Mein Leben - ein Blick zurück
Kapitel 6
Neuanfang im Westen, 1953
Im Herbst 1953 kam ich auf ein Weingut in Landau in Rheinland-Pfalz. Dort lernte ich die schwere Arbeit bei der Weinernte kennen. Nach der Ernte arbeitete ich beim Forstamt Schweigen das Bauen von Forstwegen, Baumfällen und Stubben sprengen. Das hatte ich vorher bei den Pionieren in Eggesin gelernt.
1954 - 1955
Im Frühjahr 1954 ging ich nach Mannheim zur staatlichen Neckar-Werft. Es war eine schöne Zeit! Ich war der einzige Schiffbauer von der Küste. Im Frühjahr 1955 entschloss ich mich, nach Norden zu ziehen. Eine enttäuschte Liebe und die Sehnsucht nach der weiten Welt gaben den Ausschlag. Ich durchquerte Deutschland mit dem Fahrrad von Süd nach Nord. Ende Mai 1955 traf ich in Hamburg ein. Nicht mit dem Auto, nicht mit der Bahn, nein, mit dem Fahrrad. Ich kam aus Mannheim. Dort hatte ich gelebt, gearbeitet und auch geliebt. Im Juni 1953 war ich in den Westen gekommen, als politischer Flüchtling, als Aufrührer; als Rebell. Nach der Arbeit auf einem Weingut in der Pfalz, beim Forstamt Schweigen und als Schiffbauer bei der Neckarwerft in Mannheim zog es mich in den Norden. Auf der Neckar Werft war ich ein angesehener Handwerker mit einem Facharbeiterzeugnis der Volkswerft Warnemünde - ein Exot! Aber ich wollte wieder ans Meer. Das verstand auch mein Meister, er kam aus der russischen Kriegsgefangenschaft. Also machte ich mich auf nach Hamburg, Hamburg war für mich das Tor zur Welt! Ich begann meine Arbeit auf der Deutschen Werft in Hamburg-Finkenwerder. Damals begann die Hochkonjunktur im deutschen Schiffbau. Wir hatten alle zwei Monate einen Stapellauf. Es war eine interessante Zeit: die große Stadt, der große Strom und die großen Schiffe …
Tarzan
Die Stadt war überwältigend. Ich fühlte mich sofort wohl. Aber um hier zu leben musste ich Arbeit finden. Hamburg suchte Fachleute. Also fuhr ich nach Finkenwerder, zur Deutschen Werft-Nord in Hamburg. Personalchef und Betriebsrat - sie wollten mich haben, also zu Obermeister Walter Voss. Ich betrat sein Büro, stellte mich vor und legte meine Zeugnisse vor. Nur waren meine Zeugnisse durcheinandergeraten. Als oberstes lag mein Zeugnis vom Weingut, dann das vom Forstamt, dann von der Neckar-Werft und als letztes mein Facharbeiterzeugnis der Warnow-Werft. Den guten Obermeister Voss irritierte das Ganze etwas: Weingut? Forstamt? Bis er auf die Zeugnisse der Werften stieß. Sein Gesicht hellte sich auf. Warnemünde? Kannst du ok platt?
Jo
sagte ich, lck heff dor een Kolleeg, Meister Wolter, kennst du den?
Jo
sag ich, dat war mien Meister!
Da war das Eis gebrochen. Jo!
sagte er. Wi bruukt jung Kerls opn Helgen, wult du dor hen?
Jo!
sagte ich. Er wandte sich zu seinem Schreiber-Kalfakter: Denn bring em man to Tarzan!
Der Schreiber, sein Name war Tislok, genannt Arschlock, ging mit mir Richtung Helgen. Auf dem Weg frag' ich ihn Heißt der wirklich Tarzan?
Nee, nee, der wird nur so genannt. Eigentlich heißt er Hans Brandenburg.
Naja. Wir kamen am Helgen an. Eine Gruppe Männer mühte sich mit einer Leiter ab. Ein kräftiger Hüne schubste sie weg und stellte die Leiter an die Schiffswand und grinste in die Runde. Der Schreiber sagte zu mir: So, das ist Tarzan
, und verschwand. Ich stellte mich dem Hünen vor. Er drückte mir eine kräftige Pranke und sagte: lk heit Hans Brandenburg - genannt Tarzan.
Ich sagte meinen Namen und wer ich bin. Er drehte sich um und rief in Richtung Helgen: Hein Lütt, hier is een neuern för di!
Aus dem Gewirr von Stellagen tauchte eine mittelgroße Gestalt auf und sagte: Ich bin Hein Dargel.
Er war mein Schirrmeister und wurde ein guter Freund. Nach einem halben Jahr war ich auch Schirrmeister und wir haben gut zusammengearbeitet.