Essen und Trinken – heute und früher
Die jungen Leute sind völlig ahnungslos, was die ganz normale Ernährung betrifft. Sie kennen Getreide und Superfood
wie Chia oder Quinoa, doch Leinsamen und Buchweizen sind ihnen fremd. Sie lassen sich Sushi und andere Asia-Gerichte nach Hause liefern, aber für eine einfache Erbsensuppe gibt es keinen Bringdienst.
Die verschiedenen Ernährungsformen wie vegetarisch, ovo-lacto-vegetarisch vegan, sowie die verschiedenen krankheitsbedingten Diätformen wie die für Laktose- und Glutenintoleranz steigen explosionsartig an. Die religiösen ErnährungsformenHalāl
steht auf vielen Lebensmitteln, auch auf Fleisch und Wurstwaren und kann mit erlaubt
und zulässig
übersetzt werden. Es bezeichnet alle Dinge und Handlungen, die nach islamischem Recht zulässig sind. gewinnen auch immer mehr an Bedeutung. Ich verliere langsam den Überblick.
Doch im Supermarkt drehte der junge Mann an der Kasse den Selleriekopf in der Hand und fragte: Wie heißt'n der?
. Das gleiche passierte mit einem Wirsingkohl. In einem gut sortierten Gemüsegeschäft fragte ich nach Artischocken. Die junge Verkäuferin fragte: Wie sehen die aus?
Nachdem sich mein Ärger über die ahnungslosen jungen Leute gelegt hatte, dachte ich über meine eigene Ahnungslosigkeit und Fehleinschätzungen in Bezug auf Lebensmittel nach. Auch ich musste mich erst langsam an den Umgang damit und an Neuerungen gewöhnen – und jede Menge lernen.
Ich will meine erste Fehleinschätzung nicht unterschlagen. Als Großstadtkind von ungefähr vier Jahren war ich davon überzeugt, dass die Spaghetti ein Abfallprodukt der Makkaroni wären. Man kann auch heute noch Makkaroni mit Spaghetti in der entsprechenden Größe füllen. Über den kulinarischen Mehrwert lässt sich streiten.
An die lila Kuh habe ich nicht geglaubt, aber nur aus dem einfachen Grund: Es gab sie damals noch nicht. Die Milch kam aus der Kanne vom Milchmann. Aufgeklärt wurde ich erst im ersten Schuljahr während meiner Ferien auf einem BauernhofLesen Sie auch die Geschichte:
Ferien auf einem Bauernhof in Bayern
von Margot Bintig. Gemüse gab es saisonal auf dem Markt. Im Frühjahr und Sommer war das Angebot reichlich und im Winter gab es Kohl, Rüben und Kartoffeln. Ich kannte jede heimische Gemüsesorte bis auf eine Ausnahme: Spargel, den gab es nur aus Dosen, denn frisch war er für uns immer zu teuer. Obst hatten wir reichlich im Garten und es wurde viel für den Winter eingeweckt. Orangen, Bananen und Zitronen kauften wir, wenn auch selten, beim Obst- und Südfrüchtehändler. Wobei sich die Südfrüchte nur auf die genannten Sorten beschränkten.
Mein Stiefvater war schon damals in den 1950er Jahren ein leidenschaftlicher Hobbykoch und verwendete auch schon mal Paprikapulver, Curry, Chili und verschiedene getrocknete Kräuter. Ich habe keine Ahnung, woher er diese bekam, denn man konnte sie nicht in jedem Kolonialwarengeschäft kaufen, obwohl der Name das suggerierte.
Leider konnte ich nicht an den Kochkünsten meines Stiefvaters partizipieren, denn wenn er kochte, war die Küche für alle anderen tabu. Meine Mutter und ich durften nach dem Essen das Chaos dort beseitigen. Ich muss jedoch zugeben, dass die Gerichte, die er auf den Tisch brachte, die Mehrarbeit wert waren. Ich selbst durfte niemals kochen, man traute es mir nicht zu und hatte deshalb Angst, dass ich die teuren Lebensmittel versaue
. Das Essen, das meine Mutter kochte, war ziemlich einfach, als Gewürze verwandte sie Salz, Pfeffer und Maggi. Es gab häufig Konservengemüse: eine Mehlschwitze abgelöscht mit der Flüssigkeit aus der Konservendose, dann das Gemüse hinein, fertig. Frisches Gemüse wurde, wie damals üblich, lange gekocht und zerkocht. Al dente, wie ich es heute gerne esse, kam erst mit den Italienern.
