Fremdarbeiter auf dem Bauernhof
Nach der Hochzeit im Oktober 1963 zog ich mit meiner Frau Lotti in Quickborn ein. Wir hatten erst nur ein großes Zimmer, bauten uns aber im oberen Teil des großen Wohnhauses eine komplette Wohnung aus. Lotti brachte in unsere Ehe ihr freundliches Wesen, das hauswirtschaftliche Können und einen gesunden 40-Hektar-Betrieb mit ein, den sie später einmal erben sollte. Bei mir reichte es nur für eine moderne Schiebekarre und eine neuzeitliche Königshacke zum Rüben vereinzeln. Ferner waren da noch meine sehr gute Schulbildung und die Ausbildung zu einem fortschrittlichen Landwirt.
Nach kurzer Zeit merkte ich, dass der Hof in Quickborn in seiner technischen Ausrüstung doch ziemlich veraltet war. Mein Schwiegervater ließ vieles durch körperliche Arbeiten ausführen. Das war für die Arbeitskraft vielleicht gesund, für den Betrieb aber vor allem günstig. Lotti und ich mussten uns total unterordnen. Wenn wir abends einmal ins Kino gehen wollten, mussten wir uns das Einverständnis meines Schwiegervaters holen.
Lehrlinge waren nicht mehr vorhanden. Durch eine gute Verbindung von Robert Ramcke (mein Schwiegervater) zur Landwirtschaftsschule in Elmshorn tauchte plötzlich ein Schwarzer auf dem Hof auf. Er war ein Afrikaner, der in Hamburg moderne Landwirtschaft studieren wollte. Dazu brauchte er ein Praktikum auf einem Bauernhof, wo er gleichzeitig die deutsche Sprache erlernen wollte.
Seinen ersten Tag werde ich nie vergessen. Anas (so hieß er) kam direkt aus Nigeria, und hier war Winter mit Eis und Schnee. Mein Schwiegervater drückte ihm eine Schaufel in die Hand, er sollte den Kuhstall ausmisten. Schwiegermutter hatte Anas gegen die Kälte einen langen, alten Mantel und Wollhandschuhe gegeben. So versuchte er den Kuhstall sauber zu bekommen.
Dieser junge Mann hatte in seinem ganzen Leben nicht einmal körperlich gearbeitet. Er sprach kein Wort Deutsch. Ich war der Einzige, der sich mit ihm auf Englisch unterhalten konnte. Abends saß Anas oft bei uns, oder Lotti und ich saßen bei ihm im Zimmer. Wir redeten über seine Jugendzeit, seine Ziele, aber vor allem über seine Heimat und seine Familie. Seine Eltern hatten eine ca. 10.000 Hektar große Farm, auf der hauptsächlich Gummibäume zur Kautschukgewinnung angebaut wurden. Außer dem nicht gerade kleinen Farmhaus hatte die Familie noch ein Stadthaus, einen 220 SE Mercedes und einen großen amerikanischen Schlitten
. Sein Vater war nach der alten Stammessitte Häuptling und nach der neuen Regierungsform Bürgermeister in der Gegend.
Anas war nicht von seiner Mutter, sondern von einer Amme im Stadthaus aufgezogen worden. Er verstand hier in Deutschland die Welt nicht mehr. Wenn bei ihnen Deutsche auf die Farm kamen, wurden sie als Gäste bewirtet. Und er musste hier die niedrigsten Arbeiten verrichten …
Nach vier Wochen war Anas weg. Ich habe ihn noch einige Male in Hamburg-Blankenese besucht. Er wohnte dort bei einem Architekten zur Miete.
Kurze Zeit darauf holte sich Robert Ramcke einen persischen Teppichhändler auf den Hof. Said musste ein Jahr irgendwo arbeiten, um eine ständige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu bekommen. Er wollte pro forma Landwirtschaft studieren. Das Interesse dafür war aber gleich null. Neben seiner Arbeit verkaufte er echte Perserteppiche und pfiff jeder jungen Frau nach, es sei denn, sie war hochschwanger.
