K.L.V. Reise
Als 1942/43 die Luftangriffe auf HamburgOperation Gomorrha war der militärische Codename für eine Serie von Luftangriffen, die vom Bomber Command der Royal Air Force und der 8th US Air Force im Zweiten Weltkrieg vom 25. Juli bis 3. August 1943 auf Hamburg ausgeführt wurden. Es waren die bis dahin schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges. Befohlen wurden diese Angriffe von Luftmarschall Arthur Harris, dem Oberbefehlshaber des Britischen Bomber Command. [1] immer heftiger und häufiger kamen, beschloss man die Kinder, auch die schon etwas älteren, über die Kinderlandverschickung (KLV) in Sicherheit zu bringen. Ich zitterte schon, wenn die Sirenen losgingen. Da Ungarn unter dem Reichsverweser HorthyMiklós Horthy war ein österreichisch-ungarischer Admiral, ungarischer Politiker und als Reichsverweser langjähriges Staatsoberhaupt des Königreiches Ungarn (1920–1944). Siehe Wikipedia.org [2] eines der wenigen Länder war, das sich zur deutschen Seite bekannte, bot man in unserer Schule den Kindern eine Möglichkeit an, weit weg aus der Gefahrenzone herauszukommen, eben nach Ungarn.
Um meiner nachfolgenden Erzählung über diese sogenannte Evakuierung einen Hintergrund zu geben, muss ich tief in den Topf der Geschichte greifen, warum man uns gerade dorthin schickte.
Vor etwa 320 Jahren wurde Europa von den Türken bedrängt, sie standen 1689 vor den Toren Wiens. Der damalige Feldherr Prinz Eugen befehligte das Österreichisch - Ungarische Heer und führte es 1716 zum Sieg in Peterwardein. Es verblieb in Ungarn – genauer gesagt in der pannonischen Tiefebene – verbrannte Erde und somit die Gegend menschenleer. Einem Beschluss des Österreichischen Kaisers Josef II. zufolge warb man in Deutschland, vorwiegend im heutigen Baden-Württemberg, Siedler an.
Dort war es alter Erbbrauch, dass jeweils dem ältesten Sohn die Bauernwirtschaft zufiel, während den jüngeren Geschwistern die Aufgabe blieb, als Knechte oder Mägde auf dem väterlichen Hof zu arbeiten. So ergriff verständlicherweise diese Menschen das Auswanderungsfieber und sie nahmen das Angebot aus Österreich an. Vorwiegend gingen sie in das Gebiet der Batschka und Baranya entlang der Donau und Theiß.
Ich zitiere das Ansiedlungspatent wie folgt:
Ansiedlungs-Patent:
Wir Joseph der Andere von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, König in Ungarn, Böhmen, Galizien und Lodomerien etc. thun hiermit jedermänniglich kund, dass wir gesonnen mit Deutschen Reichsgliedern, besonders aus dem Ober-Rheinischen Kreise, anzusiedeln.
Es folgten noch sieben weitere Artikel. So wurde jede Familie mit einem Haus und Garten
versehen, außerdem mit erforderlichem Grund zum Beackern wie auch mit Zug- und Zuchtvieh und Haus- und Gartengerätschaften.
Nach dem ersten Weltkrieg fiel der größte Teil der Batschka an das Königreich Serbien, Kroatien und Slowenien, welches sich später unter Feldmarschall Tito Jugoslawien nannte. Während des Zweiten Weltkrieges besetzten die Ungarn erneut die Batschka und nach dem Ende
dieses Krieges ging das Gebiet wieder zurück und somit reichte das alte Jugoslawien mit Landgewinn bis an die italienische Grenze. Das bedeutete, dass nach diesem erneuten Wechsel die deutschen Einwanderer der Staatsangehörigkeit verlustig gingen. Die Russen, die in diesem ganzen Gebiet einmarschierten, befehligten das Land und die Deutschstämmigen, die sich nicht zur Flucht entschieden hatten, wurden zum Teil nach Sibirien verschleppt, der größte Teil aber in Hungerlager gesteckt und viele wahllos hingerichtet. Ihre leerstehenden Häuser wurden Gebietsfremden überstellt, der Boden sozialisiert, und die in etwa gesund Überlebenden wurden 1948 nach Auflösung der Lager zu mehrjährigem Arbeitseinsatz verpflichtet.
