Unser Haus in Bad Grund
Mitten im Städtchen lag die alte Villa dort, wo die Clausthaler Straße den Bogen um den Eichelberg macht. Genau gegenüber zweigt der Bergrats Brink ab und steigt an der Berginspektion auf der einen, und dem Schurfberg an der anderen Seite zum Iberg hinauf. Vom Bergrats Brink aus sah man das schmucke Haus im Garten liegen. Ein langer, hoher eiserner Zaun mit Spitzen wie Lanzen schloss den Garten vom vorbeilaufenden Bürgersteig ab. Die Sicht nahm eine dichte Hecke von Schneebeerbüschen, deren weiße Knallbeeren
wir Kinder so gern auf den Wegplatten zertraten, weil sie so schön knackten. Aber das durften wir nicht, weil jemand auf den zertretenen Beeren hätte ausrutschen können. Aus der Hecke strebten drei Fliederbüsche nach oben. Im Mai war Tante Erna immer auf der Suche nach jemanden, der für sie auf die Leiter stieg und ihr Blütenzweige zum Verschenken abschnitt. Durch ein Tor führte ein kurzer Plattenweg zu einer breiten, steinernen Treppe, dem Tritt
. Rechts und links der Doppeltür ins Haus war jeweils Platz für ein grün gestrichenes Bänkchen und Tischchen, die von den Stufen durch ein weißes Staketenzäunchen getrennt waren, das mit jeweils einem geranienbepflanzten Blumenkasten geschmückt war. Dass von der Tür beide Flügel geöffnet wurden, habe ich nie erlebt. Ob die linke Seite überhaupt zu Öffnen war, weiß ich nicht. Ich erinnere mich nur, dass an die Schmiedeeisernen Schnörkel, welche die Glasfenster in den Türen schützten, immer links der Brötchenbeutel mit der Bestellung gehängt wurde. Früh morgens brachte dann der Brötchenjunge die Brötchen. Die Sitzplätze auf dem Tritt wurden von oben geschützt durch den Balkon, der wiederum überragt wurde durch einen Giebel, der aus der Breitseite des Daches hervorragte, und das Ganze wurde berankt vom wilden Wein, der bis zum Dach emporkletterte und grüne Ranken zum Tritt herunterhängen ließ, sodass man den Balkon und die angrenzenden Fenster immer wieder freischneiden musste.
Beim Eintritt durch die Haustür kam man auf den Vorderflur. Nach rechts und links gingen die beiden Türen in die großen Zimmer, rechts ins Wohn- und Esszimmer, in dem sich unser Leben normalerweise abspielte, links in eine gute Stube. Sie hieß Vaters Zimmer
, obgleich Vater schon so viele Jahre tot war, aber dort standen die Möbel aus seinem früheren Studierzimmer. Der Raum wurde nur an Festtagen benutzt oder wenn Mutter die Kränzchenschwestern
, die Freundinnen aus ihrer Jugendzeit eingeladen hatte und mit ihnen Kaffee trank. Geradeaus gab es neben der Garderobe zwei Türen mit bunten Glasfenstern, die linke zur Treppe ins Obergeschoss, die in der Mitte zum Hinterflur, der durch die Hintertür auf den Hof führte. Der Hinterflur war viel interessanter für mich als der vordere. Hier standen riesige, dunkle Schränke, die Oma und Tante Erna gehörten und nicht geöffnet werden durften. Die Lücken dazwischen fand ich abends im Dunklen sehr gruselig und dachte immer, da könnte sich ein Räuber versteckt haben. Hier stand aber auch unsere große Truhe, in der Bettsachen und Kästen mit Spielzeug, das gerade nicht gebraucht wurde, oder mit Erinnerungsstücken untergebracht waren. Hier stand die Wäscherolle, an der ich meine Kräfte erproben konnte, wenn die gewaschene Bettwäsche gemangelt wurde. Und vor allen Dingen war hier die Schaukel an Haken unter der Decke befestigt. Ich konnte so hoch schaukeln, dass ich mit den Füßen die Oberkante der Hoftür berührte, und ich konnte beim Schaukeln singen, all die Lieder, die ich von Mutter, Tanten, Schwester, in der Schule oder Kirche gehört hatte und im Nu auswendig konnte. Hier konnte ich die Melodien üben, ohne dass Sigrid sich die Ohren zuhielt und schrie: Hör auf! Du singst schon wieder falsch!
