Vom Klappenschrank zum Smartphone
Als ich am 1. April 1964 meine Lehrzeit bei der grauen Post im fernmeldetechnischen Dienst begann, ahnte ich nicht, welch technische Entwicklung ich während meines Berufslebens erfahren würde.
Als Kinder hatten wir bereits das Telefonieren
als ein unterhaltsames Spiel für uns entdeckt. Aus zwei leeren Konservendosen und einem Bindfaden wurde unser Faden-TelefonDer chinesische Philosoph Kung-Foo Whing erfand das Fadentelefon im Jahr 968. Er verband zwei Zylinder aus Bambusrohr mit einem straff gespannten Faden. Ein Zylinder diente als Mikrofon, der andere als Lautsprecher. gebaut. Mit Mutters Milchdosenpiekser wurden zwei kleine Löcher in die Blechböden der Dosen gemacht, der Faden hindurchgezogen und mit einem Knoten gesichert. Wurde der Bindfaden straff gespannt, konnten die Dosen wechselseitig als Mikrofon oder Hörmuschel verwendet werden. Das machte sehr viel Spaß, leider war es nur ein Spiel zu zweit. Zu mehreren konnte man dann Stille Post
Stille Post (auch bekannt als Flüsterpost) ist ein Kinderspiel. Der Begriff wird aber auch sinnbildlich für die Verfälschung von Nachrichten durch die mehrfache informelle Weitergabe verwendet.Siehe Wikipedia.org spielen. Dazu bildeten die Spieler einen Kreis und der Erste flüsterte dem Nachbarn etwas ins Ohr, was dieser dann wortgetreu an den nächsten Spieler weitergeben sollte. Der Letzte in der Reihe sagte dann laut, was ihm ins Ohr geflüstert wurde. Das machte immer großen Spaß, besonders, wenn am Ende nur noch Unsinn verstanden wurde. So kam ich frühzeitig mit den Grundlagen des Fernmeldewesens in Berührung, der Übertragung einer Nachricht, möglichst unbeschädigt, von einem Ort zum anderen. Vielleicht hat das ja meinen Berufswunsch, Fernmelder zu werden, wesentlich beeinflusst?
Während meiner Lehrzeit lernte ich den Stromlaufplan des damals allgegenwärtigen Fernsprechapparats der Baureihe W48 aus Bakelit kennen und konnte ihn, hätte man mich nachts geweckt, auswendig aufzeichnen, ohne mir vorher den Schlaf aus den Augen zu reiben. Die Auswahl an Telefonen beschränkte sich in den 1950er Jahren auf zwei Standardmodelle, den Fernsprechtischapparat W48 in schwarz mit Wählscheibe. Seltener und eleganter war der Fernsprechapparat W49, der sowohl als Tisch- oder Wandapparat Verwendung fand, elfenbeinfarbig mit grünen Ziffern auf der Wählscheibe, andere Telefonapparate gab es zu der Zeit nicht. Die wenigsten Haushalte hatten in dieser Zeit einen eigenen Telefonanschluss, es war durchaus üblich zum Nachbarn zu laufen, wenn man dringend telefonieren musste. Und die Anschlüsse waren knapp und teuer, viele Leute teilten sich daher einen Telefonanschluss. Der sogenannte Zweieranschluss
hatte den Nachteil, dass der Partner genau dann telefonierte, wenn man dringend selbst ein Gespräch führen musste, oder einen wichtigen Anruf erwartete. Hob man den Hörer ab, gab es weder Frei- noch Besetztzeichen, der Anschluss war einfach mausetot. Im ländlichen Raum wurden sogar Wählsternschalter eingebaut, um die knappen Leitungsressourcen besser zu nutzen, da teilten sich manchmal einhundert Telefonbesitzer zehn Leitungen. Das funktionierte natürlich nur bei Wenigtelefonierern
.
