Die teuerste Dauerwelle meines Lebens
Sie kostete - ganz vor kurzem - nach der Rechnung des zentralen Abrechnungsdienstes GmbH:
572,68 Euro |
|
+ | 248,45 Euro |
Rückfahrt Taxi + | 12,00 Euro |
833,13 Euro |
Hinzu kommt natürlich noch die Friseurrechnung.
Das glaubt ihr nicht?
So lasst euch erzählen. Am 18.5. besuchte ich den Frisiersalon, wo ich mir - seit etwa 20 Jahren? - etwa einmal im Jahr eine leichte Wellung der Haare verpassen lasse. Sie lassen sich dann leichter in Form legen, die mein Gesicht dann so umrahmt, wie mich alle Leute seit fünfzig Jahren kennen und auch immer wiedererkennen.
Aber dieses Mal fand ich doch, dass das chemische Zeugs, das sich Ammoniak nennt und die Wellung glatter Haare bewirken soll, ganz besonders intensiv scheußlich roch, so dass mir dadurch übel wurde. Nach etwa drei Minuten sagte ich zu der netten neuen Friseuse, die ich gerade erst kennengelernt hatte: Spülen Sie bloß das scheußliche Zeugs wieder ab. Mir wird davon ganz schlecht.
Das geht nicht
, sagte sie. Das muss eine Viertelstunde einwirken und dann fixiert werden, sonst hält es nicht.
Ich zog daher das Frotteetuch dicht vor Mund und Nase und atmete durch das Tuch, da roch es weniger intensiv, aber schwummerig war mir trotzdem. Ich protestierte also erneut, aber offensichtlich konnte sie mich nicht verstehen und zu sehen war sie auch nur noch verschwommen.
Plötzlich standen neben meinem Friseurstuhl zwei unbekannte Gestalten, zogen mir das Handtuch vom Gesicht und mich aus dem Stuhl hoch. Und da mir im Stehen ganz schwindelig war, fühlte ich mich hochgehoben und auf starken Armen hinaus in die frische Luft getragen (Zur Orientierung: ich wiege 50 kg). Dort wurde mir gleich besser und als ich auf der Liege lag in dem großen Notarztwagen, der jetzt vor der Tür parkte, hörte ich das Wort Sauerstoff
.
Irgendwelche Hände zogen meinen Pullover hoch, öffneten Knopf und Hosenreißverschluss und kurz danach sah ich deutlich zwei junge Sanitäter und einen Arzt, die mich freundlich angrinsten. Die Übelkeit war weggeblasen, klar und deutlich hören konnte ich auch wieder. Puh, endlich konnte ich auch wieder sprechen: Haben Sie denn kein Handtuch? mein Kopf ist ganz nass. Ich friere.
Ein Handtuch kam. Mein Kopf wurde abgerubbelt.
Tief atmete ich durch. Hach - endlich fühlte ich mich gut.
Ganz herzlichen Dank für alles. Und nun bringen Sie mich wieder herein in den Laden.
- Erst einmal brauchen wir Ihre Personalien
, sagte der eine der netten Herren. Hatte er mich nicht auf den Armen getragen? Richtig! Das musste natürlich honoriert werden. Eine neunzigjährige alte Dame über eine Schwelle zu tragen aus reinem Idealismus ist ja auch entscheiden zu viel verlangt. Vor siebzig Jahren, ja da - aber das war schon zu lange her.
Also Name, Vorname, Anschrift. Ja, das kann ich auch buchstabieren. Auch meine Krankenkasse weiß ich. Mit einem
B
dahinter. Das ist dann privat. Geburtsdatum, ja das stimmt so, ich bin Jahrgang 1919. Übrigens - wenn Sie von der KBA sind, haben Sie das alles in der Statistik. Ich trage doch Ihren Notpieper um den Hals. Nein, gebraucht habe ich ihn bis jetzt noch nicht. Kann ich jetzt endlich zurück in den Laden?
