Abenteuer Arktis
20. August 2012, das Thermometer in Hamburg kletterte auf 30 Grad Celsius, als wir, mein Mann Rolf und ich, uns auf den Weg in die Arktis machten. Vorsorglich packten wir unsere warmen Anoraks nicht in den Koffer, sondern trugen sie schon mal überm Arm, denn in Spitzbergen (Svalbard in Norwegisch) sollten die Temperaturen um null Grad sein. Die Flugroute führte uns von Hamburg nach Frankfurt und weiter über Oslo nach Longyearbyen, der Hauptstadt Spitzbergens.
Gegen Mitternacht landeten wir in Longyearbyen, auf dem nördlichsten Flughafen der Welt mit regulären Linienflügen. Longyearbyen wurde 1905 von dem US-Unternehmer John Munroe Longyear als Bergarbeiterstadt gegründet. In der Flughalle das übliche Warten am Gepäckband. Unser erster Koffer kam sehr schnell, es war der kleinere mit den Wanderschuhen und Kulturtaschen. Nun fehlte noch das große Gepäckstück mit der warmen Kleidung und mit Rolfs Teleobjektiv sowie unserem Fernglas. Die ersten Reisenden verließen bereits mit Gepäck das Gebäude, während Rolf und ich noch warteten. Nur vereinzelt kamen noch Koffer und dann wurde das Band plötzlich abgeschaltet. Wir standen inzwischen ganz allein in der Halle und waren ratlos. Zum Glück schaute der Reiseleiter nach uns. Wir sollten die Ruhe bewahren, morgen kommt wieder eine Maschine aus Oslo, die bringt sicher unseren Koffer mit. Nachdem wir das Formular für Verlorengegangenes ausgefüllt hatten, händigte man uns zwei Kulturbeutel und zwei riesengroße T-Shirts für die Nacht aus.
Alle Mitreisenden warteten schon im Bus, der uns zum Hotel bringen sollte. Es war Mitternacht und taghell, ganz ungewohnt. Aber hier geht die Sonne im August nicht unter. Vier Monate im Jahr wird es nie dunkel und vier Monate nie hell, dazwischen gibt es Übergangszeiten.
Den ersten Eindruck von der Landschaft bekamen wir auf der Fahrt zum Hotel. Kein Baum, kein Strauch, nur Flechten und Moose bedeckten den Boden.
An den Wohngebäuden fiel auf, dass einige Fenster mit Silberfolien verklebt waren. Die Bewohner brauchten die Verdunkelungen, um in der hellen Zeit besser schlafen zu können. Autos sahen wir nur wenige, dafür parkten überall Schneemobile an den Häusern. Rings um den Ort an den Bergen befanden sich noch viele Bauten, Aufzüge und Reste von Seilaufzügen sowie Geräte, die vom Kohleabbau zeugten. Longyearbyen hatte etwa 1.800 Einwohner. Davon sehr viele junge Leute, die am norwegischen Polarinstitut studierten und für ein bis zwei Semester blieben.
Im Hotel angekommen, mussten wir zuerst unsere Schuhe ausziehen, im Vorraum standen reichlich Pantoffeln für uns bereit und ein Regal für unsere Schuhe. Es folgte eine kurze und ungewohnt helle Nacht.
Am nächsten Morgen machten wir uns nach dem reichhaltigen Frühstück und vor dem offiziellen Reiseprogramm auf einen kleinen Spaziergang durch den Ort. Trotz des warmen Anoraks war mir kalt. Meine dünne Jeans war eben nicht für diese Temperatur von drei Grad geeignet. Also kaufte ich mir im Sportladen erst mal Leggins zum Unterziehen.
Im Svalbard-Museum, wo uns ein ausgestopfter lebensgroßer Eisbär empfing, und in der Svalbard-Galerie wurden natürlich auch die Schuhe ausgezogen und Pantoffeln getragen.
Das Museum präsentierte eine abwechslungsreiche Sammlung, die Einblick in die Geschichte Svalbards zeigte, von der Entdeckung der Inselgruppe, über die Zeit des Walfangs und den vielen Expeditionen, natürlich auch über Flora und Fauna.
In der Galerie konnten wir Bilder von Künstlern bewundern, die sich in ihrer Arbeit von der Natur, dem Licht, dem Farbenspiel und den Kontrasten Svalbards inspirieren ließen. Ich hätte so gerne einige Werke fotografiert, als Anregung für eigene Bilder, aber fotografieren war nicht erlaubt.
