So haben wir Anno
1938 gewohnt!
Als kleines Mädchen lebte ich mit meiner Mutter und meinen Großeltern in einer großen Vierzimmerwohnung. Für mich das Schönste an dieser Wohnung war der 7 m lange Korridor, auf dem man so herrlich spielen konnte. Ich habe auf diesem Flur meine Puppen spazieren gefahren, habe Ballspiele und Rollerfahrten gemacht. Von diesem Flur gingen sieben Türen ab. Natürlich eine auch in das Heiligtum Gute Stube
. Es war ein in meiner Erinnerung riesiger Raum mit einem wunderschönen Kachelofen in der einen Ecke und einer Flügeltür, hinter der sich das Schlafzimmer von meiner Mutter und mir befand. Diese beiden Zimmer hatten als einzige Räume Stuck an den Wänden, auch in der Mitte um die Lampe herum. Zu diesem Stuck gibt es eine etwas zweideutige Geschichte, auf die ich später noch zurückkommen möchte.
Die Gute Stube
war mit Möbeln von Oma und Opa eingerichtet. Da gab es unter anderem, einen Fantasieschrank, einen Spiegelschrank, einen sehr langen Ausziehtisch, ein Sofa, über dem das riesige Hochzeitsbild meiner Großeltern hing. Die Familienfeiern und vor allem Weihnachten in dieser Guten Stube
– die aber sonst kaum benutzt wurde – habe ich in bester Erinnerung. Mit das Schönste an Weihnachten war, wenn mein Großvater den Kachelofen anmachte.
Die Küche habe ich immer als beklemmend empfunden. Sie war lang und schmal und so hoch, dass da oben noch Omas ganze Große Wäsche
Platz zum Trocknen hatte.
Wenn Waschtag war und auch noch Tage danach, wurden die Mahlzeiten somit unter Bettwäsche, Handtüchern, Opas langen Unterhosen, sowie anderen Wäschestücken – man sprach auch von Leibwäsche
– abgehalten. Es war dann immer eine feuchte und klamme Luft in der Küche. Der Duft von der Wäsche vermischte sich mit dem Essengeruch. Ich hasste diese Waschtage, an dem es obendrein, wie ich fand, kein Essen gab, was mir schmeckte. Beim Wäschewaschen bat ich Oma immer meine Hilfe an. Für kurze Zeit, in der sie sich mit anderen Dingen beschäftigen musste, durfte ich an die Ruffel. Da hatte ich mir dann die kleinen zarten Finger wund geruffelt und trotzdem hat Oma zu meiner großen Enttäuschung, immer alles noch einmal nach gewaschen!
Was doch schön an dieser Küche war, war der große englische Herd mit einer Messingstange rundherum, die Opa täglich wie verrückt wienerte. Der Ofen selber wurde mit Ofenschwärze eingerieben, dann sah er aus wie neu und war das Glanzstück in unserer doch sehr einfach eingerichteten Küche.
In dieser schmalen und ungemütlichen Küche, wurden alle Malzeiten eingenommen – die Gute Stube
wurde geschont!!! Das war einfach zu der Zeit so! Es wäre wohl auch zu teuer
geworden, im Winter den großen Raum zu heizen. Aber komischer Weise tat sich im Sommer auch nicht viel in diesen Heiligen Hallen
Die einzige Wasserstelle in der ganzen Wohnung war der Handstein in der Küche. Man konnte darin aber kein Wasser sammeln, und so hat man sich während der Woche – gebadet wurde nur am Sonnabend – unter dem fließenden, kalten Wasser gewaschen. Wenn kein Erwachsener in der Nähe war, habe ich mich immer schnell vor dieser ungemütlichen Prozedur, die ich für völlig überflüssig hielt, gedrückt. Höchstens die Fingerspitzen und um Gottes Willen bloß nicht den Hals! Diese Katzenwäsche nannten wir auch abschnuddeln
! Wasser war nun wirklich nicht mein Element, aber wenn meine Mutter uns ein Wannenbad in der nahe gelegenen Badeanstalt spendierte, war das natürlich etwas ganz anderes!
Meine Mutter und ich hatten einen gemütlichen Wohnraum für uns allein. Da wurde am Sonnabend der eiserne Kanonenofen beheizt, bis er glühte. Davor wurde die große Zinkwanne gestellt und ich durfte lange darin spielen. Das gefiel mir! Dann kam ein Schuss heißes Wasser dazu und ich wurde liebevoll von meiner Mutter abgeseift. Ob sie mein Badewasser noch für sich benutzte, habe ich nie beobachten können. Auch wie meine Großeltern das Badeproblem lösten, kann ich heute nicht mehr sagen.
An der Schmalseite des Flures ging es in die Dunkelkammer
. Sicher nannten wir sie so, weil sie kein Fenster hatte, denn elektrisches Licht war vorhanden. Heute würde man Rumpelkammer oder Abstellraum sagen. Da befand sich unter vielen anderen Dingen ein Hauklotz, an dem Opa unser Feuerholz klein hackte. Da ich ein sehr ängstliches Kind war, ging ich ungern da hinein. Nur bei Gewitter war sie mir gut genug, weil man in ihr den Blitz nicht sah. Ich setzte mich auf den Hauklotz, hielt mir die Ohren zu und versuchte, mich auf ein Bilderbuch zu konzentrieren.
Wie kaum eine Wohnung, in der gewöhnlich Sterbliche wohnten, so hatte auch unsere kein Bad. Wir hatten WC und ein Waschbecken wurde durch Waschtisch - einem Gestell mit kleiner Emailleschüssel und einem Krug mit Wasser - ersetzt. Und dann das Klopapier!!! Es gab passend geschnittenes Zeitungspapier – denn man las schließlich den Hamburger Anzeiger
– das auf Band aufgezogen wurde, und neben der Toilette hing. Manchmal gab es auch Seidenpapier! Z. B. nach Weihnachten! Meine Oma bügelte das gebrauchte Weihnachtspapier, das man selbstverständlich beim Auswickeln der Geschenke vorsichtig zu behandeln hatte. Das Papier, das nicht mehr zu bügeln ging, um es für nächsten Weihnachten auf zu bewahren, ersetzte dann für kurze Zeit das Zeitungspapier im Klo.
Noch einmal möchte ich den Stuck in dem Zimmer in dem ich schlief, ansprechen. Die Rosenornamente hatten in meiner Fantasie die Form von Männergestalten, was zur Folge hatte, dass ich so im Alter von etwa vier Jahren immer mit ängstlichen Gefühlen ins Bett ging. Meine Mutter besuchte mit mir eine Freundin. Tante Lilli! Aus irgendeinem Grund, nahm sie mich mit in ihr Schlafzimmer. Ich fragte sie, ob in ihrem Zimmer keine Männer sein? Darauf zeigte sie mir ein Foto von einem Mann, das auf ihrem Nachttisch stand. Nein – sollte ich geantwortet haben – richtige Männer! Meine Mutter hat viele und richtige Männer im Schlafzimmer!
Als Tante Lilli dann eines Tages einen Gegenbesuch machte und den besagten Stuck bewunderte, erzählte meine Mutter, dass ich immer Männer in diesen Rosen sah. Tante Lilli fiel ein Stein vom Herzen, dass sich das mit den vielen Männern in unserem Schlafzimmer somit aufgeklärt hatte. Meine Mutter hat mir die Geschichte später erzählt. Das alles ist nun schon eine Ewigkeit her. Ich denke gern, wenn auch nicht ohne Wehmut an die Zeit von damals zurück. Aber möchte man heute noch so leben?