In der Kriegs- und Nachkriegszeit
Meine Eltern bauten sich 1929 ein Haus im alten Dorfe Garstedt. In diesem Haus bin ich geboren und wohne heute noch dort. Wir sind also keine Flüchtlinge sondern Alteingesessene. Das Haus hatte damals sechs Zimmer, davon blieben uns nach Kriegsende zwei zur eigenen Nutzung. Die anderen mussten wir an Flüchtlinge abgeben.
Mit 13 Personen war das Haus überbelegt, aber das war allgemein so. Wir besaßen aber nur sechs Betten und ein doppelstöckiges Luftschutzbett. Da mein Bruder in der Landwirtschaft tätig war an einem anderen Ort, konnten wir seins an unsere Einwohner weiter geben. Eine Frau mit zwei Kindern kochte mit uns auf dem Küchenherd. Das Ehepaar mit Baby war tagsüber bei den Eltern in der Nähe. Die alleinstehende Frau hatte in ihrem Zimmer einen kleinen Herd, dessen Abzugsrohr quer über den Flur verlief und in den Schornstein ging.
Im Erdgeschoss hatten wir zwei Zimmer, die mit einer Schiebetür verbunden waren. In einem Zimmer schliefen meine Eltern - hinter der Schiebetür eine Frau mit zwei Kindern, eines lag noch im Kinderwagen. Es waren unhaltbare Zustände, die - Dank eines mutigen Mannes aus der Gemeinde - nur kurze Zeit andauerten. Wir bekamen das Zimmer zurück. Bis 1954 hatten wir die Zimmer im ersten Stock an Flüchtlinge vermietet, und wir waren mit vielen befreundet.
Die Nachkriegszeit war eine arbeitsreiche Zeit. Jeder war bemüht, sich durch Arbeit auf den Bauernhöfen etwas Essbares hinzu zu verdienen. Ich habe nach der Schule Erbsen gepflückt. Jeder bekam eine halbe Schürze, deren untere Ecken auf dem Rücken verknotet wurden. So hatte man vor dem Bauch eine große Tasche, in die man die Erbsen hineinpflücken konnte, und man hatte beide Hände frei zum Pflücken. Das Erbsenkraut war nass vom Tau, und so waren wir in kürzester Zeit selber nass. Das war nicht sehr angenehm, aber nicht zu ändern.
Im Sommer zur Roggenernte habe ich Garben gebunden. Wir mussten die Garben, die aus dem Selbstbinder fielen, mit einem Strohbündel zusammenbinden und gut verknoten, dass sie nicht aufgehen konnte. In den Garben waren auch Disteln, deren Stacheln uns in die Haut drangen. Das tat weh, aber daran gewöhnte man sich. Einige Wochen später war ich mit meiner Klasse in einem Schullandheim in Kalifornien an der Ostsee. Dort hat mir das Baden in der salzigen Ostsee geholfen, denn zu der Zeit eiterten die Stacheln aus der Haut. Meine Arme waren übersät mit kleinen Eiterpusteln.
Im Herbst ging es dann in die Kartoffelernte. Man bekam für die schwere Arbeit 50 Pfund Kartoffeln für einen Nachmittag - für einen ganzen Tag gab es einen Zentner. Im Jahr 1946 habe ich so über 30 Zentner Kartoffeln verdient. Das war ein Vermögen. Mit den Kartoffeln konnten wir unser Schwein füttern bis zu dem Tag, an dem der Schlachter kam. Dafür bekamen wir aber keine Fleischmarken, das war der Nachteil, aber in Ordnung. Wir hatten auch noch Gänse und bis zu 35 Kaninchen, die auch gefüttert werden mussten. Mit den Gänsen ging ich auf abgemähte Kornfelder, wo sie eifrig nach Ähren suchten. Ich übrigens auch. Die Körner aus den gesammelten Ähren haben wir durch die Kaffeemühle gedreht. Das Mehl davon vermischten wir mit gekauftem Mehl und backten unser Brot selber. Das Maisbrot damals mochten wir nicht. Wir haben den Teig bereitet und angesetzt mit Sauerteig und es dann zu unserem Bäcker Hatje gebracht. Er formte die Laibe und backte für uns das Brot in seinem Ofen. Dafür bekam er ein Brot ab, das er selbst als Bäcker gerne nahm. Ich habe nie Brot mit in die Schule genommen, das mochte ich meinen Mitschülern nicht antun.
Wir hatten auch noch ein Schaf, das mit unserem Schwein den Stall teilte. Einmal war unser noch sehr kleines Schwein verschwunden. Wir konnten es in seinem Teil des Stalles nicht finden. Es lag oben auf dem Schaf in der Wolle und hatte es schön warm. Ein kluges Tier! Unser Schaf wurde an den Gräben der Straße getütert
, das heißt an einen Pflock angebunden. Für die Kaninchen hatten wir einen Graben auf dem Gärtnereigelände von Hadeler, den wir regelmäßig mit der Sense abmähten. Das war eine Erleichterung.
Abgesehen von diesen beschriebenen Arbeiten, haben wir noch Brombeeren und Fliederbeeren gepflückt, Haselnüsse nicht zu vergessen. Dann haben wir Torf gemachtLesen Sie auch: Torf machen
, Stubben gerodetLesen Sie auch: Stubbenholz
und Holz ofenfertig gemacht. Und der Garten forderte auch seine Pflege. Wir waren immer beschäftigt.
Und wenn ich gefragt wurde, wann ich denn meine Schularbeiten gemacht habe, dann musste ich sagen: … zwischendurch!
Wie ich das geschafft habe, ich weiß es nicht mehr. Ich wundere mich nur noch, dass ich nie eine Klasse zweimal gemacht habe. So ganz dumm war ich wohl doch nicht.