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Zweiter Weltkrieg, 1939 bis 1945

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Zweiter Weltkrieg, Flucht und Vertreibung, 1939 bis 1945
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Erinnerungen Kapitel 6

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  1. Wir Mädchen von der 11. Brigade
  2. Schulzeit im Kriegsjahr 1943
  3. Meine LBA-Zeit in Rößel
  4. Die Russen kommen …
  5. Zwangsarbeit in Sibirien
  6. Medizinische Versorgung im Lager 1083
  7. Politunterricht in Potanino
  8. Wenn die Lagermusi spielt
  9. Unvergessliche Weihnachten
  10. Schuldenträume
  11. Rückkehr in ein geteiltes Deutschland
  12. Mein neues Zuhause 1948

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Erinnerungen an Sibirien
Kapitel 6
Medizinische Versorgung im Lager 1083

Nun habe ich schon viele Kapitel meines Sibirienaufenthalts aufgeschrieben. Vielleicht ist es gar nicht aufgefallen, dass noch kein Bericht von der medizinischen Versorgung im Lager dabei war. Und doch gab es sie.

Zusammengetrieben wurden 1945 ja nicht nur gesunde Menschen in Ostpreußen, die wenigsten der Kranken konnten den Transport in Viehwaggons bis Sibirien überleben. Unterwegs starben in den überfüllten Waggons viele Menschen, die dann irgendwann herausgebracht wurden. Wir fragten uns, wo bringt man sie hin? Bekommen sie ein Grab wie daheim? Etwas anderes konnten wir uns nicht vorstellen. Erst nach vielen Jahren erfuhr ich aus sicherer Quelle, dass man die Leichen wie Kohlen in der Lokomotive verbrannt hat. Wie hat man da die richtige Kopfzahl des Transports dokumentieren können?

Nach dreiwöchiger Fahrt erreichten wir das für uns vorgesehene Lager 1083 Potanino im Südural. Junge Burschen von der Komsomol begleiteten uns vom Bahnhof ins Lager mit aufgepflanztem Seitengewehr. In jede Baracke kamen abgezählt 150 Frauen. Wir nahmen nun Besitz von den einstöckigen Doppelpritschen aus Holz. Kein Strohsack, keine Matratze, keine Decke – nichts! Wo waren wir hier eigentlich? Fremder konnte man sich wohl nirgends fühlen.

Nach zehn Tagen mussten wir das erste Mal in den Sawod, um Ziegel zu verladen. Der Weg dorthin war inzwischen recht matschig, denn im April taute auch dort so langsam alles auf. Wieder begleiteten uns die Burschen von der Komsomol mit aufgepflanztem Seitengewehr und einem für uns unverständlichen Geschrei. Und es regnete! Ich hatte einen alten Mantel, der immer schwerer wurde. Nur konnte man sich nirgends unterstellen, denn die Ziegel mussten auf die Waggons und die standen unter freiem Himmel. Ins Lager durften wir erst wieder, wenn alle Ziegel verladen waren.

Dann bekamen wir an der Küche unsere tägliche Kohlsuppe, in der wir dann meistens viele Fischgräten fanden. Dreimal spucken – einmal schlucken. Und wer hatte schon eine Schüssel oder ein anderes Behältnis, um sie zu empfangen? Es wurden leere amerikanische Dosen verteilt und dazu auch Holzlöffel. Die waren aber so groß, dass sie in keine Dose hineinpassten. Das Brot, das wir bekamen, war so nass, man konnte es wie Lehm zusammendrücken, außerdem schmeckte es sehr bitter. Es hieß‚ dass es mit Beifuß verarbeitet worden sei, zwecks Eindämmung des grassierenden Durchfalls. Aber wer konnte da schon gegen an. Viele Portionen verschwanden einfach in der Latrine.

Abends legte ich mich so wie ich war mit dem nassen schweren Mantel auf meine Pritsche und versuchte zu schlafen. Morgens war ich gleich einsatzbereit, denn Zähneputzen und Waschen war nicht an der Tagesordnung. Im November bekamen wir dann endlich einen Strohsack, ein mit Stroh gefülltes Kopfkissen und eine Decke aus Wattewolle. Wie waren wir auf einmal reich!

