Dienstlich auf dem Grasbrook unterwegs
Die Hamburger Elbinsel Grasbrook
kannte ich von meinen privaten Touren mit dem Fahrrad schon, aber nicht dienstlich.
Dienstlich, das kam so: Ab 1972 war ich bei der Deutschen Post als Paketzusteller beschäftigt. Meine Stammtour, die ich jeden Tag fuhr, war die Hamburger Innenstadt. Sechs Jahre später wurde ich eines Tages von meinem Personalchef zum Gespräch in das Personalbüro gerufen. Ich arbeitete zu der Zeit beim Paketpostamt 2 in Hamburg-Altona am Kaltenkircher Platz. Während dieser Unterredung wurde ich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, im Hamburger Freihafen als Vertreter
zu fahren. Bei Krankheit oder Urlaub der Kollegen sollte ich dann als Ersatz einspringen. Es wurden drei verschiedene Auslieferungs-Touren im Freihafen gefahren.
Mit den Paketen konnte man zwar in den Freihafen hinein, aber nicht mit allen Paketen wieder herausfahren. Dafür musste man vor Ort eingewiesen werden.
Mein Einweiser auf der Tour 102 war immer gut drauf und beantwortete jede Frage, die ich stellte. Ernst kannte alle drei Touren ganz genau. Ich durfte die ersten zwei Tage mitfahren. Auf der Tour wurde ein VW-Hochraumbus vom Typ T2 eingesetzt. Nun sollte ich den Grasbrook kennenlernen. Der Grasbrook ist einer der 104 Stadtteile Hamburgs und gehört zum Bezirk Hamburg-Mitte. Dort auf dem kleinen Grasbrook wurde der SeeräuberVitalienbrüder nannte sich eine Gruppe von Seefahrern, die im 14. Jahrhundert den Handelsverkehr in der Nord- und Ostsee beeinflussten. Sie wollten von 1389 bis 1394 zunächst als Blockadebrecher die Lebensmittelversorgung Stockholms bei der Belagerung durch dänische Truppen sicherstellen und waren anschließend als Kaperfahrer auf den Meeren unterwegs, u. a. im Auftrag von Königreichen und Hansestädten. Man bezeichnet sie deshalb auch als Freibeuter
bzw. Piraten. Die bekanntesten Anführer der ersten Generation waren Arnd Stuke, Henning Mandüvel und Nikolaus Milies, später werden Klaus Störtebeker, Gödeke Michels, Hennig Wichmann, Klaus Scheld und Magister Wigbold genannt. Klaus Störtebeker vermutlich am 20. Oktober 1401 durch Enthauptung hingerichtet.
Jetzt ging es auf unsere Zustelltour. Wir passierten den Zoll und waren im Freihafen. Bei St. Annen, Nummer 1 war unsere erste Abgabestelle für Pakete und andere Sendungsarten. Hier ist auch heute noch die HHLA, die Hamburger Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft
ansässig. 2006 wurde die Gesellschaft in Hamburger Hafen und Logistik AG
umbenannt. Das Gebäude gleicht einem kleinen Rathaus. Nummer 2 gleich gegenüber war das Freihafenamt, dort wurden die Übergabepapiere der Post abgegeben. Diese Paketliste musste man selber im Postamt vorher ausfüllen. Weiter ging es zum Amt für Strom und Hafenbau in die Dahlmannstraße 1, wo sich das Verwaltungsgebäude befindet. Seit dem ersten März 2005 heißt es Hamburg Port Authority
(HPA) und die Verwaltung sitzt am Neuen Wandrahm. Sie beschäftigt rund 1800 Mitarbeiter und ist Ansprechpartner bei Fragen der wasser- und landseitigen Infrastruktur, der Sicherheit des Schiffsverkehrs, der Hafenbahnanlagen, sowie den wirtschaftlichen Bedingungen des Hamburger Hafens. Jetzt ging es zur HADAG (Seetouristik und Fährdienst AG), 1888 als Hafendampfschiffahrts-Actien-Gesellschaft
gegründet, an den Hübnerkai. Pakete musste man dort in der Werkstatt abgeben, die Zustellgebühren bekam man im Büro. Einen tollen Ausblick hatte man von hier aus auf die älteren Typenschiffe und neuen Baureihen. Es lagen wohl 15 Hafenfähren in grün-weißer Farbe an den Pontonanlagen der HADAG. Die alten Schiffstypen aus den 1950er Jahren, sieht man noch heute als Museumsschiffe vereinzelt auf der Elbe. Die Kirchdorf
fährt Hafenrundfahrten und Charterfahrten durch den Hamburger Hafen. Dieser Schiffstyp IIIc, nach Hamburger Stadtteilen benannt, wurde 1962 in Dienst gestellt und hat Platz für 300 Personen. Neben der Kirchdorf
gibt es noch drei weitere alte Schiffe, die Tonndorf
, Meiendorf
und Eppendorf
die man heute noch fahrend sehen kann.
