Erlebnisse, Tätigkeiten und Erfahrungen 1945 bis 1949
Kapitel 7
Erinnern für die Zukunft
I - Das Thema
Verehrte Bürgerinnen und Bürger von Markdorf!
Ich begrüße Sie mit einem Satz des seinerzeit nach England emigrierten, 1988 gestorbenen Schriftstellers Erich FriedErich Fried (* 6. Mai 1921 in Wien; † 22. November 1988 in Baden-Baden) war ein österreichischer Lyriker, Übersetzer und Essayist.Klick für Wikipedia.org mit dem Titel Vielleicht
:
Erinnern das ist vielleichtErich Fried
die qualvollste Art
des Vergessens
und vielleicht
die freundlichste Art
der Linderung
dieser Qual.
Erinnern als Qual, dass sich schlimmes selbst Erlebtes und Erfahrenes nicht vergessen, nicht verdrängen lässt,
Erinnern als Aufruf, sich etwaiger Wiederholung schmerzvoller Qualen zu widersetzen und sie durch bewusst geändertes Verhalten und Handeln für eine menschenwürdige Zukunft zu lindern.
Sie haben mich eingeladen, heute, am 50. Jahrestag der deutschen Kapitulation, als Zeitzeuge Ihnen von meinem eigenen Erleben, meinen Erfahrungen, meiner persönlichen Sicht der Weimarer Zeit bis 1933, der braunen Jahre 1933 bis 1945 und der Zeit der Restauration nach Kriegsende zu berichten. Ich sage gleich: Persönlich habe ich glücklicherweise nichts von den grauenhaften, allermeist tödlichen Qualen rassistischer Verfolgung und nationalsozialistischen Völkermords erlebt und auch nichts von Feldzügen, Rückzügen und wahnwitzigen Endkämpfen um Brandenburg und Berlin. Schließlich auch nichts von den KZ-Qualen, Morden und Vergasungen. So kann dies alles heute Abend im Hintergrund bleiben.
Ich war aus meiner persönlichen Situation heraus, von der Sie noch hören werden, bereits seit dem 10. April 1945 denkbar erleichtert, ja, froh, befreit zu sein. Doch die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen, zumal der zigtausende Flüchtlinge und Großstädter, war zwar erleichtert, der unmittelbaren Lebensgefahr durch Bomben und Granaten entronnen zu sein, aber sie erlebten die Geschehnisse als Zusammenbruch der politischen Ordnung, mehr noch, vielerorts als Zusammenbruch ihres persönlichen und familiären Lebens, als Verlust von Menschen und Gütern, als Vertreibung, als harte Desillusionierung fehlgeleiteter, teuflischer Hoffnungen. Was hätte man darum gegeben, dies alles vergessen zu können! Nur unwillig reagierten die meisten Menschen auf das Reden von deutscher Schuld. Die tägliche Not und Sorge ließen das Grauen über die offenbar werdenden Verbrechen in den KZs, die keimende Einsicht, dass man einen Irrweg beschritten hatte, und die Erkenntnis der Schuld, an der man mit nahezu allen Deutschen irgendwie teilhatte, einigermaßen verdrängen. Die Erkenntnis, dass der Zusammenbruch
- aus deutscher Hybris, aus frevelhafter Menschenverachtung seit 1933 provoziert, notwendige Voraussetzung war für eine neue, menschenwürdige nationale und internationale politische Ordnung, also wirklich der leider einzige Weg zur Befreiung war, brauchte Jahrzehnte, sich durchzusetzen, und sollte heute nicht strittig sein.
II - Erfahrungen als Schüler in Potsdam, 1924 bis 21. März 1933
Anhand meines persönlichen Schicksals will ich versuchen, etwas zu erläutern, wie diese Exzesse möglich wurden. Ich bin ein Kriegskind von 1914, zweiter Sohn gutbürgerlicher Eltern. Mein Vater, Jahrgang 1879, stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg, er ließ sich mit 22 Jahren protestantisch taufen und wuchs dann – gegen die Tradition seiner Familie – zum Historiker heran. Von 1923 bis zu seiner zwangsweisen Entlassung Ende 1934 war er am Reichsarchiv in Potsdam mit der Geschichte des Deutschen Reichs, besonders Bismarcks, beschäftigt. Er verstand sich ganz als Deutscher, war national gesonnen, zur Weimarer Zeit gehörte er der Deutschen Volkspartei an. Er war wie fast alle seine Kollegen gegen die Kriegsschuldlüge
. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit konnte er aber nie Soldat werden, nahm nicht am Ersten Weltkrieg teil und merkte erst als Emigrant des Jahres 1939 während einer kurzen militärisch aufgezogenen Internierung in England 1940, dass er keinen Anlass hatte zu bedauern, Militärdienst nicht geleistet zu haben. Meine Mutter, Jahrgang 1880, Pfarrerstochter aus Wiesbaden, Volksschullehrerin, dann Studium der Geschichte, traf meinen Vater an der Universität Göttingen. 1909 heirateten sie. Und so galt ich im Dritten Reich nach den Nürnberger Rassegesetzen von September 1935 als Mischling ersten Grades
mit entsprechenden, Jahr um Jahr sich steigernden Diskriminierungen wie Verbot von Geschlechtsverkehr, geschweige denn Ehe mit arischen Frauen, Beschränkung bis Ausschließung von Schule, Studium, öffentlichem Dienst oder anderer akademischer Berufstätigkeit und Ähnlichem.
Zurück zu meiner Schulzeit. 1919 zogen meine Eltern mit ihren drei Kindern nach Kiel. Ich ging dort zur Vorschule und erinnere nur die Inflation. Sie bedeutete rapide Verarmung aller Bürger, die Kriegsanleihen gezeichnet hatten. Man konnte nunmehr damit die Toiletten tapezieren. Das Familienvermögen meiner Hamburger Großeltern schwand dahin wie Schnee an der Sonne. Von 1924 bis 1933 ging ich dann in Potsdam, der Residenzstadt der preußischen Könige und ihres Militärs, auf dessen feinste
Schule, das humanistische Viktoria-Gymnasium. Meine Mitschüler waren etwa zur Hälfte adlig, darunter ein Enkel Wilhelms II. Das gesellschaftliche Klima
war konservativ, man lehnte die Republik von Weimar entschieden ab und wählte deutschnational, nur vereinzelt NSDAP. In meiner Klasse von etwa 26 Schülern spiegelte sich dies wider. Nur ein einziger ziemlich schwacher Schüler war in der Hitlerjugend aktiv. Von Lehrer- wie Schülerseite bekam ich gelegentlich antisemitische Bemerkungen zu hören, doch hatte ich auch einige Freunde; zwei von ihnen haben zu mir gehalten – der eine, bis er 1940 in Norwegen fiel, der andere, ein Pfarrer, im Krieg Offizier, starb vor einigen Jahren.
Aus der Schule ist mir noch in Erinnerung der Versuch eines betont demokratischen neuen Schulleiters, ab etwa 1931 im Einverständnis mit Kultusminister Adolf Grimme und SPD-Oberschulrat Hartke, auf sehr liberale Art demokratischen Geist unserer Klasse nahe zu bringen – leider ohne spürbaren Erfolg. Studienrat Pietsch blieb dabei, jeweils in der letzten Stunde vor den Ferien aus seinem Tagebuch vom Ersten Weltkrieg Ich und meine Kompanie
vorzulesen. Freilich nahmen wir ihn nicht sonderlich ernst. Ein Deutsch- und Geschichtslehrer zeichnete zu seiner und unserer Freude einen Soldaten aus der Zeit des sogenannten Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I.Friedrich Wilhelm I. (* 14. August 1688 in Cölln; † 31. Mai 1740 in Potsdam) aus dem Haus Hohenzollern war seit 1713 König in Preußen und Kurfürst von Brandenburg.Klick für Wikipedia.org (1688–1740) mit Kreide an die Tafel. Er war der Historiograph von Potsdam. Mancher Geschichtslehrer kam über Bismarcks Entlassung nur schwer hinweg. Doch in Latein, Englisch, Mathematik, Leibesübungen hatten wir zeitweise kompetenten Fachunterricht.
Eigentliche Bildung
im Sinne des klassischen Humanismus übernahmen wir allerdings nicht so, dass diese Bildung die überwiegende Mehrheit der Schüler, ja, auch der Lehrer, etwa gegen die braune Welle
ab 30. Januar 1933 hätte immunisieren können. Ich hatte das Gymnasium bereits verlassen, als sich nach meiner Erinnerung bald nach Abschluss des Bündnisses zwischen dem Deutschen Reich und Italien, der sogenannten Achse
, Folgendes zutrug: Ein sehr geschätzter Studienrat für Latein und Griechisch hatte bei einer abendlichen Zusammenkunft des Vereins ehemaliger Viktorianer
einen Vortrag über die Römer gehalten. Man könne sie nicht als die Ahnen der modernen Römer ansehen. Er wurde wegen dieser Äußerung beim Direktor des Gymnasiums denunziert. Dieser musste den Redner vor die Wahl stellen, zu widerrufen oder sich in irgendeine unbedeutende Stadt versetzen zu lassen. Der Direktor riet schweren Herzens zu ersterem, da er den Lehrer nicht verlieren wollte. Er war überzeugt, die Schulbehörde würde ihm andernfalls einen ebenso linientreuen wie unfähigen Kollegen schicken.
