Ein Tag im Jahre 1950
oder
Meine Jugendweihe
Im März 1950 fand meine Jugendweihe
statt. Da unsere ganze Familie nicht in der Kirche war, war ich darum auch nicht getauft und konnte demzufolge nicht konfirmiert werden. Ein paar Wochen vorher musste ich einige Vorträge besuchen, die in einer Schule abgehalten wurden. Dort wurde man auf das zukünftige Leben vorbereitet. Hauptsächlich ging es da um Benimmregeln und andere Verhaltensweisen.
Das Fest der Jugendweihe fand im derzeitigen Haus der Jugend
statt, in der Nähe des Altonaer Rathauses. Von der Feier selbst, ist kaum noch etwas in meiner Erinnerung hängen geblieben. Ich weiß nur noch, dass es anschließend zum Fotografen ging, der wegen der Konfirmationen und der Jugendweihen am Sonntag geöffnet hatte. In unserer seinerzeit primitiven Behausung, einem ehemaligen Luftschutzkeller, konnten wir nicht feiern, weil er zu klein war, also fand die Familienfeier bei meiner Tante statt, die um die Ecke herum wohnte.
Meine Mutter hatte mir ein dunkelblaues Kleid genäht, Kragen und Manschetten hatte mir meine Tante Grete, bei der ich zur Kinderlandverschickung war, aus dem Erzgebirge geschickt. Es war eine echte Klöppelarbeit.
Wieder einmal kam auf meine Mutter und mich das leidige Schuhproblem zu. Keine flachen, keine halbhohen, nein, es mussten Stöckelschuhe sein! Mit denen bin ich dann auch die steile Treppe bei meiner Tante vom zweiten bis zum ersten Stockwerk hinunter gesegelt. Aber da war man ja in einem Alter, indem man noch heil und ohne Komplikationen unten ankam. Für mich war wichtig, dass es niemand mit bekommen hatte und vor allem, dass meine Absätze noch dran waren. Als ich mich davon überzeugt hatte, stöckelte ich die nächsten steilen Stufen vom ersten Stockwerk bis nach unten runter.
Große Sorgen machte mir das Wetter. Denn es gab keinen neuen Mantel. Hoffentlich musste ich nicht meinen alten anziehen, in dem ich etwas raus gewachsen aussah. Wir hatten März und da kann es manchmal sehr kalt sein. Damals ging man noch überall zu Fuß hin. Also die Zähne zusammen gebissen und durch. Ich habe ohne Mantel ganz furchtbar geklappert (gefroren). Später am Tage habe ich dann bei Bedarf den Mantel meiner Mutter angezogen, den sie sich aus einer grauen Wolldecke geschneidert hatte. Zu der Zeit hatten wir nur graue Wolldecken, Restbestände aus Luftschutzzeiten. In diesem Kleidungsstück fühlte ich mich richtig erwachsen, denn das war ich ja schließlich ab heute auch! Zu meinen schicken blauen Pumps gab es leider keine Nylons, die zu der Zeit gerade aufkamen. Aber ich bekam meine allerersten, später an diesem Tag geschenkt. Glasnylons
mit schwarzer Naht! Oh, wie war ich stolz!
Abgesehen, von vielen anderen Geschenken, bekam ich schwarz-weißen Pepitastoff. Damals wurden die Röcke ziemlich lang getragen. Wenn ich mich recht erinnere, kam da gerade der New Look
auf. So einen Rock hat mir dann meine Mutter geschneidert. Wir wohnten in einer kleinen Straße in Ottensen, wo jeder jeden kannte. Wo die Hausnummern auf der einen Straßenseite von eins bis elf auf der anderen von zwei bis sechs gingen. Wo die Menschen noch mit einem Kissen unter den verschränkten Armen aus den Fenstern lehnten, um auch ja alles mit zubekommen, was in der Nachbarschaft passierte. Das macht heute kaum noch jemand, dafür hat man inzwischen das Fernsehen, nur dass der Kopf sich dabei nicht an der frischen Luft befindet. Alle Nachbarn nahmen an größeren Ereignissen, in den jeweils anderen Familien regen Anteil. Heiraten, Kinderkriegen, der neue Freund, ein neues Kleidungsstück, nichts blieb verborgen, so auch meine Jugendweihe. Das hatte natürlich auch seine Vorteile. Es kamen viele Blumen und Geldgeschenke von den Nachbarn, womit ich nicht gerechnet, aber worüber ich mich sehr freute, denn das Geld hatte nach der Währungsreform, im Juni 1948 also nach knapp zwei Jahren, schon wieder seinen Wert. Dass einem alle diese materiellen Dinge so wichtig waren - ich denke, es lag an der entbehrungsreichen Zeit, die hinter einem lag.