Die Kunst der Nabatäer
Nun stehe ich im Innenhof der stolzen Kreuzritterburg Avdat. Weit geht der Blick über die Hügel und Schluchten der Halbwüste Negev, verliert sich in der dunstigen Ferne. Ich habe nachgeschlagen: Der Negev: 12.000 Quadratkilometer Boden, trocken, staubig. Ein Keil, dessen Südspitze das Rote Meer bei Eilath am Golf von Akaba erreicht. Ein paar Städte gedeihen hier, das biblische Beersheba im Norden, Dimona, Mizpeh Ramon, Arad. Heute bekommt der Negev nur geringe und unregelmäßige Niederschläge, abgelöst hin und wieder durch zerstörende Sturzfluten. Hier wanderten Jäger und Sammler über die Jahrtausende von 60.000 bis etwa 4000 vor Chr. Sie fanden ein anderes, feuchteres Klima vor, als es heute herrscht. Archäologen sammelten Flint-Werkzeuge und Waffen aus dieser Epoche im Negev Hochland. Von 4000 bis 2100 vor Chr. war der Negev augenscheinlich unbewohnt. In der Mittleren Bronzezeit von 2100 bis 1900 vor Chr. lebte ein unbekanntes Volk hier, das zahlreiche Turmuli (Begräbnishügel) hinterließ. Bis 1000 vor Chr. war der Negev wieder unbewohnt, dann, unter Salomon und den Königen von Judäa besiedelten die Israeliten den Negev zu Abertausenden.
Um 300 vor Chr. erschienen die genialen Ingenieure des Volkes der Nabatäer, vermutlich waren sie eingewandert aus Südarabien ins Land der Edomiter. Mit ihrer raffinierten Wasserbaukunst sorgten sie dafür, dass dies graubraune, trockene Panorama einst das biblische Land da Milch und Honig fließen
genannt wurde. Behauptet jedenfalls der würdige Professor Michael Evenari, der es aus dem Alten Testament hat und nun zu beweisen trachtet. Auf den Knotenstock gestützt, steht er und genießt das Bild, wie jeden Tag. Und seine blonde Frau Liesl nickt. Der Neugier und der Zähigkeit des Jerusalemer Botanikers hat Israel eine Entdeckung zu danken, die manches in der ehrwürdigen Geschichte des Landes in einem neuen Licht aufleuchten lässt.
Ich bin die einsame Landstraße von Beer Sheva hierher gefahren, wo Stacheldrahtzäune und bellende Hunde verraten, dass das Land noch nicht so friedlich ist, wie es sein sollte. Im Jahr 1969 sitzen wir vor dem Forschungshaus, den Blick auf die Höhe gerichtet, wo die weißen Ruinen Avdats seit Ewigkeiten ruhen. Frau Liesl Evenari hat einen leckeren Cous mit ihrem berühmten Salat bereitet, und Michael, ihr Mann, erzählt vom denkwürdigen Gehabe seiner Jeckesfreunde in Jerusalem, die sich immer donnertags treffen, um alte deutsche Lieder zu singen – unter Tränen der Sehnsucht und Rührung. Und sich vom gewonnenen 6-Tage-Krieg erzählen, dessen Spuren, verrostete Panzer und Kanonen man noch an jeder Straße sieht. Faszinierendes, merkwürdiges Land, dieses neue – alte Israel, immer auf der Suche nach seinen Wurzeln, nach den historischen Stätten, wie die alten Schriften sie nennen. Ich bin neugierig auf das antike Volk der Nabatäer, das Michael in seinen Bann gezogen hat.
Michael stellt mir eine Schüssel mit frischen Mandeln hin.Woher die sind? Aus unserer Farm, ob Sie es glauben oder nicht. Aus der Farm, die wir nach dem Muster des alten Volkes rekonstruiert haben. Waren schon geniale Leute, diese Nabatäer. Michael schlägt ein altes, kleines Buch auf. Hier, bei Diodurus Siculus finden wir es, er berief sich auf Berichte des Hieronymus Cardia, eines Zeitgenossen Alexanders des Großen und schreibt:
Sie lebten wie die Banditen, plünderten große Teile der Nachbarschaft und waren im Krieg kaum zu besiegen. In dieser wasserlosen Region haben sie Wasserleitungen gegraben und behielten das Wissen darum streng für sich. Sie selbst kannten verborgene Wasserlöcher und hatten Trinkwasser genug für sich selbst. Sie bohrten Löcher in den Boden und füllten diese mit Regenwasser, kennzeichneten sie mit geheimen Zeichen, die niemand verstand.
