Prolog
Dieser Zeitzeugenbericht beschreibt eines von vielen Schicksalen der deutschen Geschichte von 1933 bis in die Gegenwart. Die Menschen verloren ihre Heimat, viele ihr Leben und mussten in der Fremde nach dem Krieg ein neues Leben beginnen. Viele haben ihre Erlebnisse, die sie im Kindesalter machen mussten, nie verkraftet. Auch dieser Zeitzeugenbericht von Adolf Julius Haupt ist ein Versuch, durch das Aufschreiben des Erlebten die schrecklichen Bilder einer Kriegskindheit endlich verarbeiten zu können.
Meine Jugend war geprägt durch Flucht und Vertreibung. Drei Fluchten, ein Fluchtversuch und eine Vertreibung.
Man lebt zweimal: Das erste Mal in Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung. (Honoré Balzac)
Mein Leben - ein Blick zurück
Kapitel 1
Kindheit in Schlesien, 1933 bis 1945
Am 28. April 1933 wurde ich in HönigernMiodary (Hönigern), heute Ort der Landgemeinde Dobroszyce in der Woiwodschaft Oppeln in Polen., Kreis OelsDer Landkreis Oels war ein preußischer Landkreis in Schlesien, der von 1742 bis 1945 bestand. Seine Kreisstadt war die Stadt Oels, heute Oleśnica. Das frühere Kreisgebiet liegt in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. in SchlesienDie preußische Provinz Schlesien war eine Provinz im Südosten des Königreichs Preußen. Zu ihr gehörte der größte Teil der historischen Region Schlesien. Ihre Hauptstadt war Breslau. Die Provinz Schlesien bestand von 1815 bis 1919 und nochmals von 1938 bis 1941. In den Jahren von 1919 bis 1938 und ab 1941 war sie in die Provinzen Niederschlesien und Oberschlesien geteilt.Siehe Wikipedia [Klick …] geboren. Wir lebten in einer Großfamilie: Großeltern väterlicher Seite, Eltern und fünf Kinder. Ich hatte zwei Schwestern und zwei Brüder. Meine Eltern besaßen einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb von ungefähr 30 Hektar Größe und einen Holzfuhrbetrieb. Im Winter fuhren wir mit Pferdefuhrwerken das Holz aus den Wäldern ab. Wir führten ein ruhiges Leben in dörflicher Gemeinschaft. Ich hatte eine unbeschwerte Kindheit.
Den Krieg ab 1939 erlebten wir nur aus der Ferne, wir konnten die Bombenangriffe auf die ungefähr 30 Kilometer entfernte Stadt Breslau hören. Ich besuchte die Volksschule in Hönigern und Briese und von 1943 bis zur Flucht die Mittelschule in der Kreisstadt Oels. Ich war im Jungvolk der Hitlerjugend und legte 1944 eine Prüfung ab für den Eintritt in eine NapolaDie Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (amtlich NPEA, auch Napola – Nationalpolitische Lehranstalt oder Napobi – Nationalpolitische Bildungsanstalt) waren Internatsoberschulen, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 als Gemeinschaftserziehungsstätten
gegründet wurden. Der Besuch der Schulen führte zur Hochschulreife. Ähnlich wie bei den Adolf-Hitler-Schulen (AHS) und den SS-Junkerschulen handelte es sich um Eliteschulen zur Heranbildung des nationalsozialistischen Führernachwuchses.Siehe Wikipedia [Klick …]-Schule. Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten waren Internats-Oberschulen, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme als Gemeinschaftserziehungsstätten
gegründet wurden. Der Besuch der Schulen führte zur Hochschulreife. Ich wurde aber nicht in die Napola-Schule aufgenommen. Mein Vater war zur Arbeit am OstwallDie Festungsfront Oder-Warthe-Bogen, auch Festung im Oder-Warthe-Bogen, volkstümlich Ostwall genannt, war eine seit Mitte 1934 vom Deutschen Reich aufgebaute, stark befestigte Verteidigungslinie, die etwa 120 km östlich von Berlin vom Fluss Warthe im Norden zur Oder im Süden führt.Siehe Wikipedia [Klick …] verpflichtet worden, weil er sich kritisch gegen den totalen KriegAls Totaler Krieg
wird eine Art der Kriegsführung bezeichnet, bei der die gesellschaftlichen Ressourcen umfassend für den Krieg in Anspruch genommen werden, insbesondere für eine industrialisierte Kriegsführung. Weit verbreitet wurde der Ausdruck im Zweiten Weltkrieg, als er von Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 während der Sportpalastrede im Berliner Sportpalast gebraucht wurde: Wollt ihr den totalen Krieg?