So endete die Kolonisation der Batschka mit Deutschen: Vertrieben und mit Hilfe grausamer Methoden dezimiert.
Am 17. März war es dann soweit. Am späten Nachmittag ab Altona fuhr der Zug in Richtung Wien die Nacht durch und den ganzen Tag, erst um Mitternacht erreichten wir die Stadt und wir verblieben noch die Nacht über in der Bahn. Erst am frühen Morgen gingen wir zu Fuß eine halbe Stunde vom Bahnhof zum Schiff, das uns nach Budapest bringen sollte. Bei der Grenzüberschreitung wurde lediglich ein Wechsel von der Hakenkreuzfahne zur ungarischen Fahne vollzogen, sonst gab es keine Kontrollen. Um 9 Uhr abends kamen wir in Budapest an und nach einem wiederum halbstündigen Fußmarsch gingen wir müden Kinder zur nächsten Kleinbahn, die uns zum Endziel bringen sollte. Eine weitere Nacht auf harten Holzbänken stand uns bevor und erst am nächsten Morgen mussten die ersten Gruppen aussteigen, weil sie ihr Ziel erreicht hatten. Unsere Gruppe, bestehend aus zwei Mädchenklassen unserer Schule wie auch einer gemischten Klasse aus den Walddörfern und einer Anzahl von Lehrerinnen, Lehrern und HJ-Führern, war ziemlich die letzte, die den Zug verließ. Wir wurden von einer großen Menge der Bevölkerung und einer Blaskapelle freudig begrüßt. Nach einem langen Marsch bei eisiger Kälte durchquerten wir das Dorf bis zum Gemeindehaus. Dort ging die Verteilung zu den sogenannten Pflegeeltern, die ein Kind aufnehmen wollten, vonstatten.
Die Bauernhäuser waren nicht, wie bei uns üblich, auf einem Einzelgrundstück gelegen, sondern an einer Straßenflucht Hof an Hof mit einem großen Tor neben dem Wohngebäude für die Pferdegespanne. Die Grundstücke waren sehr lang geschnitten, sodass hinter den Gebäuden noch ein Tor zum Hinterhof zu finden war, wo sich die Pferdetränke, ein Ziehbrunnen und eine hochgelegene Holzscheune für den Kukuruz (Mais) befand. Ein jedes Haus war weiß getüncht und die deutschstämmige Bevölkerung, die sich zu der deutschen Regierung im Reich bekannte, hatte ein schwarzes V
an der Vorderfront, darunter einen Lorbeer- und Eichenzweig und mitten drin stand der Schriftzug Der Deutsche Sieg
. Die Nationalsozialisten hatten diesen Zweig der Einheimischen für ihre Ideologie gewonnen - hier gab es ja noch Potential aus Freiwilligen von 18 Jahren an, die für Deutschland in den Krieg zogen, und sie kamen alle als besondere Anerkennung in die Waffen-SS – Ich möchte nicht wissen, wie viele davon überhaupt oder als Krüppel zurückkehrten.
Persönlich hatte ich Glück, dass ich zu einer jungen Familie kam, bestehend aus dem Bauern, seiner Frau, zwei Kindern im Alter von 5 und 8 Jahren und der Großmutter. Tagsüber war der Bauer, seine Frau und zwei bis drei Gehilfen zur Arbeit auf dem Feld und die Großmutter behütete die Kinder und beschickte die Hausarbeit, das heißt; Sie kochte und backte das Brot in einem Ofen, welcher sich im hinteren quer stehenden Gebäude befand, das eigens zum Brotbacken eine Öffnung hatte. Geknetet wurde der Teig im Freien in einem ausgehöhlten Baumstamm und zwar gleich für zehn bis zwölf Weizenbrote. Dieser kam in runde Töpfe, die in die Glut in der Hausöffnung geschoben wurden. Die Butter entstand durch den Rahm, der jeweils beim Melken abgeschöpft, in ein hohes Gefäß mit einem Stößel geschüttet und solange von der Großmutter gestoßen wurde, bis die Butter fest war. Die Buttermilch, die übrig war, bekamen die Schweine zu trinken. Das war eine mühsame Arbeit und erforderte viel Kraft. Auch die Gänse wurden von ihr mit Mais gemästet und bei lebendigem Leib gerupft, um die Federbetten zu füllen. Da die Leute ja wussten, dass wir aus dem Kriegsgebiet kamen und vermutlich halb verhungert waren, wurde sofort ein Täubchen geschlachtet und für mich eine Suppe gekocht. Nach einigen Wochen wurde zusätzlich ein Schwein geschlachtet, da es ja eine Person im Haushalt mehr gab. Überhaupt ging man mit uns um, als wären wir – wie es neudeutsch heißen würde – Promis, denn wir kamen ja aus dem Reich und sie waren nur Volksdeutsche und hatten uns gegenüber gewisse Minderwertigkeitskomplexe.
