Als Mitfahrer durch Frankreich
Der Deutschlandteil endete als Mitfahrer mit zwei Brüdern (Axel und Jürgen), die einen Franzosen (Roger) und mich als Anhalter ab Saarbrücken mitgenommen hatten.
In Forbach fuhren wir über die deutsch-französische Grenze, kamen in Metz an die Mosel und dann an ihr weiter über Pont-à-Mousson bis Nancy. Auf dem großen Zentralplatz suchten wir unser Jugendherbergsverzeichnis heraus. Leider hatten die Brüder Nancy und Nantes verwechselt, so dass wir zunächst etwas ratlos waren. Jetzt erwies sich aber Roger als wahrer Segen. Sehr schnell hatte er drei Farbige aufgetan, die ihm die Adressen des Jugendheims und mehrerer günstige Unterkünfte nannten. In ersterem wurde für wenig Geld das erste Mahl auf französischem Boden eingenommen. Mir blieb davon ein herrlicher kalter Thunfisch in Erinnerung. Dann ging es zu einer Art Jugendherberge in einem südlichen Vorort hoch oben auf einer alten Burg, die allerdings schon ziemlich verfallen aussah, was sich auch auf die Einrichtung übertrug, jedenfalls mit der von Deutschland gewohnten nicht zu vergleichen. Außer uns noch einige Deutsche und einige Engländerinnen. Plötzlich tauchte, von drei französischen Soldaten liebevoll betreut, eine etwa zwanzigjährige Deutsche auf. Ich hielt sie zunächst für etwas angesäuselt, aber das Temperament ließ auch am nächsten Tag nicht nach. Sie war Praxisgehilfin und hatte per Anhalter, von Koblenz kommend, zu ihrer Heimatstadt Düsseldorf gewollt und war dabei in Nancy gelandet, ohne ein Wort Französisch zu sprechen. Unsere beiden Brüder haben sie am nächsten Tag aufgezogen, ohne dass sie es in ihrer Naivität gemerkt hätte. Wir gaben ihr aber, als sie gar mit 6 Francs in der Tasche per Anhalter nach Paris wollte, den guten Rat, doch lieber den nächsten Weg über Straßburg zu wählen und dabei auch Heidelberg nicht zu vergessen. Das versprach sie nach vielen Mühen unsererseits auch. Ja, die Freiheit, aber auch Verführung des Reisens per Anhalter!
Ich hatte in Frankreich vor über Paris zu fahren und danach auch die Loireschlösser und Tours nicht zu vergessen. Außerdem wären mir die beiden Brüder zu schnell unten im Süden, so dass ich in Pau zu lange auf meinen Klassenkameraden Werner hätte warten müssen. Roger meinte aber, dass es sich derzeit in Frankreich erheblich schlechter als in Deutschland trampen ließe. Mir reichte aber schon Deutschland, und so ergriff ich gern das Angebot der Brüder, mit ihnen gegen Benzinbeteiligung weiterzufahren. Ich hoffte, damit auch einen gewissen Einfluss auf den Verlauf der Fahrt zu nehmen.
Zunächst ging es in westlicher Richtung bis Toul — einer der mittelalterlichen lothringischen Bischofssitze Metz, Toul und Verdun. Hier wollten die anderen unbedingt die Kathedrale sehen. Mir sollte es recht sein. Gotische Kathedrale mit Kreuzgang. Roger und ich bemühten uns, einige altfranzösische Inschriften zu entziffern, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.
In Vaucouleurs tauchte häufig der Name Jeanne d´Arc auf. Von hier aus trat die französische Nationalheilige Anfang des 15. Jahrhunderts ihren Zug zur Befreiung Frankreichs von den Engländern an. In Joinville (schon an der Marne) machten wir erst einmal einen Großeinkauf. Um Punkt 12 Uhr war ein Sirenengeheul über der ganzen Stadt zu hören. Von da war in der Stadt, auch in der Post nichts mehr zu haben. Ein Hochzeitszug! In Troyes kamen wir an einem Beerdigungszug vorbei. Höhepunkt für uns war eine lustige Abschiedseinkehr mit Roger in einer kleinen Weinkneipe. Austausch von Adressen und mehr. Die unerwarteten Bekanntschaften bei Tramptouren! Wir brachten Roger noch bis an die Ausfallstraße nach Paris. Hier dürfte er schnell weiter gekommen sein.