Ein Studienrat für Deutsch und Religion las mit uns 1931 oder 1932 in einer philosophischen Arbeitsgemeinschaft die Schrift des protestantischen Theologen Friedrich GogartenFriedrich Gogarten (* 13. Januar 1887 in Dortmund; † 16. Oktober 1967 in Göttingen) war als lutherischer Theologe Mitbegründer der Dialektischen Theologie im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts.Klick für Wikipedia.org Wider die Achtung der Autorität
. Es war davon die Rede, dass ein Führer
kommen würde, uns – die Deutschen – aus dem nationalen und wirtschaftlichen Elend zu befreien; so vor allem Diktat
, das heißt Friedensvertrag von Versailles, Reparationslasten, ungefähr sechs Millionen Arbeitslose, Straßenschlachten der radikalen politischen Parteien und anderes mehr. Auf meine Frage, wie denn der vorausgesagte Führer zu erkennen sei, war die Antwort: Keine Sorge! Er wird kommen, Sie werden ihn erkennen.
Ich selbst war zu befangen im Klima von Elternhaus und Potsdams Kultur
. Nach meinem Verständnis machte er verführerischen Gebrauch von neutestamentlicher Sprache! Ich blieb kritisch.
Rückblickend entsinne ich mich nicht, dass je linke
gesellschaftskritische Literatur gelesen wurde. Die Namen Marx, Engels, Karl Kantsky, Rosa Luxemburg fielen höchstens, um sie ungelesen abzutun. Ähnlich erging es zeitgenössischer Literatur wie Im Westen nichts Neues
von Erich Maria Remarque oder Der Krieg
und Nachkrieg
von Ludwig Renn.
Wohl aber wurden in der Prima ernst genommen Oswald Spengler Der Untergang des Abendlandes
, Ernst Jünger In Stahlgewittern
(1920) und Der Kampf als inneres Erlebnis
(1922), Hans Zehrer mit seiner Kulturzeitschrift Die Tat
(vor allem 1928–1933) und ähnliches. Bemerkenswert ist, dass Hitlers Mein Kampf
(1925/26) wohl dem Titel nach bekannt war, aber das Buch wurde kaum gelesen, geschweige denn, ernst genommen. So war halt Potsdam – in all seiner Schönheit von Natur, Parks und Bauten – seiner preußischen Tradition von Hof, Militär und Beamten voll Nostalgie treu.
Mit dem kulturellen und politischen Leben Berlins hatte ich außer gelegentlichen Theaterbesuchen zu meiner Schulzeit leider kaum Berührung. Zur offiziellen Reichsgründungsfeier im Reichstag am 18. Januar 1931 – 60 Jahre seit der Ausrufung des Deutschen Reichs in Versailles 1871 – fand mein Vater Zutritt und nahm mich mit. Reichskanzler Heinrich Brüning – Angehöriger der katholischen Zentrumspartei, damals bereits dank Vollmacht seitens des Reichspräsidenten ohne parlamentarische Wahl, sondern aufgrund Artikel 48 der Weimarer Verfassung im Amt – wirkte auf mich unmittelbar durch seine schlanke Gestalt in zivilem schwarzem Anzug mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse auf der linken Brustseite. Er hielt zweifellos eine patriotische Rede, deren Inhalt ich leider nicht erinnere. Er beeindruckte mich durch seine nüchterne, unpathetische, ernste Weise zu reden – ein krasser Gegensatz zu den pathetischen, marktschreierischen Reden, die bei Nationalsozialisten wie Kommunisten vielerorts zu hören waren. Nach der Veranstaltung gingen Reichspräsident von Hindenburg und der Reichskanzler gemessenen Schritts an den Festteilnehmern vorbei die große Freitreppe des Reichstags hinunter zu ihren Wagen.
Von Hitler habe ich einen bleibenden Eindruck erhalten, als er im Oktober 1932 bei einer Massenversammlung im überfüllten Stadion des Luftschiffhafens Potsdam redete, besser gesagt; leidenschaftlich mehr schrie als sprach und die Massen fesselte. Die Masse jubelte ihm wieder und wieder zu. Ich hatte mir bewusst einen Platz auf dem obersten Seitenrang dicht an einem Ausgang gesucht. Das pathetische Schreien im Wechsel mit der hysterischen Reaktion der Masse stieß mich so ab, dass ich die Veranstaltung vorzeitig verließ. Später habe ich noch viele Reden Hitlers gehört, alle haben mich gleichermaßen abgestoßen. Doch eine solche Reaktion teilten nicht viele Menschen. Ich habe seitdem einen Horror vor Massenveranstaltungen, den ich nur überwand, als ich ab 1961 wiederholt auf Evangelischen Kirchentagen im Rahmen der Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen
ans Rednerpult zu treten hatte.
Nach dem Abitur um den 1. März 1933 wurde die Entlassungsfeier mit Aushändigung der Zeugnisse so weit aufgeschoben, dass es noch Schulpflicht war, Spalier zu stehen am Tag von Potsdam
Siehe: Zeittafel der Machtergreifung; 21. März 1933 - Tag von Potsdam, einer demonstrativen öffentlichen politischen Eröffnung des gerade gewählten Reichstags in der Potsdamer Garnisonkirche (gebombt 14. April 1945, gesprengt 1969) mit der gesamten neuen politischen Führung samt den Spitzen der NSDAP und ihrer Organisationen sowie des Militärs. Die Straßen von der Stadtgrenze zur Garnisonkirche waren von der Bevölkerung und besonders von Schülern und Schülerinnen umsäumt. Ich stand am Wilhelmplatz ausgerechnet gegenüber der Synagoge. Hier fuhr Hindenburg in offenem Wagen vorbei. Er wurde, ich glaube ohne Spektakel gegrüßt, er erwiderte steif und würdevoll.
Ich kann dazu eine kleine typische Potsdamer Episode berichten: Meine Eltern mit Familie waren – von Kiel kommend – 1924 nach Potsdam in das Parterre eines kleinen Mietshauses gezogen. Im ersten Stock wohnten der Hausherr Freiherr von Spitzenberg, ehemaliger Kammerherr am Hofe des Königs von Württemberg, und seine Frau. Lange vor seiner Wahl zum Reichspräsidenten im April 1925 wurde Hindenburg zu einem Besuch bei Spitzenbergs erwartet. Meine Eltern erhielten deren Zustimmung, dass wir drei Kinder den alten General mit einem dreifachen Hurra
an der Haustür begrüßen und mit ihm die Hände schütteln durften. Er wirkte steif und würdevoll.
III - Überleben in der braunen Zeit 1933–1945
Mit Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 hielten sich in meiner Familie kurzzeitig Hoffnungen und Befürchtungen die Waage: Hoffnung auf entschiedene Besserung der bis dahin instabilen innenpolitischen und wirtschaftlichen Lage, Befürchtungen aus ungläubigem Kopfschütteln über erste Zeichen von Machtmissbrauch und Terror – Verhaftungen linker Reichstagsabgeordneter, erster Boykott jüdischer GeschäfteSiehe: Zeittafel der Machtergreifung 1933; Die Nationalsozialisten organisieren den Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April, BerufsbeamtengesetzSiehe: Zeittafel der Machtergreifung 1933; Das Gesetz zur Gleichschaltung der Länder, Das Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich und das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums werden erlassen vom 7. April 1933, aufgrund dessen linke
und jüdische Angehörige des öffentlichen Dienstes zu entlassen waren, sofern sie nicht bereits vor 1918 im Dienst gestanden hatten. Letzteres traf auf meinen Vater zu.
So waren wir persönlich also – einstweilen – bewahrt. Um die gleiche Zeit, im Frühjahr 1933, meinte mein Vater, wir sollten uns dem nationalen Aufbruch
auch zum eigenen Vorteil nicht entziehen, und so besuchten wir unseren Nachbarn, einen etwas poltrigen Landvermesser, der als ehemaliger Soldat engagiertes Mitglied des Stahlhelm – Bund ehemaliger Frontsoldaten
(später in die SA übernommen) war. Ob ich wohl in die zugehörige Jugendorganisation, den Jung-Stahlhelm
eintreten könne? Nein, schon galten rassische
Kriterien unbeschadet dessen, dass der stellvertretende Führer des Stahlhelm
, Theodor DuesterbergTheodor Duesterberg (* 19. Oktober 1875 in Darmstadt; † 4. November 1950 in Hameln) war in der Weimarer Republik Spitzenfunktionär und langjähriger Vorsitzender des deutschnationalen paramilitärischen Stahlhelmbundes.Klick für Wikipedia.org, selbst Halbjude war. Doch noch suchten wir uns mit dem gängigen Spruch auch von Freunden und Bekannten Wo gehobelt wird, da fallen Späne
zu beruhigen.
An der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg (heute T.U.) wurde ich noch zum selbst gewählten Studium des Maschinenbaus immatrikuliert, allerdings mit gelber Studentenkarte, nicht braun wie für arische Studierende.
Epilog;
Situation ab 1945 in der Bundesrepublik Deutschland
(Geschichtliche Fakten, zusammengetragen von der Redaktion der Erinnerungswerkstatt)Ab Juli 1945 wird die Politik der Vier Mächte umgesetzt, die darauf abzielt, die deutsche und die österreichische Gesellschaft, die Kultur, Presse, Justiz, Verwaltung und Politik von den Einflüssen des Nationalsozialismus zu befreien.
Die Grundlagen dieser Entnazifizierung
wurden gelegt auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 und der Potsdamer Konferenz vom August 1945. Das gemeinsam angestrebte Ziel war die Auflösung der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen, die Entmilitarisierung und eine Demokratisierung des deutschen Volkes. Dazu gehörte auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen, die während des Zweiten Weltkriegs begangen worden waren, und die Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Unter Verbrechen gegen die Menschlichkeit fielen vor allem die Verfolgung und Vernichtung der Juden und die Vernichtung lebensunwerten Lebens
, also Tötungsdelikte, die in allen zivilisierten Staaten verfolgt wurden. Personen, die den Besatzungsgruppen als Sicherheitsrisiko erschienen wurden interniert.
