Gorstedter Wirtschaften
Dat weer 'n luusig kooln Novemberobend, as wi uns noch mol op'n Padd moken, üm eenen Breef in'n Kasten to smieten. Wi weern man eben op de Stroot, dor keem uns Willem Hait in de Mööt. Wo wöllt ji denn op dol?
froog he uns. As wi em dat seggt harrn, meen he: Schood, ik dach, ji wulln annerwegens een Beer drinken. Hier gifft dat jo keen Wirtschaft mehr. All hebbt se dicht mookt. Un ik weet nich mehr, wo ik mol 'n Glas Beer drinken kann. Un mit Lüüd, de ik kenn, müch ik ok geern mol 'n poor Reegen snacken. Aver ik kann keenen Platz mehr för mi finnen.
Recht harr he. In't oole Dörp von Gorstedt gifft dat keen lopen Beerhohn mehr. Wi kunnen em ok nich helpen, wi harrn nich eenen Buddel Beer in't Huus. Sünst harrn wi foorts kehrt mookt, dormit he to sien Beer an Sünndag keem.
Fröher harrn wi int oole Gorstedt dree Wirtschaften. An de Eck von de Kirchenstroot weer de von Sellhorn-Timm. Achter de Theke stünn Tante Frieda un harr jümmers 'n Snack proot. Mit de Johrn hett se de Wannen mit son Spröök utstaffeert, wie ton Bispill:
- Hier warrt drunken un nich sopen
- hier kommt Menschen un keen Oopen,
- hier verdriggt sik hoch un platt,
- mark di dat.
Tante Frieda harr de Wirtschaft von ehrn Swiegervadder Hinnerk Sellhorn-Timm övernommen. Vertellt warrt, dat Hinnerk in de Gaststuuv son oolet Leddersofa stohn harr, wo he däglich sien Meddagstünn nemmen dee. Wenn nu to de Tiet een Gast keem un een Beer drinken wull, denn sä he: Tööv man bit noch een kümmt, för een Beer stoh ik nich op
.
So ganz licht hett Tante Frieda dat mit den Ooln nich hatt. Ehr Mann füll all 1914 an Anfang von den eersten Weltkrieg. Ehr Söhn Willy weer man twee Johr oolt, un ehr Dochder Paula weer ok nich veel öller.
De Sellhorn-Timm Wirtschaft weer fröher Statschon von de Postkutsch west, de no Ohlsdörp fohrn dee. Deshalv is ok de Postkutsch an de Wand von dat Sellhorn-Timm Huus.
Rechtsanwalt Schmidt ut Pinnbarg harr dor Spreekstünn un so keemen dor veele Lüüd tohoop. Stammkundschaft harr se ut de Noberschop, dorto höör ok uns ooln Paster Schaper. Nie hett he sik dolsett, he güng mit sienen Grog in de Hand vör de Theke op un dol un snack mit alle Lüüd. He wull allns weten, aver neeschierig weer he överhaupt nich. Genau so leep he in sienen Goorn op un dol, wenn he sien Predigt instudeern dee - natürlich ohne Grog. As Tante Frieda storven weer, hett Paster Schaper de Predigt hooln, obwohl he all twintig Johr Rentjee weer, dat harr he ehr versproken.
Dorno hett Willy Sellhorn-Timm de Wirtschaft övernommen. As sien Fro so krank wöör, hett he den ganzen Kroom verköfft un een Walter Vogtmeier wöör Krööger. Doch dat güng nich lang goot. Dorno wöör de Wirtschaft affreeten un de Sellhorn-Timm-Blocks baut. De oole Theke un dat Büffet dorachter hett Plambeck utbaut un in den Partykeller von de Blocks opstellt. Dor kannst in een hunnert Johr oole Gaststuuv düchtig fiern - wenn du Mieter bist.
An de Ossentoller Stroot, wo hüüt dat Altersheim Kallen is, weer dat Lokol Zum weißen Ross
. Dat heet so, weil een wittet Peerd as Windroos op't Dack sik in'n Wind dreihn dee. August Bauer heet de Wirt un he hett de Wirtschaft bit no den tweten Weltkrieg bedreven.
