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Die 50er - 70er Jahre

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Die 50er bis 70er Jahre, Nierentisch und Tütenlampe
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Chemiekasten Chemikus von KosmosKOSMOS Chemikus, Chemie-Experimentierkasten der 1960er Jahre mit Lehrbuch

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Thorsten Lange

Das Chemielabor im Keller

Neunzehnhundertdreiundsiebzig wurde ich 13 Jahre alt. Zwei, drei Monate vor meinem Geburtstag erzählte mir meine Mutter davon, dass die chemischen Elemente alle unterschiedliche Anzahlen von „Ärmchen“ hatten, damit fassten sie sich an, so entstünden die chemischen Verbindungen. Beispielsweise hätte der arme Wasserstoff nur einen Arm, deswegen brauche es zwei Wasserstoffatome (H), um ein ganz normal zweiarmiges Sauerstoffatom (O) anzufassen, und schon hätte man Wasser, (H2O).

Sauinteressant! Natürlich griff ich sofort zum einzigen in unserem Haushalt greifbaren „Chemiebuch“, dem Brockhaus von 1959, blätterte ihn auf der Suche nach chemischen Verbindungen und Formeln aufmerksam von ganz vorn bis nach ganz hinten durch, schrieb mir jede Formel auf und versuchte durch Hin- und Her probieren die Anzahl der Ärmchen jedes Elementes herauszubekommen.

Irgendwie stieß ich bei dieser angestrengten wie engagierten Arbeit immer wieder auf Widersprüche. Beispielsweise gab es SchwefeldioxidSchwefeldioxid (SO2) ist eine anorganische chemische Verbindung aus Schwefel und Sauerstoff sowie das Anhydrid der Schwefligen Säure (H2SO3). Schwefeldioxid ist als Molekül gewinkelt aufgebaut, die Atome werden kovalent durch Doppelbindungen zusammengehalten. Unter Normalbedingungen ist Schwefeldioxid ein farbloses, schleimhautreizendes, stechend riechendes und giftiges Gas., (SO2), und SchwefeltrioxidSchwefeltrioxid, SO3, ist das Anhydrid der Schwefelsäure. Es bildet bei Normbedingungen farblose, nadelförmige Kristalle, die äußerst hygroskopisch sind und sehr heftig (explosiv) mit Wasser reagieren., (SO3). Wenn der Sauerstoff zwei Ärmchen hatte, musste der Schwefel mal vier und mal sechs haben, das war doch irgendwie ein Widerspruch oder?

Aber das ließ sich lösen: Ich fuhr sowieso jeden Freitag mit der Alsternordbahn nach Garstedt, verbrachte Stunden in der Stadtbibliothek und kehrte mit drei oder vier großen Taschen voller Bücher zurück – Bücher aus der Erwachsenenbibliothek. Eigentlich durfte man bei weitem nicht so viele Bücher mitnehmen. Aber die Bibliothekarinnen kannten mich und meinen Lesehunger schon seit Jahren, wussten, dass ich gut mit den Büchern umging, und langsam hatten wir die offiziellen Grenzen immer weiter verschoben, bis nur noch meine Tragfähigkeit immer mehr Büchern im Wege stand. Damals war mein Traum stets, in einer Bibliothek zu leben – seit Jahren habe ich mir diesen Traum erfüllt und lebe, zum Kummer meiner Frau, mit etwa 2.000 Büchern zusammen. Jedenfalls schleppte ich in den kommenden Wochen und Monaten bergeweise Chemiebücher heran, bis ich die Bestände der Stadtbibliothek quasi auswendig gelernt hatte.

Zum Geburtstag bekam ich dann den kleinsten Kosmos-Chemiebaukasten, den „Chemikus“. Statt nun eines nach dem anderen der darin enthaltenen Experimente durchzuführen und dabei möglicherweise die Befürchtungen meiner Großmutter väterlicherseits zu erfüllen, „Chemie? Der Junge sprengt bestimmt noch das Haus auseinander!“, beschäftigte ich mich erst mal damit, herauszufinden, was man mit all' diesen Stoffen eigentlich anfangen konnte, statt sie in den beschriebenen Experimenten zu verschwenden, deren Ausgang mir längst klar war.

Doch schnell stellte ich fest: Die Chemikalien dieses Juniorkastens waren gezielt so „kindersicher“ ausgewählt, dass man über die beschriebenen Experimente hinaus damit nicht viel anfangen konnte. Natürlich wusste ich nach intensivem Bücherstudium auch längst, welche Chemikalien viel universeller nutzbar waren, und ging umgehend daran, meine Chemikaliensammlung zu erweitern. Zuerst wandte ich mich dafür an Apotheken. Dort konnte man allerhand bekommen und anhand der lateinischen Namen auf den Flaschen kannte ich bald die Vorräte aller Apotheken im näheren Umkreis.

