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Schirmherrschaft - Sturmflut 1976

Es regnet; ich schaue aus dem Fenster in den nassen Garten und denke an das Jahr 1976 zurück. Damals herrschte bei uns kein Mangel an Regenschirmen. Eintausend Stück waren in der ganzen Familie verteilt worden und sollten nun verkauft werden. Doch halt … ich will die Geschichte von Anfang an erzählen.

Mit Jahresbeginn 1976 war das Wetter ausgesprochen schlecht, es herrschten Sturm mit Windböen in Orkanstärke aus Nordwest und starker Regen. An der Küste nahm die Wetterlage dramatische Ausmaße an, bis es am 3. Januar 1976 zu einer Sturmflut kam. Die Pegelstände der Jahrhundertflut von 1962, in der über 300 Menschen in Hamburg ertranken, werden um 75 Zentimeter überschritten!

Pausenlos warnen Hörfunk und Fernsehen. Der Pegelstand erreicht eine Stunde vor dem berechneten Zeitpunkt seinen höchsten Stand mit 6,45 Meter über NN. Dreiunddreißig Kilometer Deiche werden beschädigt, davon sechzehn Kilometer schwer. An zwanzig Stellen brechen die Deiche und die Haseldorfer Marsch ertrinkt in den Fluten.

Auf Sylt geht wieder ein Teil des Kliffs bei Kampen verloren. Hier misst man Orkanböen bis Windstärke 14.

In Hamburg stehen der Hafen und seine Containerterminals unter Wasser, die Kommunikation bricht dort zusammen, als das Telefonnetz durch das Wasser zerstört wird. Doch die große Katastrophe bleibt diesmal aus, diesmal stirbt kein Mensch an der Küste durch die Fluten.

Doch viele der Waren, die im Hamburger Hafen lagerten, verdarben durch das Wasser oder wurden unbrauchbar. Nun schlug die große Stunde der Aufkäufer von Beschädigtem und Verdorbenem. Ein Landwirt in Schleswig-Holstein, der Hof liegt zwischen Quickborn und Lentföhrden, gab seine Landwirtschaft auf und stieg in den Handel mit Waren aus Versicherungsschäden ein. Ein Container mit Regenschirmen, die allesamt in einem erbarmungswürdigen Zustand waren, stand auf seinem Hof.

Mein Schwager hatte davon gehört und witterte seine Chance auf ein gutes Geschäft.
Eintausend Schirme kaufte er für den Preis von 1,50 DM pro Stück dem Bananen-Willi ab. Der hatte sich im Ort mit verdorbenen Bananen, die er als Schweinefutter an seine Kollegen verkaufte, diesen Spitznamen erworben.

Die noch nassen Kartons mit den Schirmen wurden im Keller gestapelt und der Inhalt gesichtet. Es waren in der Hauptsache Automatikschirme einer bekannten Marke, durch das Brackwasser bereits etwas angerostet, die nun so schnell wie möglich getrocknet werden mussten.

Die ganze Familie wurde eingespannt, um bei dieser Aktion zu helfen. So bekam ich auch meinen Teil ab, den ich in der Badewanne reinigen durfte. Als die Schirme wieder sauber waren, spannte ich sie in meiner Wohnung auf. Nach kurzer Zeit war kein Fleckchen mehr frei, überall hingen und standen bunte Schirme herum. Hübsch anzusehen war es schon – irgendwie nach Fasching- oder Karnevalsdekoration.

Am nächsten Tag waren sie trocken und mussten jetzt vom leichten Rost befreit werden, den sie durch das Seewasser angesetzt hatten. Alle möglichen Mittel wurden ausprobiert, man wollte ja möglichst effektiv sein und nicht allzu viel Zeit mit dem Aufarbeiten verbringen.

In meinem großen Kollegenkreis verkaufte ich nun Regenschirme. Automatikschirme für 8,- DM, einfache Schirme für 5.- DM.

Anfangs lief das Geschäft großartig, auch ein Flohmarkt spülte nach Abzug der Standgebühr so reichlich Geld in die Kasse, dass wir zwei Wochen später wieder einen Stand mieteten.

Doch jetzt hatten wir plötzlich starke Konkurrenz. Drei weitere Stände mit billigen Schirmen konnte ich in der Nähe entdecken. Diesmal ging unser Geschäft so schlecht, dass am Ende des Tages kaum die Standgebühr in der Kasse war.

Ungefähr die Hälfte des gesamten Postens war aber zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft. Einer meiner Bekannten machte meinem Schwager ein Angebot, die verbliebene andere Hälfte komplett aufzukaufen.

Auch wenn dabei nur der Einkaufspreis, die Arbeit nicht mitgerechnet, erzielt wurde war er froh, die Schirme los zu werden.

Und die Moral von der Geschichte: Das erhoffte große Geschäft haben andere gemacht, dafür hatten wir aber reichlich Arbeit und Kosten für Flohmarktstände und Putzmittel.

Mein Schwager lud die ganze Familie zu einem Essen ein. Wir haben über unsere Erlebnisse rund um die Verkäufe berichtet und viel gelacht.
Wenn wir uns daran erinnern, lachen wir heute noch.