Seefahrtszeiten …
Kapitel IX
World Explorer
Meine Eltern waren inzwischen geschieden und meine Mutter war mit meiner Schwester und meinem Bruder nach Friedrichsgabe, nördlich von Hamburg, umgezogen. Hier verbrachte ich meinen nächsten Urlaub. Es war zwar nur ein kleines Dorf, aber sehr interessant, besonders die roten Stiefel fielen mir auf. Aber dazu später mehr. Wieder achtete ich nicht auf das Ende meines Urlaubs, bis eines Tages der Briefträger mit einem Einschreiben von der Bundeswehr vor der Tür stand. Ich war zwar gemustert, aber als Seemann von der Wehrpflicht befreit, solange ich fuhr. Im Kriegsfall würden die Seeleute nämlich sowieso der Marine unterstellt. Wenn ich nun das Einschreiben annahm, durfte ich keinen neuen Heuervertrag mehr abschließen, sonst war ich fahnenflüchtig. Da ich den Postboten schon kannte, vereinbarten wir, dass er niemand angetroffen habe und er Montag wiederkommt.
Nun aber wieder los, es war Samstag und die meisten Reedereien hatten geschlossen. Im Ballinhaus an der Alster, oben im Dachgeschoß gab es ein kleines Büro, hier wurden Nautiker und Maschinisten für die griechische Reederei Niarchos eingestellt. Ich bekam auch sofort einen Vorschuss und eine Fahrkarte nach Rotterdam, nachdem ich einen Neun-Monats-Vertrag unterschrieben hatte. Der Vertrag wurde sogar um eine Woche zurückdatiert, die kannten das Problem mit der Bundeswehr. Dank eines großzügigen Vorschusses der Heuerstelle in Hamburg konnte ich mir in Rotterdam sogar ein Taxi zum Hafen leisten. An einer einsamen, abgelegenen Pier lag mein neues Schiff, World Explorer
. Kein Haus, kein Baum, keine Telefonzelle weit und breit. Wollte ich mich doch noch mal von einem süßen kleinen Mädchen in Friedrichsgabe verabschieden. Ein riesiges, nagelneues Schiff lag an der Pier. 12700 BRT., einer der größten Massengutfrachter seiner Zeit. Schwarzer Rumpf weiße Aufbauten, alles achtern mit einer gewaltigen sogenannten Fliegerbrücke. Fliegerbrücke, weil an den schlanken Aufbauten an jeder Seite ein Deck angebaut war, das bis zur Schiffs-Außenkante reichte und von dem aus beim An- und Ablegen navigiert wurde. Was bei einer Schiffsbreite von 30 Metern auch erforderlich war. Wie ich erst im Laufe der Zeit erfuhr, war das Schiff schon 1962 eine globale Zusammenarbeit. Gebaut wurde es in Korea, der Eigentümer Niarchos war Grieche, die Reederei war in London, der Heimathafen war Monrovia, die Heuerstelle für Offiziere war in Deutschland. Außerdem muss die NATO noch Gelder gegeben haben, denn die Laderäume waren so ausgestattet, dass wir das Schiff innerhalb einiger Stunden für den Transport von Panzern umbauen konnten. Was auch bei der Kuba-Krise 1962 beinahe erfolgt wäre. Außerdem war das Deck auf der Back (Vorschiff) ungewöhnlich verstärkt, wahrscheinlich zur Aufnahme eines Geschützes. Für uns ergab sich eine spannende und vielleicht lebensgefährliche Situation. Da im Kriegsfall die Schiffe und Besatzungen der Handelsschiffe der jeweiligen Kriegsmarine unterstellt werden, ergab sich die Frage: Sind wir dann liberianische Soldaten (eine Kriegsmarine hatte Liberia noch nicht) weil das Schiff in Liberia registriert ist? Oder waren wir dann der Griechischen Marine unterstellt, weil der Schiffseigner Grieche war? Auch die Britische Marine kam ja in Frage, da die Reederei ihren Sitz in London hatte. Oder doch der deutschen Marine, da wir ja Deutsche waren? Jedenfalls fuhren wir vier Tage lang ganz langsam vor der Küste von New Port News auf und ab. Dann hatte sich die Lage entspannt und unsere Befürchtungen zum Glück erledigt.