Nun, diese geheimnisvollen Nabatäer (in der Bibel heißen sie Nebajoth) haben große Teile des regenarmen Negev blühend und fruchtbar gemacht mit ihrer genialen Wasserkunst, ihren Deichen und Kanälen und sie bauten starke Festungen und schöne Städte, Petra vor allem, ihre Hauptstadt, ihre Handelsmetropole Hegra (heute Madain Salich) Avdat, Shivta, Nitzana, Kornub, um ihre Handelswege zu schützen. Typisch übrigens, Duschara, ihr Hauptgott, war für die Vegetation zuständig, und Al-Uzza, ihre wichtigste Göttin, war eine Wassergottheit. Die Nabatäer waren Meister des Karawanenhandels und unterhielten Beziehungen bis nach Damaskus, Athen und Rom, ja nach Indien und China.. Sie befuhren die Häfen von El Arish und Gaza. Ihre Wasserlandwirtschaft (oder wie Michael sagt, die Sturzwasser-Landwirtschaft) haben sie vor allem benutzt, um die Karawanenwege und ihre Städte mit Nahrung und Wasser zu versorgen. Regiert wurden die Nabatäer von Königen und Königinnen. Übrigens haben sie nie Sklaven gehalten. Man kann sie nur bewundern. Im 2. und 1.Jahrhundert vor Chr. dehnten sie ihre Macht nach Syrien aus, wo König Aretas III (87-62 v.Chr.) Damaskus eroberte.
Petra, das Juwel in der Wüste
Getarnt als muslimischer Händler mit dem Namen Ibrahim ibn Abdullah entdeckte der junge Schweizer Gelehrte Johann Ludwig Burckhardt im Frühjahr 1812 Petra, erholte sich im Schatzhaus, zog am Theater vorbei und sah die prächtigen Königsgräber. Hielt alles später fest in seinem Reisetagebuch. Die Entscheidung, ob ich die Ruinen der Hauptstadt von Arabia Petraea entdeckt habe, überlasse ich den griechischen Gelehrten.
Lange Zeit nach Burckhardt blieb Petra vergessen. 1985 setzte es die UNESCO auf die Liste des Welt- Kulturerbes. Und die jordanische Regierung tat alles, um dieses geldbringende Juwel für den internationalen Tourismus zu öffnen und vorzubereiten. Historiker konnten beweisen, im 4.Jahrhundert vor Chr. hatte Petra sich zum Zentrum nabatäischer Kultur entwickelt; anfangs war es wohl eine Mischung aus Unternehmermarkt und Totenstadt, deren Einwohner dem Handel mit Bitumen, Gewürzen, Kupfer und landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus dem Umland nachgingen. In seiner Blütezeit im ersten vor- und nachchristlichen Jahrhundert rühmte man das unabhängige Petra für sein ausgeklügeltes Rechtssystem und sein technisches Knowhow. Auch als Kaiser Trajan 106 n.Chr. das Nabatäerkönigreich dem Römischen Reich angliederte, florierten in Petra Handel und Kultur weiter. Nach dem 4.Jahrhundert verfiel Petra allmählich, mehrere verheerende Erdbeben im 6. und 8.Jh. brachten das Aus.