Nein, das geht nicht
, sagte der junge Mann. Ihr Blutdruck war soeben ganz niedrig. Nur der Krankenhausarzt in der Notaufnahme kann Sie wieder entlassen. Wir nehmen Sie jetzt mit.
– Mit? Wohin denn?
– Ins Heidbergkrankenhaus.
Ruckzuck schlossen sich die Türen und der Wagen fuhr an Richtung Heidberg. Den Weg kannte ich. Ich war dort angemeldet zu einer Augenoperation. Der Arzt neben mir im Wagen prüfte noch etliches in meinem oberen Bereich unter meinem Pullover und dann waren wir angelangt. Meine Tasche mit Portemonnaie und Jacke waren auch mitgekommen.
Der Weg aus dem Auto durch die frische Luft machte mich ganz munter und frierend. Als daher der diensthabende Krankenhausarzt erschien und mich freundlich fragte: Wie geht es Ihnen?
antwortete ich prompt: Vor allem fehlt mir ein trockenes Handtuch und ein Fön.
Herr Doktor schaute leicht erstaunt oder verkniff er sich ein Lächeln, als er antwortete: Das haben wir hier aber nicht. Dazu sollten Sie nach Hause fahren.
- Man ließ mich ja nicht
, sagte ich, und musste mich unbedingt hierher zu Ihnen ins Krankenhaus fahren.
Der Arzt studierte das mitgekommene Papier, eine Blutdruckmessung war gerade im Auto erfolgt - es schien wohl nichts Besorgniserregendes vorzuliegen.
Ja dann - müssen Sie unterschreiben, dass Sie auf eigenen Wunsch nach Hause wollen.
Ich wollte und unterschrieb.
Und dann hatte ich das Glück, auf eine echte Fachfrau zu treffen.
Die Krankenschwester in der Aufnahmeabteilung des Heidberg hatte vor zwanzig Jahren mal eine Friseurlehre abgeschlossen.
Und sie sagte zu mir:
Fahren Sie jetzt nicht nach Hause, sondern zurück zum Friseur und lassen Sie sich den Ammoniak gründlich aus den Haaren spülen! Sie stinken ja immer noch danach. Und verzichten Sie in Zukunft auf Dauerwellen! Wenn Sie aber unbedingt eine haben wollen, dann nur ohne Ammoniak. Und hier haben Sie ein trockenes Handtuch!
Es dauerte dann fast noch eine Viertelstunde, ehe ein Taxifahrer aufkreuzte, um mich zurückzufahren. Da ich seinen staunenden Blick auf meinen exotischen weißen Turban bemerkte, erklärte ich, dass die Haare darunter noch nass seien und berichtet kurz den Grund für den ungewöhnlichen Zustand. Er lachte: Na, das wird dann ja wohl garantiert die teuerste Dauerwelle ihres Lebens werden
- und kassierte beim Abschied zwölf Euro von mir.
Im Frisiersalon angekommen, erklärte ich munter: So, da bin ich wieder! Die Krankenschwester in der Aufnahme sagte, dass Sie mir schleunigst den Rest Ammoniak aus den Haaren spülen sollen. Und ich soll das Zeugs nie wieder in meinen Haaren dulden!
Aber
, sagte die Saloninhaberin, bisher haben Sie das doch immer vertragen?!
- Aber
, sagte ich, bisher war ich auch noch nie neunzig Jahre alt!
Warum ich dies schreibe?
Aus Ersparnisgründen - weil ich unser hoch strapaziertes, überschuldetes Gesundheitssystem entlasten möchte, wenn ich Ihnen den weisen Rat der verständnisvollen netten Krankenschwester aus der Heidbergaufnahme weitergebe.
Sie entlasten damit unser Gesundheitssystem nicht um 8,50 €, sondern um glatt das Hundertfache, um den Betrag, der das Monatsgehalt einer einfachen Rentnerin beträgt. Meine Weitergabe ist kostenlos, KLAR?