Wie ich den Falklandkonflikt erlebte
Die Falkland Inselgruppe - von den Argentiniern Malvinas
genannt - war ursprünglich Teil des spanischen Vizekönigreichs am Rio de la Plata. Nach der Unabhängigkeiterklärung vom 9. Juli 1816 entstanden die Vereinigten Provinzen des Südens, das Ursprungsgebiet der heutigen Argentinischen Republik. Um die Souveränität auch über die 300 Meilen vom Festland gelegenen Inselgruppe zu bestätigen, hisste der Kommandant der argentinischen Fregatte Heroina
am 6. November 1820 die argentinische Nationalflagge auf der Insel Soledad (Ostfalkland) und ernannte einen argentinischen Gouverneur für das gesamte Archipel. Im Jahre 1833 jedoch eignete sich England mit Gewalt der Falklands an und wies die dort inzwischen ansässigen Argentinier sowie die argentinischen Behörden aus.
Seitdem versuchte Argentinien vergeblich, auf friedlichen Wegen die Inseln zurück zu gewinnen. 1965 wurden England und Argentinien durch Beschluss Nr. 2065 der UNO aufgefordert, sich über die Hoheitsrechte der Falklandinseln, also der Malvinas, auseinanderzusetzen. Die Verhandlungsversuche scheiterten aber immer wieder an der unnachgiebigen Haltung der englischen Regierung.
Im März 1982 gab es dann einen folgeschweren Zwischenfall. England entsandte ein Kriegschiff, um die auf Südgeorgien legal tätigen argentinischen Arbeiter zu vertreiben. Diese hatten in ihrem Lager eine argentinische Fahne gehisst. England hatte für diese Art von Nationalbewusstsein absolut kein Verständnis. Infolge dieser harten Haltung eskalierte die Lage rasch. Die argentinische Regierung beschloss nun ihrerseits, die Inseln am 2. April 1982 zu besetzen, um die Briten durch vollendete Tatsachen endlich zu zwingen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Diese Militäraktion sollte nach dem Willen der Regierung möglichst unblutig verlaufen und die argentinischen Soldaten erhielten den strengen Befehl, dem Gegner keine Verluste beizubringen. Die Operation erfolgte zunächst wie geplant. Damals dachte niemand daran, dass dieser Akt zu einer blutigen Auseinandersetzung führen würde. Jedoch, die britische Regierung reagierte unerbittlich und entsandte eine gewaltige Task Force, um die argentinischen Eindringlinge
zu vertreiben. Am 2. Mai kam es dann zu ersten Kriegshandlungen. Das britische Atom-U-Boot Conqueror
versenkte den argentinischen Kreuzer General Belgrano
, als dieser sich bereits aus der vereinbarten Kriegszone (exclusion zone) entfernt hatte. 323 argentinische Seeleute kamen ums Leben. Die Argentinier empfanden dies als ihren eigenen Pearl Harbour
und schlugen verzweifelt zurück. Nicht weniger als 7 Einheiten der britischen Flotte wurden versenkt und mindestens 16 weitere Kriegs- und Handelsschiffe blieben teilweise schwer beschädigt zurück. Trotzdem gelang es den britischen Truppen, einen Landungsbrückenkopf im Nordwesten Ostfalklands bei San Carlos zu etablieren und so begann die entscheidende Phase des Konflikts, der jedoch dann mit der Kapitulation der argentinischen Streitkräfte am 14.6.1982 endete.
Soweit der historische Hintergrund dieser Geschichte. Dabei sollte man die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Inseln nicht unterschätzen. Die Machtbehauptung über das Falkland-Archipel ist mit dem Anspruch auf ein Mitbestimmungsrecht über die Antarktis verbunden, sowie auch mit der Beaufsichtigung über eines der reichsten Fischereigebiete und der Ausbeutung der Erdöl- und Erdgasquellen auf dem Meeresgrund des Südatlantik.
Als Herausgeber der Fachzeitschrift NAVITECNIA (seit 1947) hatte ich enge Beziehungen zur Argentinischen Marine aufgebaut und in diesem Zusammenhang mehrere Besuche auf Marine-Stützpunkten und Einheiten abgestattet. Danach habe ich einen Kursus als Marinekorrespondent bestanden und wurde als solcher im Range eines Kapitänleutnants von der Marine ernannt. Als der Konflikt ausbrach, meldete ich mich sofort beim Oberkommando der Marine und verfolgte dort täglich den Verlauf der Kriegshandlungen. Ich erklärte mich auch bereit, in die Konfliktzone zu reisen, um vor Ort berichten zu können. Zu meiner Enttäuschung musste ich mich aber vorerst damit begnügen, täglich meine Informationen über den Lagebesprechungsraum des OK zu ergattern. Als schließlich Ende Mai die Briten auf den Inseln Fuß gefasst hatten, bekam ich endlich meinen Einsatzbefehl.