Da es ja zum Sommer hinging und es sehr warm zu werden schien, machten wir den Schulunterricht – dafür stellten uns die Einheimischen ein extra Gebäude zur Verfügung – von 7 Uhr bis 12 Uhr mittags. Dann wurde es wirklich heiß, sodass wir uns leider in die Häuser zurückziehen mussten, obgleich ich und meine Freundin doch anfangs uns einen kleinen Tisch und Stühle nach draußen holten, um unsere Schularbeiten in frischer Luft zu machen. Das ist uns aber schnell vergangen, die Hitze war zu groß. Die Deutschstämmigen sprachen neben ihrer Muttersprache teils ungarisch, teils serbokroatisch, vor allem die Männer, da sie ja in der serbischen Zeit beim serbischen Militär waren. Ihre Muttersprache war natürlich deutsch in schwäbischer Mundart, woran wir uns auch erst gewöhnen mussten und die Bekleidung war auch althergebracht, die Frauen trugen ausnahmslos Kopftücher, ein Oberteil und sieben bis acht weite, fersenlange Röcke übereinander, ausgenommen die ganz jungen Frauen. Wir machten uns einen Spaß daraus, einmal diese Tracht anzuziehen.
Den Sommer genossen wir ausgiebig und die Schule betrachteten wir als lästiges Übel. Als uns die Zerstörung Hamburgs am 23. – 27. Juli 1943 zu Ohren kam, da war es mit dem dolce vita erst einmal vorbei, denn ehe wir von unseren Angehörigen, die in alle Winde verstreut waren – und es waren so gut wie alle ausgebombt – etwas hörten und wo sie geblieben, dauerte es eine ganze Weile und das letzte Mädchen erfuhr erst nach 6 Wochen von ihren Eltern und Geschwistern. Nichtsdestotrotz planten wir eine Klassenreise in die Baranya, wo wir eine andere Klasse aus Eppendorf besuchen wollten. Die erste Station mit der Bahn war Apatin. Nach zweitägigem Aufenthalt dort (Schlafgelegenheit fand sich immer bei den Volksdeutschen) ging es mit dem Schiff weiter auf der Donau nach Mohacs, wo wir Gelegenheit fanden, in derselben zu baden, was nicht ganz ungefährlich, weil der Fluss zahlreiche Kurven machte und die Strömung ziemlich heftig war. Von dort aus fuhren wir nach Pecs (seinerzeit Fünfkirchen), um die dortigen Sehenswürdigkeiten zu betrachten, als da sind einmal der Dom, da die Stadt ehemals Bischofssitz gewesen ist, und es befinden sich dort frühchristliche Grabkammern, die es sonst nur in Italien gibt. Von Pecs steuerten wir unser eigentliches Ziel an: Nemetboly, wo wir schon erwartet wurden. Quartier fanden wir natürlich bei den jeweiligen Pflegeeltern
der dortigen Klasse. Diese Reise durch einen Teil von Ungarn war für uns sehr eindrucksvoll. Wieder zurück am Ort, wo wir aufgebrochen waren, mussten wir die Nachwirkungen erst einmal verdauen.