Die Verfahren wurden zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 im Justizpalast Nürnberg nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 gegen die führenden Repräsentanten des Dritten Reichs
und die Hauptkriegsverbrecher, wie Göring, Heß, von Ribbentrop, Keitel, Dönitz, Raeder, von Schirach und Sauckel, vor einem nationalen US-amerikanischen Militärtribunal durchgeführt und die Urteile gesprochen.
Zwischen dem 9. Dezember 1946 bis zum 20. August 1947 wurden in den Nürnberger Ärzteprozessen
20 KZ-Ärzte, ein Jurist und zwei Verwaltungsfachleute als Organisatoren von Medizinverbrechen angeklagt. Beispielhaft für die Medizinverbrechen des Nationalsozialismus wurden in dem Prozess unfreiwillige Menschenversuche, die Tötung von Häftlingen für die Anlage einer Skelettsammlung (August Hirt) und die Krankenmorde der Aktion T4 (die systematische Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen) behandelt.
Während Kriegsverbrecher und die Repräsentanten des Dritten Reichs
teils zu lebenslangen Haftstrafen (Heß) verurteilt wurden, ergingen auch Todesurteile gegen die Haupttäter, Göring, der sich der Todesstrafe durch Suizid am 15. Oktober 1946 entzog, Wilhelm Keitel und Alfred Jodl am 16. 10. 1946 und viele andere.
Der Verwaltungsjurist im Reichsinnenministerium, Hans GlobkeHans Josef Maria Globke (* 10. September 1898 in Düsseldorf; † 13. Februar 1973 in Bonn) war ein deutscher Verwaltungsjurist im preußischen und im Reichsinnenministerium, Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und verantwortlicher Ministerialbeamter für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung in der Zeit des Nationalsozialismus sowie von 1953 bis 1963 Chef des Bundeskanzleramts unter Bundeskanzler Konrad Adenauer.Klick für Wikipedia.org, war Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassegesetze und verantwortlicher Ministerialbeamter für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung in der Zeit des Nationalsozialismus. Als Koreferent beschäftigte er sich auch mit allgemeinen Rassenfragen
, Ein- und Auswanderungen
und Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem antisemitischen Blutschutzgesetz
Rassenschande (auch Blutschande genannt) war im nationalsozialistischen Deutschen Reich ein verbreiteter Propagandabegriff, mit dem sexuelle Beziehungen zwischen Juden – nach der Definition der NS-Rassegesetze – und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes
verunglimpft wurden.Klick für Wikipedia. Globkes Wirken umschloss auch die Erarbeitung von Vorlagen und Entwürfen für Gesetze und Verordnungen. In diesem Zusammenhang war er führend beteiligt an der Vorbereitung der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz
vom 14. November 1935, dem Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes
vom 18. Oktober 1935 und dem Personenstandsgesetz
(3. November 1937). Das ‚J‛ , das in Pässe von Juden eingeprägt wurde, hat Globke mit konzipiert. Laut CIA-Unterlagen war Globke möglicherweise auch für die Deportation von 20.000 Juden aus Nordgriechenland in deutsche Vernichtungslager in Polen mitverantwortlich.
Bei seiner Entnazifizierung gab Globke an, er sei im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewesen, und wurde von der Spruchkammer daher am 8. September 1947 in die Kategorie V (unbelastet) eingeordnet. Globke war beim Wilhelmstraßen-Prozess sowohl Zeuge der Verteidigung als auch Zeuge der Anklage. Im Prozess gegen seinen Vorgesetzten Stuckart sagte er als Zeuge der Anklage aus: Ich wusste, dass die Juden massenweise umgebracht wurden
.
In Westdeutschland konnte Globke seine Karriere als Beamter im Höheren Dienst ungehindert fortsetzen. Unter Konrad Adenauer wurde er 1949 im Bundeskanzleramt zum Ministerialdirigenten ernannt und stieg 1953 als Nachfolger des in den Bundestag gewählten Otto Lenz zum Beamteten Staatssekretär und somit zum Chef des Bundeskanzleramtes auf. In dieser Funktion war er Mitglied des engsten Führungszirkels um Adenauer und dessen engster Vertrauter. Im Schatten des Bundeskanzlers zog Globke im Hintergrund die Fäden und galt als wichtiger Stützpfeiler von Adenauers Kanzlerdemokratie
.
Während der 2. Legislaturperiode Adenauers leitete er die Überführung der Organisation Gehlen in den Bundesnachrichtendienst. Adenauer holte auf gemeinsamen Spaziergängen im Garten des Kanzleramtes seinen Rat bei wichtigen politischen Entscheidungen ein, etwa zum Wiedergutmachungsabkommen mit Israel oder den Notstandsgesetzen; er machte Adenauer Personalvorschläge für die Ministerien und überwachte deren Linientreue, u. a. durch die von ihm geschaffenen Spiegel-Referate im Kanzleramt; er pflegte den engen Kontakt zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion, insbesondere durch seine gute Beziehung zum CDU-Fraktionsvorsitzenden Heinrich Krone; er war als heimlicher Generalsekretär
der CDU die zentrale Kontaktstelle, um das Gehör des Kanzlers zu erhalten, und er verwaltete maßgeblich die Wirtschaftsspenden der CDU, die über die Staatsbürgerliche Vereinigung
flossen.
Dass ein Mann wie Globke schon kurz nach Gründung der Bundesrepublik wieder eine führende Rolle in der deutschen Politik spielte, löste eine erbittert geführte Debatte im Deutschen Bundestag aus. Am 12. Juli 1950 zitierte dabei Adolf Arndt, der rechtspolitische Sprecher der SPD, aus den Kommentaren zu den Nürnberger Gesetzen u. a. eine Passage, in der Globke diskutiert, ob nicht auch die im Ausland begangene Rassenschande
bestraft werden könne. Bundesinnenminister Gustav Heinemann, der damals noch der CDU angehörte, verwies in seiner Antwort auf das entlastende Leumundszeugnis des Nürnberger Anklägers Robert Kempner, dem Globke mit seiner Aussagebereitschaft gedient hatte. Obwohl Globke wegen seiner NS-Vergangenheit umstritten war, hielt Adenauer bis zum Ende seiner Amtszeit 1963 an ihm fest. Einerseits kommentierte er die Debatte um Globkes Beteiligung an der Ausarbeitung der Nürnberger Rassegesetze mit den Worten Man schüttet kein schmutziges Wasser weg, solange man kein sauberes hat
, andererseits erklärte er am 25. März 1956 in einem Zeitungsinterview, Behauptungen, sein enger Mitarbeiter sei ein eifriger Gehilfe der Nationalsozialisten gewesen, entbehrten jeder Grundlage. Viele Personen, auch aus den Reihen der katholischen Kirche, bescheinigten Globke, er habe sich mehrfach für verfolgte Personen eingesetzt. Nach Ansicht des Journalisten Harald Jähner führte die Weiterverwendung Globkes zu schändlichen staatlichen Maßnahmen der Strafvereitelung und Justizbehinderung
und boten der DDR immer wieder willkommenen Anlass, die Bundesrepublik als faschistisch
zu bezeichnen. Insbesondere nach 1960, als der israelische Geheimdienst Mossad in Argentinien Adolf Eichmann aufspürte, erwies sich das Festhalten an Globke zunehmend als Belastung für die Regierung Adenauer. Eichmann hatte in Buenos Aires bei Mercedes-Benz gearbeitet, und dem BND war sein Aufenthaltsort seit 1952 bekannt. Ob auch Globke schon Ende der 1950er Jahre wusste, wo Eichmann sich aufhielt, war noch 2013 Gegenstand politischer Debatten.
Am 23. Juli 1963 erkannte die DDR-Justiz in einem Urteil in Abwesenheit gegen Globke für Recht:
In der Strafsache gegen
Hans Josef Maria Globke[1], Staatssekretär im Bundeskanzleramt der deutschen Bundesrepublik, geb. am 10.September 1898 in Düsseldorf, wohnhaft in Bonn, wegen Verbrechen im Sinne der allgemein anerkannten und von den Vereinten Nationen bestätigten Nürnberger Prinzipien, Artikel 6 des Londoner Statuts für das Internationale Militärtribunal vom 8.August 1945 in Verbindung mit Artikel 5 Abs.1 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, Verbrechen nach §§211, 47 StGB, hat der 1.Strafsenat des Obersten Gerichts der Deutschen Demokratischen Republik in den Sitzungen vom 8.-13, 15.-16., 19.-20. und am 23.Juli 1963 in Berlin für Recht erkannt:
Der Angeklagte wird wegen in Mittäterschaft begangenen fortgesetzten Kriegsverbrechens und Verbrechens gegen die Menschlichkeit in teilweiser Tateinheit mit Mord gemäss Artikel 6 des Statutes für den Internationalen Militärgerichtshof, §§211, 47, 73 StGB zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihm auf Lebenszeit aberkannt.
Die Auslagen des Verfahrens werden dem Angeklagten auferlegt.
[1] Abwesenheitsverfahren gem. §236 StPO DDR 1952. Dieses Urteil ist ohne Rechtsmittelgerichtsentscheidung rechtskräftig geworden. Da die Sache in 1.Instanz vor dem höchsten Gericht der DDR verhandelt wurde, konnte - anders als bei den erstinstanzlichen Urteilen der Bezirksgerichte - das Rechtsmittel der Berufung nicht eingelegt werden; vgl. §279 StPO DDR 1952 und §55 Gerichtsverfassungsgesetz DDR 1952.