Die anschließende Bus-Rundfahrt fand ohne uns statt, denn unser Koffer war auch am nächsten Tag nicht mit der Maschine aus Oslo gekommen und wir brauchten warme Kleidung für die anschließende Schiffsreise. Eine Stunde blieb uns für die Einkäufe. Nicht alle Sachen, die wir anprobierten, passten perfekt, aber aus Zeitmangel mussten wir sie trotzdem nehmen. In Spitzbergen war alles mindestens doppelt so teuer wie bei uns. In der einen Stunde hatten wir über 1.300 Euro ausgegeben. Diesen Betrag erstattete Lufthansa uns später.
Ein Taxi brachte uns zu unserem Schiff, der MS Nordstjernen. Unser kleiner Koffer war schon da und wir gingen mit unserer neu erworbenen Kleidung mit Plastiktüten an Bord.
Unsere Außenkabine hatte Etagenbetten, wie fast alle anderen auch, und war winzig klein. Nur ein schmaler Schrank, ein Tischchen und ein Stuhl waren vorhanden. Das Bad bestand eigentlich nur aus der Duschwanne, in der das WC stand, und einem kleinen Waschbecken. Man stand also immer in der Dusche egal ob man sich die Hände wusch, duschte oder die Toilette benutzte.
Die MS Nordstjernen ist ein altes, denkmalgeschütztes Schiff, gebaut 1956 in Hamburg bei Blohm und Voss. Im Jahr 2000 wurde es für Arktis-Reisen modernisiert. Wir waren 90 Passagiere an Bord, überwiegend Deutsche und Skandinavier und etwa genauso viel Besatzung. Es sollte die letzte Reise des Schiffs sein. Später in Norwegen begleitete uns fast ständig ein Boot mit einem Filmteam, das die letzte Reise festhielt. Die Aufnahmen konnten wir uns zu Hause im Internet anschauen.
Wie wir später aus dem Netz erfuhren, war es letztendlich dann doch nicht die letzte Reise. Das Schiff wurde verkauft, wieder renoviert und fuhr weiterhin Arktistouren. Ende 2024, also zwölf Jahre später, haben wir ein besonderes Angebot von Hurtigruten für Die letzte Fahrt der Nordstjernen in 2025
erhalten.
Das Restaurant auf dem Schiff war recht klein, wir mussten in zwei Gruppen essen. Abends gab es ein reichhaltiges Menü. Morgens und mittags bedienten wir uns am Büfett. Das Essen war ausgezeichnet, besonders die vielen Fischköstlichkeiten.
Zur Begrüßung bekam jeder einen Spitzbergen-Thermobecher, der während der ganzen Reise unser Gefäß für Kaffee oder Tee war. Zu den Mahlzeiten brachte man den Becher mit, und zu anderen Zeiten konnte man sich jederzeit Tee oder Kaffee kostenlos holen.
Am ersten Abend legte das Schiff in Barentsburg am Isfjord an, einer russischen Polarstation und Bergarbeitersiedlung mit einem russischen Konsulat. Der zweitgrößte Ort der Insel, hier wohnten hauptsächlich russische und ukrainische Bergarbeiter. Der Ort hatte nur noch 400 Einwohner, früher waren es einmal 1.400, denn der Kohleabbau war total zurückgegangen.
Eine junge Russin führte uns durch Barentsburg, ihr Englisch war leider schlecht zu verstehen. Der Ort kam uns sehr verlassen vor, viele Bereiche wie das leere Schwimmbad, Kindergarten und Schule wurden ebenfalls nicht mehr genutzt. Das Postamt und das Konsulat waren aber in Betrieb, hier durften wir mal reinschauen.
Am nächsten Tag erreichten wir den Magdalenen Fjord, der acht km lang und fünf km breit ist und eine beeindruckende Landschaft mit vielen Gletschern und Eisbergen hat. Hier war im 17. und 18. Jahrhundert das Zentrum des Walfangs. In Schlauchbooten wurden wir ausgebootet und konnten am Strand, dort wo früher die Wale ausgeschlachtet wurden, spazieren. Die Reiseleiter und Begleiter trugen Gewehre, aus Sicherheitsgründen, falls uns Eisbären überraschten. Eisbären haben wir hier nicht gesehen, aber deren Spuren. Ein Polarfuchs lief an uns vorbei und viele Weißwangengänse waren zu sehen.
Als von der Besatzung ein großes Paket an den flachen Strand geworfen wurde, fragte ich nach, was wohl darin ist. Handtücher
war die Antwort. Das hatte ich erst für einen Scherz gehalten, aber es war keiner. Hier an dem flachen Strand war die Möglichkeit zu baden. Ein deutscher Passagier ging tatsächlich in das drei Grad kalte Wasser. Er kam schnell zurück, aber nur, weil er vergessen hatte, irgendjemanden seine Kamera zu geben, damit seine Mutprobe auch fotografisch festgehalten wurde. Allein beim Zuschauen fror ich.
