Wie kommt man eigentlich an einen Oldtimer?
Kapitel 3
Urlaub im Teutoburger Wald
Zwei Tage später wollten meine Großeltern in den Urlaub in den Teutoburger Wald. Entsetzt blickte ich auf die Tankanzeige: fast leer – aber wie sollte ich das ändern? Schließlich fasste ich mir ein Herz und fuhr zur Tankstelle. Schon nach etwa fünf Minuten Herumirrens auf dem Hof hatte ich die einsame Dieselzapfsäule gefunden (ich musste doch sicherlich Diesel tanken, oder?) und nach nur drei Anläufen stand ich neben der Säule. Naja, so ungefähr jedenfalls.
Nun ging das Abenteuer los: Ich hatte noch nie getankt, noch nie jemandem bewusst dabei zugeschaut. Irgendwie hatte ich dennoch aufgeschnappt: Man musste so einen Schnulli aus der Tanksäule ziehen, den irgendwo in ein Loch im Auto stecken, dann verrichtete eine Maschine geräuschvoll ihre Arbeit und am Ende musste man zur Kasse. Ich hatte auch schon, per Fahrrad natürlich – wer bewegt schon freiwillig ein Auto? – von meinem Konto 200 D-Mark abgehoben, hoffentlich reichte das zum Tanken.
Nun also der Schnulli – irgendwie bekam ich ihn mit etwas Mühe aus der Tanksäule befreit, längst kein lütter Döskopp
eben, und begab mich auf die Suche nach dem Loch im Auto. Eine Wanderung um das Auto, eine zweite, noch eine dritte – kein Loch! Schließlich sah ich ein: Die Dinge überforderten mich. Also begab ich mich in die Butze des Tankwarts. Der hatte bestimmt echt Ahnung – aber die Freundlichkeit nicht wirklich gepachtet. Ich outete mich als blutiger Anfänger und fragte, ob er vielleicht wisse, wo bei meinem Auto das Loch für den Schnulli sei? Das wisse er auch nicht genau, aber bei diesen alten Mercedessen sei der oft hinter dem hinteren Kennzeichen, das müsse man herunterklappen. Hatte der Mann eben alter Mercedes
zu meiner teuer erworbenen Neuanschaffung gesagt? Noch nie zuvor hatte ich auch nur annähernd etwas derart teures besessen! Und auch sein Tipp erwies sich nicht als ganz richtig: Ja, es stimmt, die großen
Mercedesse der Baureihe W108 hatten ihren Tank hinter dem Nummernschild – aber ich besaß ein Exemplar der Baureihe W115 – wobei beides mir damals überhaupt noch nichts gesagt hätte.
Aber sein Tipp half dennoch weiter, denn bei meiner zweiten Runde um das Auto – ich wollte den Mann ja nicht weiter aufbringen, indem ich nochmals fragte – fand ich das Loch, versteckt hinter einer unscheinbaren Klappe direkt neben dem hinteren Nummernschild.
Also wieder den Schnulli aus der Säule, in das Loch gesteckt, nicht passiert. Warten hilft auch nicht. Hmm … – eine Weile an der verwirrenden Technik des Schnullis herumgefingert, vielleicht war ich doch ein Döskopp
, nicht mal ein lütter
? Schließlich sah ich ein: Ich war zum zweiten Mal gescheitert, ich musste zurück in die Höhle des Löwen.
Diesmal war der Tankwart nicht mehr so unfreundlich wie beim ersten Mal, er war deutlich unfreundlicher: Ja, ob ich denn etwa den Schnulli (er hatte ein anderes Wort für Schnulli, aber das bekam ich in der Aufregung nicht mit) etwa aus der Säule gezogen und dann anschließend wieder hineingesteckt hätte? Ich versuchte stotternd zu erklären, ja, das hätte ich doch gemacht, als ich das Loch nicht gefunden hätte – dass ich die Freveltat nach gefundenem Loch noch ein zweites Mal begangen hatte, verschwieg ich vorsichtshalber. Ja, dann sei die Säule natürlich verriegelt, dann käme da nichts mehr heraus! Oh Gott, jetzt hatte ich auch noch die Tanksäule beschädigt, ob meine 200 D-Mark für den Schaden wohl ausreichten? Zitternd fragte ich, ob er sie vielleicht irgendwie wieder entriegeln könne, das schien mir jetzt das richtige Fachwort zu sein, um ihn nicht noch weiter aufzubringen. Er grunzte unverständliches, wedelte mich wortlos aus seiner Bude heraus.