Een goden Gast bi em weer Papenhagen. De wohn dormols an de Ohschossee kott vör dat Oh-Holt. He föhr Schiet, as dat heet. Mit sien Peer un Wogen hool he, wat in de Schietkuul schull, bi siene Kunnen aff. Bi August Bauer hett he so manchet Beer drunken. As August Bauer all lang doot weer, wull he jümmers noch'n Kööm un Beer von em hebbn. He grööl all von wieden, he schull em eenen inschenken. He kunn nich begriepen mit sienen bilütten dösigen Kopp, dat de em keenen mehr inschenken kunn.
No August Bauer kreeg de Wirtschaft eenen Dään as Krööger. Wie de heeten hett, weet ik nich mehr. He weer een fründlichen Wirt un jeden Gast reep he ton Affscheed no: Komm gut zu Huus!
As de Krieg ut weer, weer op de Kegelbohn achtert Huus een Weveree. Jo, as man wedder wat köpen kunn, wat för sien Geld wat kriegen kunn, wöörn dor Sofakissen weevt. Ik glööv, hüüt wöör keen Mensch son Dinger köpen, aver dormols weern se in
.
Denn hett Familje Kallen dat Huus köfft un een Heim för oole Lüüd inricht.
De dritte Wirtschaft int Dörp weer Wegener, fröher heet se Behrmann oder ok Hein-Voogt. De oole Wirt Behrmann weer ok gliektidig Börgermeister von Gorstedt. Sien Dochder Minna heiroodt den Schoolmeister Hugo Wegener, un so kreeg de Wirtschaft eenen annern Nomen. Tante Minna, as se för all de oolen Gäst un Frünnen heet, hett de Wirtschaft döörch den Krieg un döörch de slechten Johrn dorno bröcht.
No den Krieg weer dor dreemol in de Woch Danz. De Danzschool von Rohde geev dor Kurse. Ton Lachen weer, dat Hermann Pöpplau vördanzen müß. De kunn dat wirklich grootardig - un de Danzmeister Rohde? Ik heff em nich danzen sehn.
Denn keemen de Maskerodentieden — jedes Johr frisch. De Füürwehr, de Gesangvereen — den eersten Pries kreeg jümmers Fro Kulina heet dat — all fiern se jüm ehr Maskeroden un anner Feste bi Wegner op'n Sool - un ik mit.
Eenmol hett dat Rode Krüüz dor een Theoterstück opföhrt mit Marta Stopeldeldt in de Hauptrull. Ik weet dat ganz genau, dat weer an dötteinsten Mai 1950, dor heff ik dor mienen Mann kennen lehrt. Is dat lang her!
Heinz Wegener weer de Söhn un de Nofolger von Tante Minna. De anner Söhn Herbert hett de Landwirtschaft, de fröher dorto höört hett, kreegen. Aver Tante Minna stünn jümmers noch achtern Tresen, se weer son Oort Institutschon. Veele Lüüd güngen gau mol op'n Glas Beer no Wegner, ok wenn't noher mehr wöörn. Ok an Sünndag güng man dor ton Fröhschoppen un bestell sik sien Veltins.
Intwischen kunnst dor feun Eeten kriegn. Annie, Heinz sien Fro kunn mit Pütt un Pann patent trecht kommen. Un dat smeckt!
Wenn du vör een Wirtschaft 'n Barg Autos parken sühst, denn heet dat, de Beerhohn lööpt un de Köök bringt Godes op'n Disch. So weer dat hier, un nu is dat nich mehr so. Heinz un Annie hebbt opgeeven un verköfft. Wegner gifft dat nich mehr.
Dor is nu een Speise-Restaurant op Bestellung. Dat heet noch Gorstedter Hof - aver dat is keen Wirtschaft mehr. De Beerhohn wöör affschafft, de Kegelbohn still leggt, Op'n Sool danzt Lüüd, de dat von fröher nich kennt. Un de Gorstedter irrt ümher un söökt 'n Steed, wo se jüm ehr Beer drinken könnt un findt dat nich int oole Dörp.
