Die Führerrede im Radio
Wir in Bärenwinkel waren nicht mit elektrischem Strom versorgt. Bei uns brannte die gute alte Petroleumlampe. Bald aber auch der Petro – Max
, der ein weißes helles Licht machte. Mit ihm musste ich abends zur Fütterzeit, wenn es schon früh dunkel wurde, unserm Russen Kasimir leuchten, wenn er die Tiere fütterte. Es war enorm heller als die Stalllaterne, die nun ausgedient hatte.
Sonntags wurde am Nachmittag im Wohnzimmer das Radio eingeschaltet, um das Wunschkonzert für die Soldaten mit Grüßen aus der Heimat zu hören. Soldaten erfuhren auch von dem sich inzwischen eingestellten Nachwuchs daheim. Wenn es ein Junge war, dann ertönte ein extra Tusch, denn es war ja ein Hitlerjunge
auf die Welt gekommen. Unser Radio funktionierte mittels Batterie und Akku, der, sobald er leer war, in Rastenburg wieder aufgeladen werden musste. Wir Kinder durften nicht nur so zum Spaß das Radio einschalten.
Wir hörten in der Schule die Hitlerreden, die man in diesem krächzenden Geschrei kaum verstehen konnte. Warum die Massen darüber johlten, – ich verstand das alles nicht. Gerda B. musste mit der Kreide in der Hand die ganze Rede über an der Tafel stehen, denn sie hatte die Aufgabe, Stichworte aufzuschreiben. Sie trat von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, wohin sie blicken sollte. Ich dachte mir, zum Glück muss ich nicht da vorne stehen und die ganze Klasse schaut mich an. Die Tafel aber blieb leer. Ob sie, genau so wie ich, nicht wusste, was ein Stichwort war? Ich wartete immer – gleich muss ein Wort kommen – wie ein Stich, der weh tut. Aber es kam nicht.
Trotz allem mussten wir aus diesen Reden Zitate auswendig lernen, die vom Führer an seine Jugend gerichtet waren:
Ihr müsst lernen hart zu sein, Entbehrungen auf euch zu nehmen, ohne jemals zusammenzubrechen.
Ihr müsst zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie ein Windhund sein.
Viel lieber lernten wir die Gedichte wie Der Zauberlehrling
, Die Schwäbische Kunde
oder Der Osterspaziergang
. Bis heute aber hat mich ein Gedicht sehr berührt, dessen erste Strophe ich nicht vergessen konnte.
Viele Jahre später, bei einem Gespräch mit Sabine O. suchte und fand sie mit ihrem Handy im Internet tatsächlich die mir entfallenden Strophen:
Tod in Ähren
Im Weizenfeld, in Korn und Mohn,
liegt ein Soldat, unaufgefunden,
zwei Tage schon, zwei Nächte schon
mit schweren Wunden unverbunden,
Durstüberquält und fieberwild,
im Todeskampf den Kopf erhoben,
ein letzter Traum, ein letztes Bild,
sein brechend‘ Auge schlägt nach oben
Die Sense sirrt im Ährenfeld,
er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden.
Ade, ade du Heimatfeld –
und beugt das Haupt und ist verschieden.(Detlev von Liliencron, 1844-1909)