In Auxerre machten wir noch einen kurzen Abendbummel. Mädchen mit Wespentaille, Spielmannszug, enge und winklige Straßen, alter Torbogen. An der Straße nach Toucy fanden wir in Pourrain eine Jugendherberge — und was für eine! Ich glaube kaum, dass es, was Hygiene angeht, in Frankreich eine schlimmere gibt! Andererseits war der Aufenthaltsraum mit vielen netten Sprüchen versehen, so richtig geschaffen für Heimabende bei den Pfadfindern. Mir war die Bude für 1400 ffr. (einschließlich 1200 ffr. Herbergsausweis, da unser allgemeiner nicht anerkannt wurde) zu teuer. So kampierte ich, nachdem wir uns die nötige Bettschwere mit vin rouge beschafft hatten, im Freien, indem ich mir aus schönen, dicken Knüppeln weit außerhalb eine Art Hütte baute. Trotzdem war es nachts etwas kalt, so dass das Schlafen nur stundenweise vonstatten ging. Kurz bevor ich den Aufstieg machte, hörte ich noch einen Mädchenchor französische Volkslieder singen.
Am nächsten Morgen konnte ich schon um 5 Uhr nicht mehr schlafen. Ich hatte daher ausgiebig Zeit, einen Morgenspaziergang durch die Umgebung von Pourrain zu machen. Was ich am Vorabend nicht mehr feststellen konnte: Auf dieser Seite war die Gegend nicht sehr schön. Ab und an ein paar Grasflächen, auch ein paar Waldstücke, dann aber auch einige Weinfelder, Äcker, aber auch Ödland und eine Riesenausgabe von Artischocken mit recht hübschen Blüten. Wesentlich anders war die Gegend auf der anderen Seite der Straße, also gegenüber der Jugendherberge. Hier war eine Parklandschaft, ab und an einige Waldwiesen — ein hübsches Wandergebiet. Der Verlauf einer Kleinbahn, die man aber inzwischen aufgehoben hatte, war noch deutlich an den Brücken und an dem ausgehobenen Graben zu erkennen.
Das Schönste an diesem Morgen war der Sonnenaufgang um kurz nach halb sechs. Schon als ich aufstand, wurde der Himmel etwas rötlich. Schließlich stand hinter einem Hügel der Halbkreis einer blutroten Scheibe am Himmel. Diese nahm dann rasch an Höhe und Größe zu und verfärbte sich dabei erheblich. Der Tag versprach jedenfalls recht schön zu werden.
Etwas abgekämpft kam ich am Wagen wieder an, und bald konnte die Fahrt weitergehen. Kurz vor Cosne kamen wir an die Loire. Hier legten wir erst einmal eine Frühstücks- und Badepause ein. Die Loire hatte hier zwar nicht ganz so viele Sandbänke wie bei Orléans, war naturgemäß etwas schmaler, konnte dafür aber auch völlig durchwatet werden. Die Schifffahrt spielte sich nur auf den Seitenkanälen ab. Dafür war der Fluss mit seinen bewaldeten Ufern recht anmutig, wie man es in Frankreich ja sehr oft findet. Neben mir eine ganze Reihe Angler, neben anderen auch eine Familie mit 4 bis 5 Kindern, die Eltern angelnd, die Kinder die Gegend unsicher machend.
Einmal machten wir dann noch in Bourges Station. Schon von Weitem sah man die Türme der Kathedrale ähnlich wie in Chartres, auch in etwa ähnlicher Landschaft gelegen. Doch im Ort selbst waren sie verschwunden. Wir fuhren mehrfach durch, ohne sie zu finden. Per Pedes und mit einem Stadtplan war die Kathedrale schnell zu finden und wog unsere Mühen auch vielfach auf. Herrliche Vorderfront mit fünf Portalen, innen fünf Schiffe — in Frankreich an sich recht selten. Herrliche Glasfenster, doch ein Großteil im letzten Jahrhundert neu ersetzt. Hier waren nicht wie bei anderen Kirchen aus Sicherheitsgründen die vielen Figuren an den Portalen abgenommen.
