Wenn ich groß bin, werde ich …
oder:
Mein Traumberuf
In Kriegzeiten, in denen die Männer fast alle an der Front kämpfen mussten, wurden die Frauen in vielen, damals typisch männlichen Berufen eingesetzt. So wurde die Schaffnerin geboren
.
Diese Frauen habe ich damals, als ungefähr zehnjähriges Mädchen, glühend bewundert und beneidet. So was wollte ich auch unbedingt werden, wenn ich erwachsen sein würde.
Sie trugen graue Uniformen, wobei das Schiffchen, das schick auf den Lockenköpfen saß und keck in die Stirn gezogen wurde, mir am besten gefiel. Aber am Tollsten fand ich an der Arbeit der Schaffnerin - wenn es von der Haltestelle los ging - dass sie mit elegantem Schwung auf das Trittbrett sprang und dem Fahrer an der Kurbel - die aber immer von einem Mann betätigt wurde, ein lautes und - wie ich fand - fröhliches Fertig
oder Abfahrt
zu rief.
Dann musste sie sich durch den meist vollen Wagen schlängeln und bei jedem Fahrgast kassieren. Sie trug zwei Taschen gekreuzt über der Schulter. An der Außenseite der einen Tasche, befanden sich röhrenförmige Fächer aus Metall, in denen die Geldstücke - sortiert nach Größe - gesteckt wurden, die aber mit einem kurzen Klicken mit den Fingern auch wieder heraussprangen. Diese Tätigkeit des Geldkassierens hatte mich total fasziniert.
Auch eine Zange zum Knipsen der Fahrscheine gehörte zum Inventar der Schaffnerin. Damals wurde der Schaffnerin ein Schlager gewidmet, mit folgendem Refrain:
Liebe, kleine Schaffnerin kling, kling, kling!
Sag’, wo fährt Dein Wagen hin? kling, kling, kling!
Liebe, kleine Schaffnerin, gern blieb ich im Wagen drin
Und ich küsste dann sehr galant,
Deine kleine entzückende, kleine berückende, fahrkartenzwickende Hand!
Etwa einen Kilometer von unserer Wohnung entfernt, in der PalmaillePalmaille: Angelegt wurde die Palmaille 1638, mitten im Dreißigjährigen Krieg, am Elbhang des holsteinischen Ortes Altona, der 1664 vom dänischen König die Stadtrechte verliehen bekam; damals lag die Palmaille noch außerhalb des bebauten Gebietes, in Richtung der Vogtei Ottensen., hatte ich den ausrangierten Wagen einer Straßenbahn entdeckt, der wohl durch die Bombardierung im Juli 1943 auf Hamburg nicht mehr fahrtüchtig war. In diesem Wagen konnte ich meinen Spieltrieb so richtig ausleben. Am Schönsten war das Aufspringen bei der imaginären Abfahrt!
Ich bin oft zu diesem Wagen hingegangen. Nie habe ich irgendeinem Menschen von dieser Straßenbahn erzählt, weil ich damals glaubte, man würde mein Spiel als 'doof' abtun. Nur meine Mutter wusste von meinem Traum, später einmal Schaffnerin zu werden.
Mein Berufswunsch hat sich noch oft verändert, von der Schaffnerin über die Verkäuferin bis hin zur Kindergärtnerin.
Als ich 1950 aus der Schule kam, sah es mit Arbeit ganz schlecht aus. Lehrstellen gab es nur für Leute mit Beziehungen und die hatte meine Mutter nicht. Und so musste ich erst einmal mit Arbeit in der Fabrik vorlieb nehmen.
So hat der Krieg noch lange nach seiner Beendigung das Schicksal der Menschen bestimmt!