Vom Hinterflur war ein kleiner Raum fürs WC abgetrennt, eine nachträglich eingebaute Errungenschaft, die bei Weitem nicht alle Bad Grunder Häuser aufzuweisen hatten. Im Winter waren die zuleitenden Wasserrohre gegen das Einfrieren dick mit Lumpen umwickelt. Trotzdem hieß es jeden Abend: Kinder, geht noch mal auf Klo, ich stelle das Wasser ab!
Der Hauptwasserhahn dazu war im Keller. Den erreichte man auch vom Hinterflur aus. Der Schieberiegel der Kellertür musste immer vorgelegt werden, damit kein Einbrecher durchs Kellerfenster ins Haus kommt
. In den Keller ging ich nicht gern. Er war unbeleuchtet, dunkel, kalt und feucht. Ein Raum war für Winterkartoffeln und andere Vorräte. Es gab kleine Verschläge für Kohlen und es gab die Waschküche. Dort wirkte zuweilen die Waschfrau, Frau Keinert, am großen Waschkessel und am Rubbelbrett in den Wannen. Sie schien mir uralt mit ihrem fast zahnlosen Mund und grauen Haarknoten, war aber wohl kaum über 60 Jahre alt. Die Treppe zum Keller hieß der Kellerhals
. Dort wurden auf einem steinernen Sims an der Wand Lebensmittel kühl gestellt. Bis ins Alter meinte Mutter, ein Kühlschrank sei unnötiger Luxus, der Kellerhals genüge vollauf.
Hinter jedem großen Zimmer gab es noch zwei kleine, links vom Hinterflur lag die Küche mit dem großen Kohlenherd und dem neuen Gasherd, der aber nicht oft benutzt wurde. Wir Kinder wussten, dass er gefährlich war und nicht angerührt werden durfte. Mutter liebte es überhaupt nicht, wenn wir in die Küche kamen. Helfen durften wir nur beim Abtrocknen. Ich hätte lieber abgewaschen, aber das ging Mutter nicht schnell genug, weil ich die Tassen als Boote schwimmen ließ usw. Trotzdem gefiel uns die gemeinsame Arbeit, denn dabei wurden immer Volks- und Wanderlieder gesungen. Besonders liebte ich: Ich schieß den Hirsch im wilden Forst ...
. Das klang so abenteuerlich, und Wald und Wild verstand ich als meinen Lebensraum. Der kleine Raum hinter der Küche war mit zwei Betten als Gästezimmer eingerichtet. Ich habe ihn kaum je betreten, erinnere mich auch nicht, dass dort Gäste geschlafen hätten. Eine dunkle Erinnerung zeigt mir, dass er vorher mit blauer Tapete und alten, verschnörkelten Möbeln als Salon gedient hätte. Die beiden kleinen Zimmer auf der anderen Seite waren die Schlafzimmer, eins für Mutter, wo auf dem großen, weißen Wäscheschrank das Eingemachte stand: Himbeersaftflaschen und Marmeladengläser. Das andere war unser Kinderschlafzimmer. Zum Spielen war da kein Platz, das Doppelbett, der Kleiderschrank und ein Stuhl passten kaum hinein. In der Ecke stand ja auch noch der kleine eiserne Ofen, Nasenmann
genannt, weil er oben an einer schrägen Klappe eine Nase
zum Öffnen hatte. Die konnte man natürlich, wenn er geheizt war, nur mit dickem Topflappen anfassen. Der Nasenmann kam eigentlich erst in der Kriegszeit zu Ehren, wenn das Brennmaterial für die große Stube nicht mehr reichte und wir die kleine als Wohnzimmer umräumten. Ich habe an ihn noch eine böse Erinnerung: Eine beschädigte Zelluloidpuppe sollte entsorgt werden und wurde in den Ofen gesteckt, Klappe zu, aber mit einem dumpfen Knall sprang sie wieder auf, und eine Stichflamme fuhr daraus empor. Es entstand kein Schaden, aber ich hatte danach immer Angst vor dem Nasenmann.