Die nächste Station mit der Nordstjernen war die Insel Moffen. Kurz vorher überquerten wir den 80. Breitengrad. (zur Info: der Polarkreis ist auf dem 66. Breitengrad) Hier erhielten wir eine Urkunde, die bestätigt, dass wir den 80. Breitengrad Nord überschritten hatten. Die Besatzung stimmte ein Lied für uns an und wir stießen mit Sekt an.
Die Insel Moffen war und ist Rückzugsgebiet für Walrosse, die sich zu Hunderten auf der flachen Insel aufhielten und sich teilweise mit ihren mächtigen Körpern in das Wasser fallen ließen. Die kleine, unbebaute Insel ist Naturschutzgebiet und darf nicht betreten werden.
Der nächste Stopp war im Kongsfjorden – eine Landschaft von einzigartiger Schönheit mit gewaltigen Gletschern. Die drei sehenswerten Berge, die Drei Kronen
, sind alle über 1.000 Meter hoch. Wer ein gutes Fernglas hatte, konnte während der Fahrt Eisbären entdecken. Mitreisende ließen uns durch ihr Fernglas schauen, unseres war ja leider im verloren gegangenen Koffer.
Anschließend besichtigten wir die nördlichste, ständig besetzte arktische Forschungsstation Ny Ålesund. Das erste Gebäude wurde hier 1901 von einer Steinkohlegesellschaft errichtet und 1916 entstand der Ort. Hier lebten zwischen 30 Personen im Winter und etwa 120 Personen im Sommer. Da es keine ausgebauten Wege zwischen den Orten auf Spitzbergen gibt, erfolgt die Versorgung entweder auf dem Luftweg oder in der eisfreien Zeit per Schiff.
Ein Denkmal in Form eines übergroßen Kopfes erinnert an den Polarforscher Roald Amundsen. Er zählt zu den ersten Menschen, die am Nordpol waren, und startete von hier aus. Wir sollten uns in der Nähe der Reiseleiter aufhalten, die auch hier mit Gewehren ausgestattet waren.
Ny Ålesund besitzt das nördlichste Postamt der Welt. Hier musste ich unbedingt Karten für unsere Söhne einstecken. Der kleine Laden, in dem es überwiegend Souvenirs gab, war sehenswert. Wir kauften alle auf Strumpfsocken ein, denn die Schuhe musste man im Vorraum lassen. Irgendwie sah es lustig aus, alle hatten dicke Anoraks an, aber keine Schuhe an den Füßen.
Abends nahm die Nordstjernen Kurs auf Bjørnøya, die zu Norwegen gehörende Bäreninsel, die in der Barentssee zwischen Spitzbergen und dem Nordkap liegt. Hier gab es früher Eisbären. Die Insel wurde zur Walrossjagd und für den Walfang genutzt, aber auch Kohle wurde hier abgebaut.
Unterwegs erreichte uns ein kleines Boot, das Gepäck an Bord hatte. Überraschung, unser Koffer war dabei. Auf dem Gepäckaufkleber stand Hamburg 21. 8., wir sind aber am 20. 8. ab Hamburg geflogen. Kein Wunder, dass er nicht rechtzeitig da war. Nun hatten wir endlich alle unsere Sachen. Das Teleobjektiv kam leider zu spät für die Eisbären und Walrosse, die wir vom Schiff hätten fotografieren können.
In der Nacht auf dem Weg zum Nordkap überraschte uns ein ordentlicher Sturm. Das kleine Schiff schaukelte sehr und mir wurde im Bett etwas übel. Also zog ich mich an und ging in die Lounge, wo sich noch ein Passagier aufhielt. Aber hier war es auch unheimlich, denn bei dem Seegang flogen Stühle und Bücher im Raum herum. Sicher fühlte ich mich nicht, auch wenn die Bänke festgeschraubt waren und nicht umkippen konnten.
Am nächsten Morgen hatte sich das Wetter zum Glück beruhigt, denn wir hatten einen Seetag vor uns. Nach 36 Stunden Fahrt von Ny Ålesund erreichten wir am übernächsten Morgen das Nordkap.
Die nächsten neun Tage ging die Schiffsroute über viele Stationen entlang der norwegischen Küste bis Bergen, wo wir in einem Hotel übernachteten. Einen Tag hatten wir Zeit, die Stadt zu erkunden. Dann ging es per Flugzeug zurück nach Hamburg.