Die Post, als öffentliches Unternehmen des Bundes hatte eine Anschlusspflicht, musste also jedem Antragsteller, egal wo er wohnte, einen Telefonanschluss zur Verfügung stellen. Auf öffentlichen Plätzen wurden gelbe Telefonzellen aufgestellt, die mit einem Münzfernsprecher ausgestattet waren. In vielen Telefonhäuschen gab es ein Telefonbuch und ein Schild mit der Aufschrift: Fasse Dich kurz
. Ein Telefonat kostete ab 1964 zwanzig Pfennig, die Grundgebühr für einen Einzelanschluss betrug 18 D-Mark und es gab noch keinen einheitlichen Notruf in Deutschland. Erst als der achtjährige Björn Steiger 1969 nach einem Verkehrsunfall starb, weil die Rettungskräfte zu spät eintrafen, gründete sein Vater die Björn-Steiger-Stiftung
, welche die Einführung einheitlicher Notrufnummern vorantrieb. 1973 wurden Deutschlandweit die einheitlichen Notrufnummern 110 und 112 eingeführt. Es brauchte aber noch weitere 36 Jahre bis 2009 das Europaparlament die Einführung eines europäischen Notrufs 112 beschloss. In den Telefonzellen wurden ab 1973 Schalter nachgerüstet, die das kostenlose Absetzen eines Notrufes ermöglichten.
Ab Anfang der 1960er Jahre wurde der Fernsprechapparat 611 eingeführt, in grau und etwas leichter und kompakter, immer noch mit einer Wählscheibe ausgestattet, im amtlichen Sprachgebrauch Nummernschalter genannt. Zuhause wurden Brokatponchos zur Verschönerung der grauen Telefone und Telefonbänkchen angeschafft, denn die fest angeschlossenen Telefonkabel – daher der heute noch übliche Name Festnetzanschluss
– hatten eine Standardlänge von zwei Metern. Gegen eine monatliche Gebühr konnte man beim Fernmeldeamt auch eine Sechs-Meter-Schnur bekommen. Ab Anfang der 1970er Jahre gab es diese grauen Telefone dann auch in ockergelb, lachsrot, hellrotorange und farngrün.
Meine weitere Ausbildung fand nicht nur an den Hamburger Lehrgangsorten Lokstedt, Stellingen und Wandsbek statt, sondern auch in den Vermittlungsräumen und anderen Betriebsstätten. So durfte ich im Rahmen der Ausbildung die verschlissenen Schnüre an den Klappenschränken der mit der Hand zu vermittelten Fernleitungsstrecken auswechseln, die hauptsächlich für den Telefonverkehr in die DDR noch lange existierten. Das waren damals, Mitte der 1960er Jahre, schon Museumstücke, aber an einen Selbstwählfernverkehr war aufgrund der politischen Lage nicht zu denken. Die Überwachung der Telefongespräche zwischen Ost und West durch die Staatsorgane der DDR hatte oberste Priorität.
Anfang der 1980er Jahre begann die Post mit der Einführung von ISDNIntegrated Services Digital Network (ISDN) ist ein internationaler Standard für ein digitales Telekommunikationsnetz und lässt sich als dienstintegrierendes digitales Netz übersetzen.Siehe Wikipedia.org, damit begann die Digitalisierung des bis dahin analogen Telefonnetzes und in Hamburg-Hoheluft wurde die erste digitale Vermittlungsstelle Deutschlands gebaut. Damit war die Zeit des reinen Telefonierens vorbei, mit der neuen Technik wurde die Übertragung von Fax, Telex, Teletext, Daten und Sprache über die selbe Leitung möglich. Dann tauchte auf der Hannover-Messe das erste digitale Videotelefon auf, damals eine echte und vielbeachtete Sensation. Die Fernmeldeämter verkauften Decoder, mit denen per Teletext Nachrichten auf dem Fernsehgerät dargestellt werden konnten und Onlinebanking möglich wurde. Zur Datenübertragung per Telefonleitung kamen Akustikkoppler zum Einsatz, die 300 Baud pro Sekunde übertragen konnten. Damit wurde die Übertragung von Textnachrichten per Telefon möglich und die Post reagierte mit Tariferhöhung. Bis 1980 kostete eine Tarifeinheit 23 Pfennig, dafür konnte man ein endloses Ortsgespräch, theoretisch über Wochen und Monate führen. Das nutzten Computerfreaks, um mit ihren Akustikkopplern Daten zu übertragen. Eine Verbindung wurde dann möglichst endlos lange gehalten bis sie zusammenbrach oder von Amts wegen
ausgelöst wurde. Der damalige Postminister Kurt Gscheidle entschied mit den Worten: Die Dauerbelegung einer Telefonleitung für 23 Pfennig ist nicht kostengerecht
, die Einführung des Acht-Minuten-Taktes als neuen Ortstarif. Fortan wurden alle acht Minuten 23 Pfennig Telefongebühr fällig und das Telefonieren damit sehr viel teurer. Neben Telefonbänkchen und Brokatüberzügen für die grauen Telefone erfreuten sich die Dauertelefonierer und Quasselstrippen eines neuen Telefon-Accessoires: Einer Eieruhr, damit man mit den Kosten im Acht-Minuten-Takt blieb!