In unserer neuen
Wohnung warteten wir schon seit über 10 Jahren auf einen Telefonanschluss, wie es damals in Buenos Aires üblich war. Eines Abends kam mein Freund Norberto, dessen Telefonnummer ich bei der Marine angegeben hatte, eilig bei uns vorbei und teilte mir aufgeregt mit, ich sollte mich am nächsten Morgen in grauer Dienstuniform auf dem lokalen Flughafen melden, um in den Süden geflogen zu werden. Er meinte dann allerdings amüsiert, es müsse den Argentiniern wohl schon sehr schlecht gehen, dass sogar 58-jährige noch eingezogen würden! Ich erklärte ihm beruhigend, dass es sich nur
um einen journalistischen Einsatz handle.
So flog ich am nächsten Morgen in Richtung der etwa 600 km südlich von Buenos Aires gelegenen Stadt Bahia Blanca. Etwa eine halbe Stunde vor der Landung wurde befohlen, alle Fenster zu schließen: keinen Ausblick auf den Flughafen! Kurz nach der Landung befanden wir uns in einem mir unbekannten Flugterminal mitten in einem Wirrwarr uniformierter Menschen. Nach langem Warten meldete sich endlich ein Unteroffizier bei mir, der den Auftrag hatte, mich zum Marinestützpunkt Puerto Belgrano zu fahren. Dort wurde ich im Garnisonshotel einquartiert, wo ich ein Zimmer mit einem Kameraden, der schon vor einigen Tagen eingetroffen war, teilen sollte. Endlich ein bekanntes Gesicht!
Schnell wurde ich über meine Aufgaben belehrt. Mein Kamerad und ich wurden dem Stab des Marine Operationskommandos zugeteilt. Unsere Dienststelle lag im Untergeschoss eines älteren Gebäudes und eine Treppe führte hinauf zum Zimmer des Admirals, dem wir Meldung zu erstatten hatten. Die Jalousien der hohen Fenster blieben ständig verschlossen und die Fensterscheiben waren mit schwarzem Papier verklebt. Auch tagsüber blieben wir von der Außenwelt abgeschottet. Da ich mehrere Sprachen beherrsche, hatte ich folgende Aufgaben auszuführen: das Abhören internationaler Nachrichten, deren Auswertung und Zusammenfassung in Berichten für die Obrigkeit. Ich saß also den ganzen Tag an meinem Arbeitstisch mit aufgesetzten Kopfhörern und versuchte, aus dem krächzenden Äther die Informationen herauszufiltern, die für die Kriegsführung von Bedeutung sein konnten. Wo und wann ein Versorgungsschiff unterwegs war, ob Australien oder die USA Kriegsmaterial an die Briten lieferten, ob in Montevideo britische Verwundete eingeliefert wurden, alles was weltweit geschah und irgendwie mit dem Konflikt etwas zu tun haben könnte, wurde in unseren Berichten erfasst. Ich übersetzte die Informationen und mein Kamerad schrieb sie in Stichworten auf. Dann verfassten wir gemeinsam den Bericht an den Admiral. Kurz vor meiner Abfahrt von Buenos Aires hatte ich in meinem Büro eine Fachzeitschrift aus London erhalten, die einen ausführlichen Bericht über den Falklandkonflikt beinhaltete. Das Sahnestück in diesem Magazin war die komplette Aufstellung aller Schiffe, die an der britischen Task ForceTask-Force, als Name auch Task Force, ist ursprünglich ein Begriff aus der englischen Militärsprache und bezeichnet den Einsatzverband
. [1] teilnehmen würden, mit Angabe vom Typ und Tonnage jeder Einheit. In Besitz dieser wertvollen Information konnte ich natürlich meinen Aufklärungsdienst in Puerto Belgrano bestens ausführen, zur Bewunderung meiner Vorgesetzten.
Aus meiner Absicht, Berichte an die Medien zu schicken, wurde allerdings nichts. Die Anweisungen waren sehr strikt: Informationen über das Kriegsgeschehen gab es nur per Kommunique durch die Militär-Junta in Buenos Aires. Also musste ich mich auf die erwähnten Aufgaben beschränken.
