Seefahrtszeiten …
Kapitel VIII
Zwischen Archangelsk und Oran
Leinen los nach Archangelsk. Archangelsk liegt an der Ostseite des Weißen Meeres und der weit verzweigten Mündung der Dwina. Aber erst einmal fuhren wir bei Bergen in Norwegen in die Fjorde, da ein starker Nordwest Wind den alten Kasten ordentlich durchschüttelte und wir mit unserer Spitzengeschwindigkeit von sieben Knoten sowieso nicht gegenan kamen.
Welche traumhafte Landschaft und das noch zur Mittsommer Zeit! Zu beiden Seiten riesige Berge, am Wasser kleine Gehöfte oder Siedlungen wie hingemalt, die nur mit dem Schiff zu erreichen waren. Alle Augenblick ein Wasserfall von großer Höhe, darüber noch weiße Schneekuppen vom letzten Winter. Die Sonne machte gerade mal einen Bogen bis hinter die Baumwipfel, dann ging sie schon wieder hoch, so dass man um Mitternacht an Deck noch Zeitung lesen konnte. Je weiter wir nach Norden kamen, desto unwirtlicher wurde die Landschaft. Kleine Ansiedlungen mit knallig roten, blauen oder gelben Farben angestrichene Häuser auf kargen Inseln waren alle paar Stunden zu sehen. Wie mochte es hier wohl im Winter aussehen? Was hielt die Menschen hier und wovon lebten sie, waren Fragen die mir durch den Kopf gingen.
Bis zum Nordkap fuhren wir immer weiter durch die Fjorde oder hinter Inseln geschützt bis in die Barentssee. Auf Südostkurs in die Weiße See bei ruhigem Wetter näherten wir uns langsam Archangelsk.
Da wir Schnittholz laden sollten, machten wir an der Pier an einer der 26 Holzmühlen fest. Die Holzmühlen waren im Flussdelta angesiedelte selbstständige Einheiten. Im Zentrum stand das Sägewerk, in dem die in riesigen Flößen angeschwemmten Baumstämme zu Brettern zersägt wurden. Rundherum gab es die eingeschossigen Häuser für die Arbeiter, ein Gemeinschaftshaus und einen Konsum. Alles aus Holz! Sogar die Straßen dazwischen waren aus Holz. In dem Konsum gab es alles, was es denn zu kaufen gab. Hier hatten wir dann die sowjetische Planwirtschaft in natura! Mal gab es Töpfe, aber keine Deckel dazu, die gab es vielleicht in einem halben Jahr, mal gab es Pflaumen, aber in solchen Mengen, dass die im Geschäft verschimmelten und vor die Tür geworfen wurden. Grundnahrungsmittel wie Mehl, Zucker, Honig und Mais waren aber immer vorhanden.
Für uns war das oberste Regal am interessantesten. Hier standen von einem bis zum anderen Ende angestaubte Flaschen mit echtem Krimsekt. Die gab es für ein paar Kopeken zu kaufen, für die Russen uninteressant, die warteten lieber auf ihren Wodka. Den gab es allerdings nur alle 14 Tage und auch nicht im Konsum, es gab hierfür extra kleine Buden, in denen nur der Wodka verkauft wurde. Wenn wieder eine Ladung Wodka eingetroffen war, dann blieben die Sägewerke auch zwei bis drei Tage geschlossen. Es war sowieso keiner zum Arbeiten in der Lage.
Also her mit dem Krimsekt, lustig war es schon, wenn die Verkäuferin den Preis für unsere Einkäufe mit einem kleinen Holzgestell, an dem bunte Kugeln waren, ausrechnete. Das ging schneller, als wir es in einen Taschenrechner eingeben konnten.
