Unterwegs als Kundendienst-Monteur
ich lerne Deutschland kennen
Mit dem Lieferwagen unterwegs
Nach der Einarbeitung kam ich zu einem Kollegen, mit dem ich die nächste Zeit auf einem Wagen durch die Lande fahren sollte. In den ersten Jahren mit einem Lieferwagen Ford Taunus Transit. Mein erster Kollege hieß Waldemar. Fleißig, gewissenhaft, zuverlässig, groß, stark und lustig. Wir haben uns gut verstanden. Samstagvormittag wurde der Wagen gewaschen und anhand der Aufträge für die kommende Woche beladen, die Abrechnung der vergangenen Woche erledigt und die Tour besprochen. Unser Gehalt war nicht gerade umwerfend, aber die Spesen, die wir bekamen, waren die besten, die man sich denken konnte. Die Übernachtungen wurden nach Rechnungsvorlage bezahlt, so hatten wir reichlich Geld. Das Gehalt konnte ich komplett sparen, die Spesengelder reichten für alle privaten Belange aus. Als Arbeitskleidung trugen wir graue Arbeitsmäntel. Freddy Quinn sang: Ich weiß noch, wie die erste Fahrt verlief
. Nein, daran erinnere ich mich nicht mehr.
Unser Ziel waren kleine Dorfschulen, große Gymnasien, Universitäten, Firmen und öffentliche Einrichtungen wie Ämter oder Kasernen, überall wo Schulungsräume waren. Zum Übernachten suchten wir uns möglichst kleine Hotels mit angeschlossener Metzgerei aus, dort war das Essen meist reichhaltig und preisgünstig. Aber die Suche nach solchen Unterkünften war nicht immer einfach. Da wir jeden Abend woanders waren und nie wussten, wo wir die Nacht verbringen werden, konnten wir auch keine Vorbestellung machen. Aber zu der Zeit gab es kaum Umgehungsstraßen, und so führte uns der Weg durch die schönen Ortschaften, wo wir nach Quartieren Ausschau halten konnten. Die bayrische Küche hat mir immer besonders gut geschmeckt. Zu der Zeit war ich noch dünn wie ein Hering zwischen den Augen, trotz vielen guten Essens und reichlich Trinken kam ich nicht auf 60 Kilo. Die Touren waren normalerweise für eine Woche zusammengestellt, aber wenn es weit nach Norden oder Süden ging, wurde eine Zwölftagetour daraus. Wir hielten es so, dass von Tag zu Tag abwechselnd einer von uns fuhr und der andere mit dem Shell-Atlas in Händen die Fahrstrecke aussuchte. Hatten wir dann ein Zimmer erwischt, haben wir uns gewaschen und umgezogen und sind zum Essen ins Restaurant gegangen. Im Nachhinein habe ich den Eindruck, dass zu der Zeit recht häufig Fußballspiele im Fernsehen übertragen wurden. Einmal in der Woche gönnten wir uns einen Kinobesuch.
Im tiefen Bayern saßen wir einmal nach getaner Arbeit beim Essen in der gemütlichen Wirtsstube, als etwa zehn urige Trachtler in den Gastraum kamen und sich an den langen Stammtisch setzten. Nachdem alle ihre Bierseidel vor sich und daraus einen ordentlichen Schluck genommen hatten, klopfte einer auf den Tisch und es wurde Mucksmäuschenstill. Dann fingen die Männer an, ihre Heimatlieder zu singen. Das empfand ich als so wunderschön, dass ich vor Ergriffenheit weinen musste. Als die Männer das bemerkten, forderten sie uns auf, zu ihnen an den Tisch zu kommen. Es wurden noch viele Lieder gesungen und munter gezecht.