Jeden Morgen wurden wir von einem Geländewagen am Hotel abgeholt und fuhren mit abgeblendeten Lichtern zu unserer Dienststelle. In dieser winterlichen Jahreszeit war es noch dunkel und die Temperaturen lagen unter Null Grad. Nur zur Mittagspause sahen wir das Tageslicht. Eines Tages wollte ich etwas Sonne genießen und verzichtete auf den Geländewagen, um meine Dienststelle zu Fuß zu erreichen. Ich hatte fast vergessen, dass ich in meiner Offiziersuniform von jedermann gegrüßt wurde und diese Grüße hatte erwidern müssen. Das war nun alles andere als ein Spaziergang und ich entschied mich am folgenden Tag dann doch für das Auto.
Abends, wenn wir an der Bar mit einem Whisky den Tag ausklingen ließen, wurden wir des Öfteren über den neuesten Stand der Dinge befragt. Schließlich wussten wir schon heute, was letztlich natürlich in einer beschönigten Art am nächsten Tag im Radio zu hören war. Es war nicht immer leicht, diese Neugierde zu befriedigen, da wir ja dem Dienstgeheimnis unterlagen. Und im Krieg steht Geheimhaltung an erster Stelle. Als Gegenleistung erfuhren wir dann aber auch von anderen Offizieren alles, was so hinter der Front
geschah. Zum Beispiel berichtete mir ein Stabsarzt, mit dem ich mich zwei Jahre zuvor während einer gemeinsamen Fahrt auf dem Segelschulschiff Libertad
angefreundet hatte, erschüttert über die vielen Amputationen, die er an jungen Soldaten durchführen musste, denen in den Schützengräben die Beine abgefroren waren. Auch die Nachrichten über Todesfälle einiger meiner Freunde und Bekannten, die bei anderen Marineeinheiten eingesetzt waren, trugen dazu bei, meine Stimmung in den Keller sinken zu lassen.
Am 14. Juni hörte ich über Funk die aufgeregte Stimme eines britischen Reporters, der den Vorstoß der Invasionstruppen begleitete, als er live
berichtete: Wir stehen vor dem Angriff auf Port Stanley (die von Argentiniern besetzte Hauptstadt der Falklands) und haben kaum noch 5 Schuss für jedes Geschütz. Wir hoffen nur, dass uns jetzt nicht die Flieger der Argies
Argies
= Argentinier [2] in den Rücken fallen. Aber da, …ich sehe Soldaten, die weiße Tücher schwenken. Soll das eine Falle der Argies sein? Aber nein, es werden immer mehr, die unbewaffnet und mit erhobenen Händen aus ihren Verschanzungen herauskommen. Hurra, das ist das Ende, der Krieg ist aus!
Ich war (Hör-)Zeuge eines historischen Ereignisses: Trotz hoher Verluste, war es dem mächtigen NATO-Verbündeten gelungen, die unerfahrenen südamerikanischen Truppen noch vor dem gefürchteten Wintereinbruch zu überwältigen. Auch der Papst soll zur vorzeitigen Aufgabe der argentinischen Initiative seinen Einfluss ausgeübt haben.
Als ich am nächsten Tag meine Dienststelle räumte, waren die Fenster weit geöffnet und ich sah meinen Schreibtisch zum ersten Mal im Sonnenschein. In Gedanken war ich einige lange Momente bei denen, die für immer im Dunkeln geblieben waren.
Zurück in Buenos Aires widmete ich mich total der Ausgabe meiner Zeitschrift und versuchte, das Geschehene zu unterdrücken. Sogar noch im folgenden Oktober, als ich die Ausstellung SMM (Schiff, Maschine und Meerestechnik) in Hamburg besuchte, fiel es mir ausnehmend schwer, Fragen über den Falklandkonflikt zu beantworten.
Nach Ende der Kriegshandlungen bekam ich vom Oberkommando der argentinischen Marine eine Urkunde in Anerkennung meiner Dienste als Marinekorrespondent im Operationstheater (teatro de operaciones) des Südatlantik-Konflikts
, die ich immer noch gern, obwohl mit gemischten Gefühlen betrachte.
Nach einer von meiner bisherigen Dienststelle dringend angetragenen Weiterbildung wurde ich letztlich auch noch zum Kriegsberichterstatter im Range eines Korvettenkapitäns befördert. Ich hätte dies natürlich nicht ablehnen können!
[2] Argies: Kurzbzeichnung für die Argentinier