Seine Eltern betrieben in Persien (heute Iran) mehrere Fabriken, in denen einfache Teppiche aber auch sehr teure Seidenteppiche geknüpft wurden. Im Hamburger Freihafen hatte seine Familie ein riesiges Teppichlager. Von hier aus wurden Kaufhäuser wie Karstadt oder ähnliche Abnehmer beliefert. Durch Said kamen Lotti und ich zum ersten Mal an geröstete Pistazien, die zusammen mit anderen Gegenständen in den großen Teppichrollen nach Deutschland geschmuggelt wurden.
Da meine Eltern noch den Pachthof in Heidrege hatten, half ich dort jede Woche für einen Tag. Wir hatten noch kein Konzept, wie es nach Pachtende mit meinen Eltern weitergehen sollte. Ich persönlich hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen angesichts dessen, was die beiden für mich alles getan hatten.
In Quickborn wurde die Zusammenarbeit mit meinem Schwiegervater immer schwieriger. Er war wohl ein guter Kaufmann, aber kein fortschrittlicher Bauer. Es wurde über alles geredet, aber nie über die Zukunft des Hofes, so wie Lotti und ich sie uns vorstellten. Nach rund zehn Monaten verließ ich den Hof in Quickborn und arbeitete wieder bei meinen Eltern. Mit viel Mühe fanden Lotti und ich bei weitläufigen Verwandten von Lotti in Moorege eine kleine Wohnung. Inzwischen war noch in Quickborn unser Sohn Thorsten geboren. Endlich wohnten wir drei jetzt alleine in unserem eigenen Reich.
In unserer neuen Wohnung war das Wohnzimmer genau acht Quadratmeter groß. Darin standen der neue große Wohnzimmerschrank, ein altes Sofa, zwei Cocktailsessel, ein kleiner Couchtisch und ein Hamburger Kachelofen. Wenn dieser kleine Ofen abends geheizt war, hatten wir mindestens 35° im Raum. Die Toilette befand sich im Garten. Ein Plumpsklo mit Eimer in einem kleinen Holzhäuschen. Für mich nichts ungewöhnliches, für Lotti ein Schritt zurück ins Mittelalter. Trotzdem fühlten wir uns hier sehr wohl und haben mit unserem neuen und alten Freundeskreis viele nette Abende und auch Nächte verbracht, aber wie ging es jetzt für uns finanziell weiter? Zuerst versuchte ich, wie in dieser Region üblich, Rosen anzubauen. Nur mit Hilfe des Meisters der Firma Rosen-Tantau, der mir die Pflanzen veredelte, konnte ich 800 Rosen der Sorte Muttertag verkaufen. Das war aber nicht meine Welt.
Kurz darauf konnte ich den Fuhrbetrieb von Herrn Scheffler aus Heist übernehmen. Sieben Jahre habe ich daraufhin die Milch von den Bauern aus Heist und Moorrege zur Meierei nach Uetersen gefahren. Nebenbei und nach Bedarf bewegte ich noch tonnenweise Schrot und Kunstdünger für die Raiffeisenbank in Heist. Oftmals bis nach Mitternacht. Und am nächsten Morgen pünktlich um 6:00 Uhr stand ich wieder bei dem ersten Bauern, um die Milch aufzuladen. Dazu hatte ich mir einen 35 PS starken Porsche Schlepper und zwei sehr lange Anhänger gekauft. Der ganze Zug war zwanzig Meter lang. Den Porsche tauschte ich später gegen einen Unimog.
Mittlerweile bauten Lotti und ich das Eiergeschäft noch weiter aus. Wir kauften uns die fehlenden Eier bei größeren bäuerlichen Legehennenbetrieben dazu. Hierfür erwarben wir einen neuen dunkelgrünen 17m Ford Kombi.
Seitdem sind die Begriffe Kolumbe und Eiergeschäft unzertrennlich.