Auszüge aus Zeugenausagen, Äußerungen Globkes als Staatssekretär des Bundeskanzleramt:
1946 wurde Dr. Hans Globke Stadtkämmerer in Aachen, dann Vizepräsident des Landesrechnungshofes Nordrhein-Westfalen. Im Oktober 1949 berief ihn Bundeskanzler Dr. Adenauer als Ministerialdirigent ins Bundeskanzleramt, wo er im Juli 1950 Ministerialdirektor wurde. Die Nachricht über seine Berufung führte im Rahmen einer Interpellation der SPD-Fraktion zu einer Debatte in der 73.Sitzung des Bundestages vom 12.Juli 1950. Dabei erklärte der Abgeordnete Dr. Arndt u.a. zum Kommentar über die Nürnberger Gesetze:
Ich gehöre auch nicht zu denen, die über etwas sprechen, was sie nicht gesehen haben.
Ich habe den Kommentar selbst in der Hand gehabt. Ich habe mich mit ihm befasst, und es ist nicht richtig, dass er auch nur überwiegend oder überhaupt von der Tendenz getragen sei, zu helfen. Es ist sogar eine teilweise extensive Auslegung dieser Schandvorschriften darin gegeben, zum Beispiel die, dass die sogenannte Rassenschande unter Umständen sogar dann strafbar sei, wenn sie im Auslande verübt wurde. Meine Damen und Herren, wer als Jurist eine solche Tat oder Untat, wie es die Nürnberger Gesetze sind, scheinbar wissenschaftlich kommentiert, setzt sich dem Vorwurf aus, dass das, was er dort getrieben hat, kaum mit einer anderen Bezeichnung versehen werden kann als der einer juristischen Prostitution.
Aber für uns ist das Wesentliche das, dass der Name Globke auf diese Weise für immer mit den Nürnberger Gesetzen verknüpft ist. Er ist auch sonst verknüpft; denn Herr Dr. Globke war im Reichsinnenministerium Korreferent für Judenfragen und hat in dieser Eigenschaft mit dem SS-Obergruppenführer Stuckart während des Krieges unter anderem folgende Reisen und Besuche gemacht. Er war bei Seyss-Inquart im Haag, bei Bürckel in Metz, bei Wagner in Strassburg, bei Forster in Danzig, bei Neurath und Karl Hermann Frank in Prag, in Paris, bei Antonescu in Bukarest und bei Tiso, Mach und Karmasin in Pressburg. Das sind nur einige dieser Reisen. Überall, wo dieser Korreferent für Judenfragen mit dem SS-Obergruppenführer Stuckart erschien, soll natürlich von Juden - ausser in Strassburg, wofür ein Dokument vorliegt, das ist Pech! - nie gesprochen worden sein und soll das Reichsinnenministerium nur als Hort und Hüter der Juden in Erscheinung getreten sein.Aber alle Welt weiss, dass von diesen Plätzen aus und nach diesen Besprechungen sich die Blutspur der gemarterten und gemordeten Juden in die Vernichtungslager nach Auschwitz und nach Maidanek zog.
Und Herr Dr. Globke wusste um diese Greuel! Er hat es selbst als Zeuge zugestanden, und sein Kollege, der Ministerialrat Lösener aus dem Reichsinnenministerium, der der erste Referent für Judenfragen und ursprünglich ein erklärter Nationalsozialist war, konnte dieses Unsagbare nicht auf sein Gewissen nehmen und hat ausdrücklich mit diesem Grunde seinen Abschied verlangt und ist zum Reichsverwaltungsgericht übergegangen. Aber Dr. Globke blieb, und Dr. Globke blieb sogar bis heute.
Trotzdem blieb Globke nicht nur in seinem Amt als Ministerialdirektor, sondern er wurde am 27.Oktober 1953 zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt berufen. Über seine Funktion gibt §7 der Geschäftsordnung der Bundesregierung Auskunft, in dem es heisst:
- Der Staatssekretär im Bundeskanzleramt nimmt zugleich die Geschäfte eines Staatssekretärs der Bundesregierung wahr.
- Er kann die an den Bundeskanzler gerichteten oder ihm von dem Bundespräsidenten überwiesenen Schreiben unmittelbar an den zuständigen Bundesminister weiterleiten. Empfiehlt der zuständige Bundesminister eine Beantwortung durch den Bundeskanzler, so legt er dem Bundeskanzler einen entsprechenden Entwurf vor.
Einen Einblick in Globkes Machtbereich und gleichzeitig in seine politischen Ansichten geben die Aussagen des Zeugen Söh., der als Kaufmann und ehemaliger Offizier von 1954 bis 1959 häufig das Bundeskanzleramt aufsuchte. Diese Aussagen bestätigen die zahlreichen Meldungen der westdeutschen Presse, dass der Angeklagte, dem u.a. auch das Bundespresseamt und der Bundesnachrichtendienst unterstehen, in der Bundesregierung eine entscheidende Schlüsselposition einnimmt und dass er alle wichtigen Entscheidungen der Bundesregierung, wie z.B. die Vorbereitung der Notstandsgesetzgebung, beeinflusst. Der Zeuge Söh. hat auch zwei kennzeichnende Äusserungen Globkes bekundet. So sagte Globke bei der Abschiedsfeier des früheren persönlichen Referenten Adenauers, Kilb:
Auf die alten Nazis war Verlass, ist Verlass und wird immer Verlass sein, weil sie wissen, was sie wollen.
Und im Zusammenhang mit einer Bundestagswahl äusserte der Angeklagte:
Vor der Wahl sagt das Volk uns seine Meinung, aber nach der Wahl sagen wir dem Volk unsere Meinung, und die ist massgebend.
Der Angeklagte steht also noch heute auf der gleichen volks- und menschenfeindlichen Position, die ihn - wie noch darzulegen ist - bei seinem Handeln in der faschistischen Zeit bestimmte. Er ist, wie auch seine Mitwirkung an der Spiegel
-Affäre zeigt, in der Bonner Regierung ein Vertreter des antidemokratischen Kurses nach innen und des entspannungsfeindlichen und aggressiven Kurses nach aussen, vor allem in der Deutschland- und Westberlin-Frage.
Mitwirkung Globkes am Ermächtigungsgesetz 1933:
Am 24.März 1933 beschloss der Reichstag das Hitlersche Ermächtigungsgesetz. In Ergänzung dazu bereitete das Preussische Innenministerium das preussische Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Land
vor. Am 7.Mai 1933 wurde der von Globke als Referent hergestellte Entwurf den Mitgliedern der preussischen Regierung zur Stellungnahme binnen vier Tagen übersandt. Auch der Preussische Justizminister hatte den Entwurf eines Ermächtigungsgesetzes ausarbeiten lassen und es seinerseits an die Ministerien versandt. Das am 11.Mai 1933 im Innenministerium eingegangene Exemplar wurde Globke zugeschrieben und von ihm mit handschriftlichen Bemerkungen versehen. So hatte der Justizminister
die Meinung vertreten, ein auf Grund des preussischen Ermächtigungsgesetzes ergangenes Regierungsgesetz könne das in der Preussischen Verfassung verankerte Minderheitsrecht, die
Einberufung des Landtages zu verlangen, beseitigen. Hierzu vermerkte der Angeklagte:
richtig; die Beseitigung dieses Minderheitsrechts berührt die Einrichtung des Landtags als solche nicht.
Zwei Tage später entwarf der Angeklagte eine ausführliche Antwort an das Justizministerium. Er verlangte, dass die Einrichtung des Staatsrats als solche im Ermächtigungsgesetz geschützt werde, da Göring in einer Rede vom 26. April 1933 dessen Bedeutung hervorgehoben habe. Globke verlangte weiter eine Sicherung, dass weder durch Volksentscheid noch durch späteren Landtagsbeschluss Regierungsgesetze geändert oder aufgehoben werden könnten. Ausserdem wollte er die Geltungsdauer des preussischen Ermächtigungsgesetzes nicht von der Geltungsdauer des Reichsermächtigungsgesetzes oder dem Bestand der Hitler-Regierung abhängig machen.
Das Gesetz wurde in der von Globke vorgeschlagenen Fassung von den Fraktionen der NSDAP und der Deutschnationalen Front eingebracht und im Preussischen Landtag am 18.Mai 1933
beschlossen. In dieser Sitzung gab Göring eine Regierungserklärung ab, in der er u.a. auf die Gründung des Geheimen Staatspolizeiamtes hinwies und erklärte, es werde seine vornehmste Aufgabe als Ministerpräsident sein, mit allen Mitteln der Staatsgewalt allen Bestrebungen, die gegen den Bestand und die Sicherheit des neuen Staates gerichtet sind, sei es von innen oder aussen, mit rücksichtsloser Energie entgegenzutreten
.
Zu der Bedeutung Preussens erklärte Göring in dieser Sitzung:
Preussen ist in seine alte Mission und seine ruhmreiche Tradition, der Grund- und Eckpfeiler Deutschlands zu sein, zurückgeführt worden. So, wie aus der Mark Brandenburg ein Preussen entstand, so war aus einem Preussen Deutschland geworden.
Nicht im Gegensatz, sondern nur in der Zusammenfassung von Preussen und Reich kann Großes erblühen. Wie notwendig gerade die Gleichschaltung Preussens mit dem Reich ist, wie diese Gleichschaltung überhaupt erst für das Reich die Basis der Entwicklung abgibt, erhellt schon allein aus dem Umstande, dass der Herr Reichskanzler gleichzeitig der Preussische Reichsstatthalter ist …
Der Kanzler hat mich zum Hüter Preussens bestellt und mich besonders beauftragt, zu wahren, was Preussens ist. Unter keinen Umständen werde ich daher dulden können, dass preussischer Besitz von Preussen getrennt wird. Der Kanzler will, dass Preussen und die preussische Politik und die preussische Verwaltung auf alle Zeit die Grundlage des Reiches bilden. Die täglichen praktischen Erfahrungen Preussens sollen für das Reich die Unterlage seiner Gesetzgebung bilden. So fällt Preussen die wichtigste Mission zu, wie es diese im vorigen Jahrhundert auch gehabt hat, das Fundament des Deutschen Reiches zu bilden.