Über Issoudun, Chateauroux, Chauvigny (Viennepartie, altes Schloss oben auf dem Berge) nach Poitiers mit seinen steilen, engen und winkligen Gassen, die der Ford aber mit Bravour schaffte. Klasse-Jugendherberge direkt am Rande des fast inselartigen Stadtkerns. Am Abend kleiner Bummel durch die Stadt, vorbei an der romanisch-normannischen Kathedrale. Sie sieht äußerlich schon recht vergammelt aus, besitzt jedoch eine ansprechende Vorderfront, wenn auch durch den vielen Vogeldreck nicht ganz so schön wie später in Angoulême. Am Marktplatz saßen wir noch einige Zeit in einem kleinen Straßenrestaurant. Es gab viel Betrieb auf dem Platz, Pärchen, Soldaten von der nahen Garnison, neben mir eine alte Frau, die ihrer Enkelin gerade den Pierrot
beibrachte. Ab und an durfte die Kleine sogar etwas vom Wein nippen. Und da glaubte Ministerpräsident Mendès-France, die Franzosen vom Weintrinken abbringen zu können!! Kinos, Theater.
In der Jugendherberge ist nicht wie etwa bei uns schon um 10 Uhr Nachtruhe. Etwa eine Stunde haben wir dann noch Roulette gespielt. Der Herbergsvater, mal einer von der echten Sorte, wie man sie sich wünscht: nicht donnernd, aber auch nicht förmlich. Etwas müde ging es dann in die Zeltherberge. Poitiers ist offenbar nur im Sommer Herberge. Da müsste man mal wieder hinfahren.
Von Poitiers nahmen wir auch einen englischen Mechaniker mit. Er konnte zwar einige Brocken Französisch, zog es aber vor, fast nur Englisch zu reden, ein typischer Sohn seines Landes. In Angoulême machten wir Zwischenstation. Ich hatte mir die Stadt älter vorgestellt. Das alte Schloss ist nur bis auf Reste als Teil des Rathauses erhalten. Wir kamen bei einem Stadtbummel auch an der Kathedrale vorbei. Sie wirkt schon von außen recht imposant, macht aber innen einen ganz besonderen Eindruck. Durch die Verwendung grau-weißer Steine entsteht ein eigenartiges Leuchten. Von der Terrasse hat man einen herrlichen Blick auf die Umgebung. Im Stadtinneren mussten wir noch ziemlich enge und steile Straßen fahren, bis wir die Ausfallstraße nach Bordeaux fanden. Straßenleuchten. Rast. Parklandschaft. Cognac.
Über die Dordogne kamen wir nach Bordeaux, mit seiner Kirche am Fluss imposant gelegen. Die Stadt selbst ist eine typische Großstadt. Wir brachten den Engländer noch in Richtung Auch, dann suchten wir die Straße nach Arcachon. Wochenendhäuser. Die Bucht von Arcachon ist erst in der Stadt selbst zu sehen, da die Sicht vorher durch Hügel und Bäume versperrt ist. Arcachon ist ein typisch französisches Ausflugsziel für die Leute aus Bordeaux. Nach den vielen Autos mit Pariser Kennzeichen musste Paris von Parisern entvölkert gewesen sein. In der Stadt und vor allem in Richtung Meer stand ein Wagen hinter dem anderen, so dass keine Parkplätze zu finden waren. Wir fuhren daher rasch wieder weg. An der Riesendüne von Pyla haben wir zum ersten Mal im Meer gebadet. Starke Driften der Boote, selbst gegeneinander. Die Düne ist offenbar das Zentrum der Dorfbevölkerung von Pyla. Vor allem heute war etwas Besonderes los, da nach einer dortigen Sitte ein Brautpaar (er in Uniform, sie in langem Brautkleid) die hohe Düne nehmen musste. Die arme Braut tat mir leid: Ab der Hälfte sackte sie dauernd wieder in die Knie und musste von ihrem Angetrauten weitergebracht werden. Axel und ich machten auch den Aufstieg. Von oben hatten wir einen herrlichen Ausblick auf das Meer und die umliegenden Wälder — leider in dieser Gegend teilweise durch Waldbrände vernichtet. Das betraf vor allem Kiefern, von denen das Harz abgezapft wird. Auch Braut, Bräutigam und Eltern kamen schließlich oben an. Sie warf mehr tot als lebendig einen Blick auf das Meer, und dann wurden die üblichen Aufnahmen gemacht.