In seiner Blütezeit brauchte die Stadt Wasser für die vielen Menschen. Im Talkessel gab es kaum welches. Eine geniale Ingenieurleistung brachte die Lösung: Die kilometerlange Wasserleitung verlief von der Mosesquelle bis zur Hauptzisterne beim Palastgrab. Auch durch den Siq verlief eine Leitung. Außerdem betrieb man intensive Landwirtschaft. Zusätzliches Wasser gewannen die Nabatäer durch ein weit verzweigtes System von Kanälen und Zisternen, in denen das Wasser der winterlichen Regenfälle gesammelt wurde. Petras große Attraktion ist heute das Schatzhaus
, das Denkmal al-Khazneh. Beduinen versuchten immer wieder, die krönende Urne abzuschießen, um an das darin vermutete Gold zu kommen. Das mächtige Grab wurde wahrscheinlich für den Nabatäerkönig Aretas III im 1.Jh. v.Chr errichtet. Die Fassade ist mit klassischen und nabatäischen Elementen samt Götterstatuen, Skulpturen von Tieren und Figuren aus der Mythologie geschmückt. Vom Theater führt eine Treppenanlage zu den 12 großen Gräbern, wo die nabatäischen Könige ihre letzte Ruhe fanden. Stufen gehen zu dem spektakulärsten Bau der Anlage, dem Urnengrab mit unterirdischen Gewölben und einer großen Halle. Touristen bewundern auf dem Weg vom Theater zum Zentrum die Reste des Nymphäums, eines Prachtbrunnens. Der Tempel der geflügelten Löwen wurde um 27n.Chr. für eine Gemahlin der höchsten nabatäischen Gottheit Dushara errichtet. Südlich des dreigeteilten Torbogens liegt ein nabatäisches Bad, das den Besuchern des heiligen Bezirks einst zur rituellen Reinigung diente. Petras ältester Kultort ist der Hohe Opferplatz auf dem Jebel Madbah, 200 m über dem Theater. Die Nabatäer übernahmen diesen Platz wohl von den Edomitern. Die Anlage umfasste zwei Altäre, einen offenen Hauptplatz mit einer kleinen Anhöhe für die Opfergaben, ein Becken, Wasserkanäle und Gossen, die wahrscheinlich Tieropfern dienten.
Die großartige Epoche währte nicht lange. Schon 106 n.Chr. unter ihrem letzten König Rabbel II, eroberte der römische Kaiser Trajan das Nabatäerreich – damals reichte es bis nach Jordanien und Saudiarabien, erstreckte sich über den ganzen Negev und Teile des Sinais. Nabatea wurde dem Imperium eingefügt als römische Provinz Arabia Petraea, wurde später Teil des Reichs von Byzanz. Die Byzantiner entwickelten die Wasserkunst zur Vollendung, und die Nabatäer konvertierten zum Christentum. Um 641 n.Chr. eroberten Araber den Negev. Die Städte blieben intakt, aber die Familien packten ihre Sachen und gingen fort. Nach dem 8.Jahrhundert n.Chr. wanderten hier nur noch die Herden der Beduinen – sie sind die wahren Söhne der Wüste, für Wasserkünste und ähnlichen Zauber haben sie absolut nichts übrig. Sie ließen alles zu Staub und Sand vergehen, was Generationen aufgebaut hatten.
E.H.Palmer schreibt, was dann geschah. Wo immer der Beduine geht, bringt er Ruinen und Niedergang. Die Hälfte der Wüste verdankt ihr Dasein ihm, viele fruchtbare Gebiete wie der Negev machte er zur Wildnis. Wo einst Tausende lebten im Wohlstand, kümmern ein paar hundert Beduinen vor sich hin. Die Farmen verfielen. Die Leben gebenden Fluten zerstörten nun die Terrassen. Vor langer Zeit schon hatte Gottes Wort erklärt, dass das Land der Kanaaniter und Ammoriter eine trostlose Wüste werden sollte, dass die Städte im Süden geschlossen sein würden und niemand könne sie öffnen
(Jer. 13:19)
Wir wandern durch die sauberen Reihen zarter Apfel- und Mandelbäume. Und Michael klagt: Jetzt bauen sie die große teure Wasserleitung vom See Genezareth bis tief in den Süden des Landes, die Ingenieure kennen eben nur große Technik. Ich meine, man kann auch mit den angepassten kleinen Mitteln der Vergangenheit Gutes ausrichten, ich versuche es wenigstens, wenn sie mich auch auslachen.
Der Negev
Wir sitzen wieder auf den glatten Steinen des alten Nabatäerdammes, und Michael erzählt.