Der Waschtisch mit Porzellanschale und -kanne und dem Eimer daneben stand in Mutters Schlafzimmer. Ein Badezimmer kannten wir nicht. Sonnabends brachte Mutter eine Zinkwanne in die Küche, der Herd wurde angeheizt und warmes Wasser gemacht, in das wir Kinder mit Wonne hineinstiegen. Wir wollten gar nicht wieder heraus. Wenn das Wasser abkühlte, tat uns Mutter den Gefallen, mit dem heißen Kessel nachzugießen.
Die ganze untere Etage war unsere Mietwohnung. Die Hausbesitzerin, unsere Tante Erna, wohnte oben. Dort war die Wohnung genauso zugeschnitten wie unten, nur dass es statt des Vorderflurs noch das Balkonzimmer gab, ein Gästezimmer, das im Sommer zuweilen samt Balkon an Kurgäste vermietet wurde. Ein Problem waren dabei die Schwalben, sie nisteten auf dem mittleren Deckenbalken des Balkons, gerade über dem Tisch, an dem die Kurgäste gern frühstückten. Um peinliche Kleckse von oben zu verhindern, versperrte Tante Erna ihnen den Nistplatz. Das tat aber der ganzen Familie so leid, dass im nächsten Jahr ein Brettchen fürs Nest angebracht wurde, aber die Schwalben kamen nicht wieder.
Tante Erna bewohnte die linke, Oma die rechte Seite der Etage. Tante Erna kochte in der Küche für beide. Als Oma noch rüstig war, war sie die Köchin. Über dem Herd war ein Gestell, auf dem die Geschirrtücher trocknen konnten. Da hat Tante Erna einmal Strümpfe zum Trocknen aufgehängt. Einer war wohl nicht gut befestigt und fand sich in der Erbsensuppe wieder. Das gab ein Gelächter in der Familie! Aber Tante Erna war es sehr peinlich. Ich ging gern die Treppe hinauf zur lieben Oma. Ich sehe noch die großen, dunklen Möbel in ihrem Wohnzimmer vor mir, zum Beispiel das wahre Ungetüm von Büfett. Das Schönste aber war das Bänkchen am Ofen, das für Erwachsene zu klein war. Da konnte ich sitzen, mich wärmen und Oma erzählen, was ich in der Schule oder im Wald erlebt hatte. Auf dem gekachelten Ofen lagen im Winter die warmen Handsteine, die sich so schön glatt anfühlten.
Oma saß gern am Fenster auf dem Thron
, einer stufenartigen Erhöhung, auf die ein Nähtischchen und rechts und links davon ein Stuhl passte. Dort konnte man handarbeiten und zwischendurch hinausgucken auf den Bergrats Brink. Oft saßen sich Mutter und Oma dort gegenüber, und Oma fragte: Ännchen, wer geht denn da gerade?
Mutter wusste immer die Antwort. Sie kannte alle Grundner, so nannten sich die Bad Grunder selbst, genau und konnte auch deren ganze verzweigte Familie erklären. Das war für beide ein Hochgenuss. Ich dagegen beschäftigte mich lieber mit dem Nähtischchen, konnte stundenlang Knöpfe sortieren und Fäden entwirren und aufwickeln, wofür ich dann großes Lob erntete.
Das Haus hatte auch noch ein Dachgeschoss, in dem die frühere Hausbesitzerin wohnte. Dort hinauf kam ich als Kind nie, erst als sie gestorben war. Nur das Zimmer über dem Balkonzimmer hatte sich Tante Erna für ihren Sohn Robert, genannt Ino, reserviert. Der war aber in meiner Kinderzeit schon außer Haus und kam nur gelegentlich zu seiner Mutter.