In Biscarosse kauften wir noch ein, badeten und übernachteten im Freien, da wir für die Herberge nicht unter 10 Neue Francs wegkamen. Schön dick angezogen, mit Decke drüber, Luftmatratze drunter, schlief ich wie ein Murmeltier.
Am nächsten Morgen gingen wir kurz zum Campingplatz zum Rasieren und Frühstücken. Dann ging es weiter durch die Kiefernlandschaft, Unterholz Heide, an Öltanks bei Parentis vorbei nach Bayonne und weiter nach Biarritz. Hier fanden wir in der Jugendherberge Unterschlupf, zusammen mit Deutschen (auch einigen Pfadfindern), Engländern und einigen Spaniern. Letztere scheint man in Frankreich nur hier zu finden. Baden in der Brandung. Am Abend Stadtbummel (Casino, Feuerwerk). In einem kleinen Straßenrestaurant Blick aufs Treiben. Es war eine herrliche Atmosphäre.
Am nächsten Morgen wurden wir zum Fegen angestellt. Dieser Tag war im Übrigen zum Baden. Eindrücke: Herrliche Brecher, Felseilande, Strand direkt zu Füßen des Casinos, die vielen Leute, verwegene Bikinis, Posen, Amulette, nur wenige Leute im Wasser, Sonne nur strichweise. Als die Sonne ging, Bummel über den Golfplatz: Herrlich geschnittener Rasen, Adelsbetrieb, mindestens 12 Pariser Wagen davor. Zum Leuchtturm an der Chambre d’Amour (Strandpartie) mit Markierungsstrichen der großen Überschwemmungen. Runter an die Felsen, schäumende Brandung. Am Abend haben wir für unsere Verhältnisse groß gegessen zum Abschied von den beiden Brüdern direkt bei unserer Jugendherberge.
Am nächsten Morgen Abschied von der Jugendherberge. Die beiden Brüder brachten mich noch an die Straße von Bayonne nach Pau. Hier haben wir noch die restlichen Vorräte verzehrt, unter anderem auch eine Flasche Rosé. Ich brauchte dann auch gar nicht lange zu warten, bis mich ein Pariser Erdöl-Techniker bis Pau mitnahm. Mit der Verständigung ging es gut. Er war in deutscher Kriegsgefangenschaft in der Gegend von Görlitz gewesen und wurde dort gut behandelt. Kurz hinter Orthez kamen wir an der Erdölraffinerie von Lacq vorbei. Dann fuhren wir am Gave de Pau entlang, herrliche Waldgegend.
In Pau angekommen, suchte ich zunächst nach dem Lycée Louis Barthou, wo ich mich mit meinem Klassenkameraden Werner am nächsten Tag treffen wollte und wo sich auch das Jugendherbergsbüro befand. Über den Boulevard des Pyrénées mit Blick auf die Pyrenäen und den Gave de Pau gelangte ich zu einem großen Park. Hier befand sich ein Denkmal des hier geborenen Marschalls Bernadotte, des späteren schwedischen Königs Karl XIV. Johann, von seinem Enkel Oskar II. gestiftet, außerdem ein großes Spielcasino. Dahinter der Boulevard Barba Nègre, an dem ich dann auch ziemlich schnell den Riesen-Gebäudekomplex des Institut français pour des Etrangers entdeckte. Nach einigem Suchen fand ich dann in einem Nebengebäude das Herbergswerk und die Adresse der hiesigen Jugendherberge. Ich musste dann wieder an dem Palast der Könige von Navarra (wo auch König Heinrich IV. von Frankreich residierte) vorbei, über den Fluss und auch noch durch das nächste Dorf Jurançon durch. Die Herberge war außerdem ein normannisches Ferienlager — derzeit mit vielen Kindern. Ich kam mit einem Lehrer ins Gespräch. Er war im Krieg auf einem Bauernhof in der Gegend von Bottrop gewesen, hier gut behandelt worden und konnte sogar noch einige plattdeutsche Sätze. Da der Herbergsvater noch nicht da war, machte ich einen Spaziergang an einem kleinen Bach entlang (viele Papierreste!) bis zum Gave de Pau, schön kühl, dann auf die Höhe an einigen recht reichen Bauernhöfen mit großen eisernen Toren und Parks vorbei — Reichtum von dem hier geschätzten Wein von Jurançon. Dann kam ich an einer Schule Nid Béarn vorbei, einem Landverschickungsheim für Kinder. In der Jugendherberge fiel ich dann todmüde ins Bett.