Die Decksbesatzung bestand aus Russen, Polen und Ukrainern. Alles gute Seeleute, aber sie sprachen kaum Englisch und blieben meistens unter sich. Da alle Besatzungsmitglieder Neun-Monats-Verträge hatten, kam ein Gemeinschafts-Leben sowieso nicht zustande, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. In unseren Verträgen war eine Klausel, dass die Reederei uns nach Belieben, innerhalb der 9 Monate auf jedes Schiff der Kompanie versetzen konnte. Hier war nichts mehr mit dem Spruch: Mein Schiff ist mein Zuhause und die Besatzung meine Familie. Nun aber den Seesack geschultert (wie altmodisch war ich, die Anderen hatten alle moderne Koffer mit Rollen) und an Bord. Keine Gangwaywache, kein Mensch an Deck, selbst in den Aufbauten war kein Mensch anzutreffen. In der Messe saß dann jemand und hat gelesen. Die Maschinisten-Kammern sind an Backbord-Seite — musst mal sehen wo frei ist, da ziehst du einfach ein
bekam ich als Auskunft und in der Maschine ist einer, der hat schon nach dir gefragt
schob er noch hinterher. Die Kabine war traumhaft, 16 qm, alles in hellem Holz, Bett, Sofa, Schreibtisch, eigene Dusche und Toilette. So was hatte ich ja noch nie gesehen und alles neu. Wenn der Kollege schon nach mir gefragt hat, musste ich ja wohl erst mal in die Maschine. Was für ein Anblick, der Maschinenraum hatte die Ausmaße einer Kathedrale. Alleine die Hauptmaschine hatte eine Höhe von 4 Stockwerken. Es war ein 5 Zylinder Schwerölmotor mit Turboaufladung von der Schweizer Firma Sulzer, gefahren mit Masut, einer Mischung eben vor Teer, das musste vor dem Einspritzen auf 80 Grad Celsius erhitzt werden. Entsprechend gab es einen Dampfkessel und drei Hilfsdiesel mit Drehstrom-generatoren von je 400 PS. Die Hauptmaschine hatte 18.000 PS und gab dem Schiff eine Geschwindigkeit von 16 Knoten. Na endlich
wurde ich von einem jungen Kollegen begrüßt. Du bist ja befahren, dann mach dich man erst mal mit der Anlage vertraut
war die ganze Einweisung. Ich stehe schon 10 Stunden hier
sprach's und verschwand. Die Anlage war natürlich faszinierend, alles neu, alles in Farbe, die Rohre in unterschiedlichen Farben, je nach Verwendung. Sogar eine Anlage zum Erzeugen von Frischwasser aus Seewasser gab es hier. So gegen Mitternacht, ich stand am Maschinenpult und wenn ich schon nicht telefonieren konnte, wollte ich wenigstens einen Brief nach Hause schreiben, hörte ich von oben Getöse. Auf den steilen Maschinentreppen kam ein kleines Männchen herunter geturnt. In Jeans, das Hemd aus der Hose, stolperte er mehr als er ging die Treppen runter. Ich flitzte ihm entgegen Hallo, was wollen sie hier
war meine Frage. Ich, ich bin der Chief
war die Antwort. Na, das konnte ja eine heitere Fahrt werden. Am nächsten Morgen, ich war immer noch ohne Ablösung in der Maschine, kam dann so langsam die Besatzung zum Vorschein. Wir sollten mittags auslaufen.
Haarsträubend, was ich so nach und nach alles erfuhr, der zweite Ingenieur war gelernter Schlachter und hatte nie eine Ingenieurschule gesehen. Das ging folgendermaßen: Er hat als Reiniger bei der Kompanie angefangen, immer wenn eine nächst höhere Stelle zu besetzen war, rückte er auf. Schmierer, Storekeeper, Ingenieur-Assistent, spätesten jedoch nach 9 Monaten. Da er schon 6 Jahre für die Kompanie unter Liberia Flagge gefahren war, galt das in Liberia als langjährige technische Ausbildung. Er brauchte also nur sein Seefahrtbuch mit einem größeren Dollar-Schein zu pflastern und bekam in der Botschaft ein Patent für große Fahrt ausgestellt. Ein Deutscher Ingenieur brauchte hierfür dreieinhalb Jahre Lehre, zwei Jahre Assistenten-Fahrzeit, drei Jahre Studium und wieder zwei Jahre zum Ausfahren des Patentes. Wenn er Glück hatte, konnte er dann als 3. Ingenieur anfangen. Zum Glück kam ich zusammen mit einem jungen deutschen Ingenieur, frisch von der Schule, in eine Wache. Natürlich die 4-8 Wache, was normalerweise die zweite Wache war da hier alle technischen Abläufe für den Tag geplant und erledigt wurden. Mattis, (Name geändert) so hieß der 2., war schon ein Fuchs. Mattis ging lieber 8-!2 Wache. Aber alles war ja neu und außer der täglichen Routine gab es nichts zu tun. Auf allen Maschinen und Geräten war ja noch Garantie, sogar für die Wartung der Hilfsdiesel wurde ein Monteur eingeflogen. Er wurde im englischen Kanal mit einem Hubschrauber auf den Ladeluken abgesetzt und wenn wir in Rotterdam waren, hatte er seine Wartung fertig und fuhr mit dem Zug wieder nach Hause. Dazu fällt mir noch eine Begebenheit in der Messe ein. Irgendeiner am Tisch sagte etwas über Ihr Engländer