Ein anderes Mal hatten wir in einer großen Heil- und Pflegeeinrichtung zu tun. Das ganze Areal mit vielen Häusern war von einer hohen Mauer umgeben und durch ein großes Tor zu erreichen, und dieses Tor stand Tag und Nacht offen. Wir wurden fröhlich von einigen Bewohnern begrüßt, die uns gleich ordentlich helfen wollten. Auf ihr Drängen bekamen dann einige ein Stück Holz in die Hand, das sie uns zu dem Haus tragen konnten, in dem wir zu tun hatten. Mit hinein durften sie aber nicht. In diesem Haus war eine größere Zahl von Contergankindern untergebracht, die hier auch ihre Schulräume hatten. Unsere Tafeln mussten hier so angebracht werden, dass sie sich fast bis zum Fußboden herunterschieben ließen, sodass unten noch etwas Luft war, damit sich keiner einklemmen konnte. Vor den Tafeln lagen Decken und Kissen, damit die Schüler sich gut darauflegen konnten, um dann mit den Fußzehen die Kreide zu nehmen, mit der sie an der Tafel schrieben. Während wir dort arbeiteten, machte der Lehrer mit seinem Unterricht weiter. Während er den Kindern Aufgaben stellte, rief er einen Jungen zu sich an seinen großen Lehrertisch, auf dem er, wie achtlos, ziemlich weit in der Mitte einen Brief gelegt hatte, den der Junge in das Büro bringen sollte. An dem Tisch musste sich der Schüler auf die Zehenspitzen stellen, um mit dem Kopf an den Brief zu gelangen, den er sich soweit an die Kante zog, dass er ihn mit den Händen erreichen konnte. Der Junge besaß aber keine Arme. Die durch Contergan verursachten Fehlbildungen der Gliedmaßen war einer der aufsehenerregendsten Arzneimittelskandale in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der 1960er Jahre.
Zum Feierabend fanden wir ganz in der Nähe eine Unterkunft. Dahin kamen ein paar Heimbewohner, um sehr schöne, selbst gefertigte Kunstgegenstände aus Holz und Keramik zu verkaufen. Uns bei unserer Arbeit zu helfen machte den Insassen des Gefängnisses in Werl, früher Zuchthaus, eine besondere Freude. Uns wurden drei Mann zugeteilt, die sich über die Abwechslung freuten. Wir brauchten hier keinen Handschlag zu machen, das erledigten die drei mit viel Geschick nach unseren Anweisungen. Der Schulungsraum befand sich im Dachgeschoss. Als wir mit den Helfern allein waren, zeigten sie uns, wie man ganz leicht von hier auf das Dach und von dort über eine Mauer nach draußen konnte. Aber da sie nach langjähriger Haft nun bald entlassen werden sollten, blieben sie lieber hier.
In Wiesbaden hatten wir in der Pathologie eines Krankenhauses, hier standen etliche Seziertische, rundum an den Wänden kleine Tafeln anzubringen. Anschließend waren wir noch im Fernsehstudio in Mainz, um ein Klassenzimmer auszustatten. Auf dem Flur sahen wir eine Bananenschale auf einer kleinen Säule liegen. Die uns begleitende Frau bemerkte unseren Blick und sagte, sie werde die Schale nicht wegnehmen, erst vor ein paar Tagen sei eine Putzfrau in einer ähnlichen Situation tätig gewesen und anschließend vom Requisiteur getadelt worden. Von dem zum Schulraum ausgestatteten Raum konnte ich in einen anderen Raum gehen und stand plötzlich auf dem flachen Teil eines Daches, aber nur zwei Schritte weiter begann schon die kurze Dachschräge und dann ging der Blick runter bis zur Straße und auf die gegenüberliegende Häuserzeile. Erst bei genauerem Hinsehen bemerkte ich , dass die große Höhe bis zur Straße nur etwa 50 Zentimeter betrug.
In dem Jahr bekamen wir neue größere Fahrzeuge, Mercedes, mit denen das Fahren noch mehr Freude machte. Bedingt durch Urlaube oder Krankheiten und sowieso, wechselte die Zusammensetzung der Kollegen gelegentlich, sodass jeder mit jedem gefahren ist. Außerdem musste ich jedes Jahr bei den LKW-Fahrern aushelfen und einen unserer Sattelschlepper fahren. Besonders viel Spaß machte es, solch eine Zugmaschine ohne den Auflieger zu fahren.