Kuh-Rallye durch Schafwedel 1988
Vorwort
Bei Schafwedel gibt es ein 2,7 Hektar großes Naturschutzgebiet. Es liegt im niedersächsischen Landkreis Uelzen zwischen Bad Bodenteich und dem Ortsteil Schafwedel im Süden der Bodenteicher Seewiesen. Das Naturschutzgebiet wird im Norden und Süden durch einen Feldweg begrenzt. Seit 5. Juni 1950 steht das Zwergbirkenmoor unter Naturschutz. Die beiden Wasserläufe Seehalsbeke
und der Schöpfwerkkanal
münden in Bad Bodenteich in die Aue. Die Bodenteicher Seewiesen haben eine Fläche von etwa fünf Quadratkilometer. Dieses Wiesengebiet zählt zu den größten dieser Art in Nordostniedersachsen.
Fünfzehn schwarzbunte Kühe fressen viel Gras, natürlich mögen sie saftiges grünes Gras, mit wenigen Disteln, doch irgendwann ist eine Weide kahl gefressen. Dann muss den Kühen neues Gras auf einer anderen Weide angeboten werden. Dafür ist aber Vorarbeit vom Landwirt angesagt. Weidezaunpfähle mit Isolatoren mussten mit und natürlich die Weidezaunhaspel. Sie ist ein Technisches Hilfsmittel zum Auf- und Abwickeln von Weidedrähten. Auch die Membran-Weidepumpe aus Gusseisen mit Hubmechanismus wurde aufgeladen, sie war sauschwer. Dafür hatte sie eine Saugtiefe bis zu acht Metern. Der Ansaugschlauch mit einem Wasserfilter am Ende wurde von der Pumpe zum Wassergraben verlegt, um die Wasserversorgung für die Kühe sicherzustellen. Und dann wurde die neue Weide im Brandweg eingezäunt. Sie lag aber etwa vier Kilometer von der alten Weide in Richtung DDR-Grenze entfernt, also hinter der Ortschaft Schafwedel.
Einer der Helfer steckte die Metallpfähle mit den Isolatoren in das Erdreich. Ich hatte die Weidezaunhaspel mit Draht in der Hand und mein Schwiegervater wickelte den Draht um die Isolatoren. Er sagte dann, wo der nächste Pfahl hinkäme, denn jede Wiese wurde in Parzellen eingeteilt. Jeden Tag kam eine neue Weidefläche dazu. Aus dem Futterangebot ergibt sich dann die gewünschte Milchleistung der Kühe. Der Draht durfte keine Grasberührung haben, sonst hätte der Weidezaun den Strom nicht weitergeleitet. Auch der Hochspannungstrafo mit zwölf Volt wurde am neuen Platz installiert. Waren alle vier Seiten mit Draht eingezäunt, schalteten wir das Weidezaungerät zu Probe ein und hielten ein Grashalm an den Draht. So wussten wir, ob Strom im Draht ist. Bei der Probe war mein Schwiegervater immer begeistert, wenn alles OK war. Das Weidezaungerät wurde wieder ausgeschaltet und ein breiter Eingang offen gelassen, damit die Kühe in ihre neue Weide umziehen konnten. Die erforderlichen Vorarbeiten waren damit vollzogen. Nach einer kurzen Pause melkten meine Schwiegereltern dann die 15 Kühe auf der kahlen Weide in den Bodenteicher Seewiesen und trieben die Kühe anschließend auf der Weide zusammen.