Es war der warme Frühling des Jahres 1954. Mein Doktorand Dov Koller kam und sagte, Herr Professor, Sie müssen mitkommen, ich will Ihnen was zeigen! Er drängelte, bis ich mit ihm und seiner Frau Dizza in den Negev fuhr und die uralten Terrassen und Steinwälle sah, die einen ganzen Arm des Wadi Ramliyeh bei der antiken Stadt Avdat bedeckten. Das war's, ich wusste es, lieber Gott. Das musste ich erforschen, aber nicht allein. Koller brachte mich zu Naftali Tadmor, genannt Kofish, der an der Landwirtschaftsschule der Universität studierte und vernarrt war in den Negev. Kofish brachte mich zu Leslie Shanan, Hydrologe und Wasserbauingenieur aus Südafrika. Wir baten den alten Archäologen Johanan Aharoni, uns auf seinem Gebiet zu helfen. – 20 Jahre haben wir miteinander gearbeitet, bis Kofish unerwartet starb. Wann immer ich wegkam von meinen Pflichten in der Verwaltung und Geldbeschaffung, fuhren wir während der nächsten vier Jahre in den Negev. – es war fantastisch. Straßen gab es nicht, wir fuhren im Jeep, flogen über das Gebiet in einer kleinen Piper Cub von der Luftwaffe. Man konnte sich hinauslehnen und fotografieren. Wir trugen Waffen wegen der herumstreunenden Araber und mussten auf Befehl der Armee den Negev bei Sonnenuntergang verlassen und die Nacht in Beer Sheva verbringen. Liesl machte die Logistik, kaufte ein und bereitete ihren berühmten
Wüstensalat
, in den sie alles tat, was essbar war, und der für zehn Leute reichte. . Als wir dabei waren, das Wadi Abiad bei Shivta zu erkunden, wo viel antike Landwirtschaft zu sehen war, wurden wir versehentlich von unserer eigenen Artillerie beschossen.
Michael holt einige Fotos und Zeichnungen hervor, die seine Geschichte illustrieren.
Von Anfang an war uns klar, dass wir es mit einem weit komplexeren Problem zu tun hatten, als wir hätten vorhersehen können. Woher bekamen die Wüstenfarmer ihr Wasser? War der Negev in der Frühzeit so wie heute oder gab es ein feuchteres Klima mit stärkerem Niederschlag? War die Landwirtschaft auf einen bestimmten Bodentyp begrenzt? Gab es verschiedene landwirtschaftliche Methoden? Nach unseren ersten Exkursionen wurde uns klar, dass Sturzfluten nach dem Abfluß des Regenwassers als Wasserquelle für die antike Landwirtschaft dienten, nicht so sehr der Regen allein. Viel später erst begriffen wir die Mechanismen, die dahinter steckten. Wir entdeckten, dass die Sturzwasser-Landwirtschaft der Nabatäer begrenzt war auf die Negev-Hochländer zwischen 300 und 1000 Meter über dem Meeresspiegel, dort herrschte ein jährlicher Niederschlag von bis zu 150 mm. Beim Überflug über die Aravah-Ebene nahe des Kibbutz Yotvatah entdeckte Kofish eine Kette von Erdlöchern, in Jerusalem fand ich einiges über deren Funktion heraus.
Um 800 vor Chr. hatten die Perser hier ihr Untergrund-Qanat-System eingeführt, welches Wasser über große Entfernungen zu gebieten mit Landwirtschaft oder als Trinkwasser in die Städte. Die Nabatäer hingegen bauten Terrassen in viele kleine Wadis, es waren Steinwälle, und die Terrassen zwischen ihnen enthielten Erde. Das abfließende Wasser konnte in Kaskaden von den Hügeln die Wadis hinunter über Treppenstufen fließen. Und immer blieb etwas Wasser übrig, drang in den Boden, genug für Gemüse und Getreide. Das überfließende Wasser strömte dann weiter zur nächsten Terrasse. Ein einfaches geniales System mit zwei Funktionen: Wasser zurückhalten für den Anbau und den Boden der Wadis gegen Erosion durch die mechanische Kraft des Wassers schützen.
Michael lächelte, man sah ihm den Stolz über seine Entdeckungen an.
Wir begannen das Farm-System, nahe bei den Ruinen der Städte Avdat, Shivta, Nitzana, zu verstehen. Hunderte solcher Farmen haben wir vermessen. Jede Farm bestand aus zwei Teilen: der Bauernhof selbst mit den terrassierten Feldern für den Anbau von Getreide und Bäumen, umgeben von Mauern – und das Sturzwasser-Auffang Feld, aus dem das Wasser in Kanälen auf die Felder geleitet wurde. Ein Feld war, sagen wir, einen Hektar groß, dann brauchte es eine Wasser-Sammelfläche von 25 Hektar und fing etwa 25% des jährlichen Niederschlags auf, also rund 20 mm von den jährlichen 100 mm Niederschlag. Eine zutiefst ökologische Denkweise, die wir da bei den antiken Nabatäern finden. Es war längst vergessen, dass die alten Nabatäer die Wasserrechte ihrer Bauern juristisch genau festgelegt hatten, man fand aber Dokumente in Nitzana, die das bewiesen.
