Himbeersirup lose!
Als Kind bin ich Mitte der 50er Jahre in Barmbek-Süd groß geworden. Nach ungefähr einhundert Metern war man auf der Uhlenhorst. Meine Eltern und ich wohnten am Anfang der Mozartstraße. Dort gab es viele kleine Geschäfte, teilweise waren sie sogar im Keller. Kellergeschäfte in dieser Straße waren Friseur, großer Schuster, Bäckerfiliale, Glaserei, Drogerie, kleiner Schuster, Schneider, Farben und Tapetenladen und ein Blumenladen.
Diese Geschäfte lagen am Anfang der Mozartstraße bis zur Humboldtstraße. Die anderen Geschäfte waren alle ebenerdig. Meine Eltern wohnten seit 1955 im dritten Stock der Straße in einem Mietshaus. Dort gab es 12 Wohnungen auf drei Etagen, sowie die vierte Etage mit zwei Dachwohnungen. Bei den drei Ladengeschäften hatten zwei eine Wohnung mit Sicht in den Hinterhof. Im Haus hatte jeder Mieter auf dem Dachboden einen kleinen Verschlag, zum Abstellen von Sachen. Er war recht klein, aber es ging vieles hinein.
Gegenüber unserer Wohnung war ein Feinkostladen und man konnte vom Fenster oder Balkon aus den Laden gut beobachten. Unsere Familie kaufte dort auch ein. Der Laden war groß, ebenerdig und hatte nach hinten einen Keller zum Kühlen der Ware. Sauberkeit im Laden war groß geschrieben.
Über dem Laden befand sich die Wohnung des Ladenbesitzers. Die Belieferung mit Milch und Milchprodukten fing ca. 1 Uhr in der Frühe an. Dann kam der LKW, manchmal mit Anhänger von Alstermilch oder Hansano. Er brachte Flaschenmilch einhalb und ein Liter Vollmilch. Buttermilch und einhalb Liter Milchtüten in sechseckiger Form.
All diese Waren standen in Metallbehältern und machten natürlich viel Lärm. Die zweite Warenanlieferung erfolgte am Tage, wenn ich in der Schule war.
Der Laden war von 7-18 Uhr geöffnet. Freitags bis 18 Uhr 30 und Samstag von 7-13 Uhr. Sonntag war der Laden geschlossen. Nach der Öffnungszeit hatte der Besitzer einen Automaten, den er immer füllte. Der Automat hatte zwei mal acht kleine Boxen mit einer Glasscheibe davor. Für eine oder zwei D-Mark konnte man an einer Box ziehen und man bekam Kekse, Süßigkeiten, Apfelsinen, Zitronen oder kleine Konserven heraus. Am Sonntag wurden die leeren Boxen vom Besitzer mit neuer Ware aufgefüllt. Er wusste gut Bescheid, was den Hausfrauen von früher fehlte, außerhalb der Öffnungszeit.
Meine Mutter kochte sonntags als Nachtisch Vanillepudding mit Himbeersirup. Zum Wochenende schickte mich meine Mutter mit einer leeren Saftflasche in den Feinkostladen von gegenüber. Der Tresen im Laden war so groß und hoch, dass ich kaum rankam. Der Besitzer kam hinter dem Tresen hervor, um mir die nachgefüllte Flasche Himbeersirup zu geben. Man konnte lose Kirsch- oder Himbeersirup bekommen. In der anderen Ladenhälfte lagerten Weine und Spirituosen in den Regalen. Er hatte auch einige kleine Weinfässer von etwa zehn Litern Inhalt, wo der Wein lose abgefüllt wurde. Unten waren die alkoholfreien Getränke und Bier aufgestellt. Mitnahme von Getränkekisten kannte man zu der Zeit nicht, man kaufte zwei oder drei Flaschen und das war es. Mein Interesse galt Silvetta, Sinalco, Coca-Cola oder Fanta in der Glasflasche.
Rechts vom großen Tresen lagerte der Käse. Es gab einfache Brötchen und Mohnbrötchen; mehr hatte er nicht an Auswahl da. Die Vielzahl an Sorten von Brötchen gab es zu der Zeit nicht wie heute. Rabattmarken gab es bei ihm auch nach jedem Einkauf. War das Heft voll, gab es eine oder 1,50 D-Mark erstattet.
Am Sonntag holte er sein Auto aus der Hinterhofgarage. Was meint ihr, was war das für ein Auto? Ein roter Porsche! Wir Kinder waren davon begeistert. Alleine der Sound war überwältigend, dagegen der des VW-Käfers harmlos.
Mitte der 60er Jahre kam die Zeit der Supermärkte, Pro (Produktion), Deutscher-Supermarkt (DS), Bolle, Aldi, Spar, Safeway, Edeka. Die Konkurrenz wurde immer größer und er musste Ende der 70er Jahre aus Altersgründen aufgeben. In seinen Laden ist danach eine Glaserei eingezogen.