Draußen vor dem Konsum gab es eine große Sandkiste für Erwachsene, nur hier durfte man Rauchen, die Füße nach drinnen und nur hier konnten wir den Sekt trinken an Bord durften wir nichts bringen, das wurde von einer uralten Mamuschka ohne Zähne, die an der Gangway mit einem rostigen Revolver Wache stand, genau kontrolliert. Aber den Landgangausweis konnte man ihr schon mal verkehrt herum zeigen, ohne dass es beanstandet wurde. Mamutschka war immer fröhlich und winkte uns immer nach, soweit sie sehen konnte. Wenn sie dann noch eine Tasse Kaffee von Bord bekam, musste man sich schnell in Sicherheit vor ihren Umarmungen bringen.
Überhaupt haben mich die Fröhlichkeit und der Fleiß der Menschen sehr beeindruckt. Es gab jeden Abend auf einer der Holzmühlen eine Tanzveranstaltung, zu der man mit einer Fähre fahren konnte. In dem Gemeinschaftshaus, das zu jeder Mühle gehörte, war ein größerer Raum, in dem getanzt wurde, brav die Mädchen auf der einen Seite, die Jungen auf der anderen. Die Mädchen blieben sitzen, bis sie mit einem leichten Diener aufgefordert wurden. Zu trinken gab es nur ein wässeriges Bier, das in einem Nebenraum ausgeschenkt wurde. Keiner war betrunken aber alle fröhlich, es wurde mitgesungen und es blieb kein Mädchen sitzen. Nur ich wurde einmal auf der Tanzfläche stehen gelassen. Hatte ich mir doch die Schönste im ganzen Saal ausgesucht. Groß und schlank, schwarze, lange Haare, eine faltenlos gebügelte, knallrote Bluse, dazu einen engen, schwarzen Rock mit blitzblank geputzten Lederstiefeln und deutsch sprach sie auch noch. Sie hat mich dann auch gleich in ein Gespräch verwickelt. Nach dem üblichen woher und wohin die Reise geht und ein paar Runden auf dem Tanzboden kam dann die Frage: Ost- oder Westdeutschland
. Ich hatte die Antwort noch gar nicht zu Ende, da stand ich schon alleine in weiter Runde.
Um 23:00 Uhr war immer Schluss mit den Veranstaltungen, hatten doch die jungen Männer und Frauen anstrengende Tage. Sie mussten entweder vormittags arbeiten und nachmittags zur Schule oder umgekehrt. Dadurch, dass die höheren Schulen in der Stadt Archangelsk waren, hatten sie immer einen zehn bis zwölf Stunden Tag. In Archangelsk gab es für uns Seeleute einen Intourist-Club, hier gab es Filme, Karten fürs Theater, Sportgeräte und eine Bar. Für uns war alles frei auch die Getränke, betreut wurden wir von Studenten in allen Sprachen der Welt. Wer es wünschte, wurde von Bord abgeholt und zurück gebracht. Hier hatte ich auch ein interessantes Gespräch mit einem angehenden Forstwirt. Er war verheiratet und hatte zwei Kinder, der Staat hat ihm, solange er studierte, eine Wohnung und ein Gehalt zur Verfügung gestellt, zwei Kindergartenplätze und Arbeit für seine Frau. Dafür musste er sich verpflichten, nach dem Studium drei Jahre dahin zu gehen, wo der Staat ihn brauchte.
An Bord war die Arbeit nicht weniger geworden. Da wir das Holz mit eigenen Ladebäumen an Bord bringen mussten, begann der Dienst schon um 5:00 Uhr morgens, dann musste der Dampfdruck für die Winschen an Deck hochgefahren werden. Um 6:00 Uhr begann das Laden. Von den sechs Dampfwinschen waren immer eine oder zwei defekt. Außerdem musste ein Mann abgestellt werden, der die Winschen ständig mit Zylinderöl abschmierte.
In Hamburg hatten wir den unteren Teil der Hauptmaschinen überholt. Jetzt war der obere Teil dran. Kipphebel ausbuchsen, Ventilfedern erneuern und endloses Einschleifen der Ventile, Ersatzteile gab es nur sehr wenige, die meisten Teile mussten wir selber anfertigen. Dafür gab es eine Drehbank, ein Schäpping und Schweißgeräte, natürlich auch alt und ausgeschlagen.