Allerdings bemerkte auch ein Apotheker nach dem anderen, dass ich am Aufbau einer größeren Chemikaliensammlung war, und verlangte eine schriftliche Zustimmung meiner Mutter. Das bedeutete aber, ich musste erst mal für meine Mutter sämtliche verfügbaren Beschreibungen der ersehnten Chemikalie zusammensuchen – natürlich keinesfalls welche, die sie unnötigerweise in zu gefährlichem Licht dastehen ließen! Nach deren Lektüre gab es des Öfteren „Diskussionen“, kurz, die Chemikalienbeschaffung wurde nicht einfacher.

Mittlerweile hatte ich mich auch mit Peter L. angefreundet, der sich ebenfalls und schon länger als ich brennend für Chemie interessierte. Öfter trafen wir uns nach der Schule, tauschten Chemikalien und Tipps über neue „Quellen“ aus, führten manchmal auch gemeinsame Experimente durch.

Peters Vater hatte ihm ein kleines Chemielabor in einem Nebenraum eingerichtet: Der Tisch besaß eine reine Asbestplatte als Abdeckung, das war chemisch und thermisch quasi unzerstörbar. Okay, nicht sehr gesund, aber wir wollten die Platte ja weder einatmen noch essen. Außerdem hatte er seinem Sohn einen alten Staubsauger zu einem Abzug umgebaut, der den ganzen „giftigen Kram“ direkt durch ein Loch in der Wand nach draußen blies.

Ich selbst hatte mittlerweile auch ein kleines Labor im Keller: Auf dem Betonfußboden stand ein alter, stabiler Eichentisch, dahinter an der Wand ein selbstgebautes und -lackiertes Regal für meine Chemikalien. Deren Anzahl vergrößerte sich nicht nur durch Ankauf ständig, ich war auch bestrebt, im Rahmen meiner Experimente neue Chemikalien herzustellen, die „präparative Chemie“ hatte es mir also besonders angetan, denn dadurch verbrauchten sich die Chemikalien im Grunde nicht, sie wurden ja nur in neue umgewandelt.

Aber ich habe den Faden verloren, wir waren bei meinem Labor: Auf dem Tisch lag leider nicht wie bei Peter eine Asbestplatte, ich hatte „nur“ eine aus Eternit, das waren zementgebundene Asbestfasern, damals war das Material noch nicht europaweit krebsgefährlich und verboten. Anders als Peters Asbest saugte es Verschüttetes nicht einfach auf, sondern fing bei verschütteten Säuren kräftig an zu schäumen – danach war dann oberflächlich der Zement zerstört und die für die Lunge gefährlichen Fasern flogen einfach davon, also kein Problem.

Aber die Platte lag auch nicht von Beginn an da, sondern wurde mir als Feuerschutz erst nach dem Kellerbrand gestiftet. Von dem ich den ganzen Umfang den Erwachsenen erst Jahrzehnte später beichtete:

Der Chemikus enthielt als Wärmequelle einen gläsernen Spiritusbrenner. Ich wollte Aluminiumsulfid herstellen. Dafür mischt man in einem Porzellantiegel Aluminiumpulver in geeignetem Verhältnis (lässt sich ausrechnen) innig mit Schwefelpulver und erwärmt, bis die Reaktion beginnt: Dann glüht das Gemisch durch und reagiert so zu Aluminiumsulfid.

Der Tiegel stand auf einem Drahtnetz mit Asbesteinsatz, das seinerseits auf einem Dreifuß stand, darunter der frisch mit Brennspiritus gefüllte, gläserne Spiritusbrenner – schließlich sollte mir nicht mitten im Experiment der Brennstoff ausgehen.

Ich heizte los. Nach einem Weilchen begann die recht heftige Reaktion. Dabei flogen auch ein paar wenige, recht harmlose Funken durch die Luft.

Leider aber nahm einer der Funken den Weg aus dem Tiegel um das Drahtnetz mit Asbesteinsatz herum bis auf den gläsernen Spiritusbrenner – wo er sich in Ruhe festsetzte, um zu Ende zu reagieren. Der dickwandige Spiritusbrenner war nun im Inneren mit kaltem Spiritus konfrontiert und außen mit dem mehrere hundert Grad heißen, vor sich hinreagierenden Funken. Bevor ich irgendwie hätte reagieren können, reagierte der Brenner: Mit einen leichten Knall zersprang sein Glas in mehrere Teile, der Spiritus verbreitete sich über den ganzen Tisch und in einer letzten Tat auf dieser Welt setzte der Spiritusbrenner den freigesetzten Spiritus in Brand.

Auf dem Tisch loderte es bis zu einem halben Meter hoch. Ich war zwar erst 13, aber allein zu Haus – entweder ich löschte das Desaster oder andere kämen zu spät.

Also versuchte ich die Flammen mit einer Decke zu ersticken. Aber der Tisch war ein Ausziehtisch, er hatte einen Spalt in Tischmitte, dadurch tropfte die brennende Flüssigkeit auf den Fußboden und es brannte auch dort. Ich versuchte den Fußboden mit der Decke zu löschen, doch der Fußboden hatte mittlerweile den Tisch wieder entzündet und von dort tropfte es wieder brennend herunter. Zudem hatte sich die Decke mittlerweile derart mit Brennspiritus vollgesogen, dass sie nun auch zu brennen begann. Nüchterne Analyse zeigte: Ich brauchte einen anderen Plan!

