Fiefunsösstig
Mit Poppier hett Corl Lammers sik utkennt, dor kannst op af! Den Ünnerscheed twüschen holtfree
, middelfien
, maschien'glatt
un satineert
? Een Blick, un he würr künnig! Un wenn he dat Gramm-Gewicht vun en Quadraatmeter Poppier utmoken wull, bruk he dorvun nix as en lüttjen Snippel. Den reev he twüschen Duum un Wiesfinger un gnurr: Tachentig Gramm
; un bi 'ne anner Sort: Söbentig
, oder ok mol: Billettkattong, hunnertdörtig.
Kunnst di op verloten! As Bookbinnermeester hett he sien Leevdaag mit Poppier to dohn hatt. Wat hett düsse Minsch blots sleppen müsst! Ries för Ries vun't Loger rünner in de Bookbinneree, Dag för Dag. Teihn utpeddt Stopen harr de ole Holttrepp, man männicheen Ries, ik segg mol 250 Bogen 170 Gramm Kattong, weug twee-un-twintig-en-half Kilo un weer 61 mol 86 Zentimeter groot - dat mutt een eerstmol wuppen!
Fiefunsösstig, un keen Dag länger!
, mummel Lammers, sodraat he solk Pack op'n Disch smeten harr. Denn wisch he sik den Sweet vun de Steern, pack dat Falzbeen, slitt dat Ries op un scheuv dat Poppier ünner't Mess vun de Sniedmaschien. Tomeist müss he dat op DIN A3 tosneden. Achterna stell he dat in'n Lastenfohrstohl, de Opdragstasch bobenop, un af güng de Post, hendaal in de Druckeree.
Lammers weer - een kunn meist seggen: as lütt as breet. Inge, siene fipsige Dochter, de ünnen in'n Loden Schrievworen verköff, weer 'n halven Kopp grötter as he. Aver he harr Knööv för twee! Tominnst freuher, as he jünger weer… Af un an, wenn Lammers Överstünnen moken müss un in'n Loden al Sluss weer, güng Inge na em hooch un hal em af.
Na, Vadder? Büst sowiet?
Fiefunsösstig -
, fung he an.
- un keen Dag länger. Ik weet, Vadder. Nu mook man Fieravend.
Denn nickköpp he, tröck den witten Kittel ut, stemm de Knuttfüüst in't Krüüz un richt sik op, so goot as dat güng: Hifff - ahhh!
Sien Gesicht sehg krünkelt ut, as'n Appel vun't Vörjohr.
Inge wull sik nich argern, man se dee dat doch. Ehr Vadder wull pattu nich na'n Dokter hen! Dat hett Tied, bit ik fiefunsösstig bün.
Vördem kunn he nich in Rent gohn, dat weer Gesett, Freuhrentners weren de Utnohm in ole Tieden. Un Lammers weer een, de sienen Verdrach inhollen de bit to'n lesten Dag, sünner jichens krank to sien, un wenn em dat noch so swoor full. Dor kunn Holtmöller, de Besitter vun de Druckeree, de al lang 'n jungen Nofolger instellen wull, noch so veel Seutholt raspeln vun wegen: he schull doch op Kur gohn, sik verschicken loten, ok mol an sik sülven denken...
Ik bliev bit fiefunsösstig!
, güng he gegenan. An'n dörteihnten achten is dat sowiet.
Ganz eernst sehg he dorbi ut, man welkeen em beter kennt hett, kunn wies warrn, wat he sik hög - so'n lüürlütt Grienen weer in siene Ogen, un he tröck de Ecken vun siene Lippen beten höger. De ole lütte Corl Lammers harr sik dörchsett gegen den Boos - un he frei sik unbannig op den Dag, woneem he sik free feuhlen un allens, wohrhaftig allens achter sik loten kunn!
Un denn weer't sowiet. Se schullen em blots nix schenken, harr Lammers de Kollegen vermohnt. Ok keene Bleum! Jo nich! Is dat kloor?
Na scheun; schull allens na sien Mütz gohn. Lüttjes Freuhstück to'n Afscheed - Inge harr sik freenohmen un disch op - fardig. Sluck Kujampelwoter to'n Ansteuten harr de Boos spendeert. Man Herta, Bookbinner-Lehrling in`t drütte Johr, drück em en Paket in de Hand, akkerat inpoppiert. As he dat utwickel, keem en Book to'n Vörschien, in rodes Saffianledder inbunnen, de Snitt handvergollen; binnen dat fienste witte Poppier, wat een sik denken kann, so wat an tweehunnert Sieden. Vörn op'n Deckel aver weer in Gold graveert: Mein Leben.