Waren auf der Augustenburg
noch zehn bis zwölf Stunden Arbeitszeit normal, arbeiteten wir auf der Emil Berger
zwölf bis 14 Stunden. Die Winschen mussten zum Beispiel in der Nacht repariert werden, damit sie morgens zum Ladebetrieb wieder einsatzbereit waren. Mit vier Metern Schnittholz an Deck und einem recht mulmigen Gefühl, wenn der Schrotthaufen sich aufschaukelte, fuhren wir zurück nach Hamburg. Bei Holzmüller
wurde gelöscht. Warum ich nicht abgemustert habe, weiß ich bis heute nicht. Wahrscheinlich saß mir der Schock nach der Schiffssuche noch in den Knochen, oder es waren die fantastischen Eindrücke der Fahrten durch die Norwegischen Fjorde. Jedenfalls machte ich die beiden nächsten Reisen nach Archangelsk wieder mit.
Danach hatten wir Order nach Oran in Algerien. Dort sollten wir Heu laden und nach Edinburgh in England bringen. Nun war das natürlich kein einfaches Heu, sondern getrocknetes algerisches Steppengras. Das war der Rohstoff für die Papierherstellung für die englischen Geldscheine. In Algerien tobte zu der Zeit der Befreiungskrieg der Algerier gegen die Kolonialmacht Frankreich. Der Hafen war abgesperrt, sodass wir nur durch ein schwer bewachtes Tor in die Stadt konnten und das auch nur über Tage, bei Einbruch der Dunkelheit wurde das Tor geschlossen. Oran hatte eine sehr interessante Altstadt, hier trifft sich das arabische Nordafrika mit der eleganten französischen Lebensart. Stundenlang konnte ich in einem der zahlreichen Straßencafés sitzen und dem bunten Treiben zusehen. Elegante, junge Französinnen, wie ich sie in ganz Frankreich nicht gesehen habe, stolzierten den Boulevard rauf und runter, den Kinderwagen schoben farbige Nannis nebenher. Dazwischen eine bunte Mischung von muslimischen Bettlern mit langen, weißen Bärten bis zu stolzen Arabern in ihrer Stammestracht. Jedes zehnte Fahrzeug war eine Esel- oder Kamelkarre. Aber jedes fünfte Fahrzeug war ein Militärauto mit aufmontiertem Maschinengewehr. Recht nachdenklich hat uns der Anblick der Schlachterstraße gemacht. Hier gab es ganze Straßenzüge nur mit Schlachtern, oder Straßen, in denen nur Schneider oder Schuster ihre Dienste anboten. Es waren kleine, ungefähr 20 Quadratmeter große Läden, nach vorne vollkommen offen. In der Schlachterstraße war jedes zweite Geschäft ganz sauber herausgesprengt, und zwar so geschickt, dass im Nebengeschäft nicht eine Kachel von der Wand gefallen war.
Dann an einem Sonntagnachmittag war ich mit zwei Kollegen an Land gegangen. Mitten auf einer belebten Straße knallte es plötzlich hinter uns mehrere Male. Ich dachte eher an Silvesterknaller, aber als wir uns umdrehten, sahen wir einen Mann am Boden liegen. Mensch — das waren Schüsse! Nichts wie weg hier. Rechts ging es Treppen hinauf in die Altstadt, die wir hoch rannten, aber was war hier los? Kein Mensch auf der Straße, in den Torbögen und Hauseingängen konnten wir ängstliche Muselmanen stehen sehen, da kam auch schon ein Jeep mit französischen Fremdenlegionären angebraust. Heraus sprang ein etwas älterer Unteroffizier und herrschte uns im reinsten Deutsch an. Was wollt ihr denn hier, los jetzt langsam die Straße runter, schön in der Mitte der Straße gehen und laut auf Deutsch unterhalten, bis ihr an den Kessel kommt
. Und tatsächlich, innerhalb von 20 Minuten war das ganze Viertel vom Militär eingekesselt. Das war's mit Landgang, uns war die Neugier vergangen, aber nun würden wir ja auch bald auslaufen.
