Durch den nördlichen Teil Marokkos
Im Rahmen einer Spanienreise 1961 mit einem Schulfreund machten wir auch einen dreitägigen Abstecher in den nördlichen Teil Marokkos. Dieser hatte sich wenige Jahre vorher aus dem Protektorat Spaniens befreit. Dieser Teil des nunmehr unabhängigen Sultanats Marokko war touristisch kaum erschlossen. Spanisch waren nur die Hafenstädte Ceuta und Melilla geblieben.
Im Nachbarland Algerien waren die Narben aus dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich noch frisch. Davon hatte ich bereits in der Jugendherberge in Pau (Südfrankreich) am 18.8. einen Eindruck bekommen). Ich war noch aufgewühlt von den Berichten über den kurz zuvor erfolgten Mauerbau in Berlin. Die Westmächte hatten gerade ihre üblichen Protestschreiben überreicht, während Ulbricht die Jugend aufforderte, sich bereit für eine militärische Aufgabe zu halten, und die Berliner Presse vermerkte: Kennedy schweigt, MacMillan geht auf Jagd und Brandt und Adenauer zerfleischen sich im Wahlkampf. Zusammen mit einem Studenten der TH München aus Coburg hatte ich noch mit 2 Algeriern über eine Stunde lang über das Deutschlandproblem und anschließend über die algerische Frage diskutiert. Bei dieser engagierten Diskussion spielte das Sprachproblem kaum eine Rolle.
Am 4.9. setzten mein Schulfreund und ich mit der Fähre von Algeciras in Südspanien nach Ceuta über. Wir fuhren hochnobel zweiter Klasse, herrliche Überfahrt bei guter Sicht. Vor der Küste springende Delphine.
Dann ging es weiter mit dem Bus in die nordmarokkanische Metropole Tetuan. Kurz hinter Ceuta überschritten wir die spanisch-marokkanische Grenze. Die erwartete Zollkontrolle blieb aus. Doch dann wurde der Bus im Rif-Gebirge von einer Motorradstreife des Zolls angehalten.
Es war uns schon vorher aufgefallen, dass eine Marokkanerin sich diverse Sachen zwischen den Beinen festgebunden hatte. Sie wurde nicht belangt. Eine andere, die kurz vor der Geburt eines schwergewichtigen Babys zu stehen schien, wurde mit nach draußen genommen und kam höchst verärgert, was den Reitz ihres energischen Gesichts nur noch erhöhte, und völlig abgemagert wieder zurück. Während ihrer Durchsuchung hatte sich der Schaffner z. T. der bereits beschlagnahmten Dinge bemächtigt, die dann wieder verteilt wurden. So blieben der Frau von ihren 15 Tabakpakten immerhin noch 8, während sie ihr Büchsenfleisch größtenteils los wurde.
Vor uns ein gemütlicher Kieler mit Frau, Tochter und Schwiegersohn. Sie waren mit dem Wagen in Spanien und berichteten von guten Campingplätzen.
In Tetuan fanden wir auch unseren Führer für die nächsten Tage, ein Unikum von Nomade, der gut deutsch, englisch, französisch, spanisch und einige arabische Sprachen beherrschte, den aber seine Reiselust nur zum Führen von Fremden trieb, vielleicht zu einem eigenen Reiseunternehmen. Nachdem wir recht günstig im Hotel Regina
im Europäerviertel untergekommen waren, am Abend Bummel durch die Medina und die Mellah, diese sagenhaften überdachten Gängeviertel. Die vielen Menschentypen lassen sich kaum beschreiben: die Araber mit langen Bärten und historischen Gewändern mit Fez, Turban oder einfachen Mützen, die Frauen tief verschleiert, nur durch die Tuchart nach Arm und Reich zu unterscheiden, die Juden und Inder. Die Läden und Handwerkerwerkstätten, meist nur aus einem Raum bestehend.
Der Sultanspalast mit den herrlichen großen Sälen und indirekten Beleuchtungen und den jetzt aufgerollten Teppichen. Was hätte ich darum gegeben, ihn 14 Tage später beim Besuch von König Hassan in seiner vollen Märchenschönheit zu sehen!