Auf Grund einer Verfügung Globkes wurde das Landtagsprotokoll zu den von ihm weiter bearbeiteten Akten genommen. Ebenfalls am 18.Mai 1933 stimmte der Preussische Staatsrat in einer fünf Minuten dauernden Sitzung dem Ermächtigungsgesetz zu. Es wurde unter dem 1.Juni 1933 erlassen (Preuss. Gesetzsammlung 1933 S.198).
Im August 1933 begann eine kommentierte Gesetzessammlung, Das neue Recht in Preussen
, zu erscheinen, die von dem damaligen Staatssekretär im Preussischen Justizministerium Freisler und dem Staatssekretär im Preussischen Innenministerium Grauert herausgegeben wurde. Im Geleitwort heisst es:
Es kommt darauf an, dass die Richtlinien und die grundlegenden Einzelgedanken, nach denen die Gesetze und Verordnungen des Reiches und der Länder geschaffen sind, demjenigen, der ihre Durchführung ausführen, sicherstellen oder überwachen soll, … alle Zeit greifbar nahe sind. Dann erst, in der sicheren Durchführung, erfüllen die Gesetze ihre Aufgabe ... Das neue Recht Preussens, eingegliedert in das neue Recht des Reiches und dieses ergänzend, möge in der Form dieses Werkes einen weiteren, der Praxis willkommenen Weg aus den vom Strome des Volkslebens durchfluteten, ununterbrochen arbeitenden Stuben der Ministerien in das pulsierende Leben des erwachten Volkes finden.
Auf der Liste der Mitarbeiter dieses Sammelwerkes vom Januar 1934 befindet sich der inzwischen zum Oberregierungsrat beförderte Hans Globke. In Freisler/Grauert II a 7 kommentierte Globke das preussische Ermächtigungsgesetz und schrieb in der Einführung:
Wie das Versagen der parlamentarischen Gesetzgebung im Reich dazu geführt hat, der Reichsregierung in dem Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom 24.3.1933 (RGBl. I S.141) das Recht, Gesetze zu beschliessen, zu übertragen, so nötigte diese Tatsache auch dazu, den Landesregierungen das gleiche Recht zuzubilligen … Wenn nach dem Siege der nationalen Revolution eine Opposition oder gar Obstruktion des Landtags gegenüber der Regierung auch nicht mehr in Frage kommt, so ist damit doch nicht gleichzeitig auch die Schwerfälligkeit des parlamentarischen Gesetzgebungswegs beseitigt worden. Sein Ersatz durch ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren blieb daher bei der Fülle der zu bewältigenden Aufgaben dringendes Erfordernis … Das Ermächtigungsgesetz ist vom Preussischen Landtag in seiner Sitzung vom 18.5.1933 von allen gegen die sozialdemokratischen Stimmen angenommen worden. Es wird voraussichtlich für immer oder jedenfalls für lange Zeit das letzte Gesetz sein, das auf parlamentarischem Wege zustande gekommen ist.
Zu der in §1 des Gesetzes getroffenen Festlegung, dass die Regierungsgesetze von der Verfassung abweichen können, schrieb Globke:
In der Ermächtigung, von der Verfassung abzuweichen, liegt sowohl das Recht, ohne besondere Erwähnung von Verfassungsbestimmungen hiervon abweichende Regelungen zu treffen, als auch die Befugnis, den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich zu ändern.
Den ebenfalls in §1 enthaltenen Schutz der Einrichtungen des Landtages und des Staatsrates als solche kommentierte Globke:
Nur die Einrichtung als solche ist geschützt. Dagegen sind Änderungen in Einzelheiten, auch wenn sie von erheblicher Bedeutung sein sollten, statthaft.
In §2 hob der Angeklagte hervor, dass die Regierungsgesetze weder vom Landtag noch durch einen Volksentscheid aufgehoben oder geändert werden können. Das entsprach seinen Vorschlägen bei der Ausarbeitung des Gesetzes.
Globke kommentierte auch das Staatsratsgesetz in Freisler/Grauert II a 1. In der Einführung schrieb er:
Das Gesetz über den Staatsrat ist das erste Gesetz, in dem der Führergedanke, der die nationalsozialistische Bewegung beherrscht, eindeutig zum Ausdruck gekommen ist. Das Gesetz ist insofern richtungweisend für die Zukunft … es ist nicht daran zu zweifeln, dass sich der völlige Umbau des preussischen Staatslebens über kurz oder lang auf der gleichen Grundlage vollziehen wird.
Zu der Festlegung des §4, dass die Mitglieder des Staatsrats deutsche Staatsbürger sein müssen, vermerkte der Angeklagte:
Urteil gegen Hans Josef Maria Globke OG vom 23.07.1963, 1 Zst (I) 1/63 Band III, Lfd.Nr.1068 S.84, 85, 88Ein Reichsgesetz über das Reichsbürgerrecht ist in Vorbereitung.
Globkes Teilnahme an der Verfolgung und Ausrottung jüdischer Bürger
Nicht in dem volksfeindlichen Imperialismus, sondern in den Juden sollte das deutsche Volk seinen Feind sehen. Immer wieder betonten in der Folgezeit die faschistischen Führer, dass der Antisemitismus ihre Hauptwaffe sei.
Hitler sagte, wenn es keinen Juden gäbe, so müsse man ihn ausdenken. Man müsse einen sichtbaren Feind haben und nicht nur einen unsichtbaren. Und Robert Ley erklärte in der Zeitung Der Angriff
am 15.Mai 1944:
Die zweite deutsche Geheimwaffe ist der Antisemitismus, weil er, wenn er von Deutschland konsequent durchgehalten wird, eine Weltfrage werden wird, mit der sich alle Völker werden auseinandersetzen müssen.
Die antisemitischen Gedanken und Forderungen, die der Führer des Alldeutschen Verbandes
, Justizrat Class, unter dem Pseudonym Daniel Frymann vor dem ersten Weltkrieg in seinem Buch »Wenn ich der Kaiser wär' - Politische Wahrheiten und Notwendigkeiten« niedergelegt hatte, fanden im Prinzip Aufnahme in das am 25.Februar 1920 im Hofbräuhaus-Festsaal in München verkündete Programm der NSDAP. Darin heisst es:
- (4) Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.
- (5) Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muss unter Fremdengesetzgebung stehen.
- (6) Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, dass jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob in Reich, Land oder Gemeinde, nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf.
- (8) Jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher ist zu verhindern. Wir fordern, dass alle Nicht-Deutschen, die seit dem 2.August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden.
In dem Masse, wie die NSDAP ihren Einfluss im politischen Leben vergrössern konnte, steigerte sich die Propagierung des integralen Bestandteiles der faschistischen Rassentheorie, des Antisemitismus.
Es verblieb aber nicht bei antisemitischen Äusserungen in Wort und Schrift, sondern zunehmend begannen die judenfeindlichen Kundgebungen sich in tätlichen Ausschreitungen gegen jüdische Friedhöfe, Synagogen und auch schon gegen jüdische Bürger unmittelbar zu zeigen. Die jüdischen Vereinigungen wandten sich schutzsuchend an die staatlichen Organe, insbesondere an das Preussische Innenministerium. So wies der Central-Verein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens den preussischen Innenminister am 4.Oktober 1928 darauf hin, dass seit seiner Eingabe vom 30.Mai 1927, womit auf die systematische Heimsuchung jüdischer Friedhöfe aufmerksam gemacht worden war, weitere Schändungen an dreizehn jüdischen Friedhöfen und fünf Synagogen vorgekommen seien.
Eine dieser Massnahmen, die die faschistische Judenverfolgung unmittelbar förderten, war die Neuregelung des Verfahrens bei Namensänderungen.
Hans Globke wurde schon bald nach seinem Eintritt in das Preussische Ministerium des Innern der verantwortliche Referent für die Bearbeitung von allen Fragen, die die Namensänderung betrafen. Er eignete sich auf diesem Gebiet in den folgenden Jahren umfangreiche Kenntnisse an und blieb während der Dauer seiner Tätigkeit im Preussischen und später im Reichs- und Preussischen Ministerium des Innern (R.u.Pr.MdI) der federführende Bearbeiter dieser Fragen. In seiner Aussage als Zeuge im Wilhelmstrassenprozess erklärte er am 10.August 1948 (S.15434 des Protokolls) hierzu:
Ich war Referent für das Namensrecht und habe also an allen Fragen der Namensänderung mitgearbeitet.
Die Richtlinien enthielten unter Ziffer VI einen Abschnitt Judennamen
, der mit seiner für die betreffenden Behörden verbindlichen Weisung, keine Änderungen jüdischer Namen in nichtjüdische vorzunehmen, offenkundig judenfeindlich war und schon eine Vorbereitung des faschistischen Namensrechts darstellte. Der Abschnitt lautet:
- Der Standpunkt, dass es einer Persönlichkeit jüdischer Herkunft zur Unehre gereiche, einen jüdischen Namen zu führen, kann nicht gebilligt werden. Bestrebungen jüdischer Personen, ihre jüdische Abkunft durch Ablegung oder Änderung ihrer jüdischen Namen zu verschleiern, können daher nicht unterstützt werden. Der Übertritt zum Christentum bildet keinen Grund, den Namen zu ändern. Ebensowenig kann die Namensänderung mit dem Hinweis auf antisemitische Strömungen oder auf das Bestreben eines besseren wirtschaftlichen Fortkommens begründet werden.