Zum Glück neige ich nicht wirklich zu Panik. Ich warf die Wolldecke in etwas Entfernung auf den Betonfußboden, ein paar Tritte, sie war gelöscht – ein Problem weniger.

Zurück zum Tisch. Die Eiche war massiv, die würde nicht so schnell zu brennen beginnen. Und selbst wenn, traute ich mir zu, das wieder zu löschen, wenn nur der verflixte Brennspiritus erst abgebrannt war – der Tisch war also kein ernstes Problem, auch wenn ich sicherlich irgendwann würde erklären müssen, was ihm widerfahren war.

Der Betonfußboden – naja, nicht ohne Grund hieß es damals in einschlägigen Kreisen „schade, dass Beton nicht brennt!“, der Beton war also auch nicht das Problem.

Es gab aber andere Schwierigkeiten, und das war ernst: Hinter, teils sogar über dem Tisch stand mein Chemikalienregal. Und darin befanden sich so gefährliche Chemikalien wie Äthyläther – wenn der zu warm würde, könnte es zur Explosion kommen, dann hätte ich echten Ärger.

Also zerrte ich den schweren, brennenden Eichentisch ein gutes Stück vom Chemikalienregal weg – und ließ dann den Brennspiritus in Ruhe kontrolliert abbrennen, schließlich war der Vorrat aus dem Spiritusbrenner endlich. Anschließend löschte ich noch ein paar glimmende Stellen des Tisches durch Ausdrücken, öffnete die Fenster und beobachtete alles noch etwa eine halbe Stunde, bis ich sicher war, dass nirgends wieder etwas aufflammte.

Aus dem Abstand von über einem halben Jahrhundert wundere ich mich, wie ruhig und überlegt ich damals zu Werke gegangen bin.

Leider – oder zu meinem Glück (nein, nicht wie der Leser an dieser Stelle denkt) – hatte meine Mutter sich geweigert, den Apotheken eine Zustimmung auszustellen, dass ich die konzentrierten Mineralsäuren Salz-, Schwefel- und Salpetersäure erstehen dürfe. Etwa eine Woche versuchte ich sie verzweifelt umzustimmen, schließlich verwendete etwa jede zweite Versuchsbeschreibung eine dieser Säuren – aber vergeblich, sie blieb hart, ich brauchte eine Alternative.

Die fand ich schließlich in dem alten Drogisten Ehrlichmann am Erlengang, der hinten in seiner schlauchförmigen Drogerie wahre Schätze hortete. Zum Glück war ich mit einssechsundachtzig für einen 13-jährigen ausgesprochen hoch aufgeschossen und wirkte dadurch viel älter. Und bekam so meine Mineralsäuren und diverse andere nirgends sonst erhältlichen Chemikalien – zu einem Bruchteil des Apothekenpreises.

Natürlich sah ich auch oft Chemikalien, wo andere sie nie vermutet hätten: Ein korrodierter Rest Walzblei – das Element Blei! Ein damals noch gelegentlich zu findender echter Stanniolverschluss einer Weinflasche: Das Element Zinn! Eine Dose „Unkraut-Ex“ – 85-prozentiges Natriumchlorat! Das ist ein starkes, vielseitig verwendbares Oxidationsmittel, man konnte es direkt verwenden oder durch Umkristallisieren weiter aufkonzentrieren.

Schon nicht aufkonzentriert brannte es im Gemisch mit Zucker, einmal entzündet, sehr spektakulär ab. Das wurde mir eines Tages bei meinem zweiten „Chemieunfall“ neben dem schon erwähnten Kellerbrand zum Verhängnis: Silvester wollte ich ausnahmsweise ein wenig Feuerwerk selbst produzieren – ausnahmsweise, denn mit dem Feuerwerk gingen ja wertvolle Chemikalien verloren. Dazu sammelte ich leer gebrannte Papphülsen alter Feuerwerkskörper – die waren ja sicher: Zum einen waren sie für Feuerwerk gedacht, zum anderen konnte sich in ihnen auch kein Druck mehr aufbauen, weil sie bereits an einem Ende offen waren.

Ich brannte einen meiner selbstgebastelten Feuerwerkskörper wunderschön ab, die Hülse vorsichtig in der Hand, bereit, sie sofort fallen zu lassen. Auch der zweite – ich war einfach begeistert! Beim dritten anfangs auch – bis der Pappboden durchbrannte und den Feuerstrahl direkt auf den Fingernagel meines kleinen linken Fingers lenkte, der ebenfalls sofort durchbrannte. Brandwunden schmerzen ohnedies sehr; dass Kochsalz als Reaktionsprodukt des Natriumchlorats direkt in die Wunde gestrahlt wurde, machte es nicht besser.

Kurios ist aus meiner Sicht, dass ich heute als 65-jähriger viele der Chemikalien nicht mehr legal erwerben oder besitzen könnte, die ich damals mit 13 besaß. Mir hat das zu sehr viel Verständnis in der Chemie verholfen, ich habe davon im Chemie-Leistungskurs bis zum Abitur und später noch im Beruf als Ingenieur gezehrt.


  • Autor: Thorsten Lange, 12. November 2025
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