Heute vor 80 Jahren: Der Horror von Dresden
Kapitel 1
Luftangriffe auf meine liebe Stadt
Bomben fallen auf meine liebe Stadt. Mit dem Aufschreiben von Erinnerungen, an Spuren daran aus meiner Kinderzeit, die mit unserer Ankunft in Dresden 1953 einsetzen, beginne ich am 13. Februar 2025, vormittags kurz vor 10 Uhr. Vor heute genau 80 Jahren war es ein Faschingsdienstag. Bis zum Heulen der Sirenen, die um 21.45 Uhr den 175. Fliegeralarm über der Stadt auslösten, werden noch etwa zwölf Stunden vergehen …
Am 13. Februar 1945 um 22.03 Uhr platzierten Lancaster-Bomber die Zielmarkierungen, ab 22.09 Uhr fielen die ersten Bomben. Bis zum Ende dieser ersten Welle um 22.28 Uhr waren bereits drei Viertel der Dresdner Altstadt in Brand gesetzt worden. Der anschließende Nachtangriff dauerte von 1.23 bis 1.54 Uhr. Es folgten, jeweils über die Mittagszeit, am 14. und 15. Februar zwei Tagesangriffe, am 2. März und am 17. April zwei weitere, die letzten. Eine Historikerkommission veranschlagte bis zu 25.000 Tote, die dem Horror zum Opfer fielen. Fast 80 Prozent des Wohnungsbestandes waren zerstört und die meisten Kulturdenkmale. Bis die Katastrophe sich entlud, hatte niemand mit einem solchen Horror wirklich gerechnet. Von Erich Kästner stammt der Satz: Den Untergang dieser Stadt schien sich der Satan als etwas Besonderes bis zum Schluss aufgehoben zu haben.
Ich erinnere mich, wie ich als Kind verschiedentlich mit den Folgen des Horrors in Beziehung gekommen bin. 1953 also waren wir – meine Eltern, mein 1951 geborener Bruder Thomas und ich, 1950 geboren – von Görlitz nach Dresden gezogen. Unser Vater hatte am Schauspielhaus eine Dramaturgenstelle angetreten. Unsere Wohnung befand sich in der Dr.-Conert-Straße 27 (seit 1991 wieder Theresienstraße 27) in der Dresdner Neustadt am Rande der schönen Barockbebauung, welche die Angriffe großenteils überstanden hatte. Architektonisch ist das dreigeschossige, mit straßenseitigen Balkonen ausgestattete Gebäude den Jahren vor 1930 zuzuordnen. Beziehungsvoll: Dr. Herbert Conert (1886-1946) hatte als Stadtbaurat den Plan für den Wieder- und Neuaufbau von Dresden erarbeitet, der allerdings zahlreiche Planungen der NS-Zeit aufnahm. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört (ich war vier oder fünf): Mutti und unsere Omi mütterlicherseits, die zu Besuch aus dem Westen, aus Waldsassen in der Oberpfalz, angereist war, schauen mit mir aus dem Küchenfenster im zweiten Stock hinüber in das Richtung Platz der Befreiung (heute wieder Albertplatz) gelegene Grundstück Nr. 29; auf eine Kriegsruine. Sie wird gerade abgetragen. Um die gespenstischen Mauerreste in der Höhe geschlungene Drahtseile reißen Trümmerteile in die Tiefe. Das war kolossal aufregend! Das Krachen, der Schutt! Ob die legendären Trümmerfrauen an der Ruine zugange waren, ziegelputzend, weiß ich nicht mehr. Große Steinplatten waren am Grundstücksrand aufgestapelt worden, und auch das habe ich nicht beobachten können, oder mir nicht gemerkt, aber diese Stapel bildeten kurze Zeit später eine wackelige Klettergelegenheit für uns Brüder.
Denn das von Trümmern geräumte leere
Grundstück nebenan wurde unser Spielplatz, unser Garten
, und blieb es noch, als wir schon lange auf den Altmarkt, Hausnummer 13, umgezogen waren und nur noch manche Sommertage hier verbrachten. Manchmal in einem einschlägig bemalten Indianerzelt
, das wohl noch aus der väterlichen Kinderzeit in Görlitz stammte. Ein Pächter bewirtschaftete das Grundstück. Er hatte seinen Pausenort in einer stehengebliebenen oder wiedererrichteten Laube, wo er uns morgens gelegentlich von seinem köstlichen süßen und kalten Muckefuck zu trinken abgab. Neidisch waren wir auf seine bunten Blumenbeete. So etwas wollten wir auch haben! Wir knipsten also etliche davon über der Krume ab und steckten sie in unser dafür vorbereitetes Feld
. Einen Krach gab das! Mutti musste es richten – und tat es wohl auch in ihrer couragierten Art. Mit ihr hatten wir allerdings auch eines Tages ein Problem
: Sie reagierte partout nicht auf unser lautes Mama!
-Rufen, und dabei stand sie doch am Küchenfenster, sah zu uns herüber und herunter und musste es gehört haben! Wir riefen zu zweit so laut wir konnten, ängstlich und schließlich ratlos. Und was war die Aufklärung, die sie uns oben bot? Ihr sollt mich nicht mehr
Mama
rufen, sondern Mutti
!
Mit der Außenwelt jenseits des eisernen Gartenzauns zur Straße traten wir häufig mit dem Gaslaternenmann in Verbindung, der sein Fahrrad auf dem Fußweg abstellte, die Laterne mit seiner langen Stange auslöschte und uns manchmal von seinem Frühstücksbrot kosten ließ. Den Schlüssel zum Gartentor, den ich als der Größere von uns beiden an einem Bindfaden um den Hals trug, besitze ich noch. Mutti überließ ihn mir zu meinem Geburtstag am 16. April 1992, eingelegt in eine Schachtel, die sie mit Grosser Schlüssel zum kleinen Kinderparadies
beschrieben hatte, daneben hatte sie einen rollschuhfahrenden Teddybär aufgeklebt, der mit einem Blumenstrauß in der Hand und wehendem gelben Schal heraneilt.
Mutti war irgendwann auf den Februar-Horror in Dresden zu sprechen gekommen: Man habe am Horizont von Penzig aus, wo sie mit ihrer Familie als junge Frau bis zu ihrer Flucht vor den Sowjets lebte, den Feuerschein über der Stadt erkennen können. Penzig, im heutigen Polen, liegt wenige Kilometer von Görlitz entfernt. Es ist dokumentiert, dass der Widerschein der brennenden Stadt nach der zweiten Angriffswelle aus einer Entfernung von 320 Kilometer gesehen werden konnte, und die Erschütterungen waren noch 70 Kilometer entfernt zu spüren …