- Dagegen werden anstössige jüdische Namen, die erfahrungsgemäss zu Spötteleien Anlass geben (wie Itzig, Schmul) oder Abneigung gegen den Träger erwecken können (Nachtschweiss, Totenkopf), gleich den anstössigen Namen deutschen Ursprungs geändert werden können, indessen in der Regel nur durch Gewährung eines anklingenden Namens (Issen, Schmal), des Namens eines nahen Familienangehörigen oder eines Phantasienamens, nicht durch Gewährung eines sonst vorkommenden Namens.
Globke, dem die sich immer mehr steigernden antisemitischen Ausschreitungen der Faschisten bekannt waren und der aus den Verlautbarungen der führenden Nazis auch wusste, dass sie im Falle der Erlangung der politischen Macht in Deutschland noch viel brutaler gegen die jüdischen Bürger vorgehen würden, schnitt, soweit es in seiner Macht lag, den Juden bewusst eine Möglichkeit ab, dem faschistischen Terror zu entgehen. Dass bei Globke schon damals keinerlei Unklarheiten über den Charakter der antisemitischen Aktionen der Faschisten bestanden, gab er in seiner Zeugenaussage am 11. August 1948 vor dem Militärgerichtshof im sog. Wilhelmstrassenprozess zu. Er erklärte hier auf Befragen, dass die antisemitische Propaganda bereits vor 1933 offenkundig gewesen sei. Nach 1933 sei es zu Ausschreitungen gegen Juden an den verschiedensten Stellen Deutschlands gekommen. Auf eine weitere Frage äusserte Globke, dass er alle Verfolgungen von Juden für kriminell halte. Die von Globke im Jahre 1932 verfassten Richtlinien gaben für ihn in den folgenden Jahren immer die politisch-ideologische Grundlage; wenn er die Namensänderungen jüdischer Personen neu bearbeitete, so passte er lediglich den Inhalt der neuen Verwaltungsanweisungen jeweils verschärfend dem neuesten Stande der faschistischen Judenverfolgung an.
Am 3.April 1933 - M. B. 93/33 - schrieb der preussische Justizminister dem preussischen Innenminister:
Ich mache darauf aufmerksam, dass die Anträge von Juden auf Namensänderungen sich in der letzten Zeit ausserordentlich häufen. Hierdurch wird bezweckt, die Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse zu verbergen.
Hierauf wurde in einem von Globke verfassten Schreiben am 7.April 1933 - I Z Allg. 17/33 - u.a. geantwortet:
Im übrigen bemerke ich, dass ich Anträgen auf Änderungen jüdischer oder jüdisch klingender Namen in einen christlichen Namen auch beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen nur entspreche, wenn der Antragsteller nachweist, dass er nicht jüdischen Stammes ist.
Globke nahm dies weiter zum Anlass, eine nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Anweisung an die Regierungspräsidenten, Landräte und Polizeibehörden auszuarbeiten, mit der unter dem 15.Mai 1933 u.a. angeordnet wurde:
Grundsätzlich wird die Genehmigung einer Namensänderung, die den Zweck verfolgt, die nichtarische Abstammung zu verschleiern, nicht erteilt. Es ist daher erforderlich, dass aus allen mir erstatteten Berichten in Namensänderungsangelegenheiten hervorgeht, ob der Antragsteller arischer oder nichtarischer Abstammung ist. Abschnitt VI der mit meinem Runderlass vom 23.12.1932 - I Z 47/22 - (nicht veröffentlicht) übersandten Richtlinien bleibt unberührt. Jüdische Namen, deren Änderung danach in Frage kommt, werden aber nicht durch einen deutschen, sondern nur durch einen anderen jüdischen Namen zu ersetzen sein.
Konsequent verfolgte der Angeklagte seinen eingeschlagenen Weg weiter, allen Bürgern, die ganz oder teilweise jüdischer Abstammung waren, ein Entgehen vor den nazistischen Verfolgungen durch Namensänderungen zu vereiteln. In zahlreichen Aktenvorgängen, die dem Obersten Gericht vorgelegen haben, zeigt sich die unerbittliche Haltung Globkes, der in Durchführung des von ihm verfassten Erlasses vom 18.Dezember 1933 rücksichtslos alle Anträge auf Namensänderungen nicht vollarischer
Personen ablehnte.
Bemerkenswert ist hierbei, dass Globke, der immer wieder in der Öffentlichkeit behauptet, für die Nichtgleichstellung der sogenannten Halbjuden mit Volljuden während der Zeit der Hitlerdiktatur hartnäckig und auch erfolgreich gekämpft zu haben, ausnahmslos auch die Anträge jüdischer Mischlinge ablehnte.
So schilderte am 25.Oktober 1933 die aus einer sog. Mischehe stammende 17 Jahre alte Liselotte Moser, die in einer Erwerbslosensiedlung von Wohlfahrtsunterstützung lebte, in einer von Globke bearbeiteten Eingabe, wie sie immer wieder durch ihre an ihrem Namen erkennbare Abkunft daran gehindert wurde, selbst die untergeordnetste Tätigkeit in einem Haushalt zu erlangen. Verzweifelt stellte das Mädchen die Frage, ob dies ihr ganzes Leben so weitergehen solle. Kalt teilte ihr Globke am 30.Oktober 1933 - I Z. M. 104 - in wenigen Zeilen die Ablehnung ihres Antrages aus grundsätzlichen Erwägungen
mit.
Die ebenfalls aus einer Mischehe stammende 23 Jahre alte Margarete Cohn wollte den Geburtsnamen ihrer Mutter - Marinski - annehmen, da ihr Verlobter der Schutzpolizei angehörte und sie Schwierigkeiten für die beabsichtigte Eheschliessung befürchtete. Globke ermächtigte am 16.Dezember 1933 - I Z. C. 38 - den Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder) in seiner Eigenschaft als Ortspolizeibehörde, die Antragstellerin ablehnend zu bescheiden.
Am 28.Juni 1942 bat Frau Bertha Böckstiegel aus Berlin-Dahlem inständig darum, ein 15 Jahre altes Mädchen adoptieren zu dürfen, an dem sie schon seit dem Jahre 1937 die Mutterstelle vertrat. Aus jedem ihrer Worte wurde das innige Verhältnis sichtbar, das zwischen den beiden Menschen bestand. Da das Kind nach den faschistischen Abstammungsregeln jüdischer Mischling ersten Grades war, wurde das Gesuch abgelehnt.
Ebenso wurde das Gesuch der Eheleute Bleitner vom 9.Mai 1941 abgelehnt, den jüdischen Mischling ersten Grades Karl-Heinz Kusch adoptieren zu dürfen. Es wurde eingeräumt, dass die Eheleute Bleitner in geordneten Verhältnissen lebten, mit grosser Liebe an dem Pflegekind hingen und auch in den Jahren eigener wirtschaftlicher Notlage selbstlos für den Jungen eingetreten waren. Aber ausser der Tatsache, dass das Pflegekind Mischling sei, müsse die Ablehnung auch erfolgen, weil der Ehemann Bleitner politisch nicht zuverlässig sei. Er sei früher gewerkschaftlicher Referent der SPD gewesen, und seine politische Haltung lasse nach Einschätzung der Gauleitung der NSDAP Halle-Merseburg erkennen, dass er auch bis heute für den Nationalsozialismus kein Verständnis aufbringen kann
.
Globke gefiel offenkundig aber auch der Vorschlag des von und zu Loewenstein. Mit diesem übereinstimmend hielt auch er den Zustand für unbefriedigend, dass sich deutsche Sippen zur Aufgabe ihrer ererbten Namen gezwungen sähen, weil Juden ebenfalls diese Namen angenommen hätten und die betreffenden Namen heutzutage als typisch jüdisch angesehen würden. Er hielt auch schon die juristische Regelung bereit, die diesen nach seiner Meinung unbefriedigenden Zustand beseitigen könnte. Deshalb schlug er vor, in den vorgelegten Referentenentwurf noch einen §7a folgenden Wortlauts einzufügen:
Hat ein Jude einen Familiennamen angenommen, der auch von deutschen Sippen getragen wird, so kann der Reichsminister des Innern seinen Nachkommen die Führung dieses Namens untersagen und ihnen die Führung eines jüdischen Namens aufgeben.
Wie §14 des Referentenentwurfes ausweist, ging der Vorschlag Globkes dahin, das Namensänderungsgesetz bereits am 1.Januar 1936 zu erlassen.
Am 15.Juni 1936 - V 32/36 Ads. - teilte Himmler dem Staatssekretär Pfundtner vom R.u.Pr.MdI mit, dass der "Führer" eine gesetzliche Regelung wünsche, womit Juden verboten werden solle, die Namen Siegfried und Thusnelda zu führen.
Das Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen wurde am 5.Januar 1938 im Umlaufwege beschlossen (RGBl. I S.9). Nach §7 Abs.1 konnten nunmehr Namensänderungen, die vor dem 30.Januar 1933 genehmigt worden waren, bis zum 31.Dezember 1940 widerrufen werden, wenn diese Namensänderungen als nicht erwünscht anzusehen
waren. §7 Abs.2 bestimmte, dass durch den Widerruf auch die Personen den Namen verloren, die ihr Recht zur Namensführung von der Person ableiteten, die der Widerruf betraf.
Mit dem Erlass der Nürnberger Gesetze im Jahre 1935 bis zum Jahre 1938 wurde den Juden nach und nach die Betätigung in nahezu allen Berufsgruppen untersagt, ihre Entlassung aus dem öffentlichen Dienst gesetzlich angeordnet und mit Drohungen und Erpressungen, einsetzend mit dem Jahre 1937, auch die Zwangsarisierung der Wirtschaft betrieben. Der Antisemitismus nahm immer krassere Formen an. In dieser Situation der immer brutaler werdenden Terroraktionen gegen den jüdischen Bevölkerungsteil Deutschlands reifte der geeignete politische Zeitpunkt heran, von dem Globke in der Begründung zu §12 des Namensänderungsgesetzes gesprochen hatte, der es entsprechend dem erreichten Stand der nazistischen Judenpolitik ermöglichte und erforderte, die Kennzeichnung und damit Aussonderung der jüdischen Menschen zu vollenden.