Jetzt ging es weiter in die Versmannstraße. Für die Schuppen 22 und 23 hatte man immer Pakete zuzustellen. Dann ging es zur Kirchpauerstraße und auf den Kirchpauerkai. Das Verwaltungsgebäude lag am Ende der Kaianlage Richtung Kaispeicher A
. Heute steht hier die Elbphilharmonie, von den Hamburgern Elphi
genannt, Hamburgs neues Wahrzeichen. Hier war Vorsicht angesagt, es bewegten sich viele Gabelstapler, sie kamen von allen Seiten der Kaianlage. Mit 15 km/h war man hier schon zu schnell. In dieser Zeit gab es noch viel Stückgut zu bewegen, ein Container war nur selten zu sehen.
Dann ging es in die Zweibrückenstraße, früher auch Haltestelle der Hamburger Straßenbahn der Linien 2 und 14 in Richtung Veddel, Berliner Tor und Hauptbahnhof. Hier befand sich das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie und es kamen täglich Paketsendungen. Mitunter lag auch ein Forschungsschiff am Kai. Für die nächste Forschungsreise des Schiffes lagerte viel Material in den Hallen, es waren nautische Geräte und Bojen zu sehen.
Weiter ging es über die Norderelbbrücken des Freihafens, zum Holthusenkai. Dort befand sich die technische Werkstatt für das Überseezentum der HHLA. Alle technischen Werkstätten waren der HHLA unterstellt. Jetzt ging es in das Hochhaus des Überseezentrums in den sechsten Stock. Hier waren einige Firmen zu bedienen. Von hier hatte man bei guter Sicht einen Ausblick bis hin zu den Landungsbrücken. Die Aufzugbenutzung brauchte dabei viel Zeit. Bis einer der beiden Aufzüge in den sechsten Stock kam, vergingen etliche Minuten und zum Benutzen des Aufzugs ins Erdgeschoß, musste erst die gelbe Zustellkarre zusammengeklappt werden, denn die Kabine war eng und es wollten ja noch mehr Menschen aus dem Bürohochhaus ins Erdgeschoß. Dann ging es an den Saalehafen 49, hier stand das grüne Verwaltungsgebäude der Tschechoslowakischen Elbe-Schifffahrtsgesellschaft (ČSPLO), wo wir Pakete abgaben. Die ČSPLO verfügte über 600 Binnenschiffe und Transportschuten. Der sogenannte Tschechen-Hafen in der Mitte des Hamburger Hafens bestand aus dem Saalehafen und dem Moldauhafen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde im Versailler Vertrag festgelegt, dass die Tschechoslowakei Zugang zum Meer erhält und Hamburg verpachtete die Hafenanlagen für 99 Jahre. Jetzt verfällt leider das 30.000 Quadratmeter große Gelände um den Tschechen-Hafen
.
Als nächstes kamen einige Firmen und ein Zolldeklarant an die Reihe. Von der Asiastraße ging es zum Bananenschuppen 42, der leider nicht mehr steht. Den Schuppen 42 kannte ich ja nur privat und von außen. Im Bananenschuppen befand sich im zweiten Stock die technische Werkstatt (TW2) der HHLA. Die Werkstatt befand sich etwa in der Mitte des Schuppens, es waren einige Meter zu laufen. Es roch sehr nach Bananen und laut war es, wenn ein Schiff entladen wurde. Förderbänder holten die Bananenkartons aus dem Kühlschiff nach oben. Ankommende Bananenkartons wurden auf den Laufbändern kontrolliert, Früchte, die schon gelb waren, wurden durch Prüfer aussortiert. Sie kamen in eine große Blechkiste, die natürlich immer sehr roch. Schaute man aus dem Schuppen zu Kaianlage, sah man das leuchtende Weiß des Kühlschiffs. Gleich ging es weiter in die Dessauerstraße, wo es einige Abgabestellen gab. Wir befuhren den Veddeler Damm in Richtung Westen, dort stand ein alter kleiner Güterschuppen und auch hier gab es viele Abgabestellen. Dort gab es damals noch den Rangierbetrieb der Hafenbahn auf dem Veddeler Damm von der einen Straßenseite zur anderen. Der Verkehr wurde für die Bahn gesperrt oder durch eine Ampelschaltung geregelt. Das kostete uns natürlich viel Zeit. Aber man konnte sich dann die Kühl- und anderen Güterwaggons anschauen, bis die Straße wieder freigegeben wurde.