Garstedter Gastwirtschaften
Das war ein lausig kalter Novemberabend, als wir uns noch mal aufmachen, um einen Brief in den Kasten zu werfen. Wir sind gerade auf der Straße, da begegnet uns Willhelm Hait. Wo wollt ihr den hin?
fragt er. Als wir es ihm sagen, meint er Schade, ich dachte ihr wollt unterwegs ein Bier trinken. Hier gibt es ja keine Kneipen mehr. Alles haben sie dicht gemacht. Und ich weiß nicht mehr, wo ich mal ein Bier trinken kann. Und mit Leuten, die ich kenne, möchte ich auch gern mal ein bisschen klönen, aber ich kann keinen Platz mehr für mich finden.
Recht hat er. In unserem alten Dorf Garstedt gibt es keinen laufenden Bierhahn mehr. Wir können ihm auch nicht helfen, wir haben nicht eine Flasche Bier im Haus. Sonst hätten wir sofort kehrt gemacht, damit er zu seinem Sonntagsbier kommt.
Früher hatten wir im alten Garstedt drei Wirtschaften. An der Ecke von der Kirchenstraße war die von Sellhorn-Timm. Hinter der Theke stand Tante Frieda und hatte immer einen Spruch auf den Lippen. Mit den Jahren hatte sie die Wände mit solchen Sprüchen tapeziert, wie zum Beispiel:
- Hier wird getrunken und nicht gesoffen
- hierher kommen Menschen und keine Affen,
- hier verträgt sich hoch und platt,
- merk dir das.
Tante Frieda hatte die Kneipe von ihrem Schwiegervater Hinnerk Sellhorn-Timm übernommen. Erzählt wurde, dass Hinnerk in der Gaststube so ein altes Ledersofa stehen hatte, auf dem er täglich seinen Mittagsschlaf machte. Wenn es an der Zeit war und ein Gast kam und ein Bier trinken wollte, sagte er: Warte mal, bis noch ein anderer kommt, für ein Bier stehe ich nicht auf
.
So ganz leicht gehabt hatte Tante Frieda es nicht mit dem Alten. Ihr Mann ist 1914, am Anfang des Ersten Weltkriegs gefallen. Ihr Sohn Willy war da gerade zwei Jahre alt, und ihre Tochter Paula war auch nicht viel älter.
Die Sellhorn-Timm Wirtschaft war in früherer Zeit Station der Postkutsche gewesen, die nach Ohlsdorf gefahren ist. Rechtsanwalt Schmidt aus Pinneberg hielt dort seine Sprechstunden ab, und so kamen dort viele Leute zusammen. Stammkundschaft hatten sie aus der Nachbarschaft, dazu gehört auch unser alter Pastor Schaper. Nie hat er sich hingesetzt, er ging mit seinem Grog in der Hand vor der Theke hin und her und sprach mit allen Leuten. Er wollte zwar alles wissen, doch neugierig war er überhaupt nicht. Genau so lief er auch in seinem Garten hin und her, wenn er die Predigt einstudierte, dann natürlich ohne Grog. Als Tante Frieda starb, hat Pastor Schaper die Predigt gehalten, obwohl er schon zwanzig Jahre im Ruhestand war, das hatte er ihr versprochen.
Danach hat Willy Sellhorn-Timm die Wirtschaft übernommen. Als seine Frau krank wurde, hat er den ganzen Kram verkauft und ein Walter Vogtmeier war dann der neue Wirt. Doch das ging nicht lange gut. Dann wurde die Kneipe abgerissen und die Sellhorn-Timm Blocks gebaut. Die alte Theke und das Buffet dahinter hat Plambeck ausgebaut und im Partykeller der Wohnblocks aufgestellt. Da kannst du nun in einer hundert Jahre alten Gaststube tüchtig feuern, wenn du da Mieter bist.
An der Ochsenzoller Straße, wo heute das Altersheim Kallen ist, war das Lokal Zum weißen Ross
. Das hieß so, weil ein weißes Pferd als Wetterhahn auf dem Dach saß und sich im Wind drehte. August Bauer hieß der Wirt und er betrieb den Gasthof bis zum Zweiten Weltkrieg.
