gemeinsamen Arbeiten, von Lehrgängen oder vom gemeinsamen Segeln. So kam es 1984 zu einer Einladung der Mitarbeiter, die in Karatschi auf dem Flughafen oder im Stadtbüro arbeiteten, zu einer Regatta in Karatschi.
Schnell hatten sich in Hamburg acht Interessenten gefunden, die gerne mitmachen wollten. Die Kosten hielten sich auch in Grenzen, wir brauchten für die Flüge nur zehn Prozent des Flugpreises zu bezahlen. Darauf hin entschlossen sich auch meine Frau und noch drei weitere Ehefrauen, ihre Männer bei dieser einwöchigen Reise zu begleiten. In Karatschi hatten die Kollegen für die Unterbringung bei sich oder anderen Deutschen gesorgt.
Nun wurde auf der Alster an jedem Mittwoch unter Anleitung unseres Tischlermeisters das Regattasegeln trainiert. Und dann war es auch schon bald so weit, mit zwölf Leuten trafen wir uns am Flughafen in Hamburg. Über Frankfurt ging es mit einer DC10 mit Zwischenstopp in Kuweit direkt nach Karatschi. Beim Aussteigen aus der wohltemperierten Flugzeugkabine schlug uns eine feuchtheiße Luft entgegen. Es waren wohl fünfunddreißig Grad und achtzig Prozent Luftfeuchtigkeit. In der verhältnismäßig kleinen Empfangshalle gab es zum Glück einen Ausgang für Ausländer, so dass wir ziemlich schnell und ohne viele Kontrollen abgefertigt wurden. In der Halle wimmelte es von Einheimischen, ein Dutzend Kofferträger und Taxifahrer stürmte auf uns ein und einer schrie noch lauter als der andere, um unsere Koffer tragen zu dürfen. Drei unserer Gastgeber waren aber vor Ort und schirmten uns erst einmal ab. Dann führten sie uns zu einem offiziellen Taxistand, an dem die Adresse des jeweiligen Gastgebers und der zu erwartende Preis aufgeschrieben wurden. Dieser Zettel wurde dann einem der wartenden Taxifahrer übergeben und wortreich erklärt, denn viele Fahrer konnten nicht lesen, wie wir später feststellten. Als der erste Andrang vorbei war, trat ein etwa vierzigjähriger braunhäutiger Herr in einem hellgrauen Anzug zu unserer Gruppe und fragte in recht gutem Deutsch nach dem Ehepaar Herzog. Er stellte sich als Joseph, der Fahrer von Sahib Janssen vor. Nachdem wir noch einen Zettel mit den Terminen für die nächsten Tage erhalten hatten, nahm Joseph unsere Koffer und führte uns zu seinem großen sandbraunen Land Rover, der zum Glück eine Klimaanlage hatte. Die Fahrt ging vorbei an ärmlichen Hütten und einem Gewimmel von Menschenmassen Richtung City mit breiten Straßen und bis zu sechsstöckigen Bürohäusern, wieder heraus aus der Innenstadt in eine ruhigere Gegend. Hier, in einem Villenviertel, alle Grundstücke umgeben von hohen Mauern, wohnten unsere Gastgeber. Ohne dass Joseph hupen musste, wurde das eiserne Tor geöffnet und gab den Blick frei auf ein weißes, eingeschossiges Haus mit einem wunderschönen Garten. Joseph sprach mich mit Sahib und meine Frau mit Mam-Sahib an und führte uns ins Haus. Frederica, die Mam-Sahib des Hauses war eine temperamentvolle Italienerin in unserem Alter, sie begrüßte uns sehr herzlich, bat zu grünem Tee und englischem Gebäck. Beim ersten Gespräch erfuhren wir dann auch, dass wir nicht zufällig ausgewählt wurden, denn unser Gastgeber war auch Schiffsingenieur aus Cuxhaven. Jetzt war er hier für eine Internationale Versicherung als Gutachter für ganz Pakistan und Bangladesch zuständig. Nachdem uns Frederica unser großes Gästezimmer mit eigenem Bad gezeigt hatte, machte sie uns mit den Gepflogenheiten des Hauses vertraut. Grundsätzlich galt: Man macht nichts selber, für alles gibt es Hausangestellte. Das hatte nichts mit Überheblichkeit zu tun, denn bei der großen Arbeitslosigkeit in Pakistan war jeder Arbeitsplatz lebenswichtig und es wurde von den Hausangestellten als Beleidigung empfunden, wenn man ihre Dienste nicht in Anspruch nahm. Am späten Nachmittag erschien dann auch der Hausherr Eduard, wir verstanden uns auf den ersten Blick, waren gleich beim Du
und der Seefahrt. Eine Runde Schachspielen rundete dann den langen Abend ab.