Weiter ging es zum Kamerunkai. Auf der Kaianlage waren viele Arbeiter beschäftigt. Mit Elektrokarren, Gabelstaplern und Sackkarren wurden die Lastwagen entladen und auf der Kaianlage wurde viel Stückgut bewegt. Hier wimmelte es vor Hafenarbeitern wie in einem Ameisenhaufen. Mit unserem VW-Bus konnten wir nur Schritttempo fahren. Im Büro des Schuppens wurde das Paket zugestellt und die Zustellgebühr eingezogen. Zustellgebühr für jedes einzelne Paket, das gibt es seit vielen Jahren nicht mehr. Wenn man zwischen elf und halb zwölf Uhr am Schuppen war, hatten die Hafenarbeiter Pause, dann war es schwierig, ein Paket abzugeben. Im Kamerunweg waren noch einige andere Firmen zu bedienen. Den meisten Spaß machte es aber, bei einer Schlepperfirma Pakete zuzustellen. Die Hafenschlepper des Hamburger Hafens sind leicht zu erkennen. Die Farben weiß, braun und schwarz. Diese drei Farben haben die Schlepper noch heute. Nur sind die heutigen Hafenschlepper größer, haben mehr Leistung und Rundumsicht auf der Kommandobrücke.
Hier am Grenzkanal wurden die Hafenschlepper instandgehalten. Einige Mitarbeiter waren auf dem Gelände beschäftigt und in der Werkstatt war es wegen des eisernen Ofens immer schön warm.
Noch ein paar Firmen bedienen, dann war man wieder auf dem Veddeler Damm. Nun kam ein großer Bau, er sah aus wie ein Schulgebäude. Das Gebäude beheimatet die Schule der Wasserschutzpolizei. Am Veddeler Damm kann man diesen großen Bau kurz vor der Argentinienbrücke nicht übersehen. Diese Brücke ist auch bekannt als Haltestelle der Linie 73 der HADAG. Jetzt wurde die Klütjenfelder Straße und die Brandenburger Straße bedient. In der letztgenannten Straße gab es eine Firma, die Blechfässer herstellte. Dort war es durch das Klappern der Fässer auf dem Gelände immer sehr laut. Am Spandauer Ufer lag ein Wohnschiff. Die Familie des Schiffers freute sich immer, wenn der gelbe VW-Bus von der Post kam. Für einen kleinen Schnack wurden wir hereingebeten. Jetzt kam der Spreehafen an die Reihe, mit dem Berliner- und dem Potsdamer-Ufer. Hier lagen viele selbstgebaute Wohnschiffe. Von hier hatte man einen Blick auf den Spreehafen, den Deich und nach Wilhelmsburg.
Jetzt ging es wieder zurück in Richtung Speicherstadt. In der Magdeburger Straße wurden viele Pakete zugestellt. Es waren einige Schiffsausrüster und viele Teppichhändler zu bedienen. Bei den Schiffsausrüstern musste man sich immer anstellen, bis man an die Reihe kam. In der Speicherstadt galt es die Kunden in den vielen Straßen zu bedienen: St. Annenufer, Kannengießerort, Neuer Wandrahm, Alter Wandrahm, Dienerreihe, Holländischer Brook und Brooktorkai. Fast alle Häuser waren ohne Aufzug. Später wurden die Häuser modernisiert und sogar Aufzüge wurden eingebaut, heute sind in diesen Straßen viele Werbeagenturen, Mode- und auch Eventagenturen zu finden. Aber die Teppichhändler findet man hier heute noch, ihre Teppiche kommen aus Persien, China, Afghanistan, der Türkei, aus Indien, Pakistan, Nepal, Tibet, Kaukasien, aus Kaschmir und vielen anderen Ländern. Um 1980 gab es hier ungefähr 180 Teppichhändler, sie waren immer alle sehr nett. Heute sind es leider viel weniger. Nun ging es zum Brooktorkai 18, wo das Hauptzollamt war. In dem Gebäude waren viele Zolldeklaranten im Erdgeschoss. Dort holten sich die Lastwagenfahrer ihre Ladepapiere ab. Im zweiten Stock war die Poststelle des Hauptzollamts. Auch als die Zustellfahrzeuge noch BP-Kennzeichen (Bundes Post) hatten, durfte der Zoll beim Verlassen des Freihafens das Fahrzeug überprüfen, das kam aber nur sehr selten vor. Nach der Teilung der Post bekamen unsere Fahrzeuge Bonner Kennzeichen und es wurden mehr Kontrollen durchgeführt. Es lag an der Laune des Zöllners, ob ich beim Verlassen des Zollamtes Brooktorkai 18 anhalten musste, oder durchfahren durfte. Dann wurde die Ladefläche genau kontrolliert, erst dann durfte ich weiterfahren. Nun traten wir die Rückfahrt in Richtung Postamt 2 an. Der weitere dienstliche Ablauf unterliegt der Schweigepflicht, denn ich bin auch im Ruhestand noch Beamter. Von meinem Einweiser Ernst habe ich auf dieser Tour viel gelernt und es hat mir viel Spaß gemacht.
Noch heute fahre ich mit dem Fahrrad gern durch den Hamburger Hafen, nur mit dem Unterschied, dass ich nicht auf die Uhr zu sehen brauche. Ich habe ja so viel Zeit, um in Ruhe die Hafenluft zu schnuppern.