'n Ogenblick weer't bickenboomstill. Lammers tück sien Daschendook un snuv sik ut.
Wat - wat schall dat denn, Deern, hm? Herta? Wat?
Ik - ik heff dacht, Se hebben doch nu Tied un womööglich ok mol Lust, allens optoschrieven, wat Se so beleevt hefft, Herr Lammers …
Och Deern, och Deern
, schüddkopp de ole Meester un legg tapsig den Arm üm ehre smallen Schullern. Ik dank di. Aver mien Leven? Wat schall ik dorto seggen?
Fiefunsösstig, un keen Dag länger!
, brüll Holtmöller los. Ha ha ha ha!
Un all de Moten fullen mit in. Dat weer jo to'n Scheten!
Aver Corl Lammers weer mit eenmol heel witt in'n Gesicht, un Holtmöller verfehr sik.
Nix för ungoot, Herr Lammers. Ik heff dat nich beus meent. Hier
- he lang in de Binnentasch vun sien Antog - 'n poor Zigarren. Ik wünsch Se wat. Proost! - Un tschüß denn. - So, Lüüd, nu wüllt wi wedder.
In'n Handümdreihen weer de Fier vörbi un Lammers alleen mit Inge un Herta.
Na, Vadder? Holtmöller wüss woll nich, dat du dat Smeuken al lang opgeven hest, wat?
Lammers wunk af. Wat wüss sien Boos denn vun em! Wat wüssen de annern? Hüüt, jo, hüüt weer sien scheunster, sien allerscheunster Dag! Aver wat kümmt na? Welkeen kunn em seggen, woans dat wiedergohn schall? He freur mitmol, lang Inge dat Book röver - mien Leven, Ogottogott! - , hok sik op de annere Siet bi ehr in - Allens Goode, Herta!
- un loos.
Annern Dag aver keem Inge twee Stünnen to laat in de Firma, mit root wente Ogen.
Corl Lammers, ik meen, mien Vadder is doot bleven hüüt Nacht!
, snucker se. Man wat he utsehn harr: so'n lüürlüttjes Grienen in'n Gesicht - nee, dat much se pattu nich seggen.
Fünfundsechzig
Mit Papier hat Carl Lammers sich ausgekannt, das glaub man! Den Unterschied zwischen holzfrei
, mittelfein
, maschinenglatt
und satiniert
? Ein Blick, und er wusste Bescheid! Und wenn er das Gramm-Gewicht von einem Quadratmeter Papier feststellen wollte, brauchte er davon nur einen kleinen Schnipsel. Den rieb er zwischen Daumen und Zeigefinger und knurrte: Achtzig Gramm
, und bei einer anderen Sorte: Siebzig
, oder auch mal: Billettkarton, hundertdreißig.
Man konnte sich darauf verlassen! Als Buchbindermeister hat er sein ganzes Leben mit Papier zu tun gehabt. Was hat dieser Mensch bloß schleppen müssen! Ries für Ries vom Lager runter in die Buchbinderei, Tag für Tag. Zehn ausgetretene Stufen hatte die alte Holztreppe, und manch ein Ries, ich sag mal 250 Bogen 170 Gramm Karton, wog zwei-und-zwanzig-ein-halb Kilo und war 61 mal 86 Zentimeter groß - das muss man erstmal wuppen!
Fünfundsechzig, und keinen Tag länger!
, murmelte Lammers, sobald er solch einen Packen auf den Tisch geworfen hatte. Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn, ergriff das Falzbein, schlitzte das Ries auf und schob das Papier unters Messer der Schneidemaschine. Meistens musste er es auf DIN A3 zuschneiden. Danach stellte er es in den Lastenfahrstuhl, die Auftragstasche obenauf, und ab ging die Post, runter in die Druckerei.
Lammers war - man kann fast sagen: so klein wie breit. Inge, seine zierliche Tochter, die unten im Laden Schreibwaren verkaufte, war einen halben Kopf größer als er. Aber er hatte Kraft für zwei! Zumindest früher, als er jünger war... Hin und wieder, wenn Lammers Überstunden machen musste und im Laden schon Schluss war, ging Inge zu ihm hoch und holte ihn ab.
Na, Vater? Bist du soweit?
Fünfundsechzig -
, fing er an.
- und keinen Tag länger. Ich weiß, Vater. Nun mach man Feierabend.