Die sogenannten Gastarbeiter
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Italienische Gastarbeiter
von Margot Bintig, die Mitte der 1950er Jahre nach Deutschland kamen, brachten jede Menge kulinarische Genüsse aus ihrer Heimat mit. Mein Stiefvater als Hobbykoch probierte alles, was neu auf den Markt kam, sofort aus, während andere alles Fremde naserümpfend beäugten, denn was der Bauer nicht kennt … Es brauchte einige Zeit, bis das große Angebot in den Supermärkten selbstverständlich wurde.
Doch die Restaurants, die Italiener, Griechen und Türken eröffneten, veränderten unsere ganze Gastronomielandschaft. In den italienischen Trattorien standen kleine Tische mit rot-weiß karierten Tischdecken und darauf Tropfkerzen auf leeren Chianti-Korbflaschen. Nach der Pizza aus dem Holzkohleofen und einem oder mehrerer Gläser Chianti gab es zum Abschluss noch einen Grappa aufs Haus. Bei den Griechen saßen wir in gemütlichen, mit Plastik-Weinreben dekorierten Gasträumen, aßen Gyros oder Spieße mit Tsatsiki, tranken Retsina, einen mit Harz versetzten Wein, und zum Abschied gab es einen Ouzo aufs Haus. Beim Türken war es ähnlich, nur waren hier statt der Weinreben Teppiche an der Wand und der Ouzo zum Abschied hieß hier Raki. Manchmal gab es auch Bauchtanz zur Unterhaltung.
Es gab allgemein viele Änderungen. Südfrüchte wurden nicht mehr besonders erwähnt, denn sie waren selbstverständlich. Und auch die Schilder Rasen betreten verboten
verschwanden allmählich, denn die Gastarbeiter
feierten hier Grillpartys in großen Gruppen und ließen sich nicht vertreiben.
Allerdings hatte ich mit manchen Südfrüchten Probleme. Ich probierte alles, was auf dem Markt war, und es schmeckte mir mehr oder weniger gut. Mit einigem konnte ich gar nichts anfangen, wie zum Beispiel dem Granatapfel, mit dem ich meine größte Fehleinschätzung hatte. Ich kaufte eine Frucht, schnitt sie auseinander, holte die Kerne heraus – und warf sie weg! Der Rest war auch nicht zu gebrauchen. Vom Granatapfel blieben nur jede Menge roter Flecken an meiner Kleidung und auf den Küchenmöbeln. Ich wusste damals nicht, dass man von Granatäpfeln nur die gut schmeckenden, gesunden Kerne essen kann. In meiner Ahnungslosigkeit hatte ich diese in den Müll geworfen.
Als ich mit 18 Jahren heiratete, hatte ich noch keinerlei Kochkenntnisse. Ich erinnere mich noch mit Grausen an meine erste Tomatensoße
: Wasser, eine Dose Tomatenmark und Maizenastärke zum Andicken, Salz und Pfeffer. Das ganze über die Spaghetti; Guten Appetit!
. Das Geheimnis einer guten Tomatensoße verriet mir viel später eine Italienerin: Tomaten, frisch oder aus der Dose mit den Gewürzen stundenlang bei schwacher Hitze köcheln lassen und auf keinen Fall die Prise Zucker vergessen.
Meine Schwiegermutter war eine gelernte Köchin und brachte mir dann vieles bei. Zum Beispiel hat sie bei einem Braten immer vorher Knochen angebraten und mit Wurzelgemüse lange ausgekocht. Das gab die Grundlage für die Soße. Aber wer macht heute noch große Braten, und woher bekommt man Knochen? Es gibt kaum noch Metzger. Auch bereitete sie gerne Innereien wie Lunge und Nieren zu. Gerichte, die sehr gut schmeckten. Wenn ich das heute kochen wollte, müsste ich bei Tierfutter suchen.
Als wir später Flugreisen in andere Klimazonen unternahmen, gab es einige Überraschungen für mich. Eine der ersten Reisen ging, wie bei so vielen, nach Mallorca. Hier spazierten wir durch einen kleinen Wald, an dessen niedrigen Bäumen lila Früchte hingen die wir nicht kannten. Was ist das? Als ich mir die Blätter ansah, wusste ich, das muss ein Feigenbaum sein. Ich hatte meine Bibelkenntnisse aktiviert und erinnerte mich, dass Adam und Eva ihre Blöße mit einem Feigenblatt bedeckten. Mit welchem Blatt außer dem dieser Bäume, hätte das Adam machen können?
