Einmal im Leben …
Kapitel XIII
Mit Vollzeug rund Südamerika
Im Winter 2006 würde die auf der Weser-Werft in Bremen gebaute Alexander von Humboldt
100 Jahre alt werden. Hierzu ließen sich die Damen und Herren des Vorstandes der Deutschen Stiftung Sail Training
schon 2003 etwas ganz Besonderes einfallen. Unter dem Projektnamen: Mit Vollzeug rund Südamerika
wurde jetzt geplant. Es sollte von Bremerhaven über St. Malo, Lissabon, Las Palmas, Sal / Kapverdische Inseln, Rio de Janeiro, Buenos Aires, Ushuaia / Kap Horn, Valparaiso, Callao / Peru, Galapagos-Inseln, Balboa, Havanna, Hamilton/Bermudas, Pta. Delgade, Azoren, St. Malo, wieder nach Bremerhaven gehen. Insgesamt ca. 20.000 Seemeilen in 17 Abschnitten und alles mit ehrenamtlichen Besatzungsmitgliedern. Was die Planung in und mit 18 Ländern, die besucht werden sollten, für Arbeit gemacht hat, kann ich mir gar nicht genug ausmalen. Es verlautete aus dem Vorstand nur, dass drei Jahre Vorbereitung sehr knapp waren!
Bei uns von der Stammbesatzung glühte jetzt das Internet! Wer möchte auf welchem Abschnitt fahren? Wer hat überhaupt so viel Urlaub? Wer hat soviel Geld? Wir brauchen an Bord zwar nur fünf Euro Verpflegungsgeld am Tag zu bezahlen, aber die An- und Abreise nach Südamerika kostet ja auch nicht gerade wenig. Finden sich trotz der Kosten genug Trainees? Die meisten sind ja Studenten oder Rentner. So schwirrte es im Netz hin und her.
Persönlich kämpfe ich mit mir, soll ich oder soll ich nicht, einmal im Leben auf einem Großsegler um Kap Horn? Ein Jugend-Traum würde in Erfüllung gehen. Aber schließlich siegt die Vernunft, mit 66 Jahren singt Udo zwar sehr schön auf der Bühne, aber wenn ich bedenke, dass es tagelang schweres Wetter geben kann und das in der nicht gerade neuen Maschinenanlage mit all ihren Weh-Wehchen, dann doch lieber gemütlich von Valparaiso nach Callao. Außerdem habe ich sowieso schon zu lange mit mir gekämpft, der Andrang auf das Kap ist so groß, das es schon Wartelisten gibt. Also verabrede ich mich mit Manfred als Chief und Jürgen als Elektriker in bewehrter Crew für Valparaiso nach Callao. Wir wollen natürlich auch vorher etwas von Valparaiso sehen und darum einige Tage früher anreisen. Aufs Geradewohl maile ich mal an einen Deutschen Club in Valparaiso und bekomme tatsächlich eine Antwort. Erst von einem Redakteur einer Deutschen Wochenzeitung in Chile und ein paar Tage später von der Vorsitzenden des Deutschen Clubs in Valparaiso. Das Thema Alexander von Humboldt
ist dort schon sehr präsent, ist es doch 2006 das erste Segelschiff nach dem Krieg, das Valparaiso besucht. Mir werden gleich eine Adresse und eine Telefonnummer geschickt, unter der ich mich melden soll, wenn ich am Busbahnhof bin.
Bei Schneematsch und leichtem Frost geht es los. Erst im Direktflug nach Santiago de Chile. Schon der Anflug auf Santiago ist aufregend. Es geht mitten durch die Gipfel der Anden und wenn man die Kuppe des Aconcagua in 6962 Meter Höhe sehen will, muss man aus dem Flugzeug nach oben sehen. Die Zoll- und Passkontrolle ist höflich und schnell. Auch das Geld zu wechseln, ist kein Problem. Aber dann beim Ticketkauf für den Bus nach Valparaiso an einem Automaten, der nur spanisch beschriftet ist, habe ich Schwierigkeiten, aber sofort stehen drei Leute bei mir und helfen. Da der Bus erst in drei Stunden fährt, mache ich noch eine Fahrt in die Innenstadt. Als erstes zupft mir ein älterer Herr am Ärmel und macht mir gestenreich klar, dass ich meinen kleinen Rucksack mit Papieren und Geld lieber vor der Brust tragen soll und nicht auf dem Rücken.
