Aus meiner Lehrzeit
Kap. 1
Der erste Arbeitstag
Ende März 1960 gegen 21 Uhr war es an diesem stark bewölkten Abend ziemlich dunkel. Die Häuser standen bei uns weit auseinander und waren von großen Gärten umgeben. Das Nachbarmädchen Gerti war erst vor gut einem Jahr hier nach Quickborn gezogen und wir hatten uns angefreundet und besuchten uns gegenseitig. An diesem Abend hatten wir Karten gespielt. Jetzt gingen wir Hand in Hand den langen dunklen Gartenweg entlang, um sie nach Hause zu bringen. Auf halbem Weg blieb sie stehen und fragte mich, ob ich vom 1. bis zum 5. April bei ihr im Haus übernachten kann. Ihre Mutter, mit der sie meistens allein in dem großen Haus wohnte, wollte nach Genua fahren, um ihren Mann, also Gertis Vater zu besuchen, der zu der Zeit als Kapitän mit seinem Schiff dort im Hafen liegen würde. Sie hätte in dem großen Haus alleine doch etwas Furcht. Da ich am 1. April aber meine Lehre beginnen würde, habe ich das leider abgelehnt, weil ich befürchtete, dass ich eventuell nicht rechtzeitig zur Arbeit kommen könnte.
In der darauffolgenden Zeit haben wir uns nur noch selten gesehen, die Freundschaft war zu Ende, aber die Lehrzeit hatte begonnen.
Am 1. April um sieben Uhr begann also der erste Arbeitstag. Wir waren zwei neue Lehrlinge, zwei befanden sich im zweiten und einer war im dritten Lehrjahr. Zuerst wurden uns die Räume gezeigt und wir wurden den 22 Gesellen vorgestellt. Für eine Tischlerei war das ein großer Betrieb. Zumal es noch zwei Tischlereien im Ort gab, die den beiden Brüdern von unserem Meister gehörten und die alle total miteinander verfeindet waren. Bei dem Rundgang durch den Betrieb zeigte uns der Meister auch den alten Maschinenraum, in dem die Geräte noch mit Treibriemen angetrieben wurden und bei laufendem Motor die Riemen mit einem Holzknüppel auf die verschiedenen Antriebsscheiben gedrückt wurden, um eine andere Geschwindigkeit zu bekommen oder um die unterschiedlichen Geräte anzutreiben, was uns der Meister mit viel Freude demonstrierte. Dieser Raum wurde aber nur noch als Lagerraum, vor allem für Furniere, genutzt.
Dann wurden wir zwei Neuen in einen Raum gebracht, in dem vier Hobelbänke standen und ein Geselle am Arbeiten war. Dieser sollte für unsere Grundausbildung zuständig sein. Wir bekamen jeder eine Hobelbank und einen Schrank mit Werkzeug zugeteilt und wurden mit dem Gesellen allein gelassen. Dies war der kleine Bankraum des Betriebes, hier wurden uns die Werkzeuge erklärt und wir sollten bald die ersten Übungen machen. Hölzer von Hand gerade hobeln und sägen. Später schlitzen, zinken und graten.
Da kamen zwei Gesellen herein, die unseren Gesellen daran erinnerten, dass doch der Böschungshobel
aus der Schmiede, die Straße etwas runter, abgeholt werden sollte. Ob wir Jungs das nicht machen können? Klar doch, also machten wir uns auf den Weg. In der Schmiede wurde uns gesagt, dass die Reparatur noch nicht fertig ist und zurückgeschickt. In der Werkstatt wurden wir dann von lauter fröhlichen Gesichtern empfangen. Schließlich war der 1. April und der Scherz war gelungen. Später habe ich dann mal erfahren, dass ein Böschungshobel
eine große Maschine im Straßenbau ist.
Nun sollten wir für einige Gesellen etwas vom Bäcker holen, wir bekamen Zettel mit den Wünschen und Geld in die Hand und holten die Sachen vom Bäcker gegenüber der Werkstatt. Diesen Gang machte nun ein Jahr lang jeweils einer von uns.