Ich pflückte eine Frucht und aß sie auf, denn sie schmeckte sehr gut. Mein Mann wollte nicht einmal probieren, denn er glaubte nicht, dass es Feigen waren … und was der Bauer nicht kennt … Wir kannten bisher nur die graubraunen getrockneten Feigen, in kleine Kästchen gepackt und mit Cellophan überzogen, die im Geschmack keine Ähnlichkeit mit den frischen Früchten hatten. Heute werden bei uns überall frische Feigen angeboten. Sie sind ein guter Begleiter zum Käse.
Auf Lanzarote machten wir eine Inselrundfahrt mit Führung. An einem Feld mit großen Ohrenkakteen hielt der Bus an. Es waren die gleichen Kakteen, die meine Mutter früher auf dem Fensterbrett stehen hatte, nur viel größer. Die Reiseführerin erklärte uns, dass sie hier angebaut werden, wegen der Läuse, die sich auf diesen Kakteen vermehren. Fragezeichen in unseren Augen. Sie erklärte uns, dass aus dem Blut dieser Läuse der rote FarbstoffDer Farbstoff Kamin (E120) wird aus trächtigen weiblichen Schildläusen gewonnen. Zur Gewinnung der Farbe werden die Läuse mit Essig gewaschen und getrocknet, dann werden sie in Wasser unter Zusatz von etwas Schwefelsäure ausgekocht.Klick für Wikipedia.org gewonnen wird, mit dem unter anderem mein Lieblings-Aperitif rot eingefärbt wird. Deshalb der Zusatz: Mit natürlichem Farbstoff
. Sie holte ein paar Läuse von den Kakteen und steckte sie in eine Plastiktüte, presste diese fest zusammen und wir konnten den roten Farbstoff
sehen. Ich trank lange nicht mehr den Bitter-Aperitif aus Italien, den mit dem roten natürlichen Farbstoff
.
Weiter im Süden in der Karibik sah ich die ersten Kokosnüsse hoch oben an Palmen wachsen. Der erste Gedanke war: Hoffentlich fällt mir keine auf den Kopf
. Ich wollte nicht glauben, dass diese runden grünen Früchte, die größer als eine Bowlingkugel sind, wirklich Kokosnüsse waren. Ich kannte sie nur sehr viel kleiner, mit braunem Bast überzogen. Man braucht einen Werkzeugkasten, um sie zu öffnen. Sie haben oben drei kleine Löcher, die man durchstoßen muss, um das Kokoswasser herauszuholen. Die restliche Nuss wird dann mit mehr oder weniger Geschick auseinandergebrochen, um an das weiße Fruchtfleisch zu kommen, eine exotische Delikatesse. Heute wird die aus dem Fruchtfleisch gewonnene Kokosmilch in fast jeder Küche verwendet.
Hier kletterten Einheimische ohne Sicherung die Palmen hoch, um die Nüsse herunterzuholen. Dann wurden sie mit einer Machete geköpft, ein Strohhalm in die Öffnung gesteckt und an Touristen verkauft. Häufig kam vorher noch ein kräftiger Schuss Rum in das Naturtrinkgefäß. Für den Versand in alle Welt werden bei der Kokosnuss die dicken, grünen Schalen entfernt, um Transportgewicht zu sparen. So kennen wir überwiegend nur den inneren braunen Kern.
In Indonesien sah ich zum ersten Mal, wie eine Ananas wächst. Ohne irgendeinen Grund dachte ich, dass die Ananas an Palmen wächst, ich war mir wohl aufgrund ihres Aussehens so sicher. Doch dann sah ich es: Die Ananas wächst auf Feldern – wie Blumenkohl! Wieder eine Fehleinschätzung, bei der die Einheimischen genauso den Kopf geschüttelt hätten, wie ich es bei dem jungen Mann mit dem Sellerie an der Supermarktkasse tat.
Aber man muss ja gar nicht weit reisen. Auch hier bei uns wurde ich kürzlich überrascht. Auf dem Markt verkaufte ein Bauer ganze Rosenkohlstangen. Ich sah zum ersten Mal, wie die kleinen Kugeln entlang der Stange wachsen. Als Stadtpflanze kaufte ich Rosenkohl immer im Supermarkt in einem Plastiknetz und machte mir keine Gedanken darüber, wie er wächst. Vielleicht wie kleine Tomaten?
Ich werde versuchen, in Zukunft etwas mehr Geduld mit jungen Menschen zu haben, die einfach Dinge (noch) nicht kennen.