Moderne Zeiten
Angeregt durch den Bericht eines Bekannten, der von den Schwierigkeiten bei der Übername einer Top-Level-Domain und der damit verbundenen Papier- und Unterschriftenflut erzählte, fiel mir eine Begebenheit ein, die ich Anfang der 1980er Jahre mitverfolgen durfte.
1983 eröffnete der damalige Postminister, Christian Schwarz-Schilling auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin einen neuen Dienst der Post, der es ermöglichen sollte, Daten eines Großrechners auf den heimischen Fernsehschirm zu bekommen. Dieser Dienst wurde unter dem Kürzel BTX (Balanced Technology Extended, oder zu Deutsch: BildschirmtextSiehe:
Pressemitteilung vom 1. September 1983Klick …) eingeführt und sollte mit speziellen Geräten, die man bei der Post mieten oder kaufen konnte, auch das Online-Banking ermöglichen. Anfang 1990 hatte ich mir aus Gründen der Bequemlichkeit eine BTX-Box mit Tastatur gemietet und mich für das neue Verfahren des Online-Bankings angemeldet. Dazu musste ich auf eine speziell dafür eingerichtete Seite des Postscheckamtes und mich mit einer PIN (einer persönlichen Identifikationsnummer) an meinem Konto anmelden. Nun war der Kontostand auf meinem Fernsehschirm sichtbar, ich konnte auch Überweisungen ausführen, die dann mit einer weiteren Nummer, der Transaktionsnummer, kurz TAN
, bestätigt mussten.
Alles in allem sehr bequem und ohne Papier oder abendliche Wege zum Briefkasten.
Eines Tages erzählte mir ein Freund von seinen Schwierigkeiten bei der Kontoverwaltung seiner Eltern. Seine Mutter war kurz zuvor verstorben und sein pflegebedürftiger Vater blieb allein zurück. Er war nicht mehr in der Lage, seine finanziellen Angelegenheiten zu regeln und daher auf die Unterstützung von Familienangehörigen angewiesen. Meinem Freund hatte der Vater eine Vollmacht für das elterliche Konto beim Postscheckamt ausgestellt, so konnte er Kontostände abrufen und notwendige Überweisungen in seinem Auftrag ausführen. Das gestaltete sich schwierig und umständlich, nahm viel Zeit in Anspruch, weil bei der Post nun bei jeder Überweisung die hinterlegten Unterschriften geprüft wurden. So machte ich ihm Aufgrund meiner recht guten Erfahrungen mit dem Online-Banking den Vorschlag, sich doch ebenfalls für diesen Dienst anzumelden, was er in der folgenden Zeit auch tat.
Was bisher umständlich und mit viel Papierkram verbunden war, ging nun einfach und schnell, bis zu dem Tag, an dem eine Kontoänderung durchgeführt werden sollte.
Der Vater meines Freundes gab seine Wohnung auf und zog in ein Pflegeheim. Bei dieser Gelegenheit sollte der Name der verstorbenen Mutter im Konto gelöscht werden. Der schriftliche Antrag meines Freundes auf Namensänderung wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dafür die erteilte Vollmacht nicht ausreichen würde. Dafür müsste er schon vom Vormundschaftsgericht als Bevollmächtigter eingesetzt worden sein. Aber der Vater könnte doch den Antrag stellen und sollte dazu in den nächsten Tagen einmal vorbeischauen.
Es half meinem Freund nichts, als er dem freundlichen Schalterbeamten erklärte, dass der Vater im Rollstuhl saß, blind und gelähmt dazu. Er würde weder vorbeikommen
, noch diesen Antrag unterschreiben können. Ja, da könnte er, der Schalterbeamte, auch nichts dran machen, so seinen eben nun die Vorschriften, bekam mein Freund zur Antwort. Das nächste Schreiben des Postscheckamtes enthielt gar die Forderung, nun solle ein Notar im Pflegeheim die Willenserklärung des Vaters beurkunden, dann würde einer Änderung des Kontoinhabers nichts mehr entgegenstehen.
Einigermaßen verzweifelt wegen dieses ganzen Verwaltungsaufwandes erzählte mir mein Freund das alles und wir entwickelten einen Plan, das Postscheckamt zu überlisten.
Ich machte meinem Freund den Vorschlag, via Bildschirmtext dem Postgiroamt einen Text zu schreiben, der so aufgesetzt war, als wenn der Vater selbst geschrieben hätte und einen Antrag auf Änderung des Kontoinhabers zu stellen. Das wird nicht funktionieren
, meinte mein Freund, weil das Postscheckamt ja bereits einen schriftlichen Antrag vorliegen hat und auf die notarielle Beglaubigung wartet
.
Zu der Zeit wurden aber die BTX- und die Überweisungen auf Papier nicht von den gleichen Mitarbeitern der Post bearbeitet, es wusste die eine Hand also nicht, was die andere tat. Mein Freund formulierte also den Antrag auf Änderung des Kontoinhabers an seinem heimischen Fernsehschirm und bestätigte den mit einer Transaktionsnummer, der TAN, die sozusagen seine digitale Unterschrift darstellte. Nur noch das Knöpfchen
abschicken
hat er gedrückt, schon war am nächsten Tag die gewünschte Änderung durchgeführt, unser Plan war erfolgreich!