Sechs Meter Heu als Deckslast, fest verzurrt mit extra angeschafften Ketten, Leitern für den Moses, der arme Kerl musste ja das Essen für die Nautiker dreimal am Tag von der Kombüse im Achterschiff über den Heuhaufen zur Brücke bringen. Herrlichstes Mittelmeer-Wetter, strahlender Sonnenschein, leicht bewegte See und doch, irgendwas war anders. Das Schiff bekam ganz langsam Schlagseite, jede Wache ein bisschen mehr. Die Decksladung hatte sich verschoben und saugte sich auf Steuerbord voll Wasser. Wir näherten uns Gibraltar und hatten schon zehn Grad Schlagseite. Der Alte
wollte doch wohl nicht mit dem Kahn in die Biskaya? Irgendeiner hatte ein Radio, das lief nun auf der Deutschen Welle Tag und Nacht. Bei jedem Wetterbericht wurden die Gesichter besorgter, herrschten doch in der Biskaya und in der Nordsee Sturm. Die Matrosen, die nach ihrer Wache von der Brücke kamen, wurden bestürmt, was denn nun mit Kursänderung und Nothafen ist. Sie konnten aber nur berichten, dass auf der Brücke eine eisige Stimmung herrschte, keiner sprach mit dem anderen. Also quälten wir uns mit unseren sieben Knoten Höchstgeschwindigkeit gegen fünf Knoten Stromgeschwindigkeit durch die Straße von Gibraltar.
Entweder hat die Durchfahrt so lange gedauert oder an Bord hat einer seine Sünden bereut und gebetet, oder der liebe Gott hatte Mitleid mit uns, jedenfalls hat keiner dem Alten
zugetraut, dass er das Wetter vorausgesehen hat. In der Biskaya war es bis auf ein bisschen Dünung ruhig! Das Wetter hielt sogar bis in die Nordsee, aber die Schlagseite nahm immer noch zu. Mit allen Tricks und Umpumpen der Ballasttanks erreichten wir mit 15 Grad Schlagseite Edinburgh.
Von der Pier aus wurden mit einer drei Meter langen Brennerlanze die Ketten durchgebrannt. Dabei rutschten natürlich dutzende Heuballen in den Hafen. Die mussten wir nun mit unserem Rettungsboot wieder einsammeln und an die Pier schleppen, wo sie zum Trocknen gelagert wurden. Jeder einzelne Heuballen, der von Bord kam, wurde nämlich von vier Männern des königlichen Eichamtes gewogen. In einer Art Uniform, ziemlich verschlissen, aber mit Schlips. Mit einer Art Waage, mit der bei uns die Kartoffelsäcke gewogen wurden und Eisengewichten, wurde peinlich genau jeder Ballen in endlose Listen eingetragen. Nun war es natürlich nicht so, dass die vier Männer vom Eichamt die Ballen anfassten, hierfür waren noch mal vier Männer abgestellt. Alle mit dreckigem Hemd und Hose aber mit Schlips. Das konnte dauern! Und es dauerte. Schon am zweiten Tag hatte der Wind gedreht, sodass dem Kranführer die Abgase aus unserem Schornstein in die Kabine wehten. Der Kranführer verlangte, dass das Schiff gedreht wird. Unser Kapitän lehnte das nach deutscher Art natürlich ab. Soll sich nicht so anstellen, dann könnten wir ja jeden Tag das Schiff hin und her drehen
. Er hatte nur nicht mit der Solidarität der englischen Arbeiter gerechnet. Die stellten nämlich sofort die Löscharbeiten ein.