Bevor es losging, stellten wir Zweibeiner uns wie eine kleine Fußballmannschaft auf. Meine Frau kannte das Kühetreiben durch das Dorf schon aus ihrer Kindheit. Vorn links und rechts stand je einer sowie zwei weitere hinten. Meine beiden Söhne waren an der Stelle, wo die Kühe nicht weiter wollten und riefen immer holla, holla
. Die Kühe rochen das saftige Gras am Wegesrand. Dort lagen auch Reste vom Kartoffelroden. So etwas mögen die Kühe sehr gern. Immer schön die Kühe zusammenhalten
, sagte mein Schwager, der Landwirt. Die Kühe wurden am Zwergbirkenmoor, den Wiesenweg hoch in Richtung Landesstraße 266 getrieben. Dann auf der Straße nach links Richtung Schafwedel. Hier herrschte nicht viel Verkehr, denn Schafwedel war das letzte Dorf vor der Grenze zur DDR. Heute wäre das Kühetreiben auf der L266 unmöglich und lebensgefährlich! Die L266 führt heute von Bad Bodenteich über Schafwedel nach Salzwedel im Land Sachsen-Anhalt. Auf der Straße mussten alle Kühe wegen der breiten Straße zusammengehalten werden. Nicht zu schnell und nicht zu langsam sollten sie gehen. Mein Schwager sagte uns, vor welchen Ein- und Ausfahrten wir uns aufstellen sollten, so dass die Kühe keine Chance hatten, vom Weg abzukommen.
Dann ging der Trieb durch das Dorf Schafwedel mit seinen etwa 180 Einwohnern. Die Kühe wurden langsam müde. Ich glaube, auf der Schmölauer Straße habe ich ganze fünf Autos gezählt, obwohl eigentlich nicht viel Zeit zum Zählen war, man musste ja die Tiere im Auge behalten. Im Ort gibt es eine Straßenabzweigung Richtung Thielitz und Schosdorf. Diese Straße sperrte Schwiegermutter mit ihrem roten Kopftuch für den Kuhtrieb, Autos fuhren heute keine. Wer sich hierher, nach Schafwedel verirrte, wohnte entweder hier oder lieferte frische Ware für den Gasthof.
Mitunter rief mein Schwager uns allen in voller Lautstärke zu, dass wir besser auf die Kühe aufpassen müssten. Dann sagten wir uns im Stillen: ja-ja
. In Richtung der DDR Grenze ging es rechts in den Brandweg. Hier steht heute eine große Biogasanlage. Im Brandweg gingen dann die Kühe auf einem Sandstreifen weiter. Auf der Straße gingen sie nicht so gern, denn jeder Stein drückte auf die Hufe. Jetzt wurde der Sandstreifen auf der rechten Seite im Brandweg immer breiter. Wir mussten sehr aufpassen, wäre eine Kuh rechts in das Wäldchen gelaufen, hätten wir ein Problem gehabt, denn es lagen viele kleine und große Äste herum.
Ein Sturm fegte am 13. November1972 über Niedersachsen hinweg, auch den Brandweg verschonte er nicht und die Spuren waren auch nach vielen Jahren noch sichtbar. Die Kühe liefen jetzt auch langsamer und wir aber auch. In der Ferne konnte man die neue Weide schon sehen. Die Straße wurde jetzt enger, weil es nur noch ein Wirtschaftsweg war. Nach etwa 500 Metern wurden die Kühe auf die neue Weide geleitet. Sie warfen vor Freude die Hinterbeine in die Luft, den Schwanz in die Höhe und machten sich über das frische Gras her. Jetzt wurde der Draht an beiden Seiten verbunden, an das Weidezaungerät angeschlossen und der Einschalter betätigt.
Noch ein kurzer Test mit einem Grashalm, dann wussten wir, dass der Weidezaun Strom führte. Auch wurde die Weidepumpe am Wassergraben noch einmal getestet, ob die Kühe auch Wasser hatten. Und sie hatten neues Gras. Wir haben noch einen Blick auf die DDR-Grenze und viel Natur geworfen. Hier am Brandweg herrscht eine Ruhe, auch noch heute.
Mitunter konnte man am Grenzzaun das Geräusch eines Trabbis oder eines Motorrades hören. Dann fuhren die Grenzposten der DDR Streife. Und in der Nähe stand ein Wachturm auf Höhe der jetzigen Landesstraße 266. Im November des nächsten Jahres hörte die DDR auf zu existieren und die Grenze verschwand mit den Jahren.