Kindheit und Jugend in Ostpreußen
Kapitel 1 — Teil 4
Ferien in Alt Jablonken (Altfinken)
In den großen Ferien war ich zu meiner Tante Emilie nach Alt JablonkenAlt Jablonken ab 1938 bis 1945 Altfinken,
danach ab 1945: Stare Jabłonki
eingeladen, einer Station hinter Osterode in Richtung Allenstein. Dort war Onkel Johann Jendrian Bahnhofsvorsteher und wohnte oben im Bahnhofsgebäude, direkt an der Bahnanlage der Hauptstrecke Berlin — Deutsch-EylauDeutsch-Eylau, ab 1945 Iława — OsterodeOsterode/Ostpreußen ab 1945 Ostróda — AllensteinAllenstein, ab 1945 Olsztyn — KorschenEisenbahnknotenpunkt Korschen, ab 1945 Korsze. Tante Emilie war die Schwester meiner Mutter. Onkel Johann hatte als Schmiedelehrling und Geselle bei Opa Karl Patzewitz in Seubersdorf gearbeitet und Emilie dort kennengelernt und geheiratet. Meine Cousins waren Hedwig, jetzt verheiratet mit Arthur Hering, die auch in Alt Jablonken-Dorf wohnte, etwa zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof. Lieselotte, damals etwa 14 Jahre alt, die oben im Giebelzimmer wohnte. Cousin Erich, der infolge einer Erkrankung in seiner Jugend einen Buckel hatte und damit stark behindert war. Er war Fotograf und wohnte ebenfalls in einem Zimmer im Dachgeschoss, das er sich als Dunkelkammer und Laboratorium eingerichtet hatte. Walter Jendrian war damals schon verheiratet und wohnte in Berlin-Grünau, später in der Kleingartenkolonie Britzer Wiesen
. Und Paul Jendrian, das älteste von Tante Emilies Kindern, war verheiratet und hatte in der Lüneburger Heide eine Oberförsterstelle. Ihn habe ich nur einmal gesehen, als er zu Besuch war. Später hörte ich, er sei verstorben.
Mit Erich harmonierte ich gut, zumal er Geige und Mandoline spielte und auch gerne angelte. Angeln war auch eine meiner Leidenschaften. Außerdem liegt Alt Jablonken mitten in einem großen Waldgebiet. Nur über die Straße war man schon im Wald, wo es Blaubeeren, Erdbeeren und Pilze gab. Für mich war es die Freiheit. Jendrians besaßen auch einen großen Obstgarten mit herrlichen Birnen und Äpfeln. Und man konnte die vielen Züge beobachten. Es hat schon Spaß gemacht, in Alt Jablonken die Ferien zu verbringen. Die Tante Emilie hatte ein liebenswürdiges Wesen und ich mochte sie sehr. Mit Erich war ich schon früh am Tag unterwegs zum kleinen Schillingsee, der durch ein Teilstück des Oberländischen Kanals mit dem großen Schillingsee verbunden ist. Ein Tunnel für die Schiffe ist hier vorhanden, wenn sie unter der Bahnstrecke hindurch fahren. Die Uferbefestigung bestand aus Faschinen, also Weidengeflecht, das den Flusskrebsen Unterschlupf bot. Man konnte frühmorgens die Flusskrebse aus ihren Löchern holen.
Erich hatte seine Fotobilder zum Wässern mitgenommen und sie mit Korkenschwimmern versehen, zwischen die kurz gehaltenen Binsen ins Wasser gesteckt. Das hatte den Vorteil, dass er kein Wasser wechseln musste und außerdem noch angeln konnte. Wir packten die Angelruten aus, die Angelhaken wurden mit Wurmködern versehen und an der Kanaleinmündung so weit wie möglich ausgeworfen. Wenn das Floß sich bewegte, waren Fische am Köder und wenn das Floß verschwand musste die Angel hochgezogen werden. Dann war meist ein Fisch als Beute am Haken. Plötze, Rotfedern, Barsche und später mit kleinen Fischen als Köder wurden auch schöne Hechte gefangen. Lieselotte hat sie dann ausgenommen, geschuppt und lecker gebraten. Hechte wurden auch gekocht, dazu gab es Hechtsuppe, die sehr gut schmeckte. Lieselotte hatte Talent für gutes Kochen und wurde später auch so zur Köchin ausgebildet. Es gab immer Pudding als Nachtisch, den ich gerne aß.
Erich kannte aber auch Pilzstellen im Wald, die wir gemeinsam aufsuchten, um für das Abendbrot zu sorgen. Oftmals war es ein großer Weidenkorb, der so voll wurde, dass ich ihn kaum tragen konnte. Im Garten putzten wir die Pilze und Lieselotte briet sie mit Räucherspeck in einer Großpfanne. Es war für mich eine sehr schöne Zeit, hier lernte ich auch allein das Schwimmen und es war ein Erfolgserlebnis, das erste Mal über den zehn Meter breiten Kanal zu schwimmen. Mit etwas mehr Übung schwamm ich alleine auf den großen Schillingsee hinaus.