Am Hauptplatz des Europäerviertels, der Plaza de Espana, tranken wir den heimischen Azé, auch als Berbertee bekannt, einen herrlichen Kräutertee, bei dem die grünen Blätter mit heißem Wasser übergossen werden, dazu viel Zucker; der Duft lagert über der ganzen Stadt wie auch der von frisch verarbeitetem Leder.
Am nächsten Morgens wurden wir (ein Fuldaer Ehepaar, wir beiden Bremer und unser Reiseführer) von einem Taxi nach Chauen abgeholt. Herrliche Fahrt über die Berge, bizarre Felsen, Weinanbau, eine halbfertige Schleuse, meist sehr gute Straße, zwischendurch Bauarbeiten, einmal am Straßenrand 2 Kamele. Und dann, nach 2 Stunden Fahrt durch dieses Märchenland, erst die Europäerstadt, da ihnen Zutritt in die eigentliche Stadt verwehrt war, und dann endlich sie selbst, Chauen, das Juwel des Rifs, in einem Tal des Rifs, in dem der Kalif Boabdil und seine Leute nach ihrem Abzug 1492 aus Granada residierten, seitdem Wallfahrtsort. Heute war gerade ein besonderer Feiertag, eine Abordnung aus den Bergen, voran ein verhüllter Schrein, der für kurze Zeit vor der Moschee abgestellt wurde, dahinter auf ihren Pferden ein ganzer Trupp von Berbern. Nach der Begrüßung durch die Dorfbevölkerung durch laute Rufe (Frauen auf den Treppen der Moschee) und kurzer Zeremonie, die wir von weitem bei Azé (dem vom Vortag bekannten Kräutertee) miterlebten, zog die Truppe wieder ab zu einem heiligen Dorf mitten in den Bergen. Übrigens sind hier die Dorffrauen unverschleiert, da der Schleier in der kleinen Dorfgemeinschaft nicht erforderlich ist. Unser Reiseführer war hier zuhause und wurde natürlich von allen Seiten begrüßt. Sein Großvater war aus Pakistan eingewandert (er ist auch Ismaelit). Bummel durch die Altstadt. Bei einem Leder- und Tuchwarenhändler wurde groß ausgesucht. Der Besitzer des angrenzenden Ladens saß in seinem kleinen Raum, in dem außer seinen Waren kaum noch ein Stuhl oder Sitzkissen Platz hatte, und studierte den Koran. Die alte Burg von Boabdil verfallen. Gärten. Herrliches Abendrot.
Nach Erledigung von Post etc. kaufte Werner sich eine Schallplatte mit typisch arabischer Musik. Als Fachmann schaltete sich dabei ein Fotograf ein, der uns anschließend noch zu seinem Atelier schleifte. Nur mit Mühe gelang es, ihn von dem Vorhaben abzubringen, uns mit zu seiner weit draußen liegenden Wohnung zu schleifen. Glühender Nationalist, arabische Bruderschaft, Spanienhasser.
In einem von unserem Führer empfohlenen Basar lernten wir einen Kölner Pfadfinder kennen, der gerade eine Tour durch die Sahara hinter sich hatte. Er wollte unbedingt mit uns weiterreisen, was wir aber gerade noch verhindern konnten.
Am nächsten Tag krochen wir schon um 5 aus den Federn, da um 6 der Bus fuhr. Herrlicher Sonnenaufgang über den Bergen. Frühsonne über dem Meer. Reibungslose Fahrt bis Ceuta. Um 8 spanischer Zeit ging das Schiff zurück nach Algeciras. Dunst über dem Meer. Die Spitzen des Rif herrlich von der Sonne vergoldet, schwanden langsam im Dunst. Schließlich tauchte vor uns Europa auf, erst rechts der Punto de Europa, und nach und nach immer mehr vom Felsen von Gibraltar, dessen Spitzen aber bis zuletzt verborgen blieben. Springende Delphine!
Schon im Bus war mir eine marokkanische Familie aufgefallen. Großvater noch rein herkömmlich, Vater europäisch, nur mit dem vom Sultan bevorzugten eingedrückten Fez, wohl höherer Beamter, seine Frau in herrlichem arabischen Gewand, tief verschleiert, die Kinder europäisch, davon die Tochter ausgesprochen hübsches Maurengesicht. Auf dem Dampfer traf ich sie ohne Großvater wieder, die Frau aber diesmal in einem europäischen Sommerkleid. Man sieht, wie die Moderne auch hier langsam Platz greift.