Es kamen noch einige Mahnschreiben des Postgiroamtes, die an die ausstehende notarielle Beglaubigung erinnerten und wir haben darüber herzlich gelacht.
Übrigens wurden die Erwartungen der Post an diesen Dienst nie erfüllt. Als BTX am 31. Dezember 2001 abgeschaltet wurde, weil es gegen die starke Konkurrenz des Internet nicht mehr bestehen konnte, hatte die Post statt der erwarteten Million nur etwas über 60.000 Kunden im ersten Jahr nach der Einführung für BTX begeistern können.
für das Post- und Fernmeldewesen
Bonn, den 1. September 1983
Internationale Funkausstellung 1983:
Minister Schwarz-Schilling führt Bildschirmtext allgemein ein und stellt Videokonferenz vor
Am Tag vor der Eröffnung der Internationalen Funkausstellung 1983 führte Bundespostminister Dr. Christian Schwarz-Schilling beute in Berlin Bildschirmtext als neuen Fernmeldedienst allgemein ein. Ab 15. September können Teilnehmer bundesweit angeschaltet werden. Zugänge richtet die Deutsche Bundespost in Berlin, Düsseldorf. Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart ein. Für die Verbindungen zu diesen Zugängen gelten die üblichen Telefongebühren. Mit dem neuen Dienst wird erstmals ein verbesserter Darstellungsstandard eingesetzt, der im Rahmen der Europäischen Konferenz der Verwaltungen für das Post- und Fernmeldewesen (CEPT) entwickelt wurde. Durch die Aufnahme aller lateinischen Buchstaben und auch anderer Schriftarten, wie kyrillisch oder griechisch, schafft er die Voraussetzung für eine Kommunikation über die Ländergrenzen hinweg und für die Bildung internationaler Märkte. Mit der Verbesserung auch der grafischen Darstellungsmöglichkeiten - freie Wahl einer Farbpalette, Hintergrundeinfärbung des gesamten Bildschirms, Linien und Schrägflächenelemente sowie frei definierbare Grafikelemente - befriedigt er hohe visuelle Ansprüche. In der Anfangsphase, die mit der Umstellung auf eine neue System Technik im Mai 1984 endet, entsprechen die Leistungsmerkmale und die Verfügbarkeit des Bildschirmtextdienstes noch nicht vollständig dem endgültigen Stand. In diesem Zeitraum ist die Zahl der Bildschirmtext-Teilnehmer und -Anbieter begrenzt. Die Inbetriebnahme der neuen Systemtechnik wird die Entwicklung von Bildschirmtext zu einem Massendienst ermöglichen. Bereits ab Mitte 1985 ist dieser Dienst von allen Orten aus zur Nah-/Ortsgesprächsgebühr erreichbar. Bis Ende 1986 rechnet die Post mit 1 Million Teilnehmer aus dem privaten und geschäftlichen Bereich.
Die PTT der Schweiz eröffnet heute im Rahmen ihres Anbieterkongresses einen Bildschirmtextversuch unter der Bezeichnung Videotext. Er verwendet ebenfalls den neuen CEPT-Standard. Die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz sind die beiden ersten Länder, die ihre Systeme auf den neuen Standard umgestellt haben.
Über eine Fernsehdirektverbindung zwischen Berlin und Basel tauschten Minister Schwarz-Schilling und der Generaldirektor des Fernmeldedepartements der Schweizerischen P'IT-Betriebe, Rudolf Trachsler, Grußadressen aus, in denen sie die Bedeutung dieses Kommunikationsdienstes für die private und die geschäftliche Nutzung betonten.
In einer Telekonferenz von Angesicht zu Angesicht
stellte der Bundespostminister erstmals öffentlich die Möglichkeiten eines künftigen Videokonferenzdienstes vor. In einem Gespräch mit dem Frankfurter Oberbürgermeister Dr. Walter Wallmann in einem Videokonferenzstudio in Frankfurt erklärte der Minister, dass der Videokonferenzdienst als erste konkrete Anwendung der Breitband-Individualkommunikation ab 1984 Interessenten versuchsweise zur Verfügung stehen werde.
Die Besucher der Funkausstellung können zwei qualitativ unterschiedliche Versionen kennenlernen, zum einen die Videokonferenz mit Glasfaserqualität
mit digitaler Farbbildübertragung zwischen den Videokonferenzstudios im Internationalen Congress Centrum ICC und in der Halle 10, der Ausstellungshalle der Deutschen Bundespost, zum anderen die Videokonferenz mit verringerter Bildqualität ohne Farbe zu den Videokonferenzstudios im Congress Centrum Hamburg CCH und im Fernmeldeturm Frankfurt.
Diese Version stellt geringere Anforderungen an die Übertragungswege und verläuft während der Funkausstellung über den Orbital Test Satellite OTS 2, den Vorläufer des European Communications Satellite ECS.
Da der Aufbau eines Glasfaserweitverkehrsnetzes erst beginnt, muss der Videokonferenzdienst die vorhandenen Übertragungswege mit den systembedingten Einschränkungen benutzen. Mit dem Ausbau eines Glasfasernetzes wird Zug um Zug die Umstellung auf die vollen Möglichkeiten eines Breitbandnetzes folgen. An dieses Netz können möglicherweise zum Ende dieses Jahrzehnts außer Videokonferenzstudios auch geschäftlich und privat genutzte Fernsehtelefone angeschlossen werden.