Am nächsten Morgen konnte ich in der Jugendherberge in Jurançon erst einmal ausschlafen. Der Himmel war genau so wolkenverhangen wie in Biarritz. Meine Mitschläfer, ein Marokkaner, drei Algerier und ein holländischer Lehrer, der fließend Deutsch und Französisch sprach und mit dem Fahrrad quer durch Frankreich unterwegs war, waren schon aufgestanden und beim Frühstücken. Ich wollte mich mit meinem Proviant nicht weiter abschleppen und hatte diesen daher im Wagen aufgebraucht. So kaufte ich mir ein kleines Brot, für den Weg nach Pau genug Frühstück. Unterwegs holte ich mir noch einen Figaro
, um mich über die laufenden Vorgänge in Berlin (Mauerbau!) zu orientieren. Am Boulevard des Pyrénées, der bei gutem Wetter einen herrlichen Ausblick auf die Pyrenäen gibt und selbst sehr grün ist, fand ich inmitten anderer Zeitung lesender Urlauber und Einheimischer noch eine freie Bank. Ich wunderte mich, wie fließend das Lesen noch geht, während das mündliche Verstehen (dazu noch in Südfrankreich!) doch so einige Schwierigkeiten macht. Heute hatten die Westmächte gerade ihre üblichen Protestschreiben überreicht, während Ulbricht die Jugend aufforderte, sich bereit für eine militärische Aufgabe zu halten, und die Berliner Presse vermerkte: Kennedy schweigt, MacMillan geht auf Jagd und Brandt und Adenauer zerfleischen sich im Wahlkampf. Welch hübsche Aussichten!
Um kurz vor halb Zwölf brach ich dann in Richtung Boulevard Barba Nègre zum gemeinsamen Treffen mit Werner auf. Zu meiner großen Überraschung traf ich ihn tatsächlich an, zusammen mit einem anderen Studienstiftler und Philologen, Herrn B. Werner war schon zwei Tage vorher über Österreich, Liechtenstein und die Schweiz in Pau eingetroffen. Wir machten gleich für den Nachmittag einen Treffpunkt für einen Ausflug nach Lourdes fest. Er ging dann in sein Hotel zum Essen, ich mit Herrn B. zum Lycée zum Essen. Ich war etwas erstaunt über die gute internationale Atmosphäre in diesem Institut, mir gegenüber zwei Spanierinnen, nebenan ein Kanadier. Nach dem Essen ging es mit dem Bus nach Lourdes. Fahrkartenkauf ging sehr schnell, die Fahrt durch teilweise herrliche Gebirgslandschaft (Flusstäler, steile Abhänge). Die Stadt selbst der größte Kitsch- und Fremdennepp, den ich je erlebt habe (bijouterie réligieuse, Amulette, Plastikflaschen für Weihwasser aus der Quelle usw.). Bald hatten wir auch den Weg zur Kirche gefunden. Es war recht eindrucksvoll, welche Begeisterung Tausende von Wallfahrern ergriffen hatte, die den weiten Weg nach Lourdes nicht gescheut hatten und sich die Reise zum Teil buchstäblich vom Munde abgespart hatten. Die vielen Kranken auf den Einheitskrankenfahrstühlen, die sich Heilung von ihren jahrelangen Leiden versprachen und einen langen Zug des Leides bildeten. Die Kirche mit der großen goldenen Kuppel und vor allem la Grotta
. Doch wie es bei solchen religiösen Wallfahrten stets ist: Bei den Offiziellen, die hier schon so oft waren oder ständig sind, wird alles sehr schnell zur Schablone. Schade, nur fällt das zum Glück in der Menge nicht auf.
