Aus meiner Lehrzeit
Kap. 3
Auf St. Pauli
Auch auf St. Pauli gab es immer wieder Arbeit. Bei jedem Wechsel des Gaststättenbetreibers sollte eine neue Einrichtung her. Wir freuten uns immer beim Rausreißen auf die kleinen Geldbeträge, die da zu finden waren.
Neben dem Operettenhaus wurde ein großer Billardsalon eingerichtet, der von einem Roma betrieben wurde. Wir sagten zu der Zeit, ohne etwas Schlechtes dabei zu denken, Zigeuner
. Ein gutaussehender Mann, der seinen kunstvollen Bart an jedem Tag von seinem Friseur herrichten ließ. Er nannte sich auch selbst Zigeunerbaron
[1]. Während wir dort arbeiteten, war die ganze Zeit ein nettes Mädchen, Daria, um uns rum am Fegen, Wischen und Räumen. Als wir mal etwas abseits standen, erzählte sie mir, dass sie nur eine Halbzigeunerin
ist. Ihre Mutter sei eine Weiße, wie sie sagte. Zur Einweihung kamen viele vornehme Zigeuner – Entschuldigung, Roma. Unter anderen auch ein sehr alter Mann. Uns wurde gesagt, dass er der Zigeunerkönig
sei. Er trug einen langen Mantel aus Eisbärenfell und es war das einzige Mal, dass ich so etwas zu sehen bekam.
Im Jahr darauf kam dann noch ein kleiner Billardsalon dazu, in der Adenauerallee gegenüber vom ZOB. Hier wurden der Spielraum und der Gastraum durch eine Wand getrennt. An dieser Wand befestigten wir zwölf Bilder, die als Intarsienarbeit aus Ebenholz und Blattgold gefertigt waren. Im Gastraum wurden von uns nur das Büfett und der Tresen mit einer Wolke darüber eingebaut. Auch in diesen Räumen wirbelte wieder das Mädchen Daria überall herum. Vor den Tresen kamen mit weißem Leder bezogene Barhocker. Auf dem Fußboden lagen dicke Teppiche, teilweise übereinander. Zum Sitzen luden weiche Polstermöbel ein. Doch der Raum bekam keine Betriebszulassung, es war nicht genügend Lüftung vorhanden. In die große Fensterscheibe sollte ein Ventilator eingebaut werden. Aber es fand sich kein Glaser, der das erforderliche Loch in die Scheibe schneiden wollte. Darauf sagte der Besitzer: Jens, komm, wir beide machen das jetzt.
Gesagt, getan. Er von der einen Seite mit dem Glasschneider, ich von der anderen Seite mit einem Tuch immer dort gegen gedrückt, wo er am Schneiden war. Und ruck-zuck war das erforderliche Loch in der Scheibe, der Ventilator wurde eingesetzt und die Genehmigung erteilt.
Leider hörten wir ein Jahr später, dass der Mann und ein paar Kumpanen verhaftet worden waren. Sie sollten zu einer international gesuchten Pelz- und Teppichbande gehört haben. Dann, viele Jahre später, ich war schon in Rente, hörte ich, dass der Mann in Paris ein gutes Leben hatte.
Unsere Arbeit ging weiter. In den neu errichteten Essohäusern
an der Reeperbahn, am Spielbudenplatz, konnten Geschäfte und Gaststätten eingerichtet werden. Hans Albers, der blonde Hans
, hatte den Anstoß gegeben, hier das Lokal Das Herz von St. Pauli
, zu errichten. Doch leider verstarb er 1960, bevor das Lokal Ende 1961 fertiggestellt wurde. Wir bauten einen schönen Gastraum mit einer Tanzfläche in der Mitte. Diese Gaststätte blieb bis zum Abriss der Häuser 2014 in seiner Form erhalten. Nur dass die Einrichtung irgendwann schwarz angestrichen worden war. Schade um das schöne helle Holz.
Gleich nebenan, ein paar Stufen runter, richteten wir eine nette kleine Bar ein, die von einem Spanier geführt wurde. Neben der geschmackvollen Einrichtung fiel in diesem Lokal vor allem die Tanzfläche auf. Diese war aus Glas und von unten beleuchtet und hatte die Form einer Kastagnette. Darüber wölbte sich die zweite Hälfte der Kastagnette, die ganz mit Blattgold belegt war. Das schöne Stück hatte unser Geselle hergestellt, der in der kleinen Werkstatt arbeitete.
[1] Anmerkung des Autors: Die Bezeichnungen Zigeunerkönig
und Zigeunerbaron
sind bei den Roma nicht bekannt. Hier wurde ich damals wohl veräppelt. Für König
wäre wohl die Bezeichnung Anführer
oder Oberhaupt
richtig. Bei Baron
ist es eher so wie bei mir, wenn ich mich als Herzog von Lichtenstein
bezeichne, weil ich in Lichtenstein bei Zwickau in Sachsen geboren wurde.