Der Bus nach Valparaiso ist voll besetzt und hat bei 30 Grad Außentemperatur auch nur eine schwache Belüftung. Meine beiden Kollegen lachen später, denn es gibt auch einen Expressbus mit Klimaanlage und der fährt nur vier Stunden. Dafür werde ich am Busbahnhof von einer sehr netten, gepflegten Dame abgeholt, der Vorsitzenden des Deutschen Clubs. Sie nimmt mich erst einmal mit in ihre Villa, wo ich ausgiebig duschen kann. Dann fahren wir in ihr gemütliches Café in der City und später ins Hotel, das sie zu einem günstigen Preis für uns gebucht hat, hier treffe ich auch meine beiden Kollegen von der Alex
.
Am nächsten Tag macht Margarete dann eine große Autotour in die Umgebung mit uns, wir haben zwar wieder 30 Grad, aber das Wasser des Humboldt Stroms mit 19 Grad ist uns zum Baden zu kalt.
Die Alex
ist da! Bleibt aber vorläufig noch vor Anker auf Reede, ist uns ganz recht, sollen die doch erst noch mal alles aufklaren, kommen ja direkt vom Kap Horn und wir haben noch soviel zu besichtigen, von der neuen U-Bahn bis zu den faszinierenden Kabinen der Kabel-Bahn und die lauen Nächte in den Straßencafés sind doch auch sehr schön und unterhaltsam. Aber meistens enden die Abende doch bei Wolfgang im Restaurant Hamburg
. Wolfgang ist 22 Jahre als Koch zur See gefahren und hat sein Lokal am Hafen 1985 eröffnet. Vom Fußboden bis zur Decke ist der Laden voll mit maritimen Schätzen. Von der Galionsfigur bis zu diversen Schiffsglocken, Flaggen und Schiffswimpeln gleicht es schon einem Museum. Bei Wolfgang gibt es natürlich deutsche Gerichte. Rollmops with Potatos, Gulasch mit Nudeln, aber der Renner ist Eisbein mit Sauerkraut und der Laden ist jeden Mittag und Abend brechend voll.
Dann ist Crew-Wechsel, wir hören kleine Schauergeschichten von den Kap Hoorniers, mächtige Wellen tagelang, sieben Grad Wassertemperatur und dann war auch noch die Heizung ausgefallen. Sieben Tage nur kalt duschen und alle Klamotten nass bis auf die Unterhose. Aber jetzt konnten schon alle wieder lachen und waren mächtig stolz auf ihre Urkunden.
Die Alex
lag direkt vor der Queen Mary II
an der Pier, was hatten wir bloß für ein kleines Schiffchen!
So nach und nach trudelten alle Crew-Mitglieder ein. Jedesmal mit großem Hallo begrüßt, die meisten kannten sich ja von früheren Törns. Neu war für mich der Kapitän Wagner und der Steuermann meiner Wache, Hugo Bauer. Hugo war Chilene, Sohn ehemaliger Deutscher und hatte Nautik auch in Hamburg studiert, er kannte sich also in den chilenischen Gewässern gut aus und hatte auch schon einen Segelplan erstellt. Wie die meisten gehofft hatten, wollte er uns zu den ca. 600 Seemeilen westlich von Valparaiso gelegenen Robinson Crusoe Inseln und dann mit Nordost-Kurs nach Lima/Callao segeln lassen. Leider machte Kapitän Wagner nicht mit. Er hatte Angst, nicht rechtzeitig in Lima zu sein, da die Strecke erheblich länger als der direkte Kurs war. Auch der Hinweis von Steuermann Hugo, dass es unter der Küste keinen Wind gebe, da durch die Anden der Wind schon lange vorher abgelenkt werde, konnte ihn nicht umstimmen. Zum Auslaufen hatten sich etliche Einheimische eingefunden und die örtliche deutsche Jugendfeuerwehr nahm die Gelegenheit wahr, um eine Feuerlöschübung vorzuführen. Mit sechs Knoten bei 20 Grad Lufttemperatur durch die lange 2 bis 3 Meter hohe Pazifik-Dünung fuhren wir unter Maschine in Sichtweite der Küste nach Norden. Der Fischreichtum im Humboldtstrom ist erstaunlich, es begleiteten uns nicht nur fliegende Fische, Delphine, Haie und Seelöwen, auch zwei Wale zogen eine Weile mit uns. Da ich die 0-4 Wache hatte, konnte ich jede Nacht den grandiosen Sternenhimmel bewundern, nicht nur die Sternenbilder wie das Kreuz des Südens, hat uns unser Steuermann Hugo erklärt, er hatte auch noch zu jedem Sternenbild eine Sage zu erzählen. Je weiter wir nach Norden kamen, desto wärmer wurde es, morgens um 9.00 Uhr hatten wir schon 27 Grad. Wie schön, dass die Maschine von Deck aus gefahren wurde. Bootsmann Hannes baute an Deck eine Seewasser-Dusche auf, die über die Feuerlöschleitung gespeist wurde und sich großer Beliebtheit erfreute. Ansonsten war jetzt Gelegenheit für Instandhaltungsarbeiten an Deck. Mit Rost klopfen und Malen über LabsalenLabsal ist in der Schifffahrt ein Anstrichmittel, das ursprünglich aus Holzteer, Teerfirnis und Terpentinspiritus in einem Verhältnis von 8:4:1 bestand und konservierend wirkte.Quelle: Wikipedia.de der Wanten, Spleißen von Tauwerk in den Masten und gangbar machen aller möglichen Klappen war die Mannschaft gut beschäftigt.