Umgeben war das Haus an drei Seiten vom Garten. An der vierten Seite war das Nachbarhaus angebaut. Zur Straße hin gab es eine schmale Rasenfläche an der Hecke entlang, die selten gemäht wurde. Sie entzückte mich in jedem Frühjahr mit einer Fülle von blauen Szillas. Hohe Stauden, wie beispielsweise Goldbälle wuchsen an der Hauswand, auch zum Nachbarhaus hin etliche Büsche. Dort gab es die Grotte, ein aus Feldsteinen gebautes Halbrund, in dem Gartenmöbel standen, die an heißen Sommertagen besonders von Tante Erna und ihren Freundinnen benutzt wurden. Heiße Sommertage gab es im Harz aber selten. So wurde die Grotte abgebrochen und eine Birke gepflanzt, die zu einem herrlichen Baum wurde. Auch an der Seite des Hauses gab es Rasen, der noch seltener gemäht wurde. Viel Pflege widerfuhr dem Garten überhaupt nicht. Am Rande dieser Grasstücke gab es Stachelbeer- und Johannisbeerbüsche. Ab und an erlaubte uns Tante Erna sogar, ein paar Beeren davon zu essen, besonders, wenn wir ihr die Büsche zum Einmachen abgeerntet hatten. Zum Nachbarn Gotthard hin gab es wieder Buschwerk, in dem man sich verstecken konnte, und auf den Grasstücken den großen Lebensbaum und den alten Apfelbaum. Ganz schief war er und knorrig, wurde nie beschnitten, aber ich konnte vom Bett aus die Meisen darin flattern sehen, und im Herbst trug er die herrlichsten Boskopäpfel, die Tante Erna bis Weihnachten, die letzten oft bis Ostern, aufhob. Mutter durfte für uns die Falläpfel aufsammeln.
Hinter dem Haus kam man auf den Hof. Nur an der Hauswand gab es noch Beete: Küchenkräuter, ein paar Radieschen, den Pflaumenbaum und meine Bohnen. Tante Erna hatte mir erlaubt, eine Feuerbohne neben dem hinteren Tritt in die Erde zu stecken. Die keimte und rankte an einer Bohnenstange prächtig, blühte rot und brachte so viele Früchte, dass ich ein eigenes Bohnengericht essen und im nächsten Jahr vier Bohnen legen konnte. Mehr wurden nicht erlaubt, aber ich war mächtig stolz, wenn sie bis in die Zweige des Pflaumenbaums rankten und das Gericht schon für Mutter und Sigrid mit reichte.
Über den Hof kam man zum Stall. Er war ohne Fenster an den Berg gebaut. Nur je ein Fensterchen über jeder der beiden Türen gab etwas Licht. Hinter der linken Tür hausten in einem ehemaligen Schweinekoben die Kaninchen und das Meerschweinchen, hinter der nächsten hielt Tante Erna auf dem früheren Klo das Winterholz trocken, und es gab allerlei Geräte. Eine Treppe führte zum Stallboden hinauf. Uns wurde gesagt, die Dielen seien dort so morsch, dass wir durchbrechen könnten. Uns interessierten aber das Gerümpel dort oben und die Seitenluke, aus der wir in den kleinen Berggarten hinunterspringen konnten. Weil der Stall, wie in Bad Grund üblich, ein Stück in den Berg hinein gebaut war, war der Sprung gar nicht so tief. Zum Berggärtchen ging es eine kleine Steintreppe hinauf. Da spielten Sigrid und ihre Freundinnen Kriegen, die Treppe im Stall hinauf, über den Stallboden, Sprung aus der Luke, Steintreppe hinab, über den Hof in den Stall hinein, immer im Kreise. Ich selbst wagte den Sprung aus der Luke erst, als ich schon etwas größer war.
Den kleinen Garten erlebte ich mit zwiespältigen Gefühlen. Weil sich niemand von den Erwachsenen darum kümmerte, war er eine herrliche Wildnis für Kinder. Hier konnten wir Buden bauen, in denen wir uns besuchten und auf Blättern Menüs aus Erde, Steinchen und Kräutern anboten. Hier gab es die verschiedensten Schnecken, große Weinbergschnecken und ganz winzige mit braunen Häuschen, solche mit bunten Häusern, rot oder gelb-schwarz geringelt, auch solche ganz ohne Haus, für Kinder herrliche Beobachtungsobjekte, weil sie nicht so schnell ausreißen. Leider wurde die Freude getrübt durch viele Ameisen, deren Gift ungemein schmerzte, und durch Brennnesseln zwischen den Himbeersträuchern. Hier durften wir alle Beeren essen, sogar mal eine dunkle Kirsche. Die erreichte man über das flache, mit Teerpappe gedeckte Dach des Schuppens, über den der Kirschbaum seine Äste streckte. Einmal setzte ich mich im Sonnenschein auf das schön warme Teerdach unter die Kirschbaumzweige, aber o weh, das Kleidchen hatte hinterher einen bösen Teerfleck auf dem Po, den Mutter mit Butter und Seife nur mühsam wieder heraus kriegte.