Die als Idee bei Globke schon lange vorhandene und durch umfangreiche Ausarbeitungen seit Februar 1938 in Entwürfen vorbereitete zwangsweise Beilegung jüdischer Vornamen wurde mit der Zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.August 1938 (RGBl. I S.1044) auf gesetzliche Grundlage gestellt. Soweit jüdische Bürger andere als die in dem Verzeichnis enthaltenen Vornamen führten, wurden sie mit §2 der Zweiten Durchführungsverordnung gezwungen, ab 1.Januar 1939 einen weiteren Vornamen anzunehmen, und zwar mussten sich weibliche Personen zusätzlich Sara
und männliche Israel
nennen. Diese Vornamen mussten nach §3 auch im Rechts- und Geschäftsverkehr geführt werden. Für Zuwiderhandlungen wurden gemäss §4 Gefängnis- und Geldstrafen angedroht.
Schon am nächsten Tage, dem 18.August 1938, erging der von Globke verfasste Runderlass 1 d 42 X/38-5501b (Sonderdruck Nr.63 MBliV. 1938 S.1345 ff.), mit dem die Verwaltungsbehörden unter Ziff.15 folgendermassen angewiesen wurden:
Eine Vornamensänderung ist regelmässig nur dann zu widerrufen, wenn sie von einem Juden zur Verschleierung seiner jüdischen Abstammung beantragt worden ist; insbesondere also, wenn ein in der Anlage aufgeführter Vorname durch einen anderen ersetzt worden ist.
Als Anlage zu diesem Runderlass wurde ein Verzeichnis derjenigen jüdischen Vornamen herausgegeben, die von jüdischen Personen geführt werden durften.
Durch Verordnung vom 24.Januar 1939 (RGBl. I S.81) wurde der Geltungsbereich des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 5.Januar 1938 und seiner beiden
Durchführungsverordnungen vom 7.Januar und 17.April 1938 auch auf das Land Österreich und die sudetendeutschen Gebiete ausgedehnt. Auch hier war Globke der verantwortliche Bearbeiter, und seine Mitarbeit bei der Wiedervereinigung Österreichs
wurde von Frick bei seinem Vorschlag an den Stellvertreter des Führers vom 25.April 1938, Globke zum Ministerialrat zu befördern, besonders anerkennend hervorgehoben. Globke begnügte sich nicht mit der verantwortlichen Bearbeitung der Einführung der gesetzlichen Vorschriften des Namensänderungsrechts in Österreich und dem Sudetenland. Er arbeitete dazu noch einen Runderlass aus, mit dem am 2.Februar 1939 (MBliV. S.253) in diesen Gebieten die gesamten Verwaltungsvorschriften des R.u.Pr.MdI, darunter auch die Richtlinien über die Judennamen, eingeführt wurden.
Er traf aber, bevor die Namensrechtsbestimmungen in Österreich eingeführt waren - mithin ohne gesetzliche Grundlage -, in seinem Arbeitsbereich Entscheidungen, die dem späteren Zustand vorgriffen, und liess damit erkennen, dass er die betreffenden Fragen nur in diesem Sinne geregelt wissen wollte. So wandte sich am 11.November 1938 das Auswärtige Amt an den Reichsminister des Innern mit der Bitte um Auskunft, wie die Ausstellung von Reisepässen für österreichische Juden zu handhaben sei. Globke entschied diese Frage am 28.November 1938 (das Namensänderungsrecht ist am 24.Januar 1939 auf Österreich übertragen worden!) mit Schreiben an das Auswärtige Amt wie folgt:
[…]Die Einführung des im Altreich geltenden Namensrechts einschliesslich der 2.VO zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17.8.1938 (RGBl. I S.1044) im Lande Österreich ist für die nächste Zeit in Aussicht genommen. Ich habe keine Bedenken, dass bei der Ausstellung neuer Reisepässe für Juden vormals österreichischer Staatsangehörigkeit schon jetzt die zusätzlichen Vornamen eingetragen werden.
Auch die Zeugin R. machte schlechte Erfahrungen mit Dr. Globke. Sie war mit einem jüdischen Bürger verheiratet, dem im Jahre 1935 die Existenz vernichtet wurde. Die zunehmenden Repressalien brachten die Familie R. zu dem Entschluss, Deutschland zu verlassen. Es ergab sich, dass Herr R. im April 1939 zunächst allein auf dem Seewege das Land
verliess. Frau R. und ihrem Sohn gelang die Auswanderung nicht mehr. In ihrer begründeten Besorgnis um das Schicksal ihres als Geltungsjuden behandelten Sohnes wandte sich die Zeugin im Jahre 1942 an den ihr bekannten und im R.u.Pr.MdI tätigen Dr. Schütze, der ihr empfahl, sich zuständigkeitshalber an Dr. Globke zu wenden. Sie befolgte den Rat. Als sie zu Dr. Globke in das Zimmer kam, habe er sie unfreundlich nach ihrem Anliegen gefragt. Sie habe dann unter Hinweis, dass sie auf Empfehlung Dr. Schützes komme, die Bitte vorgebracht, ihrem Sohn zu helfen. Nachdem die Zeugin die Frage des Angeklagten, ob sie von ihrem jüdischen Ehegatten geschieden sei, verneinen musste, habe er im aufbrausenden Tone gesagt: Dann kleben Sie ja immer noch an dem Juden.
In gleicher Tonart sei er fortgefahren: Das hätten Sie sich eher überlegen sollen. Bilden Sie sich ja nicht ein, dass durch eine jetzige Scheidung Ihr Sohn noch gerettet werden kann!
Die rigorose Ablehnungspraxis des Reichs- und Preussischen Ministeriums des Innern bei Anträgen, mit denen in irgendeiner Form eine Befreiung von den Vorschriften der Rassengesetzgebung nachgesucht wurde, setzte sich auch fort in der Tätigkeit des Reichsausschusses zum Schutze des deutschen Blutes, in welchem ebenfalls das R.u.Pr.MdI massgebend mitwirkte. Vorsitzender des Ausschusses war Dr. Stuckart. Wie sich aus der Niederschrift über die 9.Sitzung des Ausschusses vom 9.März 1937 ergibt, wurden im letzten Tagesordnungspunkt der kaum drei Stunden dauernden Sitzung 36 Anträge, die die Befreiung von den Vorschriften der Rassengesetze zum Gegenstand hatten, abgelehnt. In der Niederschrift heisst es hierzu wörtlich:
Reichsamtsleiter Dr. Blome erklärt, die seither gesuchte grundsätzliche Entscheidung sei vom Führer längst dadurch getroffen worden, dass dieser auf Vortrag von Reichsärzteführer Dr. Wagner erklärt habe, er wünsche, dass der Reichsausschuss nach wie vor die bei ihm angebrachten Anträge ablehne. Der Führer hat die bisher ablehnende Einstellung des Reichsausschusses ausdrücklich gebilligt.
Dass auch Globke an der Tätigkeit dieses Ausschusses massgeblich beteiligt worden ist, ergibt sich aus einem handschriftlichen Vermerk Dr. Stuckarts auf der vorbezeichneten Niederschrift. Er lautet:
Herr Globke. In dem Schreiben an den Reichsärzteführer bitte ich zum Ausdruck zu bringen, dass, wenn er der Auflösung des Ausschusses nicht zustimmt, er uns einen hauptamtlichen Berichterstatter zur Verfügung stellen soll.
Die Diskriminierung und Tyrannisierung des jüdischen Bevölkerungsteiles wurde systematisch auf immer weitere Lebensgebiete erstreckt. Am 15.Juli 1938 erging ein in der Abteilung I des Reichs- und Preussischen Ministeriums des Innern ausgearbeiteter Erlass, der die Benutzung von Bädern und Kureinrichtungen durch jüdische Bürger zum Gegenstand hatte. U.a. hieß es darin:
Die Bestimmungen sollen die Beschränkungen, die für jüdische Kurgäste gelten, genau ersehen lassen, insbesondere sind die Einrichtungen, zu deren Benutzung die Juden nicht oder nur in beschränktem Umfange zugelassen sind, genau zu bezeichnen und die besonderen Benutzungszeiten und örtlichen Beschränkungen im einzelnen anzugeben. […]
Die Feststellung der jüdischen Kurgäste kann in der Weise erreicht werden, dass diese die Tatsache, dass sie Juden sind, anlässlich der polizeilichen Anmeldung oder im Anschluss daran der Kurverwaltung persönlich oder schriftlich mitzuteilen haben. Die jüdischen Kurgäste können auf diese Pflicht durch die ihnen zur Verfügung stehenden jüdischen Kuranstalten, Heime und dgl. hingewiesen werden. Die für Juden ausgestellten Kurkarten können durch eine besondere Farbe (z.B. gelb) kenntlich gemacht werden. Zuwiderhandlungen können mit der sofortigen Einziehung der Kurkarte geahndet werden.
Die von den Nazis als Endlösung der Judenfrage
bezeichnete Massenvernichtung von jüdischen Menschen aus dem damaligen deutschen Einflussgebiet stellt die letzte und schrecklichste Etappe der von den deutschen Faschisten gegen das jüdische Volk begangenen Verbrechen dar. Diese letzte Etappe der allgemeinen Deportation der Juden in die in den besetzten Ostgebieten gelegenen Vernichtungslager umfasst den Zeitraum von 1941 bis 1945. Aber auch ausserhalb der grossen Vernichtungsaktionen wurde jeder Vorwand benutzt, um Juden in Schutzhaft zu nehmen und in Konzentrationslagern umzubringen.
