Teil 8 - Hannover, 1877-1880
Kapitel 11
Hochzeiten
Wagner zog dahin zunächst mit seiner Schwester, sehnte sich aber sehr nach einer Frau, ohne doch lange Zeit hindurch zu einem Entschluss zu kommen. Es sollte dann umso rascher über ihn kommen. Im Spätsommer 1879 trat er eines Tages in mein Zimmer. Unser gemeinsamer Freund Böttcher, inzwischen Pastor sec. von Peine geworden, wollte in Harburg, wo er vorher Kollaborator gewesen war und sein anderes Ich gefunden hatte, Hochzeit halten und hatte uns beide dazu eingeladen. Wagner fragte, ob ich nicht mit wollte. Ich hatte abgesagt, da ich gerade im Begriff war, auf Urlaub nach Stettin zu reisen, wohin mein Vater inzwischen versetzt worden war. Er aber wollte hin in der Hoffnung, wie er mir offen bekannte, dort auch eine Frau für sich zu finden. Seine Hoffnung sollte ihn nicht betrogen haben. Ich reiste nach Stettin und kam nach einigen Wochen zurück. Am ersten Tage nach meiner Rückkehr klopft es an meiner Tür. Auf mein Herein tritt Wagner herein strahlenden Antlitzes: Morgen, Dittrich, bist du verlobt?
Ich antwortete: Nein, du?
Jawohl
, antwortet er und hält mir in seiner beringten Hand eine Verlobungsanzeige hin: Meine Verlobung mit Fräulein Amanda Jarek…
Ich war platt, gratulierte aber und ließ mir erzählen. Er war nur zum Polterabend da gewesen, der nach dortiger Sitte nicht unmittelbar vor der Hochzeit, sondern einen Abend früher, um einen Ausschlaftag dazwischen zu lassen, gefeiert wurde, und hatte bei Tisch seinen Platz neben der genannten jungen Dame erhalten, die er nie zuvor gesehen. Aber der Pfeil hatte gesessen. Er hatte umgehend Erkundigungen eingezogen über die Familie - eines wohlhabenden Kaufmanns in Hamburg - und da dieselbe günstig ausgefallen, frisch, fröhlich um die Hand der jungen Dame angehalten, was ihm dann auch geglückt war. Nun kam er von der Verlobung. Einige Wochen darauf war Reformationsfest. Ich hatte in der Schlosskirche gepredigt und traf am Vereinstisch zwei Damen, eine ältere und eine junge, Mutter und Tochter, die in der Kirche gewesen waren und mich als den Prediger wieder erkannten und anredeten. Ich erfuhr, dass sie aus Hamburg wären und von hier zu einem Besuch aufs Land wollten. Als ich ins Lesezimmer gegangen war, um die dort ausliegenden Zeitungen zu lesen, kam der Uhrmacher Polliz, der mit mir am Vereinshaustisch aß, mir nach und sagte: Pastor Wagner hat eine niedliche Braut.
Ich kehrte natürlich sofort ins Esszimmer zurück, begrüßte die beiden Damen und trug ihnen Grüße an Wagner auf. Im folgenden Frühjahr folgte ich der Einladung zur Hochzeit und sah dabei Hamburg zum ersten Mal nach acht Jahren wieder, diesmal im Schmuck seiner wiederhergestellten machtvollen Türme. Die Trauung fand in der St. Petri-Kirche durch KreuslerAdolf Kreusler (1824-1894) war ein deutscher evangelischer Theologe und ab 1871 Hauptpastor an St. Petri in Hamburg.Siehe Wikipedia.org [38] statt. Ich hatte dabei die Würde eines Schemelführers
veralteter Begriff für Trauzeuge [39]. Im Lauf des Sommers fuhr ich dann auf einige Tage nach Bissendorf - es ging damals im Postwagen von Hannover aus - und besuchte Freund Wagner mit seiner jungen Frau, begleitete ihn auch auf seinen seelsorgerlichen Gängen. Das junge Paar machte mir dann auch Gegenbesuch im Friederikenstift, und die junge Frau entwaffnete durch ihre Anmut das Stift, das die Verlobungsgeschichte seinerzeit mit Kopfschütteln angehört hatte, Luise Hausmann hatte mir gelegentlich gesagt: Nein, Herr Pastor, wenn Sie sich einmal verloben, so machen Sie es nicht wie Pastor Wagner.