Fast jeder Bauer besaß am Rand des Dorfes einen Weinberg. In den Berg hinein waren Keller (eine Art Katakomben) gebaut, wo der Wein gekeltert und in Fässern aufbewahrt wurde. Die Einheimischen wetteiferten, uns ihren Wein zum Verkosten anzubieten, sollten wir doch sagen, wer den besten Wein hergestellt hatte, da wir so viel Ahnung
hatten. Ansonsten bauten die Bauern in erster Linie Mais, Weizen, Sonnenblumen und Melonen an, aber der Wein war ihr Hauptanliegen. Wir durften bei der Weinlese mithelfen. Mit Pferd und Wagen, auf dem leere Fässer standen, fuhren wir auf den Weinberg und jeder, der Hände hatte, pflückte die Weintrauben verschiedenster Art. Wir fuhren dann, wenn die Fässer mit Trauben gefüllt waren, auf den Hof zurück, dort wurden sie in einen großen Tank entleert. Ein paar kräftige Männer stampften mit den bloßen Füßen den ersten Saft aus den Trauben, sodass er abgefüllt werden konnte. Später ging die Maische dann durch eine Presse.
Durch die Zerstörungen in der Heimat war es nicht ganz klar, wann und wie wir wieder nach Hamburg zurückkehren sollten. Nach vielen organisatorischen Plänen hieß es, am 20.Oktober 1943 wäre es so weit. Wir wurden an dem Tage tatsächlich bis Passau mit der Bahn zurückgeführt und in einem kleinen Ort bei Passau erst einmal untergebracht. Von dort aus unterrichteten wir unsere Angehörigen, von wo sie uns abholen sollten. Da die meisten Elternhäuser zerstört waren, wussten ja nur wir, wo sie erreichbar waren. Ich kann mich erinnern, dass meine ältere Schwester in Hamburg war und nur sie mich abholen konnte. Sie kam dann auch ein paar Tage später, aber es war fast unmöglich, in einen normalen Zug nach Hamburg zu gelangen, sie waren einfach überfüllt und die Menschen hingen wie Trauben an den Eingängen. Wir hielten Ausschau und hatten Glück: Es hielt auf dem Passauer Bahnhof ein Zug mit Verwundeten, der nach Hamburg gehen sollte. Sie lotsten uns herein und rückten ein wenig zusammen. Bei eventuellen Kontrollen versteckten sie uns unter ihren schweren Militärmänteln und so landeten wir nach unzähligen Stunden in Hamburg.
Wie es dann weiterging? Das ist eine GeschichteLesen Sie auch von dieser Autorin:Das Kriegsende in Hamburg
für sich.
[2] Miklós Horthy (amtlich ungarisch vitéz nagybányai Horthy Miklós, deutsch Ritter Nikolaus Horthy von Nagybánya; * 18. Juni 1868 in Kenderes, Komitat Jász-Nagykun-Szolnok (Österreich-Ungarn); ♰ 9. Februar 1957 in Estoril, Portugal) war ein österreichisch-ungarischer Admiral, ungarischer Politiker und als Reichsverweser langjähriges Staatsoberhaupt des Königreiches Ungarn (1920–1944).
Nachdem er die kommunistische Räterepublik unter Béla Kun niedergeschlagen hatte, konsolidierte Horthy den Staat und führte als Konservativer in Ungarn ein halb-autoritäres Regierungssystem ein, bei welchem die Bevölkerungsmehrheit von den Parlamentswahlen ausgeschlossen blieb. Dabei nahm er die Rolle eines starken Staatsoberhauptes ein, überließ die Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt jedoch weitgehend den von ihm eingesetzten Regierungschefs. In der Hoffnung, die im Vertrag von Trianon für Ungarn verloren gegangenen Gebiete wiedergewinnen zu können, näherte sich Ungarn unter Horthy ab 1932 dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland an.
Im Herbst 1938 annektierte Horthys Ungarn infolge des Ersten Wiener Schiedsspruchs große Teile der Südslowakei, nach der Zerschlagung der Tschecho-Slowakei ließ Horthy ungarische Truppen in den neuentstandenen Slowakischen Staat einmarschieren, was zum Slowakisch-Ungarischen Krieg führte. Infolge des Zweiten Wiener Schiedsspruchs erhielt Ungarn Nordsiebenbürgen von Rumänien. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beteiligte sich die ungarische Armee am Überfall der Wehrmacht auf Jugoslawien und die Sowjetunion. Quelle: Wikipedia