Liesl hat eine Idee
Der 26. August 1956 brachte den khamsin, den heißen Wüstenwind, kein Wetter zum Arbeiten. Man breitete Decken über die Jeeps, um etwas Schatten zu bekommen und redete bei Liesls Salat über die Nabatäer. Plötzlich sagt sie: Nun hört doch auf mit dem Theoretisieren, ihr seid experimentierende Wissenschaftler, beweist eure Theorien, rekonstruiert eine antike Farm!
Keiner der Männer hatte an so etwas gedacht – aber sie wollten der Frau nun auch nicht nachstehen und diskutierten: Wo finden wir eine passende Farm? Und sie hatten Glück. Man gewährte ihnen Finanzmittel aus den Ford- Rockefeller- und Rothschild Stiftungen. Und Jossi, ein Mitglied des Kibbutz Revivim, war dabei, die alte Stadt Shivta zu rekonstruieren. Er arbeitete mit Immigranten. Es erschien jedoch der General Avraham Joffe und erläuterte den Wissenschaftlern, es sei viel zu gefährlich in Shivta, und die Armee könne keine Garantie für ihre Sicherheit übernehmen. Wohin also? Liesl meinte, es sei unbedingt nötig, in der rekonstruierten Farm auch zu leben, um die unvorhersehbaren Fluten und Niederschläge vor Ort zu beobachten. Sie trafen das Team um Avraham Negev, das eben die alte Stadt Avdat wieder aufbaute und die Leute wussten, dass hier die Terrassen einer alten, recht gut erhaltenen Farm zu sehen seien. Günstig auch, weil die Straße nach Eilat direkt daran vorbei führt und die neue Stadt Mizpeh Ramon nicht weit entfernt ist. Gesagt, getan, im Sommer 1959 ging es los. Immigranten aus Tunesien, Marokko, Indien und Persien wurden angeheuert. Michael war so angetan von diesem Werk, dass er als Vizepräsident zurücktrat und nur noch dreimal die Woche in Jerusalem Vorlesungen hielt. In der übrigen Zeit lebten sie in einem winzigen Haus in Yeroukham und fuhren immer nach Avdat. Man beschloß, als erstes Gerste zu säen, und ein örtlicher Beduinenstamm brachte Männer, die pflügen und säen konnten. Zwei Wochen später brachen die ersten Sprossen durch die Erde, und im Frühjahr 1960 erntete man etwas über eine Tonne Gerste pro Hektar, nicht schlecht für den Anfang.
Ann Lautermann aus Montreal, eine reizende, achtzig Jahre alte Lady, erschien an einem heißen khamsin Tag. Sie erfuhr von dem Hausproblem der Pioniere und die Dame sagte: Natürlich können sie ohne Haus hier nicht leben, sagen sie, was das kostet, ich werde es bezahlen
. Man erfuhr, die Lady war die Tochter eines Rabbi aus Osteuropa und hatte es in Kanada zur Multimillionärin gebracht und wurde eine große Philanthropin. Sogleich begann man mit dem Hausbau und verwandte ausschließlich die hübschen behauenen Steine, die von der Nabatäischen Stadt Avdat herunter gefallen waren. Es wurde ein schönes Haus, innen im Schweizer Stil liebevoll eingerichtet von Liesl.
Der Erfolg mit der Gerste ermunterte uns. Und wir fragten uns, ob die alte Nabatäertechnik nicht auch heute einen praktischen Wert hätte. Also wurden wir Bauern. Zugleich verwandelten wir Avdat in ein Forschungszentrum für die Ökologie der Wüstenpflanzen. Vor allem legten wir größten Wert auf die meteorologischen Daten, um Niederschläge besser vorhersagen zu können. Sie schwankten erheblich, von 25 mm 1962 bis 183 mm. Und dann pflanzten wir Obstbäume: Aprikosen, Äpfel, Pistazien, Oliven, Wein, Kirschen, Mandeln. Hohe Ernten erzielten wir bei Aprikosen und Pfirsich, und die Früchte waren süßer und saftiger als jene, die man im Norden mit Bewässerung erzielte. Lady Rothschild kam nach Avdat, probierte und sagte, nie hätte sie einen solch schmackhaften Pfirsich gegessen. Man fand heraus, dass Pistazien die am besten an Wüstenbedingungen angepasste Pflanze war. Insgesamt wagte man zu behaupten, dass diese Technik der Sturzwasser-Landwirtschaft gut geeignet sei, den Hunger in Wüstengebieten der Entwicklungsländer zu bekämpfen.