Schon ein Jahr früher als die Hochzeit Wagners hatte ich in Groß-Solschen die meines Freundes Bartels mitgemacht, der sich mit der Tochter des Superintendenten Probst, bei dem er zuerst Kooperator war, verheiratete. In Peine, Bahnstation von Groß Solschen, nahm ich einen Aufenthalt, den ich benutzte, Böttcher, der damals noch unverheiratet mit seiner Mutter wirtschaftete, zu besuchen, machte aber bei meiner Rückkehr zum Bahnhof, wo ich mein Hochzeitsgeschenk zur Aufbewahrung abgegeben hatte, die unangenehme Entdeckung, dass dasselbe einem Boten in ein anderes Dorf mitgegeben sei, von wo es dann am Hochzeitstage erst abgeholt werden musste.
Wieder ein halbes Jahr früher feierten wir in Hainholz die Hochzeit von Gerbers mit Gustchen Heumann. Wohl die ganze Konferenz war dazu eingeladen. Uhlhorn führte die Braut zum Altar. Das junge Paar zog zunächst noch nach Kleefeld, siedelte dann aber, als Gerbers zu unser aller Befriedigung zum ersten Pastor an der Gartenkirche, deren Filial ja Kleefeld war, gewählt wurde, in das dortige Pfarrhaus über. Damit war eine Periode der Geschichte der Gartenkirchengemeinde und - unseres Kollaboratorenkränzchens - abgeschlossen. Es waren nämlich statt der bisherigen einzigen Pfarrstelle an der Gartenkirche jetzt zwei errichtet - die Einkünfte der Stelle langten dazu. Zum zweiten Pastor wurde Freybe, bisher in Gartow, ernannt. Fortan bedurfte aber auch die Gemeinde keiner Kollaboratoren mehr, die dem alten Evers zur Seite gestanden und zuletzt die Gemeinde allein versorgt hatten. Hoppe, der schwer leidend war, wie die ärzte meinten, am Magen, in der Tat aber, wie sich erst später herausstellte, an der Leber, hatte schon die Pfarre Ostenholz bei Walsrode erhalten. Ehrenhardt ging auch ab nach der früher von Ludwig Grote bedienten Eselspfarre
Hary, Bönnien und Störy. Der für Kleefeld neu ernannte Kollaborator nahm an unserm Kränzchen nicht teil. So blieben nur unser drei, Münchmeyer, August Kranold, der an Wagners Stelle an die Christuskirche gekommen war, und ich.
Noch eine Hochzeit in der Inspektion machte ich mit, die von Elisabeth Uhlhorn, die Pastor Rabe in Dankelshausen, Freund Stalmanns und mit ihm zugleich, also unmittelbar vor meiner Zeit, in Loccum gewesen, heiratete. Bei dieser Gelegenheit sah ich auch den alten Prior König wieder, der von Düsterdieck sowohl als dem Senior Flügge und selbst von Niemann weidlich aufgezogen wurde, so dass Fräulein Lichtenberg und Fräulein Riefkohl hinterher zu mir sagten: Solch ein alter Junggeselle dürfen Sie nicht einmal werden.
Es kamen in der Inspektion aber nicht nur Freudentage, sondern auch Trauertage. Dreimal folgte ich hinter Särgen von Kindern, einmal eines Kindes von Büttner, dann von Wecker, endlich von Greve. Besonders die beiden letztgenannten Fälle waren sehr trauriger Art. Wer übrigens niemals bei solchen Gelegenheiten fehlte, war, trotz seiner Belastung mit Arbeit, Uhlhorn. Ich hörte ihn einst sagen: Das sind die glücklichsten Menschen, die niemals Zeit haben.
Er gehörte zu diesen glücklichen Menschen, und doch - er hatte immer Zeit, wenn etwas an ihn herantrat und von ihm gefordert wurde.
[39] veralteter Begriff für Trauzeuge