Doch bald mussten wir leider an die Rückfahrt denken, denn nach Werners Angaben fuhr der Bus schon um 17 Uhr. Es war sehr schwer, durch den langen Zug der Pilger einigermaßen durchzukommen, aber schließlich kamen wir nach unserer Uhr noch pünktlich, aber wir hatten uns in der Richtung geirrt. Es fuhr gar kein Bus nach Pau. So fuhren wir kurzerhand per Anhalter nach Pau zurück, mit einem Franzosen, der verhältnismäßig gut Deutsch sprach und einem Belgier aus Antwerpen.
In Pau angekommen, trank ich in einem Straßencafé noch einen kleinen vin rouge und Werner eine Art Limonade, über die er allerdings wegen der schlechten Qualität sehr ins Fluchen geriet.
Abends in der Jugendherberge traf ich noch einen Studenten der TH München aus Coburg. Wir beiden haben dann noch mit zwei Algeriern über eine Stunde lang über das Deutschlandproblem und anschließend über die algerische Frage diskutiert: Wir hatten den Mauerbau und die Algerier erkämpften gerade ihre Unabhängigkeit von Frankreich.
Am nächsten Tag konnte ich schon kurz nach 7 Uhr zu einem Kurzausflug nach Spanien aufbrechen, weil ich mir schon am Vorabend meinen Herbergsausweis hatte geben lassen. Auf dem Weg zum Bahnhof kam ich an einer kleinen Standseilbahn (Funiculaire) vorbei. Um 8 Uhr war ich am Bahnhof. Werner war auch schon da, ebenso Herr B., den ich ja schon kennengelernt hatte, ebenso wie Fräulein S., eine charmante junge Dame aus Wien. Bald darauf kamen auch Herr R., Physikstudent aus Heidelberg, und Fräulein B. aus Mönchengladbach, Theologiestudentin in Berlin. In ihrem bislang tragischen Leben hatte sie unter anderem neun Zehntel ihrer Sehkraft verloren, so dass sie nur noch mit Spezialgläsern sehr schwach sehen konnte, ihr drohte die völlige Erblindung. Dabei war sie ein so tapferer Prachtmensch. So konnten wir als ein ziemlich munteres Völkchen pünktlich mit dem Zug in Richtung Spanien abfahren.
Die Eisenbahnstrecke führt zunächst im Tal von Pau entlang, dann ging sie mehrfach hin und her, wobei der Bahnhof Biarritz-Nègre zweimal passiert wurde, wie auch eine Teilstrecke vor dem Sackbahnhof Bayonne. Bevor wir jedoch die spanische Grenze endgültig passierten, waren noch einige schwerwiegende Hindernisse zu überwinden, die uns über zwei Stunden Zeit kosteten. Kaum hatten wir nämlich die Passformalitäten erledigt und uns glücklich nach dem Zug nach San Sebastian erkundigt, als sich dieser in entgegengesetzter Richtung in Bewegung setzte und wir statt in San Sebastian wieder in Hendaye in Frankreich einliefen. Uns blieb nichts anderes übrig, als auszusteigen und die französische Grenzkontrolle zu passieren. Der Weg dorthin war ein von Menschen verstopfter, heillos langer, teilweise völlig dunkler Gang, der zudem teilweise noch unter Wasser stand. Da man sich jedoch willenlos in einem Menschenstrom treiben lassen musste, kam man glücklich am Ziel an. Ausgereist, durften wir dann nach Spanien wieder einreisen. Wir fanden dann auch den richtigen Zug nach San Sebastian. Unterwegs einige typisch baskische Bahnhöfe mit fast unaussprechlichen Namen. Die Landschaft genau wie auf der französischen Seite. Ein Taxi (hier sehr billig, für uns sechs Personen 25 ptas.) brachte uns dann auch glücklich an eine recht gute Privatpension, zwar etwas teuer, aber dafür auch nach dem bisherigen Notbehelf in Frankreich eine sehr schöne Erholung. Wir fanden hier zwei sehr schöne Zimmer, eines für die beiden Damen, das andere für uns vier Herren. Die Zimmer mit Balkon, jedoch, wie hier allgemein üblich, direkt zur Straße. Es ist überhaupt bemerkenswert, dass alle Häuser an unserer Calle de Marina immerhin mit sieben Stockwerken vor jeder einzelnen Wohnung einen Balkon zur Straße besaßen. Wie überall in Spanien, so auch hier, spielte sich das Leben sehr viel auf der Straße ab.