Das Geheimnis der Sturzwasser-Technik liegt in einer Bodeneigenart des Negev-Hochlandes, es ist der Löß. Wenn eine bestimmte Menge Regen fällt, bildet er eine dünne Kruste auf dem Löß, die kein Wasser durchlässt. Wenn der Niederschlag weiter geht, dringt er nicht in den Boden, sondern rinnt die Hügel hinunter in die Flächen und Wadis. Was dies alles bedeutet für den Anbau, wurde im Laufe der Monate und Jahre in Avdat wissenschaftlich exakt gemessen und protokolliert. Es führte zu der Idee, Gerste oder Apfelbäume jede für sich in kleinen Regen-Auffang-Flächen zu pflanzen, die man microcatchment
nannte und mit 20 cm hohen Erdwällen umgab. Die ideale Größe einer kleinen Auffangfläche für Obstbäume war 200 bis 300 Quadratmeter.
Nach dem Sechstagekrieg von 1967 hatten wir wieder freien Zugang zum Mount Scopus. Der Botanische Garten dort mit einigen Libanon Zedern war schwer zerstört worden. Junge Deutsche von der Aktion Sühnezeichen
halfen beim Wiederanpflanzen der Pflanzen. Ich sprach mit ihnen und bat sie um Hilfe für den Aufbau einer Sturzwasser-Farm
, wo man Futterpflanzen für das Vieh anbauen könnte. Wir suchten mit Jeeps die Gegend ab und wurden im breiten Tal des Wadi Maschasch fündig, es liegt 20 km südlich von Beer Sheva, rund 20 Quadratkilometer groß. Aber es gab Probleme, ein Teil wurde vom Beduinenstamm Asasme zum Weiden der Schafe und Ziegen benutzt, ein anderer Teil als Übungsgrund für die Armee. Nach endlosen Diskussionen kamen wir zu einer Übereinkunft mit dem Beduinenscheich und der Armee. Bald waren wir so weit, 3000 Olivenbäume anzupflanzen, es wurde ein Erfolg.
Michael und Liesl waren im Streß, 1977 vergrößerten sie die Avdatfarm und pflanzten Tausende von Pistazien- und Mandelbäumen. Sie wollten sie als Experiment, um herauszufinden, welche Pflanzen hohen Ertrag boten und zugleich eine starke Resistenz gegen Trockenheit. Sein Avdat-Verwalter David Masig riet, bei Avdat einen Runoff-Park
einzurichten, in dessen Mitte ein großer Steinblock stehen würde in Form eines Löwen, denn der Park würde Löwenstein-Park
heißen in der englischen Übersetzung von Evenari. Alle anderen Parks der Umgebung wurden künstlich bewässert, dieser aber sollte in der Nabatäer-Technik sein Wasser erhalten. Man pflanzte 400 Bäume und 5000 Büsche. Inzwischen ist der Park ein wunderschönes Stück Erde mit 12 Meter hohen Bäumen. Ich bin gern darin spazieren gegangen. Ein Bericht der Weltbank von 1985 meldet: Sturzwasser-Landwirtschaft ist möglicherweise eine der wichtigsten Techniken, um Pflanzenwachstum zu verbessern und Bodenerosion zu bekämpfen in Halbwüsten-Gebieten
.
Michael Evenari zuhören, und die Welt versinkt in den Bildern der Vergangenheit. Ich fühle mich wie in der ersten Reihe im Kino. Sehe den Negev als das verheißene Land da Milch und Honig fließen
. Und begreife nicht, dass das offizielle akademische Israel mit den Ideen des deutschen Professors so wenig anfangen kann. Ist er ein Spinner? Dieser Mann hat ein Leben daran gesetzt und gezeigt, dass die Nabatäer auf die Dauer Recht gehabt hatten mit ihrer der Umwelt angepassten Technik. In unendlicher Mühe gelang es ihm und seinem Team, die zweitausend Jahre alte Sturzwasserlandwirtschaft
des Negev Hochlands zu rekonstruieren und erneut zum Blühen zu bringen. Die wieder errichteten 30 cm hohen Terrassen reichen aus, um unter einem Regenregime von nur 100 mm der Farmeinheit die Wassermenge zu liefern, die einem jährlichen Regenfall von 400 – 900 mm entspricht. 30 cm gestauten Wassers genügen, um 3 cm Lößboden der Terrassen mit Wasser zu sättigen – genug, um Apfelbäume und Weinreben, Kirschen und Oliven gedeihen zu lassen … – Im Land da Milch und Honig fließen.