Amüsantes, Interessantes, ungern Genanntes
Auch zu der Wohnung meiner Eltern aus dem Jahre 1937, erbaut um 1896, gehörte im Keller eine Waschküche ohne elektrisches Licht, das Wasser kam aus einer Pumpe, die in höchsten Tönen quietschte, wie ein hungriges Ferkel auf einem Gutshof! In einem für mich viel zu großen Herd war ein riesiger Wasserkessel und an den Wänden hingen zwei Rubbelbretter, auch Waschbretter genannt, dazu kamen ein Holzbottich und eine Zinkwanne, in der ich immer geschruppt wurde, wenn ich verdreckt vom Spielen kam. Dabei schaute ich durch ein kleines Fenster auf die Schuhe der über das Gitter stolpernden Passanten. Ein Badezimmer kannten wir nicht. Einmal im Monat, an einem Donnerstag war Waschtag. Martha, eine Perle von Waschfrau, erschien bereits am Mittwoch, um die Wäsche einzuweichen und Feuer in den Waschherd zu legen, denn sie brauchte am nächsten Morgen die Glut. Am Donnerstag hallte das Klappern ihrer Holzpantinen, zu denen sie dicke handgestrickte Wollsocken trug, durch den Keller und Marthas Dutt, der mit einer großen Haarnadel zusammengehalten wurde, rutschte zum Rhythmus der Rubbelbewegungen am Waschbrett immer hin und her. Durch die Wohnung zog dann ein süßlicher, kümmelhaltiger Kohlgeruch, denn Wirsingkohl mit viel Kümmel war Marthas Leibgericht. Zum Leidwesen der lieben Mama kochte ihre liebe Freundin Mutter Jaekel
ausgerechnet am Waschtag in ihrer Gaststätte immer Wirsingkohl und ich musste einen großen Topf mit Kohlsuppe holen, wenn Martha beim Rubbeln war. Das einzige, was Martha mit der Köchin verband war, dass beide schwitzten und mit einer großen Holzkelle Wäsche und Suppe in ihren Küchen umrührten und Schweißtropfen in beider Kessel fielen! Als ich Mutter Jaekeln
mal darauf ansprach, sagte sie, das ist unser bestes Gewürz
.
Zwei Brandnarben am rechten Knie erinnern mich noch heute als dreiundsiebzig Jahre alter Mann an einen dieser Waschtage. Sah Mutter diese Narben später, hörte ich immer wieder die gleiche Situationsbeschreibung. Mutter erzählte dann, im November 1937 ging Großmutter mit mir zu Martha in den Keller. Martha hatte die Zinkwanne mit heißer Waschlauge auf dem Fußboden stehen. Ich soll Baden
geschrieen haben und wollte in die Wanne springen. Martha sprang zu, riss mich zurück und meine Großmutter fiel in Ohnmacht (Mutters Kommentar: … meine Schwiegermutter war immer eine gute Schauspielerin!
), dabei fiel die Wanne nach links und das kochend heiße Wasser lief über mein rechtes Knie. Erinnern kann ich mich nur an die Schmerzen, große Blasen und mein Hinken. Ich soll kein Wort gesprochen haben und ließ mich verwöhnen, Hausarzt und Familie sollen hilflos gewesen sein!
An Weihnachten 1937 kann ich mich aber noch genau erinnern. Unter dem Tannenbaum stand ein weißes Dreirad. Ich rief Rad
, vergaß das Humpeln, drehte einige Runden um den Esszimmertisch und landete mit Karacho in den Tannenbaum, der mich über einen Klubsessel liegend mit all dem Talmi und den Elektrokerzen halb bedeckte. Vater rief Emma: Komm schnell, der Bengel is gesund, er hat den Boom umgefahren!
Großmutter löste Mutter in der Küche ab, die gerade den Christkohl mit Kochwurst auf den neuen Elektroherd aufsetzen wollte, jedoch das Schalten vergaß. Glückliche Eltern rasten mit mir durch die Wohnung. Aus der Küche roch es nach Rauch, da man in unserem geliebten Schwerinchen
1937 bis auf einige Ausnahmen, immer noch Kohleöfen, Kohleherde benutzte. Natürlich gab es auch dünnstrahlige Wasserhähne und auf dem Hof ein Partermang
als fortschrittliches Kulturgut - das war damals die elegante Version für Abtritt oder schlicht Plumpsklo! Partermang
ist ein verballhornter Begriff aus der Franzosenzeit und heißt eigentlich Apartment
.
Wahrend unser Apartment weiß gekalkt war, befanden sich bei Mutter Jaekeln
zwei Apartments, welche tapeziert waren, und zwar mit Geldscheinen aus der Kaiserzeit! Heute, wo Geschichte zu meinem Studienfach auf der Uni in Hamburg gehört, bezeichne ich dies als eine Metapher auf die Vergänglichkeit des Geldes.
Meinem Urgroßvater gehörte das Mühlengut Seydlitz bei Landsberg, meine Großmutter war ein Blaustrumpf, sie ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Berlin und lernte das Putzmacherhandwerk. Als Putzmacherin machte sie sich in Schwerin selbstständig und Mutter Jaekeln
war ihr erster Lehrling. Die Hüte meiner Großmutter sollen - so erzählte man es mir in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts - die reinsten Blumengärten gewesen sein! Mutter Jaekeln
, die mich Schleppschuh nannte, zeigte mir einmal so eine Dohle
von meinem Ömiken, die zwar die Köpfe der Damen unserer Kleinstadt-Society zum Fünfuhrtee im Konzerthaus Vedder verschönte, aber keinen Elektroherd kannte.
Sie nahm deshalb von dem Kienholz, welches Martha zum Anheizen der Öfen brauchte, um in den Bräter des Elektroherdes Feuer für den Christkohl zu machen, den Wrasenöffner hatte sie nicht aufgedreht, wodurch das Feuer erstickte, wie Mutter berichtete. Der Abend endete nach der Christmette bei Mutter Jaekeln
im Klubzimmer, wo ich selig auf ihren Schoß eingeschlafen sein soll. Mein Fahrrad hatte immer einen Ehrenplatz in meinem Zimmer, bis auf den Tag, an dem ich meinen ersten persönlichen Anruf aus Berlin von meinem Onkel bekam, der mich bat, ihm mein Fahrrad zu schenken. Er bräuchte die Räder für den Kinderwagen meines gerade geborenen Cousins! Das war im März 1944.
Immer, wenn nach der Vertreibung auf unserem Kellerboden in einem alten Bauernhaus im Brandenburgischen der Kanonenofen mit dem frischen Torf qualmte, in der Waschküche nebenan die Großfamilie die Kochhexe wieder blockierte und der Rest unserer Familie bei Graupensuppe mit gehamsterter Fleischeinlage saß, begann Mutter die Ballade von meinen Narben! Dachte sie wirklich an meine Narben oder an ihren geliebten Christkohl, den sie so gerne aß? Ja, Mutter hatte selbst einmal in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine kleinen Christbaum und Christkohl in der Dose an meine Tante nach Australien geschickt. Der Dank der Aussies kam dann nach Ostern: der Christkohl hätte zu Ostern (!) gut geschmeckt, begeistert aber waren ihre Australischen Freunde von dem mit Tannennadeln geschmückten Ostertisch! Mutter hatte mir nie erzählt, dass sie dieses Paket mit einem Frachtschiff um Afrika herum geschickt hatte, es wär sicher auch schneller gegangen.
Weshalb es ein Schiff mit der längsten Strecke sein musste, dieses Geheimnis hat mir meine liebe Mutter nie vertraten!