Am Spätnachmittag wurde erst einmal in einem recht guten Restaurant (Calle de San Martin, Ecke Calle de Marina) direkt um die Ecke sehr preisgünstig gegessen. Mit der Wirtin, einer typischen Spanierin mit recht streng geschnittenen Gesichtszügen, verstand sich unser Reiseleiter Werner, der immerhin als Einziger Spanisch und dazu noch perfekt sprach, prächtig. Am Abend machten wir einen Bummel am Meer entlang, mit herrlichen Brechern, dann durch die Stadt, wobei unsere Damen auf Schuhkauf gingen (zwar billig, aber zu klein). Im Fischerviertel nette kleine Kneipen mit viel Betrieb, bei denen man vorzüglich Fische, Krebse und ähnliches Getier bekam. Wir konnten uns auch schließlich nicht wehren, zumal wir mal wieder ziemlichen Hunger hatten. Dazu noch ein herrliches Getränk (Sangria
). Auf unserem Rückweg großes Feuerwerk aus Anlass der gerade stattfindenden Feria, bei der an diesem Nachmittag auch Ordonez, Schwager Dominguins und derzeit bekanntester spanischer Stierkämpfer, auftrat. Wir hatten diesen Kampf versäumt, hatten aber auch sowieso vor, erst in Sevilla eine echte Corrida mitzumachen.
Ab 7 Uhr konnte ich nur noch recht unruhig schlafen. Auch die anderen hielten es nicht mehr aus. Um kurz vor 9 Uhr waren alle fertig zu neuen Taten. Einige hatten an diesem Morgen schon große Spaziergänge absolviert (Fräulein S. und Herr B.). Zunächst einmal erledigten Werner und ich einige Formalitäten wie beispielsweise den Kauf eines Kilometricos für unsere weitere Spanienreise (umgerechnet 65 DM für 3000 km). An einer Stelle kamen wir sogar im letzten Moment vor Schließung. Es war jedoch nicht möglich, für den einzigen für uns in Frage kommenden Zug noch eine Platzkarte zu erwischen, so dass wir unsere Weiterfahrt auf den nächsten Tag verschieben mussten. Aber auch hierfür war es Glücksache, eine Platzkarte zu bekommen. Das Wetter war inzwischen wirklich echt spanisch geworden. Wir konnten uns daher unsere Badesachen nehmen, und raus ging es an Spaniens mondänsten Strand, den von San Sebastian. Hier pflegte auch El Caudillo
(Staatschef Franco) seine Ferien zu verbringen. Mal wieder herrliches Baden. Für die Damen waren Bikinis verboten, aber ich war erstaunt, welch herrliche einteilige Badeanzüge es gibt. Auch zum Schwimmen kam ich, denn Herr R. schien genau so gern zu schwimmen wie ich. Nur schade, dass er schon so bald wieder fahren musste, da er noch in Pau einiges zu erledigen hatte. Die anderen aber ließen Abendbrot Abendbrot sein und nahmen erst einen Zug später. Wiedersehen mit einem Holländer aus Jurançon. Wir brachten die anderen dann noch zum Zug und marschierten anschließend in unser Stammlokal (55 ptas à la carte). Por la manana
meinte die Wirtin zum Abschied, aber daraus wurde ja nichts mehr. So fielen wir dann schließlich nach ausgiebigem Duschen ziemlich müde in die, am Tage vorher noch von unseren Damen benutzten, Betten.
Am nächsten Tage sollte dann unsere gemeinsame Spanientour mit der spanischen Staatsbahn RENFE richtig losgehen.