.Siehe Wikipedia [Klick …] geäußert hatte. Er kam knapp am KZ vorbei. Mein ältester Bruder war 1939 als Freiwilliger in Polen gefallen.
Flucht aus Schlesien im Winter / Frühjahr 1945
Im Januar 1945 bekam unser Leben eine dramatische Wende. Die Ostfront rückte näher; wir konnten schon im Osten ein dumpfes Grollen der Geschütze hören! Wir wurden von den Behörden aufgefordert, unsere Heimat zu verlassen. Mit Pferd und Wagen zogen wir, meine Mutter, fünf Kinder und die Großeltern im großen Treck nach Westen. Für uns Kinder war es anfangs noch ein Abenteuer, aber bald merkten wir, dass es ein gefährliches Abenteuer war! Die Rote Armee rückte nach und wir wurden über das Sudetengebirge nach dem heutigen Tschechien dirigiert. Es ist viel über die Trecks aus dem Osten geschrieben worden und es war so schlimm, wie es berichtet wurde! Es war ein kalter Winter; es lag viel Schnee im Gebirge und die Straßen waren vereist. Die Pferde waren abgemagert und die Berge nicht gewohnt, die Fuhrwerke für das Gelände ungeeignet und die Menschen entkräftet. Hinter uns die russischen Panzer, über uns russische Tiefflieger mit ihren Bordgeschützen, und zwischen uns bahnte sich eine Waffen-SS Einheit den Weg, die der Roten Armee entkommen wollte …
So manches Fuhrwerk mit Menschen und Pferden stürzte den Hang hinunter. Und so manches tote Kind, erfroren in den kalten Nächten, wurde im Schnee verscharrt. Für mehr war keine Zeit, wir mussten weiter! Ungefähr die Hälfte der Trecks überstand diese Hölle. So auch unsere Familie.
Ankunft des Flüchtlingstrecks in der Tschechoslowakei im März / April 1945
Der russische Vorstoß war vorläufig gestoppt und die Flüchtlingstrecks wurden auf Ortschaften in der Tschechoslowakei und in Bayern verteilt. Wir kamen nach TobolkaMěňany (Tobolka) ist eine Stadt im Bezirk Beroun in der Mittelböhmischen Region in der Tschechischen Republik., den Namen werde ich nie vergessen, in der Nähe von Beroun im tiefen Tschechien. Wir wurden auf Bauernhöfen untergebracht. Die Bevölkerung verhielt sich uns gegenüber ablehnend bis feindselig. Wir waren Fremde, wir waren Deutsche. Und die Deutschen hatten mit harter Hand regiert, wie beispielsweise in LidiceWährend des Zweiten Weltkriegs wurden in Lidice 1942 von den Sicherheitsbehörden der nationalsozialistischen Besatzungsmacht nahezu alle männlichen Einwohner ermordet und das Dorf zerstört. Dieses Verbrechen fand als Teil der Racheaktionen nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich 1942 statt.Siehe Wikipedia.org [Klick …].
Ende April 1945 tauchte unser Vater und der Vater einer anderen Familie auf. Sie hatten es geschafft, der Zwangsverpflichtung zu entkommen und uns in Tschechien zu finden. Wie, das haben wir nie erfahren.