Jetzt überlegte ich ganz genau: Die Klappe war ja bereits geöffnet. Den Tankdeckel hatte ich bereits aufgeschlossen und abgenommen. Was konnte jetzt noch schiefgehen? In meiner Ahnungslosigkeit fiel mir nichts ein, also nahm ich schließlich schweren Herzens den Schnulli wieder aus der Säule, steckte ihn wieder in das Loch, fingerte endlos an der Technik des Schnullis herum – nein, nochmals brachten mich keine zehn Pferde wieder in die Butze, um nochmals zu fragen! – und plötzlich ratterte die Maschine los! … oder waren das die mindestens zehn Tonnen Steine, die gerade von meinem Herzen polterten?
Aber noch hatte der Stress kein Ende: Plötzlich brach irgendetwas in der Maschine mit einem lauten Knacken, die Kraftstoffzufuhr stoppte. Was hatte ich nun wieder verkehrt gemacht? Noch mehr Katastrophe konnte ich nicht ab, ich beschloss, den Defekt zu verschweigen und einfach zu bezahlen.
Aber zuvor hatte ich noch eine Prüfung zu bestehen: Ich wusste irgendwoher, dass man regelmäßig, vor allem vor längeren Fahrten, nach dem Ölstand gucken musste und ich hatte zu diesem Zweck auch schon mal jemanden einen langen Stock aus dem Motor ziehen sehen.
Von der Besichtigung des Autos beim Kauf wusste ich, dass der Motor vorn seine Heimat hatte (sieht er nicht gut aus?
– ja, woher sollte ich das denn wissen?) und das man an irgendeinem Hebel im Inneren des Autos ziehen musste. Nach einiger Suche fand ich den Hebel. Nach einer ganzen Weile erst traute ich mich, an dem Hebel derart beherzt zu ziehen, dass die Motorhaube aufsprang, nach dem furchtbar lauten Geräusch dabei hatte ich sicherlich etwas kaputt gemacht. Und wirklich ging dann die Motorhaube auch nicht auf – bis ich nach endloser Suche den zweiten Riegel fand.
Und dann starrte mich eine endlose Menge Technik an! Wo durfte man da anfassen, ohne etwas zu zerstören? Und, ungleich schwierigere Frage: Wo war der Stock zum Öl messen? Da war zwar so ein roter Ring, der schrie zieh mich! Zieh mich!
, ich versuchte es auch zaghaft, aber der saß so fest, dass ich überzeugt war, das sei irgendeine Art von Selbstzerstörungsmechanismus, wozu immer der gut war.
Oh nein – nun hatte ich die Wahl, entweder noch einmal in die Löwenhöhle zu gehen, oder am nächsten Tag das Auto durch Ölmangel zu zerstören. Ich wurde mir meiner Verantwortung für die wahnwitzige Summe von 6.950 D-Mark bewusst und raffte mich ein drittes Mal auf. Erklärte dem Ungnädigen mein neues Problem, der, wortlos, stapfte mit Siebenmeilenschritten vorweg, ich, Zweimetersieben lang, konnte kaum folgen. Er riss mit einem gewaltigen Ruck den Selbstzerstörungsring samt dranhängendem Stock heraus, warf kaum einen Blick darauf, stopfte ihn wieder hinein und stapfte zurück in seine Hütte – grimmen Blickes und weiterhin wortlos.
Ich, hinter ihm her: Ob es denn gut sei? Er: Ja, nun sei gut! Ich habe nie wieder nach der Bezahlung eine Tankstelle derart fluchtartig verlassen …
Die Fahrt in den Teutoburger Wald verlief gemessen an den Umständen ereignislos. Die Umstände: Ich am Steuer, mit etwa 25 Kilometern Fahrpraxis, verantwortlich für ein 6.950-D-Mark-Auto, meine alten Großeltern und dafür, dass sie ereignislos am Ziel ankamen.
Auf der Rückfahrt begann das Auto gewaltig zu qualmen: Die Feststellbremse war festgegangen und ließ sich nicht mehr lösen. Das Problem löste der Hinterhofhändler noch schimpfend auf Kulanz.