Dann wurde das Telefonieren auch merklich mobiler. Ich war in dieser Zeit als technischer Beamter im Außendienst für den störungsfreien Betrieb von Übertragungswegen zuständig und meine Kollegen und ich wurden mit Piepern
ausgerüstet. Diese kleinen Funkgeräte ließen sich über eine speziell eingerichtete Rufnummer anwählen, gaben dann ein akustisches Signal ab und zeigten im Display eine Rufnummer an. Unterwegs im Auto piepte es jetzt bei mir, daraufhin suchte ich eine öffentliche Telefonzelle auf, oder benutzte das Telefon beim Kunden, bei dem ich mich gerade befand. Für Sondereinsätze stellte meine Dienststelle ein Funktelefon zur Verfügung, groß, schwarz und sehr schwer und mit einem Hörer, der an die Bakelit-Hörer der alten W48-Apparate erinnerte. Der Betrieb dieser Funktelefone wurde durch den Aufbau des C-NetzesDas C-Netz (Funktelefonnetz-C) war ein analoges, zellulares Mobilfunknetz der deutschen DeTeMobil (früher Deutsche Bundespost TELEKOM). Es war die dritte und gleichzeitig auch letzte analoge Generation des Mobilfunks, das als System nur in Deutschland, Portugal und Südafrika – basierend auf dem C-450-Standard – eingesetzt wurde.Siehe Wikipedia.org ermöglicht, das erste Funktelefonnetz in der Bundesrepublik Deutschland, das 1985 als analoges Autotelefonnetz eingeführt wurde. Die geringe Sprachqualität und das hohe Abhörrisiko führten Ende 2000genauer: am 31. Dezember 2000 schließlich zur Einstellung des Dienstes.
Ab 1991 wurde parallel zum C-Netz mit dem Aufbau des D-NetzesDas D-Netz (Funktelefonnetz-D) ist ein mehrdienstfähiges (Übertragung von Sprache, Text und Daten), zellulares, digitales Mobilfunksystem im GSM-900-Frequenzbereich mit grenzüberschreitenden Nutzungsmöglichkeiten, das auf dem europäischen GSM-Standard basiert.Siehe Wikipedia.org begonnen, einem digitalen und nahezu abhörsicheren Funknetz. Aus diesem Grund wurden die Betreiber der digitalen D-Netze von der Bundesregierung gezwungen, eine Abhörschnittstelle für die Nachrichten- oder Geheimdienste zu programmieren. Am 1.Jul 1992 wurde die De.Te.Mobil, Deutsche Telekom Mobilfunk GmbH gegründet, Betreiber des D1-Netzes. Schnell erfolgte der Aufbau weiterer, privater Funknetze wie das D2-Netz von Vodafone und das E-Netz. Anfangs waren die ersten Handys, mobile Funktelefone, noch recht groß und schwer, teilweise mit einer Antenne zum Herausziehen. In den folgenden Jahren wurden sie immer kleiner und leistungsfähiger. Die heutigen SmartphonesLesen Sie auch:
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Ab 1990 wurde es für Fernmeldetechniker noch aus einem anderen Grund richtig spannend. Durch die Wiedervereinigung Deutschlands und den Zusammenbruch der DDR musste in allerkürzester Zeit ein deutschlandweites und leistungsfähiges Kommunikationsnetz aus dem Boden gestampft werden. Die Kollegen, die in den Osten entsandt wurden, um den Aufbau zu begleiten, fanden sich plötzlich im Museum
wieder. Die Vermittlung der Auslandstelefongespräche wurde in der DDR bis zur Wende zum großen Teil noch von Hand mit sogenannten Klappenschränken bewerkstelligt, der Selbstwählverkehr mit Wählern der Bauart Strowger
von der Firma Siemens & Halske aus dem Jahre 1922. Innerhalb kürzester Zeit wurde auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ein Glasfaser-Telefonnetz sowie Funknetze errichtet, welche die modernsten Europas waren. Die Kosten dafür gingen ins Unermessliche.
Sicherlich ist dieser kleine Abriss deutscher Telefongeschichte nicht vollständig, er erhebt auch nicht diesen Anspruch, es soll nur das Eine oder Andere ins Gedächtnis zurückgerufen und deutlich machen, wie schnell heute bejubelte technische Errungenschaften morgen wieder in der Versenkung verschwinden, durch Neues ersetzt werden.