Am nächsten Morgen fuhr Joseph uns zum Treffen mit unserer Segelmannschaft in die Stadt, es war eine Stadtrundfahrt mit Pferdekutschen geplant. Es ging aber mehr oder weniger durch große Parks und elegante Wohnviertel, von dem Moloch
Karatschi mit seinen damals geschätzten zwölf Millionen Einwohnern hielt man uns fern. Am Abend trafen wir uns dann mit unseren Gastgebern in einem ortsüblichen Lokal in einem Hinterzimmer. Es wurde Hummer satt aufgetischt. Da Hummer als Kriechtier von den Moslems nicht gegessen wird, war das Essen sehr preiswert. Dazu gab es Fladenbrot, Wein und chinesischen Reiswein, daher das Hinterzimmer. Am dritten Tag sollte es nun endlich zum Segeln gehen. Ein Nebenfluss des Indus fließt durch den Hafen von Karatschi ins Arabische Meer und erweitert sich im Hafengebiet zu einer großen, langgestreckten Bucht. Direkt im Hafen gibt es eine kleine Insel. Dort war der Very British
Segelklub von Karatschi. Während wir mit einem kühlen Drink auf der Terrasse des Klubs begrüßt wurden, takelten junge Einheimische die Boote auf. Nachdem wir uns drei Stunden mit den Booten und dem Gewässer vertraut gemacht hatten, gab es im Klub eine Grillparty bis spät in die Nacht. Am nächsten Nachmittag begann dann die Regatta. Unsere Boote wurden wieder von Angestellten aufgetakelt sodass wir nur noch einsteigen mussten. Auf der Klubveranda hatten sich zahlreiche Europäer eingefunden, aber keiner von ihnen machte Anstalten, sich an der Regatta zu beteiligen. Zu unserem Erstaunen besetzten nur junge Einheimische ihre Regattaboote. Die Regattastrecke ging sechs Meilen flussabwärts in Richtung Arabisches Meer und dann gegen den Strom wieder zurück. Schon auf der halben Strecke wurde uns klar, dass da irgendwas nicht so ganz stimmte, die ersten Boote der Einheimischen kamen uns nämlich schon recht weit vor der Wendeboje entgegen. Weit vor uns waren dann auch unsere Gegner im Ziel, trotzdem wurden wir mit großem Jubel begrüßt und die nächste Party im Clubhaus begann. Uns wurde dann so nebenbei erzählt, dass wir gegen die Olympiamannschaft von Pakistan gesegelt hatten, aber nur der Mannschaftsführer der Pakistaner war auf der Party dabei. Sogar die örtliche Presse berichtete, dass die Mannschaft der Lufthansa einen ehrenvollen zweiten Platz bei der Regatta errungen hatte.
So ganz haben wir das alles nicht verstanden, aber bei einem zweiten längeren Besuch bei unseren inzwischen zu Freunden gewordenen Gastgebern Eduard und Frederica wurde uns dann einiges bewusst gemacht, aber dazu im nächsten Bericht.
Lesen Sie wie es weiterging: Besuch bei Europäern in KaratschiEine weitere Einladung nach Karatschi