Eine fast perfekte Blamage
In den 1980er Jahren hielt ich neben meiner Tätigkeit bei der Senatsverwaltung für Umweltschutz hin und wieder Vorträge für das Institut für Ökologisches Recycling e. V. (IföR). Abfallvermeidung, Recycling — mein berufliches Fachgebiet und ein Thema, welches mir auch persönlich stark am Herzen lag. Da konnte mich so schnell nichts schrecken. Dachte ich.
Doch 1988 brachte mich ein solcher Vortrag an den Rand einer peinlichen Katastrophe. Ich war zu einer Lehrerfortbildung eingeladen, Titel: Möglichkeiten und Grenzen der Abfallvermeidung
. Mein Vortrag war auf neun Uhr angesetzt. Als ich etwa zwanzig Minuten vorher den eindrucksvollen Sitzungssaal im Verwaltungsgebäude der Siemens-Werke an der Nonnendammallee betrat, hielt dort bereits ein Kollege des Umweltbundesamts seinen Vortrag. Über Abfallvermeidung, über Recycling. Über genau das, was ich vorbereitet hatte.
Nach drei Minuten war mir klar: Das war nicht nur mein Vortrag. Das war mein Vortrag in einer Luxusversion. Wo ich mit Schere, Kleber und Overheadfolie gearbeitet hatte, glänzte er mit gestochen scharfen Folien und souveräner Rhetorik. Meine „handgemachten" Schaubilder wirkten kläglich dagegen. Mir wurde heiß. Dann kalt. Dann beides gleichzeitig. Und schwindelig. Was sollte ich tun? Ich konnte hier unmöglich auftreten! Panik stieg in mir auf. Für Sekunden spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, einfach wieder zu verschwinden — sang- und klanglos.
Als der Kollege nach einer überzogenen Redezeit hastig seine Unterlagen zusammenraffte und den Saal verließ, wusste ich immer noch nicht, was ich tun sollte. Wie in Trance stieg ich auf das Podium. fünfundzwanzig Augenpaare richteten sich auf mich. Ich blickte in fünfundzwanzig müde Gesichter — müde, die Köpfe abgefüllt von der Informationsflut meines eloquenten Vorredners.
Da kam mir die rettende Idee. Ich deutete auf meine Mappe, zwang mir ein schiefes Lächeln ab und sagte: Ehrlich gesagt — ich habe einen sehr ähnlichen Vortrag vorbereitet. Sie würden also jetzt vieles zum zweiten Mal hören. Aber ich habe den Eindruck, dass beim Beitrag meines hervorragenden Kollegen vom UBA bei Ihnen einige Fragen offengeblieben sind.
Nach einer rhetorischen Pause fügte ich hinzu: Vielleicht können Sie mir helfen: Was wären Ihrer Meinung nach sinnvolle Ansätze, um der Müllflut Herr zu werden?
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann — ein kollektives Aufatmen. Die Erleichterung war greifbar. Statt einer weiteren Folienflut öffnete sich nun der Raum für Diskussionen, Widersprüche, lebhafte Ideen. Was folgte, war ein echtes Gespräch. Ich stellte Fragen, moderierte, griff Gedanken auf — und erlebte, wie aus Müdigkeit Engagement erwuchs.
Selbst in der folgenden Kaffeepause wollten einige mit mir weiterdiskutieren. Und bei der Verabschiedung bedankte sich der Veranstalter: So lebendig, so interaktiv — genau das brauchen wir.
Und ich? Ich war erschöpft, dankbar — und einfach nur froh, diese drohende Blamage mit einem Geistesblitz in eine Sternstunde verwandelt zu haben. Literatur: Lubjahn, Detlev; Rehm, Markus; Schrimpf, Monika: Giftstoffe im Berliner Müll — Bedrohung oder Bagatelle? In: IföR (Hrsg.): Alternativen zum Müll, Berlin 1985, II. 52.01-16.