Papenhagen war ein guter Gast bei ihm. Er wohnte damals an der Ohechaussee kurz vor dem Ohe-Wald. Er fuhr den Müll, den Schiet, wie es hieß. Mit seinem Pferd und Wagen holte er bei seinen Kunden alles ab, was zur Müllkippe sollte. Bei August Bauer hat er so manches Bier getrunken. Noch als August Bauer schon lange gestorben war, wollte er immer noch einen Köm (Aquavit) und ein Bier von ihm haben. Er grölte schon von Weitem, er soll ihm einen einschenken. Er war mittlerweile so vergesslich und konnte nicht begreifen, dass August ihm keinen mehr einschenken konnte.
Nach August Bauer bekommt die Wirtschaft einen Dänen als Wirt. Wie der hieß weiß ich nicht mehr. Er war ein freundlicher Wirt und jedem Gast rief er zum Abschied nach: Komm gut nach Hause!
Nach Kriegsende war dort hinter dem Haus auf der Kegelbahn eine Weberei. Als man wieder etwas kaufen konnte, was für sein Geld bekommen konnte, wurden dort Sofakissen gewebt. Ich glaube, heute würde kein Mensch solche Dinger kaufen, aber damals waren sie in
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Die dritte Wirtschaft im Dorf war Wegener, früher hieß sie Behrmann oder auch Hein-Voogt. Der alte Wirt Behrmann war gleichzeitig auch Bürgermeister von Garstedt. Seine Tochter Minna heiratete den Lehrer Hugo Wegener und so bekam die Gastwirtschaft einen anderen Namen. Tante Minna, wie sie von allen alten Gästen und Freunden genannt wurde, hat die Wirtschaft durch den Krieg und alle die schlechten Jahre gebracht.
In der Nachkriegszeit war dort dreimal in der Woche Tanz. Die Tanzschule von Rohde gab dort Kurse. Zum Lachen war, dass Hermann Pöpplau vortanzen musste. Er konnte das wirklich großartig – und der Tanzmeister Rohde? Ich habe ihn nie tanzen sehen.
Dann kamen die Maskeradezeiten – jedes Jahr frisch. Die Feuerwehr, der Gesangsverein – den ersten Preis bekommt immer Frau Kulina hieß es – alle feierten sie ihre Maskeraden und andere Feste in Wegeners Saal, und ich feierte mit.
Einmal hat das Rote Kreuz ein Theaterstück aufgeführt, mit Martha Stapenfeldt in der Hauptrolle. Ich weiß es noch ganz genau, es war am dreizehnten Mai 1950, da habe ich dort nämlich meinen Mann kennengelernt. Ist das lange her!
Heinz Wegener war der Sohn und Nachfolger von Tante Minna. Der andere Sohn Herbert bekam die Landwirtschaft, die früher dazu gehörte. Aber Tante Minna stand immer noch hinter dem Tresen, sie war so eine Art Institution. Viele Leute gingen schnell mal auf ein Glas Bier zu Wegener, auch wenn es nachher ein paar mehr geworden waren. Selbst am Sonntag ging man zum Frühschoppen und bestellt sich sein Veltins
. Inzwischen konnte man da auch feines Essen bekommen. Anni, seine Frau, konnte mit Töpfen und Pfannen umgehen. Und das scheckte!
Wenn du vor der Wirtschaft eine Menge Autos parken sahst, bedeutete es, dass der Bierhahn läuft und die Küche Gutes auf den Tisch bringt. So war das hier, und nun ist das nicht mehr so. Heinz und Annie haben aufgegeben und verkauft. Wegener gibt es nicht mehr.
Dort ist jetzt ein Speise-Restaurant auf Bestellung. Das heißt Garstedter Hof, aber es ist keine Wirtschaft mehr. Der Bierhahn wurde abgeschafft, die Kegelbahn stillgelegt. Im Saal tanzen Leute, die es von früher her nicht kennen. Und die Garstedter irren umher und suchen einen Ort, wo sie zusammen ihr Bier trinken können und finden ihn nicht in ihrem alten Dorf.