. Da stand der Monteur mit seiner imposanten Größe von 2 Metern auf, tippte sich an die Brust und sagte laut und deutlich I am Scotch
. Dafür, dass es wenig Arbeit gab, bekamen wir aber eine sehr gute Heuer nach deutschem Tarif, aber ohne Abzüge. Wir bezahlten keine Steuern, keine Arbeitslosenversicherung und keine Rentenversicherung, nur die Krankenkasse wurde abgezogen. Probleme hatten nur die Leute, die länger unter ausländischer Flagge fuhren, man durfte nämlich nur ein Jahr bei der Rentenversicherung aussetzen, sonst wurden die Jahre bei der Rente nicht angerechnet. Unser Kapitän soll so ein Fall gewesen sein. Er war schon 70 Jahre und musste immer noch fahren, ich habe ihn übrigens in 9 Monaten nicht ein einziges Mal gesehen. Er ist nach dem Krieg immer auf Ausländern gefahren und hat wohl auch sehr viel Geld verdient, jedenfalls ist er mit 65 in Rente gegangen und hat sich ein Haus gebaut. Ein guter Freund hat ihm geraten 7 B beim Finanzamt einzureichen, das war so eine staatliche Aufbauhilfe. Damit saß er in der Falle, entweder das Haus wieder verkaufen oder wieder fahren, um für 20 Jahre Steuern nachzuzahlen.
Die erste Reise ging nach Newport News in Virginia, hier sollten wir 12.000 Tonnen Kohlegranulat laden. Nach sieben Tagen über den Atlantik ging es den Jamos River aufwärts, vorbei an Hunderten von außer Dienst gestellten Kriegsschiffen aus dem Zweiten Weltkrieg. Vom schweren Kreuzer über U-Boote bis zu unzähligen Küstenschutz-Schiffen lag hier alles, was man sich an grauer Marine
vorstellen konnte. Unvorstellbare zwei Stunden fuhren wir nur an Kriegsschiffen vorbei, bis die Verladeanlage in Sicht kam. Hier wurde das Schiff auf recht ungewöhnliche Weise an der Pier festgemacht. Ohne Springs (Leinen die vom Vorschiff nach hinten an Land gehen und vom Achterschiff nach vorne) nur mit Vor- und Achterleine, die an Bord befestigt wurden und auf Winschen an Land belegt wurden. Die Verladeanlage bestand aus einem riesigen Trichter in ca. 30 Meter Höhe in den das Kohlegranulat aus Eisenbahnwaggons, die im Ganzen umgekippt wurden, geschüttet wurde. Vom Trichter ging es dann über in ein flexibles Rohr, ca. 2 Meter im Durchmesser, das in den Laderaum des Schiffes mündete. Gesteuert wurde das Ganze von einem einzigen Mann in einer Art Astronautenanzug mit Atemluftflaschen auf dem Rücken, der das ganze riesige Schiff mit den zwei Winschen an Land hin- und her bewegte, um eine gleichmäßige Verteilung der Ladung zu erreichen. Das Ganze erfolgte natürlich unter einer, alles durchdringenden Kohlen-Staubwolke. An Landgang war also gar nicht zu denken, im Gegenteil, alle Schotten (Türen) und Bullaugen (Fenster) wurden geschlossen. In der eigenen Kammer wurden die Schränke und Schubladen mit Tesafilm abgeklebt und trotzdem waren die Ränder der Hemden anschließend schwarz. Zum Glück dauerte die ganze Beladung mit 12700 Tonnen nur 30 Stunden. Da wir noch mehrere Male nach Newport News fuhren, wollte ich mit einem Kollegen doch mal an Land. Wir packten unser gutes Zeug in eine Plastiktüte, in Arbeitszeug mit Gasmaske und Handschuhen ging es bis zur Kantine der Anlage, hier haben wir uns dann umgezogen. Die Stadt ist mir als grau und eintönig in Erinnerung, aber wir wollten ja auch keine Stadtbesichtigung machen, sondern schön essen gehen und anschließend mal ins Kino. Ein Paar Bierchen sollten es auch noch werden. So gelangten wir in eine Trinkhalle, groß wie eine Turnhalle mit einfachen, schweren Holztischen und am Boden befestigten Bänken, proppenvoll mit Marinesoldaten. Wir suchten uns einen Platz in einer Ecke, die noch nicht in Bier schwamm. Nachdem wir so zirka eine halbe Stunde das Treiben beobachtet hatten, flogen die Türen auf und wohl ein Dutzend Militärpolizisten stürmten herein. Alles Zwei-Meter-Riesen, die meisten dunkelhäutig und mit Schlagstöcken, die sie in der Hand herumwirbelten, gingen sie durch die Reihen und knallten ihre Stöcke auf die Tische. Es war mucksmäuschenstill in der riesigen Halle. Die nüchternen Soldaten nahmen ihre Kameraden, die nicht mehr gerade sitzen konnten, in die Mitte. Aber es nützte nichts, alle, auf die der Sergeant mit seinem Stock zeigte, wurden von zwei Riesen nach draußen geschleift und auf Lastwagen geschmissen.