Da wir gut in der Zeit lagen, sollte es noch einen Abstecher nach Iquique an der chilenisch- peruanischen Grenze geben. Iquique gehörte bis 1879 zu Peru und war der größte und bekannteste Hafen für die Salpeterfahrt. Salpeter wurde in großen Mengen für die Düngemittel- und Sprengstoff- Herstellung benötigt, Anno 1879 kam es zum so genannten Salpeterkrieg zwischen Peru und Chile.
Der Krieg wurde nur auf dem Wasser ausgetragen und die Einheimischen erzählen, dass den entscheidenden Sieg für Chile ein Kommandant eines kleinen Schnellbootes errungen hat, indem er das größte Schlachtschiff aus Peru auf eine Sandbank lockte. Von diesem chilenischen Nationalheld steht ein Denkmal am Hafen von Valparaiso und bis heute wird jedes Jahr ein Fest zu seinem Sieg gefeiert. Hier holten auch die deutschen P-Liner der Reederei Laisz bis zum ersten Weltkrieg Salpeter, was dann durch die britische Blockade nicht mehr möglich war. Außerdem wurde zu dieser Zeit die künstliche Herstellung von Salpeter entwickelt, so dass Iquique bedeutungslos wurde.
Die Anfahrt auf die Stadt bietet einen trostlosen Anblick, alles erscheint mit einer graubraunen Schicht überzogen. Wie wir später erfuhren, hat es hier seit 14 Jahren nicht geregnet. Wasser musste eingeführt werden und schon im Jahre 1845 wurde hier eine Meerwasserentsalzungs-Anlage gebaut.
Dieser Eindruck setzt sich bei der Besichtigung der Stadt glücklicherweise nicht fort, der Stil der Häuser erinnert an einen Italowestern aus den fünfziger Jahren. Heute lebt die Stadt von Fisch und Erdöl-Verarbeitung. Wobei wir beobachten konnten, dass die zu Dutzenden heruntergekommenen Fischdampfer ihren Fang mit hunderten Tonnen Fisch komplett in die Trichter der Fischmehlfabriken entleerten.
Am zweiten Tag machten wir einen Ausflug zu einer Salpeter-Mine. Mit einem klimatisierten Bus fuhren wir von der Stadt über viele Serpentinen auf die Hochebene der Atacama Wüste, auf einer befestigten Straße weiter Richtung Mine. Kein Haus, kein Strauch, kein sichtbares Lebewesen, nur flimmernder Sand. Mittendrin dann die Mine, als Museum erhalten. Es war praktisch ein eigenes Dorf, mit Wohnbaracken, Markt, Großküche, einem Klassenzimmer und Wohnhäusern für die Lagerleitung und natürlich einer katholischen Kirche.
Es wohnten hier ganze Familien, die sich selber versorgten, auf dem zwei Mal wöchentlich stattfindenden Markt, und sie bezahlten mit speziellem Lagergeld. Der Salpeter musste mit Hammer und Meißel aus dem Fels geschlagen werden und mit Eselskarren durch die Wüste an die Küste transportiert werden, alles bei 40 Grad Hitze. Für uns unvorstellbar, dass so etwas ein Mensch überleben konnte. Erst 1907 hat es dann auch einen Aufstand der Arbeiter gegeben, er wurde vom chilenischen Militär beendet mit 1000 Toten, darunter auch Frauen und Kinder. In der Kirche hing noch ein Porträt vom Besitzer der Mine Sir Humberstone, der wegen seiner Verdienste in England geadelt wurde. Er soll übrigens niemals dort gewesen sein.