Unter dem Schuppen war unser Holz gestapelt. Da stand auch der Hackklotz, auf dem im Herbst Auguste, die Tochter unserer Waschfrau, die Holzkloben in Scheite schlug. Auguste war geistig behindert, hatte aber Kräfte wie ein Mann, auch männlichen Bartwuchs und eine Männerstimme, aber bei ihrer, beziehungsweise seiner Geburt konnte der Arzt kein Geschlechtsmerkmal feststellen. So wurde sie zum Mädchen erklärt. Sigrid sagte aber immer der Auguste
und das wäre wohl auch richtiger gewesen.
Einige Wäscheleinen für schlechtes Wetter gab es auch unterm Schuppen. Bei gutem Wetter wurden Leinen über den Hof gezogen, und die Wäscheteile, die abends noch nicht ganz trocken waren, hängte Mutter über Nacht an die Enden der Hirschgeweihe, die in der Stube an den Wänden hingen. Das sah sehr lustig aus.
Das ganze Grundstück schloss oben über dem kleinen Garten ab mit einer Reihe hoher Fichten. Vom Schlafzimmer aus konnte ich sie sehen, wenn ich sonntags morgens länger im Bett lag, wie sie im Winde die Zweige schwenkten und mir zuwinkten. Den Abschluss zum Nachbarn Gotthard hin bildete Vaters Buche. Unser Vater hatte in dem Jahr, als Sigrid geboren wurde, eine Buchecker in einen Blumentopf gesteckt, und als Mutter drei Jahre später mit uns nach Bad Grund zog, hatte sie das junge Pflänzchen hier eingepflanzt. Wir erlebten sein Wachstum vom kleinen Busch zur hohen, schlanken Buche als etwas Besonderes, so als ob unser Vater noch für uns tätig sei, und wir waren später sehr traurig, als sie abgeholzt wurde. Tante Erna als Hausbesitzerin hat uns im ganzen Bereich hinterm Haus viel Freiraum gegeben. Ich durfte sogar ein Drittel des Hofes für meinen Zoo beschlagnahmen. Es gab damals so wunderschöne, ganz natürlich aussehende Zootiere, die ich mit großer Begeisterung sammelte. Kein Geburtstag, kein Weihnachtsfest, zu dem ich mir nicht Zootiere wünschte. Sogar in der Schultüte waren sie mir lieber als Süßigkeiten. Mein Zoo hatte keine Käfige. Hagenbecks Tierpark war das Vorbild. Den hatte ich mit fünf Jahren erlebt, und er hatte so großen Eindruck auf mich gemacht, dass ich von Stund an erklärte, ich wollte nur einen Zoodirektor heiraten. Jedenfalls wurden meine Tiere in einem möglichst getreuen Lebensraum vorgestellt. Mit Sägemehl schuf ich eine Wüste für Kamele und Kängurus, Gras für die Steppentiere wuchs genug, musste nur kurz gehalten werden. Springkraut stellte den Laubwald dar, Kalksteine aus dem Iberg das Hochgebirge. Sogar einen Urwald habe ich angepflanzt aus allerlei Kräutern, einem Holunderbusch in der Mitte und Hopfenranken als Lianen. Schließlich wünschte ich mir zum Geburtstag Zement, um Miniteiche für die Wassertiere dicht zu machen. Die durften allerdings nie in ihre Teiche hinein, denn die Masse, aus der die Zootiere waren, löste sich im Wasser. So durften sie nicht einmal feucht werden, und ich musste die mehr als 100 Tiere abends wieder einpacken. Darum wurden sie nur aufgebaut, wenn ich genug Zeit hatte in den Ferien oder sonntags. Wie stolz war ich, wenn ich meinen Zoo Erwachsenen oder Freundinnen zeigen konnte! Sogar meine ganze Schulklasse kam einmal, um ihn zu besehen. Ich war aber sehr empört, wenn andere Kinder nicht mal wussten, welches ein Zebra oder ein Leopard war. Im Laufe der Jahre wurden die Landschaften sogar noch nach Erdteilen aufgeteilt. Ich bin Tante Erna heute noch dankbar, dass sie mir so lange ein Stück des Hofes zur Verfügung gestellt hat.