Dann nickte er, zog den weißen Kittel aus, stemmte die geballten Fäuste ins Kreuz und richtete sich auf, so gut es ging: Hifff - ahhh!
Sein Gesicht sah verschrumpelt aus, wie ein Apfel vom Vorjahr.
Inge wollte sich nicht ärgern, tat es aber doch. Ihr Vater wollte auf keinen Fall zum Arzt! Das hat Zeit, bis ich fünfundsechzig bin.
Vorher konnte er nicht in Rente gehen, das war Gesetz, Frührentner waren die Ausnahme in alten Zeiten. Und Lammers war einer, der seinen Vertrag einhielt bis zum letzten Tag, ohne jemals krank zu sein, und wenn ihm das noch so schwer fiel. Da konnte Holzmöller, der Druckereibesitzer, der schon lange einen Nachfolger einstellen wollte, noch so viel Süßholz raspeln von wegen: er solle doch auf Kur gehen, sich verschicken lassen, auch mal an sich selbst denken…
Ich bleib bis fünfundsechzig!
, ging er gegenan. Am dreizehnten achten ist es soweit.
Ganz ernst sah er dabei aus, aber wer ihn besser gekannt hat, konnte feststellen, wie er sich freute - ein klitzekleines Lächeln war in seinen Augen, und er zog die Mundwinkel ein bisschen höher. Der kleine alte Carl Lammers hatte sich durchgesetzt gegen den Chef - und er freute sich unbändig auf den Tag, da er sich frei fühlen und alles,wirklich alles hinter sich lassen konnte!
Und dann war es soweit. Sie sollten ihm bloß nichts schenken, hatte Lammers die Kollegen ermahnt. Auch keine Blumen! Ja nicht! Ist das klar?
Na schön; es sollte alles nach seiner Mütze gehen. Kleines Frühstück zum Abschied - Inge hatte sich frei genommen und tischte auf - fertig. Schluck Sekt zum Anstoßen hatte der Chef spendiert. Aber Herta, Buchbinder-Lehrling im dritten Jahr, drückte ihm ein Paket in die Hand, sorgfältig einpapiert. Als er es auswickelte, kam ein Buch zum Vorschein, in rotes Saffianleder gebunden, der Schnitt handvergoldet; drinnen das feinste Papier, das man sich denken kann, ungefähr zweihundert Seiten. Vorn auf dem Deckel aber stand in Gold geprägt: Mein Leben.
Einen Augenblick lang war es atemlos still. Lammers zückte sein Taschentuch und schnäuzte sich.
Was - was soll das denn, Deern, hm? Herta? Was?
Ich - ich hab gedacht, Sie haben doch jetzt Zeit und vielleicht auch mal Lust, alles aufzuschreiben, was Sie so erlebt haben, Herr Lammers...
Ach Deern, ach Deern
, schüttelte der alte Meister den Kopf und legte tapsig den Arm um ihre schmalen Schultern. Ich danke dir. Aber mein Leben? Was soll ich dazu sagen?
Fünfundsechzig, und keinen Tag länger!
, brüllte Holzmöller los. Ha ha ha ha!
Und alle Kollegen fielen mit ein. Das war ja zum Schießen!
Aber Carl Lammers war plötzlich ganz weiß im Gesicht, und Holzmöller erschrak.
Nichts für ungut, Herr Lammers. Ich hab's nicht böse gemeint. Hier
- er griff in die Innentasche seines Anzugs - 'n paar Zigarren. Ich wünsch Ihnen was. Prost! - Und damit tschüß. - So, Leute, nun wollen wir wieder.
Im Handumdrehen war die Feier vorbei und Lammers allein mit Inge und Herta.
Na, Vater? Holzmöller wusste wohl nicht, dass du das Rauchen schon lange aufgegeben hast, wie?
Lammers winkte ab. Was wusste sein Chef denn von ihm! Was wussten die anderen? Heute, ja, heute war sein schönster, sein allerschönster Tag! Aber was kommt danach? Wer konnte ihm sagen, wie es weitergehen soll? Er fror auf einmal, reichte Inge das Buch rüber - mein Leben, Ogottogott! - hakte sich auf der anderen Seite bei ihr ein - Alles Gute, Herta!
- und los.
Am nächsten Tag aber kam Inge zwei Stunden zu spät in die Firma, mit rot geweinten Augen.
Carl Lammers, ich meine, mein Vater ist gestorben letzte Nacht!
, schluchzte sie. Aber wie er ausgesehen hatte: so'n klitzekleines Lächeln im Gesicht - nein, das mochte sie auf keinen Fall sagen.