Die Pausen waren von 9.00 Uhr bis 9.15 Uhr und von 12.00 bis 12.30 Uhr. In der Pause setzten wir uns auf die Hobelbänke und verspeisten unsere mitgebrachten Brote. Dazu wurde Kaffee oder Tee aus der Thermoskanne oder Limonade oder von einigen Gesellen auch Bier getrunken. In dem großen Bankraum standen elf Hobelbänke, immer schön vor einem Fenster und mit einer Leuchtstoffröhre darüber. Immer pünktlich zu Beginn und am Ende einer Pause öffnete sich die Schiebetür zu dem großen Arbeitsraum, und die Schwiegermutter des Meisters spazierte herein und durch die Werkstatt, um etwas Wichtiges zu erledigen. Müll rausbringen oder zugeschnittenes Zeitungspapier für die Toilette dort auf den Nagel zu spießen, die Hühner füttern oder Ähnliches.
Einmal geschah es, dass eine Holzbohle an der Schiebetür lehnte und als die Tür um 12 Uhr schwungvoll aufgezogen wurde, knallte das Brett der 83-jährigen Oma an den Kopf, was ihr eine ordentliche Beule und einen großen Schrecken einbrachte. Der Hausarzt, zu dem sie gebracht wurde, konnte aber sonst keinen Schaden feststellen. Die Chefin ließ sich aber erstaunlicherweise nicht sehen. Auf die Frage des Meisters, wer das Brett dort hingestellt habe, wusste keiner etwas zu sagen, worauf er sich umdrehte und in den Privat- und Büroräumen verschwand. Einige meinten danach, dass der Chef sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte. Aber die Kontrollgänge blieben für längere Zeit aus.
Wenn die Gesellen Feierabend hatten, mussten wir Lehrlinge noch die Räume ausfegen und die Arbeitsplätze sowie die Fenster vom gröbsten Staub befreien, wofür wir Gänseflügel benutzten. In der kalten Jahreszeit mussten dann noch die Späne-Öfen gestopft werden. Diese waren Eisentonnen, die in der Mitte ein Loch hatten, in welches ein Metallrohr gesteckt wurde. Dann wurde die Tonne mit Spänen gefüllt und dabei immer schön fest gestampft. Wenn die Tonne voll war, wurde das Metallrohr vorsichtig herausgezogen, wobei darauf zu achten war, dass keine Späne in das entstandene Loch fallen. Wenn das doch einmal passierte, musste alles raus und die Arbeit noch mal gemacht werden. Die Tonne wurde in einen Eisenkasten gestellt, der unten einen Aschekasten und oben ein Ofenrohr hatte. Am nächsten Morgen wurde ein Stück Zeitungspapier angezündet und in das Loch der Späne-Tonne gesteckt. Diese Öfen gaben schnell eine wohlige Wärme ab. In jedem Raum standen mehrere solcher Öfen. Am Abend mussten noch die Firmenautos und die Anhänger in die Werkstatt gebracht werden. Die Autos waren ein Mercedes 180 D mit einem buckeligen Kofferraumdeckel sowie ein Opel Olympia-Rekord. Hierfür waren die älteren Lehrlinge zuständig.
Die Anhänger wurden meistens reingeschoben. Aber wer es konnte, hängte den Hänger an eines der Autos und rangierte das Gespann dann rückwärts in die Halle, wobei eine enge Kurve zu fahren war. Hierfür war viel Übung erforderlich. Manchmal wollte es einfach nicht gelingen und der Anhänger wurde wieder abgekoppelt und reingeschoben. Da wir ja auf Privatgrund waren, brauchten wir hierzu keinen Führerschein.
Manchmal guckte der Meister sich das von weitem an, aber meistens ließ er sich nicht blicken. Soweit ich weiß, gab es nie einen Schaden. Bei unserm Meister im Haushalt wohnte auch ein Lehrling, der im zweiten Jahr war. Hans-Peter war Waise, ihm kam die Idee, aus Sperrholzresten Zeitungsständer zu bauen. Er und ich durften nach Feierabend solche Ständer in der Werkstatt bauen. Diese konnten wir für 15 D-Mark das Stück verkaufen.