Das war mein erster und letzter Landgang in Newport News.
Wir fuhren immer von und nach Rotterdam, mal nach Newport News oder nach Vitoria in Brasilien. Auch aus Rotterdam gibt es einiges zu berichten! Ich fange mal mit dem Frisör an. Er hatte seinen Laden im Hafengebiet und war bekannt durch sein Haarwuchs-Wundermittel, das er für teures Geld verkaufte. Eines Abends traf ich ihn in einer Hafenbar und nach etlichen Bierchen und Genever wollte ich doch mal sehen, ob ich ihm nicht sein Haarwuchs-Wundermittel Rezept abluchsen könnte. Nach weiteren Genevern und Bier kam er dann auch tatsächlich ins Plaudern. Alles, alles Quatsch
sagte er, das meiste ist Wasser aus der Leitung, ein paar Aromastoffe und hochprozentiger Alkohol. Das Geheimnis ist der Beipackzettel, auf dem steht in allen gängigen Sprachen der Welt, man soll morgens und abends seine Haare mindestens 10 Minuten mit seinem Wundermittel einmassieren. Das Massieren der Kopfhaut ist das Geheimnis und nicht sein Wässerchen.
Dann war da noch der neue Chief. Paternoster-Müller genannt, weil ihm immer, wenn er Urlaub in Hamburg hatte, wohl bald langweilig wurde und er dann jeden Tag zur Reederei ging, die ja im obersten Stockwerk des Ballinhaus ihren Sitz hatte. In dem Haus war noch ein alter Paternoster in Betrieb und da hatte ihn jeder der Stammbesatzung schon mal getroffen. An Bord kam er mit zwei Koffern, einem großen und einem kleinen. Da er seine Koffer natürlich nicht selber an Bord trug, musste der Steward das übernehmen. Der riss sich bei dem großen Koffer beinah den Arm aus. Hinterher hatte er nichts Eiligeres zu erzählen alsdass der große voller Groschen-Krimis war und nur in dem kleinen Koffer sein Zeug. Mehrere Male kam auch seine Frau mit der ca. 20 jährigen Tochter nach Rotterdam. Vorgefahren in einem schicken, gelben VW Karmann-Ghia-Kabrio. Elegant in grauem Hosenanzug, die Tochter im leichten schicken Sommerkleid, so habe ich sie in Erinnerung, blieben sie aber immer nur ein paar Stunden, obwohl der Chief einen großen Salon mit extra Schlafzimmer und großzügigem Bad hatte. Ja, unser neuer Chief kam auch einmal die Woche in die Maschine natürlich mit vorheriger Anmeldung, damit Treppen und Handläufe noch mal gereinigt wurden. In Kaki-Uniform mit hellen Stulpenhandschuhen kletterte er die Treppen runter und sah sich mit unbeweglicher Mine um. Dann zog er seine Handschuhe aus und steckte sich eine dicke Zigarre an. Uns fiel der Unterkiefer runter, denn selbstverständlich war in der Maschine strengstes Rauchverbot. Irgendwas hat er dann ja wohl doch gemerkt, denn er fühlte sich gemüßigt, uns zu erklären, dass er der Chef ist und sowieso die Verantwortung habe, wenn es brennt?
Auch der zweite Ingenieur (Schlachter) war eine interessante Person. So um die 40 Jahre alt, eins achtzig groß, mit vollem dunklen Haar, sportlich und immer einen Spruch auf den Lippen, ein richtig netter Vorgesetzter. Mattis war zweimal (zur gleichen Zeit) verheiratet. Mit einer jungen eleganten Niederländerin, deren Eltern ein großes Hotel hatten, erschien er zu den Mahlzeiten in der Messe und stellte sie als seine Frau vor. Sie blieb auch immer die ganze Liegezeit an Bord. Mit der gleichen Lässigkeit stellte er auf der nächsten Reise seine Frau aus Kiel mit kleiner Tochter als seine Frau vor.