Umzug von Fuhlsbüttel nach Ohlsdorf
Mein Vater hatte Mitte der 1960er Jahre einen neuen Laden in Aussicht und er kam mit dem Vorbesitzer ins Gespräch. Der Ladenbesitzer wollte sich aus Altersgründen zur Ruhe setzen. Er hatte seine Schneiderei in der Wellingsbütteler Landstraße Nr.9 in Hamburg-Ohlsdorf. Nach vielem Überlegen entschloss sich mein Vater für den Umzug von Fuhlsbüttel in den Hamburger Stadtteil Ohlsdorf. Der Laden wurde zu einem späteren Zeitpunkt übernommen. Was mein Vater für die Übernahme des Ladeninventars bezahlen musste, kann ich leider nicht mehr sagen. Aber er war mit dem Abschluss und mit der Lage des neuen Geschäfts sehr zufrieden. Es befand sich am Ende der Fuhlsbütteler Straße an einer Kurve zur Ratsmühlen-Brücke vor dem Struckhold. Rechts ging es zur U-Bahn-Station Klein Borstel.
Das Gebäude lag etwas erhöht und hatte gelbe Klinker. Links war das Geschäft des Hausbesitzers Alfred Görn, er hatte ein Schuhgeschäft mit Schuhreparatur. Rechts war das zukünftige Geschäft meines Vaters. Über den Geschäften wohnte unter einem nach hinten abfallendem Flachdach das Ehepaar Görn. Wenn ich in den späteren Jahren bei meinem Vater war, wollte die beiden von mir immer Neues aus der Welt hören. Im hinteren Teil des Geschäfts reparierte der alte Herr Görn die Schuhe. Es roch dort nach Leim und man hörte das Rattern der Schleifmaschine. Er war immer gut gelaunt und hätte ine Vertretung Henry Vahls im Ohnsorg-Theater in dem Stück Meister Anecker
spielen können.
Bevor mein Vater in das neue Geschäft umzog, plante er noch einige optische Veränderungen. Die Holzarbeiten machte ein gelernter Tischler sehr schnell.
Beim Umzug half meinem Vater ein Bekannter, der einen VW Transporter T2 mit Schiebetür hatte. Ratzfatz wurde alles in den Transporter verstaut. Ich glaube, bei der vierten Fahrt war das alte Geschäft bereits leergeräumt. Mutti hatte natürlich mit dem Packen der vielen Kleinteile viel Vorarbeit geleistet. Da waren Nähseide, Knöpfe aller Art, Reißverschlüsse, Scheren zum Schneiden der Stoffe und vieles mehr. Ich weiß gar nicht, woher sie die ganzen Kartons dafür angeschleppt hatte.
Nach dem Umzug vergrößerte sich der Kundenstamm meines Vaters immer mehr. Das lag an der günstigen Lage an der stadteinwärts wie stadtauswärts viel befahrenen Fuhlsbütteler Straße. Hier an der Kreuzung mussten die Autofahrer vielfach auf die Grünphase der Ampel warten, dabei haben sie wohl auch die Schneiderei meines Vaters wahrgenommen. Außer dem alten Kundenstamm aus Fuhlsbüttel kam immer neue Kundschaft dazu. Sie kamen aus Klein Borstel, Wellingsbüttel, Poppenbüttel, Sasel, den Walddörfern und dem Hamburger Umland.
Ich versuchte, meinen Vater mit meiner Fahrbereitschaft zu unterstützen. Natürlich erst einige Jahre später, als ich den Führerschein Klasse 3 bei der Bundeswehr gemacht hatte. Ich fuhr ihn zu seinem Steuerberater und auch in das Anzug-Magazin am Wiesendamm 1 in Barmbek. Dort war seine Einkaufsstätte für fertige Textilien. Heute ist hier die Firma Globetrotter im Haus Nr.1 am Wiesendamm.
Auch kaufte mein Vater viel im Großhandel Metro
ein. Der alte Standort war in der Straße Nedderfeld, in Höhe der jetzigen Jet-Tankstelle. Anfang der 1970er Jahre vernichtete ein Großbrand die Metro
. Ein Wiederaufbau war nicht möglich. Jahre später zog die Metro
in die Papenreihe in der Nähe der Kollaustraße.
Im Frühjahr 1972 war Baubeginn für das Mode Centrum Hamburg-Schnelsen, das Zentrum für Mode. 1974 zogen die ersten 47 Mieter in das fertig gestellte Haus A. Dann kamen später Haus B und C und eine Messehalle hinzu. Durch meinen Vater lernte ich auch das Haus A kennen. Am Anfang brauchte mein Vater einen Gewerbeschein für Textilien. Heute hat nur Zutritt in das Mode Centrum, wer eine Fashion-ID-Card besitzt. Pförtner und Sicherheitsdienst bewachen das Centrum. Dass man alle Textilien an einem Ort einkaufen konnte, brachte viel Zeitersparnis für Geschäftsleute wie meinen Vater. So erweiterte er den Verkauf in seinem Geschäft um Fertig-Sakkos, Hosen, Oberhemden und Krawatten. Die treue Kundschaft kam mit immer neuen Wünschen und der Kundenstamm wurde immer größer. Die Kunden, die einen Maßanzug wünschten, musste er auf die Warteliste setzen. Er empfahl den Kunden, die nicht so lange warten wollten, Maßkonfektion zu kaufen. Der Kunde suchte sich dann einen Stoff aus, der ihm gefiel. Es waren wohl 60 Stoffballen, die mein Vater im Geschäft zur Ansicht hatte. Mein Vater nahm das genaue Maß des Kunden. Anzugstoff, Futterstoff und die erforderlichen Kleinteile wie zum Beispiel Knöpfe, wurden dann an eine Maßkonfektionsfirma mit der Deutschen Bundespost verschickt. Nach etwa zwei Wochen kam die fertige Maßkleidung bei meinem Vater an. Zur Kontrolle wurde noch einmal am Kunden Maß genommen. Die Maßkonfektion seiner Lieblingsfirma Kuno Hock aus Süddeutschland musste er nur recht selten ändern.
Die Werkstatt hinten im Geschäft war für meinen Vater ideal. Ein kleines Fenster sorgte für Tageslicht und frische Luft. Die elektrischen Geräte gaben viel Wärme ab. So auch die Bügelpresse, das schwere Dampfbügeleisen, die große Nähmaschine von Pfaff, die elektrische Baby lock
und andere Geräte in der Werkstatt. Die Schnittmuster seiner Kunden hingen in der Werkstatt an den Wänden und er wusste genau, wo jedes einzelne Schnittmuster seiner Kunden hing.
Das Schöne an dem Geschäft war für meinen Vater die Zentralheizung. Jetzt waren die Räume schon warm, wenn er ins Geschäft kam. Im alten Geschäft musste er erst den Hamburger Kachelofen mit Anfeuerholz und festen Brennstoffen anheizen. Auch waren das Waschbecken und das WC in einem kleinen Nebenraum der Werkstatt.
Im Sommer 1985 feierte mein Vater fünfundzwanzigjähriges Geschäftsjubiläum als Maßschneider. Das Geschäft in der Wellingsbütteler Landstraße 9 in Hamburg-Ohlsdorf gab es bis zum August 1987. Dann verstarb mein Vater, leider viel zu früh.
Fahre ich heute an dem früheren Geschäft vorbei, so kehren die Erinnerungen wieder, auch nach 33 Jahren.