Also Schiff drehen. Der Alte war nun wohl so aufgeregt oder wütend, dass er bei dem Manöver gleichzeitig mit der Ankerwinsch nach vorne verholen ließ und mit der Maschine rückwärts. Jedenfalls wurde bei dem Manöver ein Poller aus dem Deck gerissen. Das war bei bestem Willen nicht mit Bordmitteln zu reparieren. So lernten wir aber voller Verwunderung die Arbeitsweise britischer Handwerker kennen. Für jeden Arbeitsgang gab es zwei Männer, zwei Brenner, zwei Schweißer, zwei Transporteure, zwei Maler. Die ganze Zeit, zwei Tage, standen alle acht Männer an der Reparaturstelle. Aber alle mit Schlips!
Edinburgh ist mir überhaupt als sehr veraltete und schmutzige Stadt in Erinnerung. In den Fabrikhallen standen noch Drehbänke und Fräsmaschinen mit Transmissionsriemen. Im Ort viele kleine Reihenhäuser mit Vorgärten, aber in kaum einem Vorgarten gab es Blumen oder gepflegten Rasen. Wenn man in die Fenster sehen konnte, sah man die nackten Glühbirnen an der Decke. Dafür gab es an jeder Straßenkreuzung einen Fisch&Chips-Laden. Matschige Pommes mit zerbröseltem, fettigem Fisch in einer aus Zeitungspapier gedrehten Tüte. Bei den Tanzveranstaltungen, Vorläufer von Diskotheken, in schmucklosen, dreckigen Sälen waren die meisten Mädchen recht ungepflegt, mit Laufmaschen an den Strümpfen und zotteligen Haaren. Nein, hier wollte ich nicht begraben werden, wie man so sagt. Hier zog mich nichts an Land, und das bei einer Liegezeit von vier Wochen. Wie sagt Kuddel Daddeldu
so schön: Seemann, was willst du an Land wohl gehen, kannst das Land vom Schiff doch sehen.
Nachdem der letzte Heuballen gewogen war, sollte es nun nach Wismar (damals DDR) gehen. Endlich die Gelegenheit zum Abmustern. Der kürzeste Weg nach Wismar führte durch den Nord-Ostsee-Kanal und abmustern konnte man nur in einem Hafen der Bundesrepublik Deutschland mit zwölfstündiger vorheriger Kündigung. In der Deutschen Bucht übergaben wir dann auch mit 14 Leuten der Schiffsleitung unsere Kündigungen. Mit einem Mal konnte der Alte plötzlich den Kurs ändern. Das Schlitzohr fuhr einfach mit uns um Skagen in die Ostsee und Wismar war rechtlich Ausland für uns. Nichts war es mit Abmustern, weiter auf dem Schrottkahn.
Es war inzwischen Weihnachtszeit. Einsam lagen wir, bewacht von zwei Soldaten mit Maschinenpistolen an der Gangway, in Wismars Hafen. Der Kapitän, der Chief und ein Drittel der Besatzung waren nach Hause gefahren. Natürlich hatte keiner von denen, die ihre Kündigung geschrieben hatten, Urlaub bekommen. Der erste Offizier hatte das Kommando. Seine Frau war nach Wismar gekommen, sodass wir uns mit 17 Leuten am Heiligabend in der Mannschaftsmesse zum Essen versammelten. Der Koch hatte wunderbare Puten gebraten, mit Rotkohl und bayrischen Semmelknödeln. Die Schiffsleitung hatte, oh Wunder, Rotweinpunsch spendiert. Leider hat keiner die Messe etwas weihnachtlich geschmückt und die meisten hielten es nicht einmal für nötig, sich etwas Nettes anzuziehen. Der erste Offizier verkündete die Grüße der Reederei und bevor das Essen los ging, stand seine Frau auf und sang ein Weihnachtslied. Wie sie so dastand in ihrem wunderschönen Kleid, mit langen blonden Haaren und leise sang, muss sie einigen von den hartgesottenen Janmaaten wie ein Engel erschienen sein. Jedenfalls dem alten Fischdampfermatrosen, der nie ein Wort sprach, immer gleich die Hand am Messer hatte, wenn jemand eine Bemerkung über ihn machte. Der verkrüppelte und zerstochene Hände hatte und aus Sicherheitsgründen in einer Einzelkammer wohnte, dem liefen die Tränen runter. Mit unserm Essen sollte es nicht lange dauern, mittendrin stürzte die Deckwache herein. Feuer in der Maschine
! Aus dem Kesselraum quollen schwarze Wolken. Das Feuer war unter den Flurplatten im Windkanal ausgebrochen, der ganze Kanal glühte schon. Mit Feueraxt und Schaumlöscher konnten wir die Flammen oberflächlich löschen, aber nun wurde auch sichtbar, dass der Kanal voller alter Teer- und Ölrückstände war. Der war Monate oder Jahre nicht gereinigt worden. Das war unsere Weihnachtsbescherung in Wismar.