Weil der Krankenstand im Lager sehr hoch war, gab es drei Lazarette. In der Ambulanz praktizierte ein Volksdeutscher, Dr. Schiller. Die Ambulanzschwester Liesel war vom Roten Kreuz. Jeden Morgen war Ambulanzstunde. Mit entblößtem Oberkörper wurde Fieber gemessen, weil es immer wieder Leute gab‚ die ihre Temperatur zu ihren Gunsten zu manipulieren versuchten. Eine Krankschreibung erfolgte bereits bei 37,6 Grad Körpertemperatur. Zu diesem Zweck wurde ein Zettel für die Brigadierin ausgestellt.

Um der Vollzählungskontrolle am Lagertor der Brigade zu entsprechen, bekam die Rechnungsführerin den Zettel zum Abhaken auf ihr Holzbrett. Der Revierkranke konnte sich nicht nach Belieben ausruhen. Er musste auf dem Appellplatz meist stundenlang stehen, bei jedem Wetter, bis die Zählung der Insassen stimmte.

Der erste Transport aus dem Lager erfolgte bereits im Sommer 1945. Im Lager waren Kinder geboren worden, die mit ihren Müttern heimfahren durften. Damit die Arbeiten in der Ziegelei gewährleistet werden konnten, nachdem ungefähr die Hälfte der Frauen verstorben waren, füllte man unser Lager mit den Frauen aus dem Storchlager auf.

Es durfte auch in unserem Lager nicht nur so rumgewurschtelt werden, wie es den Herren vom Stab in den Sinn kam. Sie wurden auch überwacht und auch ausgewechselt, wenn es nötig war. Die Offiziere waren nicht freiwillig in einem Lager, wenn auch als Kommandeure. Nein, sie waren im gewissen Sinne auch Gefangene, denn sie hatten wohl alle was auf dem Kerbholz.

Einmal im Jahr gab es eine Generaluntersuchung, die von hohen Offizieren und Ärzten durchgeführt wurde, denen wir nur mit Schlüpfern bekleidet zur Fleischbeschau vorgestellt wurden. Man begutachtete den Allgemeinzustand, ob noch ein bisschen Speck auf den Rippen zu fühlen war. Hose runter, Durchfall jest hieß es, und dann wurde aufgeschrieben, in welche Arbeitsgruppe man eingestuft wurde. OK, 3L, 3C. Manch einer wurde danach in eine andere Brigade versetzt.
Nachdem die Delegation auch die Küche überprüft und festgestellt hatte, dass so viele Frauen unterernährt waren, gab es an dem Tag eine dickere Suppe und auch noch Hirsebrei. Aber wahrscheinlich hat man im Magazin festgestellt, dass nicht ausreichende Produkte vorhanden waren. Es sprach sich herum, dass die Lagerleitung schon bei Anlieferung der Produkte entsprechend viele verscheuerten und somit ihr wohl recht mageres Gehalt aufzubessern verstand.

In der Ambulanz wurden auch Schutzimpfungen gegen Malaria und Typhus vorgenommen. Bevor wir zur Arbeit gingen wurde geimpft. Man verhinderte dadurch eventuelle Krankschreibungen wegen Fieber oder so. Wir hatten Schmerzen, aber arbeiten mussten wir trotzdem. Die Injektionsnadel wurde erst bei jedem zehnten Patienten gewechselt, und es gab danach nicht wenige Abszesse. Auch ich bekam so ein Ding. Noch heute ist die Narbe zu sehen.

Einmal lag ich in Lazarett Eins. Damals dachte ich, es geht mit mir zu Ende. Bis heute weiß ich nicht, was mich so erwischt hatte. Mein Bauch war eingefallen, ich hatte keine Kraft, ein paar Schritte zu gehen, keine Meinung, mal von dem Weißbrot abzubeißen. Nur noch einmal nach Hause und dann sterben. Man hat schon eigenartige Gedanken, wenn man da so alleine liegt und denkt, und denkt.

Die Toten, die im Lager gestorben waren, wurden des Nachts abgeholt. Einmal musste ich des Nachts zur Latrine. Verschlafen wie ich war, erschrak ich mich sehr. Da fuhr ein Panjewagen auf der Lagerstraße beladen mit Leichen zum Ausgangstor, nicht gerade langsam.

Ich dachte da an meine Tante, die dort verstorben war, dass sie auch auf diese Art das Lager verlassen hat.


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  • Autorin: Hilde Heimerl, November 2016
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