Seefahrtszeiten …
Kapitel III
Jahreswechsel 1961 auf See
Inzwischen war ich nun schon drei Monate an Bord. Mir waren Seebeine gewachsen und mit der Arbeit an Bord ging es gut voran. Wir hatten, wie bei der Ausreise üblich, einen Hilfsdiesel überholt und alle anstehenden Wartungsarbeiten in der Maschine erledigt.
Am 20. Dezember waren wir von Hamburg in Ballast (ohne Ladung) nach Buenos Aires ausgelaufen, um eine Ladung Obst zu holen.
Als Besonderheit hatten wir drei sehr schöne Nordmanntannen an Bord genommen, die im Proviant-Kühlraum aufbewahrt wurden. Da es zu meinen Aufgaben gehörte, die Anlagen in den Provianträumen zu überwachen und zu warten, konnte ich jeden Tag etwas Waldluft schnuppern.
Außerdem waren noch zwei lebende Karpfen an Bord geliefert worden. Die wollte der Kapitän sich und seinem ersten Offizier sowie dem Chief Weihnachten im Salon servieren lassen. Da der Kapitän aus unerklärlichen Gründen eine Badewanne in seinem Bad hatte, kamen die Karpfen in diese Wanne, wo er sie jeden Tag fütterte. Schon am zweiten Tag berichtete der Steward jetzt hat der Alte (Kapitän) denen schon Namen gegeben
. Ob es nun der durch die ganzen Aufbauten ziehende Duft nach gebratenen Gänsen oder Tierliebe war, bleibt wohl immer sein Geheimnis.Jedenfalls rückte er seine Karpfen nicht raus und gedachte sie wohl auch noch länger zu behalten, denn er ließ sich vom Zimmermann einen Holzdeckel anfertigen, damit das Wasser aus der Wanne bei Seegang nicht mehr überschwappen konnte.
Am 31. Dezember waren wir etwa 25° Süd und 35° West, circa 600 Seemeilen östlich von Rio de Janeiro. Die Sonne brannte von morgens bis abends vom wolkenlosen Himmel auf das Deck, nur der Fahrtwind brachte etwas Abkühlung und in den Kammern war es über 30 Grad warm, in der Maschine über 40 Grad. Die Tannenbäume waren schon zwei Tage nach Weihnachten über Bord gegangen, da es nur noch nadellose Hölzer waren. Am Schwarzen Brett war ein Zettel mit dem überflüssigen Hinweis auf das Seemannsgesetz, dass man zur Wache stets nüchtern und pünktlich zu erscheinen hat. Der erste Offizier machte dem Bootsmann klar, dass der 31. Dezember kein Feiertag ist und er von den sogenannten Tagelöhnern (Bootsmann, Zimmermann, zwei Matrosen, Reiniger und Schmierer) einen acht Stunden Arbeitstag erwartete, wie ihn ja auch die Wachgänger haben.
Der Bootsmann entdeckte nun zufällig direkt unter dem Offiziersdeck einen größeren Rostschaden, der mit den pressluftgetriebenen Stahlhämmern entfernt werden musste, was durch das ganze Schiff dröhnte. Zu Mittag wurden die Arbeiten dann auf Anweisung des Kapitäns eingestellt und die Tagelöhner bekamen vier Stunden gutgeschrieben.
Unser großartiger Koch und der Bäcker haben trotz der Hitze, in der Kombüse war es sicher auch über 40 Grad warm, für den Abend ein großes Menü angekündigt. Um 18 Uhr waren dann alle in ihrer besten Uniform in der Messe versammelt. Der Kapitän ließ sich kurz sehen, um mit einem Glas Rotwein anzustoßen. Und dann wurde aufgefahren:
Melone mit Rohschinken
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Carpaccio mit Balsamico und altem Parmesan
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Rinderkraftbrühe Celestine
mit Hechtklößchen und Avocado
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Seelachsfilet im Brotteig
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Rinderfilet auf Rotweinsauce mit Kartoffelgratin und Broccoli
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Eisbombe mit Früchten
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Rot- oder Weißwein, Kaffee, Berliner und Butterkuchen.
Im Kapitänssalon gab es an diesem Abend Karpfen. Ob und wie viel der Alte davon gegessen hat, ist nicht überliefert.
Über die Pläne für das neue Jahr wurde natürlich auch gesprochen. Der dritte Offizier und der dritte Ingenieur wollten wieder zur Schule, um ihre Patente zu erweitern. Der Funker hatte sich entschlossen, nach dieser Reise an Land zu bleiben. Einige hatten demnächst Urlaub und ein Ingenieurs-Assistent wollte seine Auswanderung nach Brasilien weiter voran bringen, indem er auf jeder Südamerikafahrt Werkzeuge für eine Autowerkstatt mitnahm und dort einlagerte. Von all den Leuten und ihren Plänen habe ich nie wieder etwas gehört, nur von einem Matrosen und einem Reiniger. Die beiden hatten sich angefreundet und der Reiniger aus Bayern wollte dem Matrosen nach dieser Reise sein schönes Bayern und die feschen Mädels zeigen. Beide sparten eisern, denn sie wollten einen gebrauchten VW-Käfer kaufen, damit in Bayern Urlaub machen und ihn dann in Hamburg wieder verkaufen. Leider versuchten sie, auf der Reeperbahn den Käfer zu kaufen und standen drei Tage später sehr kleinlaut an der Pier, ohne Auto, und wollten gerne wieder anmustern. Ich wollte mich im neuen Jahr nun ernsthaft für die Aufnahmeprüfung an der Schiffsingenieur-Schule vorbereiten.
Von der Bowle, die nach dem Essen ausgeschenkt wurde, habe ich leider nichts mehr abbekommen, denn ich hatte die 8 - 12 Wache (20 Uhr bis 24 Uhr) und versuchte, mit kaltem Tee meinen Magendruck zu lindern.
Aber zum Feuerwerk war ich rechtzeitig an Deck. Die Steuerleute hatten schon länger aus dem Magazin und aus den Rettungsbooten die abgelaufenen Seenot-Raketen gesammelt, sodass ein recht ordentliches Feuerwerk aus roten und weißen Raketen in den sternklaren Nachthimmel geschossen werden konnte. Gewundert hat uns allerdings, dass wir keine Raketen von anderen Schiffen gesehen haben. Wir waren wohl Silvester 1961 ziemlich alleine auf dem unendlich weiten Atlantik.