So wurde am 27.Oktober 1941 die Verkäuferin Bertha Schafranek in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Dort ist sie am 12.April 1942 ums Leben gekommen. Als Schutzhaftgrund wurde angegeben: Intimer Verkehr mit deutschblütigem Mann.
Die Hausfrau Esther Sara Königshofer wurde wegen Umganges mit Deutschblütigem
am
16.Oktober 1942 in Schutzhaft genommen und ist am 9.Februar 1943 im Konzentrationslager Auschwitz umgekommen.
Dr. Globke war auch an der Endlösung
beteiligt. Er war u.a. von 1938 bis 1943 Referent und von 1943 an Korreferent für internationale Fragen auf dem Gebiete des Staatsangehörigkeitswesens, und unter seiner Mitwirkung entstanden in der Abteilung I des R.u.Pr.MdI eine Reihe von Normativakten, mit denen die Judenverfolgung und -vernichtung auf scheinbar gesetzlicher Grundlage durchgeführt wurde.
Im Februar 1938 wurde im Verantwortungsbereich des Angeklagten der Referentenentwurf eines Gesetzes über Erwerb und Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit fertiggestellt - I e 5043/38 / 5000b -. Dieser Entwurf ist zwar nicht Gesetz geworden, er enthielt aber bereits die Grundgedanken der späteren 11. und 12. Verordnung zum Reichsbürgergesetz.
Am 31.Juli 1941 beauftragte Göring den Chef der Sicherheitspolizei und des SD, SS-Gruppenführer Heydrich, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa
.
Nachdem mit der 11.Verordnung zum Reichsbürgergesetz die juristische Grundlage für die als Endlösung
bezeichnete Massenvernichtung jüdischer Menschen geschaffen, ihre Kennzeichnung auch schon äusserlich durch das mit Polizeiverordnung vom 1.September 1941 (RGBl. I S.547) angeordnete Tragen des sog. Judensterns vorgenommen worden und seit dem 15.Oktober 1941 die ersten Judentransporte mit anschliessender Vernichtung dieser Menschen praktisch erprobt war, berief Heydrich am 1.Dezember 1941 eine Besprechung massgeblicher Persönlichkeiten zum 9.November 1941 ein. Diese Besprechung wurde dann aber auf den 20.Januar 1942 verlegt und ist als Wannsee-Konferenz bekannt geworden.
Zwischenzeitlich erging seitens der Abteilung I des R.u.Pr.MdI am 3.Dezember 1941 - I e 5545/41 / 5013 - eine Anordnung zur Durchführung der 11.Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die die Durchführung der mit der Endlösung
verfolgten verbrecherischen Ziele noch wesentlich erleichterte. Die Anordnung hatte folgenden Wortlaut:
- Der Verlust der Staatsangehörigkeit und der Vermögensverfall trifft auch diejenigen unter die Verordnung fallenden Juden, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den von den deutschen Truppen besetzten oder in deutsche Verwaltung genommenen Gebieten haben oder in Zukunft nehmen, insbesondere auch im Generalgouvernement und in den Reichskommissariaten Ostland und Ukraine.
- Von einer Veröffentlichung dieser Anordnung ist abzusehen.
Der in der Abteilung I des R.u.Pr.MdI tätige Ministerialrat Lösener hatte Ende 1941 von massenweisen Vernichtungen jüdischer Menschen erfahren und gelangte auf Grund dessen zu dem Entschluss, Konsequenzen hinsichtlich seiner Tätigkeit zu ziehen. Er schilderte diese Vorgänge in einer für den Nürnberger Wilhelmstrassenprozess bestimmten Erklärung unter Eid
am 8.Juni 1948 wie folgt:
Im Jahre 1941 betrieben die Vertreter der Partei auf Weisung von Hitler die sogenannte Endlösung, die auf die physische Vernichtung der Juden hinzielte. Ende 1941 konnte kein Zweifel für jeden, der sich mit diesen Dingen zu befassen hatte, mehr über diese Pläne bestehen.
Es trat aber dann ein Ereignis ein, das mir ein Verbleiben in meiner Position nicht mehr möglich machte. Ich liess mich daher am 21.Dezember 1941 bei Stuckart dringend melden und trug ihm folgendes vor:
Ich sagte, mein Mitarbeiter Dr. Feldscher habe von einem völlig vertrauenswürdigen Freund als Augenzeuge eine Schilderung bekommen, in welcher Weise letzthin abtransportierte deutsche Juden in Riga abgeschlachtet worden seien. Dem Inhalt nach sagte ich folgendes: Die Juden des betreffenden Lagers mussten lange Gräben als Massengräber ausheben, sich dann völlig entkleiden, ihre abgelegten Sachen in bestimmte Haufen sortieren und sich dann nackend auf den Boden des Massengrabes legen. Dann wurden sie von SS-Leuten mit Maschinenpistolen umgebracht. Die nächste Gruppe der zum Tode Verdammten musste sich dann auf die bereits Hingerichteten legen und wurde in derselben Weise erschossen. Dies Verfahren wurde fortgesetzt, bis das Grab gefüllt war. Es wurde dann mit Erde zugeworfen und eine Dampfwalze darüber geleitet, um es einzuebnen.In dieser Weise wurden die sämtlichen Massengräber gefüllt.
Ich sagte Stuckart, dass diese Greuel mich nicht nur als Menschen berühren, wie es bei sonstigen Greueln der Fall war, sondern dass ich diesmal auch als Referent des Innenministeriums betroffen würde, da es sich diesmal um Juden deutscher Staatsangehörigkeit handelt. Meinen Verbleib in meiner bisherigen Stellung und im Ministerium könnte ich fortan nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, auch auf die Gefahr hin, dass sich die bisherige Handhabung der Mischlings- und Mischehenfragen nicht mehr halten lasse. Stuckart entgegnete hierauf wörtlich:
Herr Lösener, wissen Sie nicht, dass das alles auf höchsten Befehl geschieht? Ich entgegnete: Ich habe in mir innen einen Richter, der mir sagt, was ich tun muss.
Globke gab als Zeuge im Wilhelmstrassenprozess ebensolche Kenntnisse zu. Auf S.167 des in dieser Sache ergangenen Urteils ist festgestellt:
Innerhalb des Reichsinnenministeriums war die Ausrottung der Juden kein Geheimnis. Der Zeuge Globke, einer von Stuckarts Ministerialräten, hat als Zeuge des Angeklagten folgendes ausgesagt:Ich wusste, dass die Juden massenweise umgebracht wurden, aber ich war immer der Auffassung, dass es daneben auch Juden gab, die entweder in Deutschland lebten oder die, wie in Theresienstadt oder dgl., in einer Art Ghetto zusammengefasst waren.
Verteidiger:Sie meinen also, dass es sich nur um Exzesse handelte und nicht um eine systematische Ausrottung?
Antwort Globkes:Nein, das wollte ich nicht sagen. Ich bin der Auffassung und ich habe es gewusst, dass diese Ausrottung der Juden systematisch vorgenommen worden ist, aber ich wusste nicht, dass sie sich auf alle Juden bezog.
Das gleiche Zugeständnis, dass er von Urlaubern eine Menge über die massenweise Vernichtung jüdischer Menschen im Osten erfahren habe, aber auch die gleiche Einschränkung, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass alle Juden umgebracht werden sollten, machte Globke auch am 28.April 1961 im westdeutschen Fernsehen. […]
Auf der am 20.Januar 1942 durchgeführten Wannsee-Konferenz hielt Heydrich ein einleitendes Referat. Er legte dar, dass das Ziel bislang gewesen sei, den deutschen Lebensraum auf legale Weise von Juden zu säubern. Bis zum 31.Oktober 1941 seien insgesamt rund 537.000 Juden zur Auswanderung gebracht worden, davon aus dem Altreich etwa 360.000, aus Österreich etwa 147.000 und aus Böhmen und Mähren rund 30.000. Die vermögenden Juden seien gezwungen worden, die Auswanderung der vermögenslosen Juden zu finanzieren. Ausserdem seien durch ausländische Juden bisher rund 9.500.000 Dollar zur Verfügung gestellt worden. Das Besprechungsprotokoll weist dann hinsichtlich der Endlösung der Judenfrage
im wesentlichen folgende Ergebnisse aus:
An Stelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten.
Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen, doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind. Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht.
[…]
Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In grossen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden strassenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Grossteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.
Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der Geschichte.) Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa vom Westen nach Osten durchgekämmt. Das Reichsgebiet einschliesslich des Protektorats Böhmen und Mähren wird, allein schon aus Gründen der Wohnungsfrage und sonstigen sozialpolitischen Notwendigkeiten, vorweg genommen werden müssen. Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden.
[…]
Urteil gegen Hans Josef Maria Globke OG vom 23.07.1963, 1 Zst (I) 1/63 Band III, Lfd.Nr.1068 S.92, 96, 99-103, 127Zu Lebzeiten wurde Globkes Einsatz für die nationalsozialistische Diktatur nur teilweise bekannt. Im In- und Ausland wurde er immer wieder scharf angegriffen, von der Bundesregierung, dem BND und der CIA aber immer geschützt. Die Konrad-Adenauer-Stiftung versucht heutzutage, Globke in ihren Beschreibungen durch Passivkonstruktionen zu entlasten, wie Globke es seinerzeit schon selbst versucht hatte.
So schreibt das Archiv:
In der NS-Zeit wurde er zum Mitverfasser des juristischen Kommentars der nationalsozialistischen Rassegesetze
– so als habe Globke nicht aus freien Stücken den Gesetzeskommentar verfasst. Bei der Stiftung liegen zu Globke 16,8 laufende Meter Akten vor.
Neuschöpfer des deutschen Volkes: Julius Streicher im Kampf gegen Rassenschande von Franco Ruault]