Nachdem wir mit 2.200 Tonnen Weizen beladen waren, sollte es damit nach Frankreich gehen. Würde der Alte wieder um Skagen fahren? Nein, uns kamen die marode Technik und das Wetter zur Hilfe. Kurz nach dem Auslaufen riss einer der Maschinenanker, das sind ungefähr zehn Zentimeter dicke Stahlstangen, die den oberen Teil der Maschine mit dem Fundament zusammenhalten. Der Zylinder sprang nun bei jeder Umdrehung einige Millimeter hoch. Um zu verhindern, dass weitere Maschinenanker reißen, haben wir aus den Flurplatten Laschen gebaut, die rechts und links mit den Zylinderdeckeln der anderen Zylinder verschraubt wurde. Die Laschen waren allerdings alle sechs Stunden so durchgewalkt, dass wir Tag und Nacht neue Laschen fertigen mussten. Außerdem war das Wetter schlecht, wir mussten also durch den Nord-Ostsee-Kanal. Endlich konnten wir abmustern, allerdings erst in Brunsbüttel, wegen der Kündigungszeit. In der Schleuse in Kiel hatten wir dann noch ein Erlebnis der besonderen Art. In der Bildzeitung stand genau an dem Tag eine riesige Schlagzeile: Hungersnot in der DDR
. Wie konnte das angehen, wir kamen doch direkt aus Wismar und hatten 2.200 Tonnen Weizen an Bord für Frankreich? In Brunsbüttel gab es dann noch mal richtig Ärger. Der Alte hatte unsere Seefahrtsbücher auch fertig gemacht, aber in jedes Buch nur einen 50 D-Mark-Schein gelegt. Das reichte für den Schweizer Kollegen nicht mal für die Fahrkarte nach Hause. Außerdem hatten wir alle durch die vielen Überstunden mehrere Hundert Mark auf dem Konto. Der Koch, der schon etwas älter war und ebenfalls abmusterte sprang noch in der Schleuse an Land und holte die Wasserschutzpolizei. Nun sah ich unseren Kapitän das erste Mal. Ein etwa 70 Jahre alter Ostpreuße wie er im Bilderbuch steht. Mit dickem Schädel, grauem Bart und stur wie ein Panzer. Angeblich hatte er nicht mehr Geld an Bord. Nachdem die Polizei ihm dann klar gemacht hatte, dass sie das Schiff an die Kette legen würde, bis er das Geld für uns besorgt hat, gab es mit einen Mal ein Sesam-öffne-dich
und für jeden waren ein paar Hunderter vorhanden.
Trübe wie der Raum sind die Gedanken,
Nur die Flammen schlagen glutend ins Gesicht.
Männer, die ein Leben lang in stumpfes Grau versanken
dienen unablässig einer harten Pflicht.
Fragst du sie: Wer wird es euch einst danken?
Sagen spöttisch sie, mit Bitterkeit und Feindschaft:
Jene, für die wir uns quälen — tun es sicher nicht!
Karl Helbig