Das Massaker von Lidice 1942
Am 27. Mai 1942 wurde Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamts und stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, auf dem Weg zu seinem Büro auf dem Hradschin in Prag durch ein Attentat tschechoslowakischer Widerstandskämpfer im Auftrag der tschechoslowakischen Exilregierung so schwer verletzt, dass er am 4. Juni 1942 starb. Daraufhin leiteten die Nationalsozialisten massive Vergeltungsmaßnahmen gegen die tschechische Zivilbevölkerung ein. Die Behauptung, die Dorfbewohner hätten die Attentäter beherbergt, stellte sich später als falsch heraus. Der einzige Anhaltspunkt der Gestapo waren die beiden aus Lidice stammenden Offiziere Josef Horák und Josef Stříbrný, welche seit Beginn der Besatzung im Exil in der Royal Air Force dienten. Eine Verbindung zwischen den beiden und dem Attentat bestand jedoch zu keinem Zeitpunkt.
Am Abend des 9. Juni 1942 umstellten deutsche Polizeikräfte (Angehörige der Gestapo, des SD und der Schutzpolizei unter dem Kommando von SS-Offizieren einer Sonderkommission und des Befehlshabers der Sipo in Prag) mit Unterstützung der Protektoratsgendarmerie Lidice und blockierten alle Zufahrtswege, da dort Beteiligte des Attentats vermutet wurden. In der folgenden Nacht wurden die Dorfbewohner zusammengetrieben. Alle 172 Männer, die älter als 15 Jahre waren, wurden in den Hof der Familie Horák gebracht, wo sie am Morgen des 10. Juni erschossen wurden. Mit einem vierzehnjährigen, von seinem Vater mitgenommenen Jungen, beläuft sich die Zahl der am 10. Juni Ermordeten auf 173. Der Bürgermeister František Hejma, der die Identität der Opfer bestätigen musste, wurde als einer der letzten ermordet.
Die Erschießungen wurden, so der Historiker Stefan Klemp, in erster Linie von Angehörigen der Schutzpolizei vorgenommen, das Kommando hatte Horst BöhmeNach dem Attentat auf Reinhard Heydrichs am 27. Mai 1942 führte Böhme als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) für Prag das Kommando über die von Hitler und Himmler angeordneten
Vergeltungsmaßnahmen– die sogenannte Heydrichiade. Auf seinen Vorschlag hin kam es zur Vernichtung des Dorfes Lidice, wobei 184 Männer erschossen, 195 Frauen ins KZ Ravensbrück deportiert und 105 Kinder in das Umsiedlungslager (Łódź) verschleppt wurden, von denen bis auf 17 alle umkamen.Quelle: Wikipedia inne. 195 Frauen wurden, nachdem sie in einer Turnhalle in Kladno von den Kindern getrennt worden waren, in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo 52 von ihnen ermordet wurden.Nach der Trennung von ihren Müttern wurden die Kinder in das Lager der
Umwandererzentrale Litzmannstadtin der Gneisenaustraße 41 in Litzmannstadt deportiert und nach rassischen Kriterien ausgesondert. Sieben dieser Kinder wurden zurGermanisierungin ein Lebensborn-HeimSieheZeittafel der Machtergreifung 1933März 1934, Gründung des HilfswerkMutter und Kind(Lebensborn) gebracht, drei weitere waren bereits zuvor in Kladno ausgesondert worden. Die anderen 81 Kinder wurden in das Vernichtungslager Kulmhof deportiert und dort in einem SS-Wagen vergast. Eines der Kinder, das in Kladno ausgesondert worden war, wurde später zusammen mit den elf Kindern von Ležaky auf dieselbe Art ermordet.Die anderen neun Kinder, die zwecks
Germanisierungausgesondert worden waren, wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgefunden, ebenso zwei von den sechs, die nach dem 10. Juni 1942 geboren wurden; die anderen vier waren verstorben. Sieben Kinder, die jünger als ein Jahr alt waren, waren ebenfalls in ein Kinderheim gebracht worden, von ihnen überlebten sechs den Krieg. Insgesamt konnten 17 Kinder wiedergefunden werden.Quelle: Wikipedia.org