Wieder in Bergfriede kauften meine Eltern mir auch eine Angel. Ich montierte die Angelschnur an einen Stock, den Vater mir aus einem Haselnussbusch geschnitten hatte und ging an die Drewenz, und zwar bei der Bahnüberführung in Richtung Deutsch-Eylau, in Nähe des Rittergutes Steenkendorf zum Fische fangen. Auch hier gelang es mir, den Regeln, die mir jetzt bekannt waren, folgend, einige Fische zu fangen und nach Hause zu bringen. Geschuppt und ausgenommen, in der Pfanne mit Fett gebraten wurden sie zu einer leckeren Speise. Die Köpfe der Fische bekam unser Kater Peter
. Eines Tages, allein am Wehr, kamen meine Schulkameraden Willi Brahl und sein Bruder Alfred auch dorthin. Alfred war etwas älter, aber auch bei uns in der Klasse, er war wohl einmal sitzengeblieben
.
Beide waren böse Kinder und mir als solche auch bekannt. Sie hatten auch eine einfache Angel an einer Rute, die sie so warfen, dass meine Schnur in deren Schnur geriet und beide sich verhedderten. Jetzt fingen beide, Alfred und Willy auf mich zu schimpfen an und beschuldigten mich dieser Manipulation. Dabei taten beide so, als ob sie helfen wollten, die beiden Schnüre zu entwirren. Meine Angelschnur wurde mit einem Messer zerschnitten, das Floß verschwand in Alfreds Tasche und der Stock wurde auch kassiert. Alfred bot mir Schläge an und auch mich in die Drewenz zu werfen. Hilfe von anderen Personen war nicht zu erwarten, so dass mir nichts weiter übrig blieb, als den Verlust hinzunehmen und nach Hause zu gehen. Die geangelten drei Barsche hatten sie auch kassiert, angeblich als Schadensausgleich. Was sollte ich gegen die beiden Brahls aber ausrichten? Sie hätten gewiss nicht gezögert, mich in den Fluss zu stoßen. Brahls wohnten oben hinter dem Bahnhof in den sogenannten Arbeiterhäusern. Dort wohnten die Bahnarbeiter, die das Streckennetz in Ordnung hielten. Als ich Mutter den Vorfall berichtete, sagte sie nur: Was gehst du auch dorthin!
. Es hätte auch keinen Zweck gehabt, etwas zu unternehmen, zumal meine Angelei nicht gerade erlaubt war. Allerdings hat der Fischpächter nie etwas gegen angelnde Kinder unternommen. Als Vater ihn einmal danach fragte, soll er gesagt haben, dass die Kinder keinen Schaden machten und daher auch keinen Angelschein benötigen. Erwachsene mussten allerdings 20 Reichsmark zahlen, wenn sie mit dem Boot fuhren und angelten.
Der Drewenzsee und die Drewenz waren so sauber, dass man das Wasser auch zum Trinken nehmen konnte, aber wir hatten in Bergfriede eine Grundwasserpumpe seitlich vor dem Haus und das Wasser schmeckte gut. Abgefülltes Selter- oder Mineralwasser konnten wir uns damals gar nicht erlauben, weil Vater als Briefträger monatlich circa 180 Reichsmark verdiente.
Änderung der Ortsnamen nach 1945
Allenstein, ab 1945 Olsztyn
Alt Jablonken 1938—45 Altfinken,
ab 1945: Stare Jabłonki
Königlich Bergfriede, ab 1928—45 Bergfriede, ab 1945 Samborowo
Bolleinen, ab 1945 Bolejny
Deutsch-Eylau, ab 1945 Iława
Gramten, seit 1945 Gromoty
Groß Schmückwalde, ab 1945. Smykowo
Eisenbahnknotenpunkt Korschen, ab 1945 Korsze
Leip, ab 1945 Lipowo
Osterode/Ostpreußen ab 1945 Ostróda
Poburzen, ab 1945 Poborze
Röschken, ab 1945: Reszki
Seubersdorf im Landkreis Mohrungen/Ostpreußen, ab 1945 Brzydowo
Theuernitz, ab 1945 Turznica
Thorn, ab 1945 Toruń
Wittmannsdorf (seit 1945: Witramowo)
Warweiden, ab 1945: Wirwajdy
Der Fluss Drewenz, ab 1945 Drwęca
Kernsdorfer Höhen, ab 1945 Dylewska Góra
Der Fluss Weichsel, ab 1945 Wisła