Die Alex fuhr weiter unter Motor, Richtung Norden nach Calle, dem Hafen von Lima. Unser technischer Inspektor Peter raufte sich sicher in Bremerhaven schon die Haare wegen unseres hohen Dieselverbrauchs. Prompt waren wir dann auch zwei Tage zu früh vor Calle. Nun ließ sich auch Kapitän Wagner erweichen, wir fuhren Richtung Westen und schon nach ein paar Stunden hatten wir Wind.
Einen angenehmen, gleichbleibenden Wind von vier Knoten Windgeschwindigkeit, und bei ca.200 Meter langer Dünung und strahlendem Sonnenschein stürzte sich die junge Crew geradezu in die Masten. Alle Segel wurden gesetzt, Halsen und Wenden wurden nach Stoppuhr gefahren, jede Wache wollte die schnellste sein, wir hatten ja kein Ziel. Die Küstenwache muss wohl gedacht haben, wir sind alle besoffen, wenn sie auf ihren Radarschirmen die Kreise und Zickzacks unserer Kurse verfolgte.
Aber alles hat ein Ende, auch die beiden wunderschönen Segeltage. Kurs Calle war wieder angesagt. Das Lotsenboot kam mit rauschender Bugwelle angebraust. Aber was war das? Es waren noch ca. zehn Männer an Bord, mit Schlips und Kragen, Aktentasche und sehr wichtiger Mine. Alle kletterten an Bord, muss ja wohl die halbe Hafenbehörde gewesen sein. Zoll, Immigration, Hafenbehörde und was weiß ich noch, machten es sich in der Blauen Lagune
(Kapitänssalon) gemütlich und wedelten mit irgendwelchen Papieren, sie mussten alle den Kapitän sprechen und alle auf einmal und alle sofort. Der war natürlich beim Einlaufen in den Hafen mit dem Lotsen an Deck, auch Steuermann Hugo war, weil er ja fließend Spanisch sprach, mit an Deck. So musste der dritte Steuermann Wolfgang versuchen, mit den Herren zu verhandeln. Aber das ging gar nicht, denn jeder Behörden-Vertreter war so wichtig, dass nur der Kapitän seine Papiere stempeln und unterschreiben konnte.
Zwei blonde Mädels aus Germany erfassten die Situation, zogen sich stramme T-Shirts und kurze Hosen an und servierten erst mal Kaffee, was sehr zur Ablenkung der Herren beitrug. Die waren nämlich alle auf einmal gekommen, weil sie sich kleine Geschenke in Form von Schnaps oder / und Zigaretten erhofften. Das konnten wir natürlich nicht bieten, wir waren ja ein Vereinsschiff und der Proviant wurde penibel abgerechnet. Die Korruption ist hier allgegenwärtig, beim Landgang wurden wir dreimal kontrolliert, da half es schon sehr, wenn man eine offene Schachtel Zigaretten in der Hand hatte und diese großzügig verteilte.
Wir wurden vom Lotsen in den Industrie-Hafen dirigiert, an eine, wie es schien schneeweiße Pier, beim Näherkommen flogen dann aber hunderte von Möwen auf und nur noch ihre Hinterlassenschaft blieb liegen. Die Pier war also so vollgeschissen, dass man keinen Schritt an Land gehen konnte und die Hafenbehörde machte auch keine Anstalten, sie zu säubern.
Das änderte sich aber ganz schnell, als der Deutsche Botschafter aus Lima den Wunsch äußerte, bei uns an Bord eine Party zu feiern. Die Pier wurde gereinigt, abgesperrt und eine Wachmannschaft zog auf. Am nächsten Tag war es dann so weit, auf ausdrücklichen Wunsch des Botschafters unter Beteiligung der gesamten Besatzung. Zwei Lastwagen fuhren vor, an Deck wurde eine Bar aufgebaut und in der Messe machte sich eine Cateringmannschaft breit. Wir von der Mannschaft brauchten keinen Finger zu rühren. Bei Sonnenuntergang fuhren dann die großen Limousinen vor.
Der Botschafter und seine Frau brachten noch etwa 50 Gäste mit, darunter auch die Attachés der Bundeswehr von Marine, Luftwaffe und Heer. Es kam schnell eine lockere Stimmung auf und die Damen fanden alles sehr reizend und entzückend
. Auf meine Frage an den Marine Attaché, was denn die wichtigste Voraussetzung für den Posten ist, sagte er: Eine gesunde Leber
.
Die Feier der Mannschaft ging noch bis zum Morgen, wir wollten ja dem Service-Personal nicht zumuten, die letzten vollen Flaschen an Land bringen zu müssen. Zum Abschluss der schönen Reise gönnte ich mir dann ein Business-Ticket für den langen Flug nach Hamburg.